Schlagwort-Archive: Auftypisierung

Reichen BtM-Delikte für eine DNA-Analyse, und: Auftypisierung?

mineralsDer LG Paderborn, Beschl. v. 19.11.2014 – 1 Qs-22 Js 1365/13-56/14 – befasst sich mit der Frage der Entnahme von Körperzellen bei einem  Verurteilten gemäß den §§ 81g Abs. 3, Abs. 4, 81a Abs. 2, 81f StPO zwecks Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen zur Speicherung des DNA Musters für künftige Verfahren in der DNA-Analyse-Datei (DAD). Und er entscheidet zwei Fragen, nämlich:

  1. Reichen BtM-Delikte für die Anordnung einer Entnahme aus?
  2. Ist eine Entnahme von Körperzellen zu einer molekulargenetischen Untersuchung noch erforderlich, wenn bereits Daten des Verurteilten in der DAD gespeichert sind, wenn auch nach altem Standard?

Und dazu dann das LG:

Zu 1: BtM-Delikte:

In dem Streit, ob Betäubungsmitteldelikte überhaupt geeignete Delikte für eine Körperzellenentnahme zum molekulargenetische Untersuchung sind (Nachweise zum Streitstand bei: Karlsruher Kommentar-Senge, StPO, § 81g, Rn. 8), ist die Kammer der Auffassung, dass dies zu bejahen ist. Aus den Erfahrungen der Kammer als große Strafkammer zeigt sich, dass auch in Verfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Beweisführung über DNA-Gutachten möglich und zielführend ist. Fallkonstellationen, bei denen der Täter mit den Drogen bzw. deren Verpackung in Berührung kommt und dabei auswertbare Körperspuren hinterlässt sind nicht nur vorstellbar (OLG Köln, NStZ-RR 2005, 56, sondern in der Praxis der Kammer auch vorgekommen.“

Zu 2: Auftypisierung, wo die Kammer ältere Rechtsprechung aufgibt

„Ob eine Entnahme von Körperzellen zu molekulargenetischen Untersuchung erforderlich ist, wenn bereits Daten des Verurteilten in der DAD gespeichert sind, wenn auch nach altem Standard, wird unterschiedlich beurteilt. Insbesondere wird eine Erforderlichkeit in diesen Fällen verneint (OLG Bremen, NStZ 2006, 653; LG Saarbrücken, StraFo 2012, 499).

Die Gegenauffassung hält eine Entnahme von Körperzellen zur Auftypisierung der bereits gespeicherten Daten für zulässig (LG Freiburg/Breisgau, Beschluss vom 30.07.2013, Az.: 2 Qs 12/12.). Dem schließt sich die Kammer an. Die bisherige, entgegenstehende Rechtsprechung der Kammer (LG Paderborn, StV 2013, 434) wird aufgegeben.

Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn zur Erreichung des angestrebten Zieles keine andere mildere aber gleich wirksame Maßnahme zur Verfügung steht. Daraus folgt, dass die Alternative zur Entnahme von Körperzellen gleichwertig sein muss. Als Alternative kommt hier ein Rückgriff auf den bereits gespeicherten Datenbestand in Betracht. Diese Alternative ist aber nicht gleichwertig, weil die gespeicherten Daten qualitativ hinter den neu zu gewinnenden zurückstehen. Dies ist vorliegend aus zwei Gründen gegeben.

a) Zum einen muss die Qualität der gespeicherten Daten den gestiegenen Anforderungen bei der Datenauswertung genügen. Der Datenbestand in der DAD umfasste Ende 2009 insgesamt 835.275 DNA-Identifizierungsmuster. Erfasst waren bis dahin 66.8721 Personen und 166.554 nicht zugeordnete Spuren. Dieser Bestand steigt ständig an, was allerdings auch zwangsläufig das Risiko eines zufälligen Datenbank-Treffers erhöht (Schneider/Schneider/Fimmers/Brinkmann, NStZ 2010, 433 (434)). Eine größere Anzahl an gespeicherten Merkmalen ist auch in größerem Maße geeignet, Zufallsverfahren entgegenzuwirken.

b) Darüber hinaus kann der momentan gespeicherten Datensatz nicht im europäischen Ausland verwendet werden. Gemäß Abs. 8 der Erwägungen im Rahmenbeschluss 2009/905/JI des Rates der Europäischen Union vom 30. November 2009, treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um die Integrität der den anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten oder zum Abgleich übermittelten DNA-Profile zu garantieren. Hierzu ist mindestens eine Speicherung der Daten nach derzeit gültigem EU-Standard notwendig, welcher in Artikel 7 Absatz 4 des Beschlusses 2008/616/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere der grenzüberschreitenden Kriminalität angegeben ist. Nach § 1 PrümVtrAG (BGBl. 2009 I, S. 2507) ist dieser Ratsbeschluss unmittelbar in Deutschland anwendbar.“

Acht sind nicht mehr genug – die Zulässigkeit der Auftypisierung

DNA-Identitätsfeststellungsverfahren (§§ 81f, 81g) sind Verfahren, mit denen Beschuldigte als Nachfolgeverfahren nach ihrer Verurteilung rechnen müssen. Und zwar ggf. in Zukunft vermehrt, wenn sich die Auffassung des LG Schweinfurt im LG Schweinfurt, Beschl. v. 06.02.2013 – 1 Qs 16/13 durchsetzt. Da ging es um die Frage der sog. Auftypisierung, nämlich darum, ob ein DNA-Identitätsfeststellungsverfahrens mit dem Ziel, ein aus sechzehn Merkmalen bestehendes DNA-Muster des Betroffenen zu erlangen, wenn von diesem bereits ein aus acht Merkmalen bestehendes DNA-Muster vorliegt, zulässig ist. Bislang war dazu h.M. in der Literatur – immerhin Meyer-Goßner und Löwe-Rosenberg, also bekannte Adressen – und in der Rechtsprechung – OLG Bremen -, vertreten worden, dass ein Auftypisierung als unverhältnismäßig angesehen wird.

