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Parken eines E-Scooters mit Behinderung anderer, oder: Halterhaftung?

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Und als zweite Entscheidung heute dann den AG Berlin-Tiergarten, Beschl. v. 06.09.2023 – (297 OWi 812/23). In ihm hat das AG zur Aufhebung eines Kostenbescheides (§ 25a StVG) Stellung genommen. Der insoweit gestellte Antrag des Betroffenen hatte keinen Erfolg:

„Nach der maßgeblichen Aktenlage ist bei der gebotenen summarischen Prüfung (vgl. BayVGH DAR 2010, 638; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 25a StVG Rn. 15) davon auszugehen, dass mit dem Kraftfahrzeug der Betroffenen am 27.02.2023 ein Parkverstoß im Sinne von § 25a StVG begangen wurde. Die von der Betroffenen zur Nutzung nach dem Carsharing-Modell angebotenen E-Scooter unterfallen aufgrund ihrer Leistungsmerkmale gerichtsbekanntermaßen der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) und stellen daher Kraftfahrzeuge im Sinne von § 25a StVG dar. Ein beim Halten oder Parken begangener Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO stellt einen Halt- oder Parkverstoß im Sinne von § 25a Abs. 1 StVG dar (AG Hamburg-Altona BeckRS 2023, 564 mit zust. Anm. Sandherr NZV 2023, 333; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 25a StVG Rn. 5 m.w.N.). Das Parken eines E-Scooters quer auf der Mittelfläche des Gehwegs – wie auf dem Tatfoto ersichtlich –, wodurch es zur Behinderung von Fußgängern kommt, verstößt gegen § 1 Abs. 2 StVO. Da diese Vorschrift auch für Radfahrer gilt – denn sie richtet sich nicht nur an Führer von Kraftfahrzeugen, sondern an alle Verkehrsteilnehmer –, erstreckt sie sich gemäß §§ 9, 11 Abs. 5 eKFV auch auf die Führer von Elektrokleinstfahrzeugen und damit auch des hier verfahrensgegenständlichen E-Scooters.

Dies gilt übrigens entsprechend – wie das Gericht bereits mehrfach entschieden hat – auch für andere Verstöße gegen diejenigen Halt- oder Parkvorschriften, die nicht nur für Führer von Kraftfahrzeugen gelten, sondern für alle Fahrzeugführer. Beispielhaft seien hier genannt das Parken in einem Bereich der Fahrbahn, auf dem durch Zeichen 283 das Halten verboten ist; in einem durch Zeichen 250 gesperrten Bereich; in einem verkehrsberuhigten Bereich außerhalb gekennzeichneter Parkflächen (Zeichen 325.1); auf einer Sperrfläche (Zeichen 298) oder im Bereich eines Parkscheinautomaten ohne gültigen Parkschein. Auch diese Regelungen gelten jeweils nicht nur für Kraftfahrzeuge, sondern für alle Fahrzeuge, damit auch für Radfahrer und gemäß §§ 9, 11 Abs. 5 eKFV auch für Führer von Elektrokleinstfahrzeugen.

Die Bußgeldbehörde hat durch das Absenden eines Anhörungsschreibens am 05.05.2023 an die Betroffene als Halterin des Fahrzeugs den Anforderungen an eine rechtzeitige Anhörung noch genügt. Zwar liegen hier zwischen der Tat und der Anhörung fast 10 Wochen. Dies ist jedoch im vorliegenden Fall darauf zurückzuführen, dass aufgrund einer fehlerhaften Auskunft der Betroffenen zunächst eine andere Person als vermeintlicher Halter angehört wurde. Nach gerichtlicher Erfahrung liegt die Zeitspanne in derartigen Fällen regelmäßig im Bereich von etwa 5 Wochen. Ein solcher Zeitablauf ist nach Ansicht des Gerichts jedenfalls noch ausreichend, um dem für das Fahrzeug verantwortlichen Halter die Benennung des Fahrers zur Tatzeit zu ermöglichen. Dies gilt erst recht, wenn es sich – wie hier – bei dem Halter um ein gewerblich tätiges Carsharing-Unternehmen handelt, das im Rahmen ordnungsgemäßer Buchführung Aufzeichnungen über die Mietvorgänge und Mieter führen wird und von dem deshalb auch nach längerem Zeitablauf als bei einem privaten Halter noch konkrete Angaben zu den Daten des Mieters erwartet werden können; in derartigen Fällen ist daher auch eine Zeitspanne von 10 Wochen nicht zu beanstanden. Das Gericht teilt ausdrücklich nicht die häufig zitierte frühere Ansicht einer anderen Abteilung des hiesigen Gerichts (vgl. zuletzt AG Tiergarten DAR 2018, 398 m.w.N.) sowie einiger anderer Amtsgerichte (vgl. z.B. AG Straubing DAR 2022, 48), wonach der Zeitraum zwischen der Tat und dem Erhalt des Anhörungsschreibens höchstens zwei Wochen betragen darf. Eine derart kurze Fristbestimmung findet weder eine Stütze im Gesetz noch ist sie für die Bußgeldbehörde angesichts des massenhaften Aufkommens derartiger Verfahren praktisch umsetzbar (so auch AG München NZV 2019, 597). Sie überspannt die Anforderungen an die Bußgeldbehörde zur Ermittlung des Fahrzeugführers in derartigen Bagatellverfahren.

