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StGB AT II: Neuregelung/neues Recht des § 64 StGB, oder: OLG Saarbrücken zum anwendbaren Recht

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Und dann etwas aus dem Vollzugs-/Vollstreckungsbereich, nämlich zu §§ 64 ff. StGB, und zwar zur Anwendung des neuen Rechts. Dazu hatte ich ja u.a. – neben dem BGH – bereits den OLG Celle, Beschl. v. 20.11.2023 – 2 Ws 317/23 – vorgestellt (vgl. Unterbringung III: Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle – OLG Celle zum anwendbaren Recht). Dazu hat sich jetzt auch das OLG Saarbrücken im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.01.2024 – 1 Ws 298/23 – geäußert.

Da es das OLG Saarbrücken ebenso macht wie das OLG Celle, reichen m.E. die Leitsätze der Entscheidung. Die lauten:

1. Auf die Vollstreckung einer vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist über § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB die Vorschrift des § 64 Satz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung anzuwenden (Anschluss an OLG Celle, Beschl. v.20.11..2023 – 2 Ws 317/23).
2. Der Begriff des „Hangs“ im Sinne des § 64 Satz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung entspricht dem des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB in derselben Fassung.
3. Ein „Hang“ des Untergebrachten im Sinne des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung liegt nur vor, wenn bei ihm eine Substanzkonsumstörung besteht, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist oder fortdauert.
4. Eine vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordnete Unterbringung ist nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB für erledigt zu erklären, wenn bei dem Untergebrachten zwar weiterhin eine Substanzkonsumstörung besteht, diese aber zu keinem Zeitpunkt zu einer dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Lebensgestaltung, Gesundheit oder Arbeits- oder Leistungsfähigkeit geführt hat.

Fahrverbot nach neuem Recht, oder: Günstige Abgabefrist auch im Altfall

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Und als dritte Entscheidung aus dem Bereich des Verkehrsstrafrecht, na ja aus dem Bereich der Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Bezug, das AG Dortmund, Urt. v. 25.05.2018 – 729 Ds-250 Js 2008/17 -92/18. Das hat den Angeklagten wegen zwei im Straßenverkehr begangenen Nötigung nahc § 240 StGB verurteilt. Es hat gegen den Angeklagten ein Fahrverbot nach § 44 StGB verhängt und dazu ausdrücklich in den Tenor aufgenommen, das auch für diesen „Altfall“ für dieses Fahrverbot auch die für den Täter günstige Abgabefrist des § 44 Abs. 2 StGB gilt:

„Zur Klarstellung hat das Gericht die Abgabefrist des § 44 Abs. II StGB in den Urteilstenor aufgenommen, obgleich es sich hierbei um eine eigentlich nicht „tenorierungspflichtige“ Vollstreckungsregelung handelt. Auch wenn die Reform des § 44 StGB erst nach den hier in Rede stehenden Taten stattgefunden hat, so musste nach Ansicht des Gerichtes die seit dem 24.8.2017 geltende tätergünstige Vollstreckungsregelung des § 44 Abs. II StGB auch auf Taten wie die vorliegende, die nach altem Recht begangen und geahndet wurden, Anwendung finden.“

Blutentnahme nach altem Recht – „gesund gebetet“ nach neuem Recht, oder: Asche auf mein Haupt

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Da sag noch mal einer, dass Internet mache dumm. Mitnichten. Jedenfalls hat es mir auf die Sprünge geholfen bzw. eine Diskussion, die wir in der der Facebook-Gruppe „Verk-Forum“ „VerkR-Forum“ unter Verkehrsrechtlern geführt haben. Es ging um die Frage der Anwendbarkeit der Neuregelungen in der StPO durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 3202)“ auf Altfälle. Und zwar konkret um die Anwendbarkeit der Änderungen in § 81a Abs. 2 StPO – Stichwort „Richtervorbehalt“ bei Verkehrsdelikten. Ja, es ist Verfahrensrecht und damit auch in laufenden Verfahren anwenden. Das hatte ich auf dem Schirm: Aber: Ich hatte die Auffassung vertreten, dass „Altfälle“, in denen Fehler gemacht worden sind oder sein können, nicht mit der Neuregelung gesund gebetet werden können.

Nun, ein Kollege hat sich da gestern von einem AG eines Besseren – zumindest eines anderen – belehren lassen müssen. Dort ist ihm nämlich der OLG Rostock, Beschl. v. 03.11.2017 – 1 Ss 94/17 – entgegengehalten worden. In dem hat das OLG zu der Frage Stellung genommen und sie anders – siehe den letzten Absatz – beantwortet:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Die Rüge, das Ergebnis der Blutalkoholbestimmung hätte nicht zum Nachteil der Angeklagten verwertet werden dürfen, weil diese seinerzeit nicht wirksam in die Blutentnahme eingewilligt habe und diese Maßnahme auch nicht richterlich angeordnet worden sei, wäre auch unbegründet.

Nach § 81a Abs. 2 Satz 2 StPO in der ab dem 24.08.2017 geltenden Fassung von Art. 3 Nr. 5 des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 (BGBl. I S. 3202) bedarf die Entnahme einer Blutprobe ohne Einwilligung des Betroffenen dann keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat nach § 316 StGB begangen worden ist. So ist es hier.

