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Rechtsbeugung in Erfurt, oder: Wenn der OWi-Richter sauer ist….

© canstockphoto5259235

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Heute dann mal ein Tag des BVerfG, den ich mit dem BVerfG, Beschl. v. 14.07.2016 -2 BvR 661/16 – eröffne. Ergangen ist der Beschluss in dem „Rechtsbeugungsverfahren“, das mit dem BGH, Beschl. v. 24.02.2016 – 2 StR 533/15 – bei den Fachgerichten sein Ende gefunden hatte. Das ist die Sache, in der der angeklagte Amtsrichter durch das LG Erfurt, Urt. v. 15.04.2013 – 101 Js 733/12, 7 KLs – vom Vorwurf der Rechtsbeugung frei gesprochen worden war. Den Freispruch hatte dann der BGH im BGH, Beschl. v. 22.01.2014 – 2 StR 479/13 – aufgehoben. Dann hatte das LG Erfurt im Urt. v. 26.05.2015 – 101 Js 733/12 – wegen Rechtsbeugung verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision hatte der BGH mit Beschl. v. 24.02.2016 verworfen. Das Ganze ist dann noch verfassungsgerichtlich überprüft worden.

Es geht um eine Gesamtfreiheitsstrafe  von einem Jahr und drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung wegen Rechtsbeugung in sieben Fällen. Der Amtsrichter hatte in mehreren Bußgeldverfahren die Betroffenen – kurzerhand – freigesprochen, weil von der Straßenverkehrsbehörde weder ein Messprotokoll noch der Eichschein für das bei der Verkehrskontrolle verwendete Messgerät zur Akte genommen worden sei. Der Amtsrichter war deshalb von einem Verfahrensfehler im Verantwortungsbereich der Behörde ausgegangen, der dazu geführt habe, dass das Messergebnis für das Gericht nicht nachprüfbar und die Ordnungswidrigkeit deshalb nicht beweisbar sei. Das OLG Jena hat mehrere dieser Entscheidungen wegen Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) aufgehoben. Der Amtsrichter hat dann im zweiten Durchgang die nach seiner Ansicht fehlenden Unterlagen weiterhin nicht beigezogen, sondern die Betroffenen wiederum freigesprochen oder das Bußgeldverfahren eingestellt. Das hat dann in dem o.a. Rechtsprechungsmarathon schließlich zu einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung geführt (§ 339 StGB) geführt.

Und dazu dann jetzt eben das BVerfG, das keine Verletzung von Art. 97 GG sieht:

„Nach diesen Maßstäben ist die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Rechtsbeugung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer hat seine Entscheidungen nicht allein an Gesetz und Recht ausgerichtet.

a) Die einschränkende Auslegung des § 339 StGB, nach der sich ein Richter einer Rechtsbeugung nur schuldig mache, wenn er sich „bewusst in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt“ (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 – 2 StR 479/13 -, BGHSt 59, 144 <147 Rn. 9> m.w.N.), wahrt die Unabhängigkeit des Richters. Weil dem Richter die besondere Bedeutung der verletzten Norm für die Verwirklichung von Recht und Gesetz im Tatzeitpunkt bewusst gewesen sein muss, ist sichergestellt, dass eine Verurteilung nicht schon wegen einer – sei es auch bedingt vorsätzlichen – Rechtsverletzung erfolgt, sondern erst dann, wenn der Richter sich bei seiner Entscheidung nicht allein an Gesetz und Recht orientiert. Dies ist hier der Fall. Die Urteilsfeststellungen belegen ausreichend, dass – neben anderen Motiven – der Wunsch, die Bußgeldbehörde und die Staatsanwaltschaft zu disziplinieren, mitbestimmend für die grob fehlerhafte Rechtsanwendung des Beschwerdeführers war.

b) Die unvertretbare Rechtsanwendung des Beschwerdeführers ist auch nicht ausschließlich auf eine lang andauernde Arbeitsüberlastung zurückzuführen; nicht jedes Fehlverhalten, das sich als Reaktion auf eine chronische Überlastung erweist, wird den Rechtsbeugungstatbestand erfüllen. Die richterliche Unabhängigkeit ist als solche zwar nicht Schutzgut des § 339 StGB (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 339 Rn. 2 m.w.N.). Der Rechtsbeugungstatbestand stellt sich vielmehr als Gegenstück zur richterlichen Unabhängigkeit dar; die Vorschrift zielt auf die Sicherung und Wahrung der Verantwortlichkeit des Richters und die Achtung von Recht und Gesetz auch durch den Richter selbst (vgl. Uebele, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2014, § 339 Rn. 1 m.w.N.; zur Notwendigkeit der Einschränkung des Tatbestandes mit Blick auf Art. 97 GG siehe aber nur Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 339 Rn. 26 ff.). Die Verwirklichung dieser Zielsetzung setzt jedoch voraus, dass dem zur Entscheidung berufenen Richter ausreichend Zeit zu einer allein an Recht und Gesetz orientierten Bearbeitung des Falles zur Verfügung steht. Nur wenn dies gewährleistet ist, kann der Richter seiner persönlichen Verantwortung gerecht werden. Dabei wird stets die konkrete, subjektive Belastungssituation des Richters in den Blick zu nehmen sein. Eine Orientierung allein an vermeintlich objektiven, durchschnittlichen Bearbeitungszeiten genügt dem nicht.

Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass das gegenwärtige System der Bewertung richterlicher Arbeit nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt und hierdurch zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite schafft (vgl. BVerfGE 133, 168 <172 Rn. 3>). Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht – jedenfalls für die Strafjustiz – festgestellt, dass die Länder steigenden Belastungen nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen haben (vgl. BVerfGE 133, 168 <172 Rn. 3>). Dies kann im Einzelfall zu berücksichtigen sein, spielt aber im Falle des Beschwerdeführers keine Rolle.

(Leid)Gedanken eines Amtsrichters – die geben zu denken

Ich hatte neulich näheren/intensiveren Email-Kontakt zu einem _ offenbar – amtsrichterlichen Kollegen, der mir nicht nur in unserem Blog, sondern auch schon in anderen Blogs durch m.E. fundierte und engagierte Kommentare aufgefallen war. Im Rahmen dieses Kontakts erhielt ich von ihm eine Email mit u.a.  folgendem Inhalt:

„…c) beruht die Freude auch darauf, dass man, was ich besonders schätze, bei Ihnen auch als „kleiner“ Amtsrichter der Öffentlichkeit seine Entscheidungen zugänglich machen kann, verbunden mit der Hoffnung, dass es der eine oder andere Ihrer Leser zur Kenntnis nimmt, dass es auch von den Amtsgerichten, deren Ruf ja – leider nicht immer zu Unrecht – bei vielen Verteidigern nicht der beste ist, hin und wieder Entscheidungen gibt, bei denen sich der Verfasser um Richtigkeit zumindest „stets bemüht“ hat und die sich nicht darauf beschränken, Anträge der StA durchzuwinken oder, was das Drama um die Akteneinsicht im Owi-Verfahren zeigt, den Behörden nach dem Mund zu reden. Ich hatte ja offen gestanden vor meinem Berufseintritt und des damit einhergehenden Desillusionierungsprozesses immer gedacht, dass es sich um typisches „Anwaltsgejammer“ handelt, wenn z.B. die X-er Kollegen beklagen, dass die dortigen Ermittlungsrichter alles unterschreiben, was Ihnen vorgelegt wird. Heute weiß ich, dass dieser Vorwurf nicht jeder Berechtigung entbehrt, mir ist in den vergangenen zwei Jahren kein einziger Fall begegnet, in denen ein Antrag abgelehnt wurde. Ich bin deshalb froh, wenn es für uns Möglichkeiten gibt, hin und wieder aufzuzeigen, dass es auch an der Basis anders geht und eben nicht immer erst die OLG eingreifen müssen. Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil es nicht nur mir so gegangen ist, dass die Wahrnehmung unserer Prüfungsaufgaben auf Seiten der Strafverfolger mit Bedenkenträger- und/oder Querulantentum gleichgesetzt wird. Sprüche wie „was beschweren Sie sich über Ihren hohen Bestand, ziehen Sie die Sachen so wie angeklagt durch, wenn es dem Verteidiger nicht passt soll er halt in Berufung“ (O-Ton eines Staatsanwalts) oder, wie mir über mehrere Ecken zugetragen wurde, die interne Äußerung „den Neuen in X müssen wir noch disziplinieren“, erhöhen die Lebensfreude auch nicht wirklich. Nach meinem Eindruck lassen sich nicht wenige Kollegen von so etwas beeinflussen oder geben irgendwann resigniert auf.

 So, jetzt aber genug Leid geklagt, unter dem Strich mache ich meinen Job ja trotzdem gerne. Nachdem es aus Beamtensicht nunmehr mit Riesenschritten auf das Dienstende zugeht :-), wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende und verbleibe….“

Mir haben seine Ausführungen zu denken gegeben – ist es wirklich so? Aber: Beruhigt hat mich, dass er seinen Job trotzdem gerne macht. Und das merkt man seinen Beschlüssen auch an.