Das LG Schweinfurt hat das anders gesehen:

b) Der angeordneten Entnahme von Spurenmaterial und seiner molekular- genetischen Untersuchung steht nicht entgegen, dass bereits ein DNA- Identifizierungsmuster des Betroffenen vorliegt. Das vorliegende Identifizierungsmuster umfasst nämlich lediglich Merkmale des Betroffenen in acht Merkmalsystemen, wohingegen der derzeitige Untersuchungsstandard die Bestimmung von sechzehn Merkmalsystemen vorsieht.

Dass die Erfassung der Merkmale des Betroffenen in sechzehn Systemen in der DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamts im Falle des Abgleichs mit Tatortspurenmaterial zuverlässigere Aussagen bezüglich eventueller Übereinstimmungen oder Abweichungen erlaubt und damit sowohl die Aufklärung von Straftaten beschleunigen kann als auch dem Interesse des Betroffenen entgegenkommt, nicht aufgrund falscher Treffermitteilungen unzutreffend verdächtigt zu werden, stellt für sich allein allerdings noch keinen ausreichenden Grund für die erneute Entnahme und Untersuchung von Spurenmaterial dar, weil, worauf auch das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat, eine präzisierende, auf der Darstellung von sechzehn Merkmalsystemen basierende Untersuchung jederzeit durchgeführt werden kann, sobald der Abgleich mit den bereits jetzt in die Analyse-Datei eingestellten acht Merkmalssystemen eine erste Übereinstimmung ergibt.

Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass die derzeit ablaufende Umstellung der Datenbank auf Datensätze mit sechzehn Merkmalen die Aufklärung künftiger Straftaten eben nicht nur beschleunigen, sondern im Einzelfall die Aufklärung von Straftaten überhaupt erst ermöglichen wird, die auf der Grundlage der bisherigen Datensätze gerade nicht aufzuklären wären.

Zum einen war nach den Erkenntnissen der Kammer mit der in den letzten Jahren vonstattengegangenen Erweiterung der Anzahl der untersuchten Systeme auch der Austausch einzelner, früher zur Identitätsfeststellung herangezogener Merkmalsysteme verbunden mit der Folge, dass nicht einmal sichergestellt ist, dass mithilfe der derzeit eingesetzten Untersuchungsverfahren überhaupt noch alle Merkmalsysteme ausgewertet werden können, die den acht aktuell gespeicherten Merkmalsystemen des Betroffenen entsprechen. Dies hätte zur Folge, dass sich die vergleichende Untersuchung tatsächlich auf weniger als acht Merkmalsysteme beschränken müsste, was die Zuverlässigkeit der Untersuchungsergebnisse weiter beeinträchtigen und etwa das Risiko fehlerhafter Treffermitteilungen erhöhen würde.

Unabhängig hiervon entspricht es aber jedenfalls kriminalistischer Erfahrung, dass Tatortspurenmaterial häufig keine kompletten Merkmalsätze, sondern nur fragmentarische Merkmale enthält, unter denen sich nicht immer alle in der Analyse-Datei erfassten Merkmale befinden müssen, so dass die Gefahr, dass mangels vergleichbarer Merkmalsysteme überhaupt keine statistischen Aussagen getroffen werden können, im Falle eines Abgleichs mit auf sechzehn Merkmalen basierendem Datenmaterial naturgemäß deutlich geringer ist als dies bei einem Abgleich mit lediglich acht gespeicherten Merkmalsätzen der Fall wäre. Dies gilt umso mehr, als anlässlich der Begehung von Straftaten gesicherte DNA-Spuren oft in Gestalt mehr oder minder komplexer Mischspuren vorliegen, deren Interpretation und Zuordnung durch den Abgleich mit sechzehn Merkmalsätzen einer Vergleichsperson erheblich erleichtert werden kann.

Die Umstellung der DNA-Analyse-Datei auf sechzehn Merkmalsysteme umfassende Datensätze bietet deshalb keineswegs nur Vorteile, die im Anschluss an eine Treffermitteilung auf der Grundlage von nur acht Merkmalsystemen auch noch durch eine nachträgliche Untersuchung erzielt werden könnten, sondern sie ermöglicht in geeigneten Fällen vielmehr die Identifizierung von Tätern, die andernfalls nicht einmal unter Verdacht geraten wären.

Vor diesem Hintergrund kann der für den Betroffenen derzeit gespeicherte, auf lediglich acht Merkmalsystemen basierende Datensatz als nur. noch eingeschränkt geeignet betrachtet werden, die Aufklärung künftiger Straftaten zu erleichtern.

Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine erneute Entnahme von Spurenmaterial und dessen molekulargenetische Bestimmung in den derzeit gängigen sechzehn Merkmalsystemen erforderlich ist, um dem von § 81g StPO ins Auge gefassten Zweck möglichst weitgehend gerecht zu werden.

Dabei steht ein deutlicher Zuwachs der Chancen betreffend die Aufklärung künftiger Straftaten einem vergleichsweise geringen zusätzlichen Eingriff in das Recht des Betroffenen, dessen genetische Daten immerhin bereits zum Teil gespeichert sind und durch die neue Untersuchung lediglich vervollständigt werden sollen, auf seine informationelle Selbstbestimmung gegenüber, weshalb die Kammer im Ergebnis keine Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der von der Staatsanwaltschaft beantragten Anordnung hegt.