Nach den Urteilsfeststellungen hatte die Angeklagte auf die sie kontrollierenden Polizeibeamten wegen ihres „albernen“ und immer wieder von Lachen begleiteten Verhaltens einen alkoholisierten Eindruck gemacht. Zudem hatte sie selbst angegeben, vor Fahrtantritt Alkohol zu sich genommen zu haben. Die noch vor Ort durchgeführte Vorprobe mittels eines Atemalkoholmessgeräts hatte eine BAK von 1,3 Promille ergeben. Damit lag zum Zeitpunkt der Blutentnahme ein durch Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat nach § 316 StGB vor. Die Anordnung zur Blutentnahme durfte deshalb nach dem nunmehr geltendem Recht durch die Staatsanwaltschaft oder durch ihre Ermittlungspersonen erfolgen, wobei kein Anordnungsvorrang der Staatsanwaltschaft vor den Polizeibeamten besteht (so schon zum bisherigen Recht König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 81a StPO, Rdz. 5 m.w.N.).

Bei § 81a StPO handelt es sich um eine Verfahrensvorschrift, die mit ihrem Inkrafttreten sofortige Geltung beansprucht, wenn keine abweichende Übergangsregelung getroffen wurde. Das ist hier nicht der Fall. Das strafrechtliche (materiell-rechtliche) Rückwirkungsverbot gilt in diesen Fällen nicht.

Selbst wenn die Anordnung der Blutentnahme durch die Polizeibeamten seinerzeit nicht rechtmäßig gewesen sein sollte, könnte dieser Verfahrensfehler deshalb im vorliegenden Revisionsverfahren nicht mehr zu Urteilsaufhebung führen, weil die Maßnahme dem jetzt geltenden Recht entspricht (BayObLG NJW 2005, 1592; OLG Hamburg NJW 1975, 988; vgl. für die Verwertbarkeit von TKÜ-Maßnahmen auch BGH NJW 2009, 791, 792).“

Ich habe inzwischen das BayObLG und die BGH-Entscheidung nachgelesen – das ist BGHSt 53, 64. Und ich muss einräumen: Leider so etwas von deutlich, dass man daran wohl nicht vorbei kommt. Es werden also „falsche Altfälle“ „gesund gebetet“. Ich sehe es nach wie vor anders, weil es es sich um abgeschlossene Sachverhalte handelt, die m.E. nach dem zum Zeitpunkt des Handelns gültigen Recht beurteilt werden müssen. Das hat m.E. nichts damit zu tun, das im Verfahrensrecht das Rückwirkungsverbot grundsätzlich nicht und neues Verfahrensrecht auch in laufenden Verfahren anzuwenden ist. Eben: „Laufende“ Verfahren. Zudem wendet man ja z.B. auch nicht auf abgeschlossene Fälle, in denen der neue § 141 Abs. 3 Satz 4 StPo gelten würden, nun diese Neuregelung an und ordnet nachträglich einen Pflichtverteidiger bei. Aber die Rechtsprechung sieht es wohl anders, was ich – räume ich ein – übersehen habe. Also: Asche auf mein Haupt.

In der Sache: Man kann den autofahrenden Mandanten als Verteidiger nur raten: Bloß nicht bei einer Polizeikontrolle lachen und  „albern“ sein. Das könnte dann für „bestimmte Tatsachen“ i.S. des § 81a Abs. 2 Satz 2 StPO reichen. M.E. ein wenig weit her geholt.  Allein würde mir das nicht reichen. Die Frage stellte sich hier aber nicht. Denn die Angeklagte hatte Alkoholkonsum vor Fahrtantritt eingeräumt. Das reicht dann….

Also: Beide etwas gelernt…. 🙂 .

Gibt es in den sog. Altfällen eine Entschädigung für zu lange Gerichtsverfahren? – OLG Celle: Nein

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Seit dem 03.12.2012 ist das “Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011? in Kraft (vgl. hier). Seitdem hat es schon einige Entscheidungen gegeben, die sich mit dem Gesetz bzw. der Frage der Anwendbarkeit auch  auf „Altverfahren“ befassen (vgl. u.a. hier der OLG Celle, Beschl. v. 09.05.2012 – 23 SchH 6/12). Dazu gehört nun auch das OLG Celle, Urt. v. 24.10.2012 – 23 SchH 5/12, das sowohl zur Anwendbarkeit der Neuregelung in den §§ 198, 199 GVG Stellung nimmt als auch zur Frage, wann eine Entschädigung gezahlt werden muss.

Es handelt sich also um einen Altfall. Zur Anwendbarkeit insoweit heißt es:

1. Dem Kläger steht zunächst kein Anspruch gemäß § 199 i. V. m. § 198 GVG wegen überlanger Dauer des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens zu. Diese Anspruchsgrundlage kommt gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwar auch bei schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen Verfahren in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Dauer des Verfahrens beim Inkrafttreten des Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden konnte. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat nicht innerhalb von sechs Monaten (vgl. Art. 35 Abs. 1 EMRK) nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung – dies ist der Freispruch durch das Landgericht … am 20. Mai 2009 – Klage zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben. Entgegen seinem Vorbringen wäre ihm dies aber möglich gewesen. Zwar vermochte der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts … vom 20. Mai 2009 mangels Beschwer keine Beschwerde zu erheben. Gleichwohl hätte er mit der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK eine Verletzung des Art. 6 EMRK rügen und die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellen lassen können. Dies hat er unterlassen. Dass ein solches Verfahren von der ehemaligen Mitangeklagten des Klägers angestrengt worden ist, genügt für den vom Kläger selbst geltend gemachten Anspruch nicht. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. März 2011 wirkt nur zwischen den an dem dortigen Verfahren beteiligten Parteien. Sie kann auch aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensläufe der Strafverfahren keine präjudizielle Wirkung entfalten.

Damit stellte sich die Frage der Amtshaftung. Dazu das OLG:

Allein die überlange Verfahrensdauer eines Strafverfahrens stellt noch keine derartig schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, dass bei schuldhaftem Handeln der Strafverfolgungsbehörden ein Anspruch auf Amtshaftung begründet wird.