Die auf das Anhörungsschreiben der Bußgeldbehörde durch die Betroffene erfolgte Nennung eines Vor- und Nachnamens, einer Mobilfunknummer und einer E-Mail-Adresse des Nutzers genügt nicht, um diesen mit vertretbarem, der Sache angemessenem Aufwand zu ermitteln. Nötig gewesen wäre die Angabe des Geburtsdatums und der Wohnanschrift des Nutzers, damit dieser eindeutig identifiziert werden könnte (so auch AG Stuttgart BeckRS 2023, 15556). In Anbetracht der Geringfügigkeit des Tatvorwurfs ist regelmäßig jeder weitere Ermittlungsaufwand der Bußgeldbehörde unangemessen. Soweit in Teilen der Rechtsprechung erwartet wird, dass die Bußgeldbehörde mit diesen knappen Angaben weitere Ermittlungen (z.B. Bestandsdatenauskunft bei der Bundesnetzagentur oder dem jeweiligen Telekommunikations-Dienstanbieter, ggf. auch im Wege internationaler Rechtshilfe) anstellen müsse, wird verkannt, dass diese massenhaften Verfahren lediglich Bagatellverstöße betreffen und es dabei nicht um einen Schuldspruch im strafrechtlichen Sinne geht, sondern lediglich um die Frage, ob die Allgemeinheit oder ob der für sein Fahrzeug verantwortliche Halter die Kosten des durch das Fehlverhalten des Fahrzeugnutzers verursachten Verfahrens tragen soll. Zudem stünden einer Übermittlung von verfahrensbezogenen Daten an eine nicht verifizierbare E-Mail-Adresse auch datenschutzrechtliche Erwägungen entgegen.

Die Bußgeldbehörde hat daher hier mangels ausreichender Angaben zum verantwortlichen Mieter zu Recht das zu Grunde liegende Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt und hatte gemäß § 25a Abs. 1 StVG gegen die Betroffene als Halterin des Fahrzeugs einen Kostenbescheid zu erlassen, weil der Fahrer zur Tatzeit innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist mit vertretbarem Aufwand und Aussicht auf Erfolg nicht festgestellt werden konnte. Ein zur Unbilligkeit im Sinne von § 25a Abs. 1 Satz 3 StVG führender Härtefall liegt hier nicht vor (vgl. die Beispiele bei Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 25a StVG Rn. 9).

Die Ausführungen des Verteidigers in der Antragsbegründung führen zu keiner abweichenden Bewertung, die dort zitierte Rechtsprechung betrifft zum Teil andere Fallkonstellationen und wird im Übrigen vom Gericht nicht geteilt.“

Klima I: Rechtsprechung zu Klimaktivisten-Fällen, oder: Straßenblockade, Hausfriedensbruch, Festkleben

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Zum Wochenanfang der 35 KW. stelle ich – seit längerem – mal wieder einige Entscheidungen auf Verfahren betreffend Klimaktivisten vor. Mehr als diese insgesamt vier Entscheidungen habe ich leider nicht. Ich habe zwar versucht, an die Volltextevon Entscheidungen zu kommen, über die in der letzten Zeit berichtet worden ist, aber das hat leider nur in einem Fall, der vom AG München stammt, geklappt. Alle anderen Anfragen hatten keinen Erfolg. Die StA Neuruppin gibt den „Kriminelle Vereinigung“-Beschluss des LG Potsdam nicht heraus, weil es esich um ein laufendes Verfahren handelt, das LG hatte ich zuvor bereits hinter der StA versteckt. Und auch das AG Tiergarten ist sehr zögerlich. Schade.

Vorstellen kann ich dann aber:

Eine Straßenblockade durch Klimaaktivisten stellt nach der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB dar. Denn die Fahrer in der zweiten Reihe und den nachfolgenden Reihen werden durch unüberwindbare physische Hindernisse, nämlich den Fahrzeugen vor und hinter ihnen, an der Weiterfahrt gehindert, womit auch der erstrebte Nötigungserfolg eingetreten ist. Die darin liegende Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer kann jedoch nach Abwägung aller Umstände gem. § 240 Abs. 2 StGB gerechtfertigt sein,

Zur Rechtfertigung des unerlaubten Betretens eines Fußballfeldes während eines laufenden Spieles aus „Klimaschutzgründen“.

1. Bei der den Protestierenden sog. „Letzten Generation“ vorgeworfenen Nötigung sind bei Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB im Lichte des Art. 8 GG die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 64) zu beachten. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
2. Wurden Autofahrende auf einer der staubelasteten Autobahn Deutschlands durch die Blockade rund 30 Minuten an der Weiterfahrt gehindert, wobei sich ein Stau von mehreren Metern bildete, die Blockadeaktion jedoch zumindest abstrakt im Vorfeld medial angekündigt wurde und ein konkreter Sachbezug („Öl sparen statt Bohren“ und „Nordseeöl? Nö!“) gegeben war, stellt sich die Nötigung nicht als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar, wenn die Polizei die Blockade vor der Räumung versammlungsrechtlich nicht beschränkt oder aufgelöst hat.
3. Ist die Nötigung nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, kommt ein Verstoß gegen das VersFG Bln in Betracht, wenn die Polizei die Versammlung beschränkt bzw. aufgelöst hat, die Protestierenden hierauf jedoch nicht reagiert haben.1. Bei der den Protestierenden sog. „Letzten Generation“ vorgeworfenen Nötigung sind bei Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB im Lichte des Art. 8 GG die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 64) zu beachten. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
2. Wurden Autofahrende auf einer der staubelasteten Autobahn Deutschlands durch die Blockade rund 30 Minuten an der Weiterfahrt gehindert, wobei sich ein Stau von mehreren Metern bildete, die Blockadeaktion jedoch zumindest abstrakt im Vorfeld medial angekündigt wurde und ein konkreter Sachbezug („Öl sparen statt Bohren“ und „Nordseeöl? Nö!“) gegeben war, stellt sich die Nötigung nicht als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar, wenn die Polizei die Blockade vor der Räumung versammlungsrechtlich nicht beschränkt oder aufgelöst hat.
3. Ist die Nötigung nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, kommt ein Verstoß gegen das VersFG Bln in Betracht, wenn die Polizei die Versammlung beschränkt bzw. aufgelöst hat, die Protestierenden hierauf jedoch nicht reagiert haben.

Und der Vollständigkeit halber weise ich dann auch noch einmal hin auf den KG, Beschl. v. 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 -, über den ich ja schon in der vergangenen Woche berichtet habe (vgl. StGB III: Widerstand durch Festkleben auf der Straße, oder: Das hätte das KG gern in den Urteilgründen). Die Leitsätze:

1. Um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können, bedarf es einer geschlossenen und zusammenhän-genden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten. Der bloße Hinweis, das Geständnis entspreche dem „akten-kundigen Ermittlungsergebnis“, genügt dafür nicht.
2. Eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.
3. Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vor-zubereiten.
4. Dass Polizeibeamte das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu be-seitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt ihm in Bezug auf den dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit.

Keine Erstattung der Aktenversendungspauschale? oder: Man möchte schreien, wenn man es liest

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Bei der zweiten AG-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den AG Tiergarten, Beschl. v. 12.07.2023 – (327 Ds) 232 Js 312/19 29207 V (10/19). Wenn  man den liest bzw. gelesen hat, möchte man schreien.

Entschieden hat das AG über die Erstattung der sog. Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG. Der Kollege, der mir die Entscheidung geschickt hat, war Verteidiger des Beschuldigten. Der in Berlin ansässige Kollege hat nach Beendigung die Erstattung der zu ersetzenden Kosten  beantragt. Darin waren die 12,00 EUR für die Übersendung der Ermittlungsakte enthalten. Die Rechtspflegerin hat diese als nicht erstattungsfähig angesehen. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Kollegen hatte keinen Erfolg. Das AG meint:

„Nach eigener Prüfung sieht das Gericht den von der Rechtspflegerin im Kostenfestesetzungsbeschluss gewählten und vom Bezirksrevisor am 03.07.2023 bestätigten Ansatz zur Berechnung der erstattungsfähigen Gebühren als zutreffend an.

Im Rahmen der notwendigen Kosten der Verteidigung sind die Kosten der Akteneinsicht nicht gesondert anzusetzen sondern in der Grund- und Verfahrensgebühr des RVG enthalten. Es bleibt dem insbesondere ortsansässigen Anwalt überlassen, ob er sich die Akte bei Gericht zur Einsicht abholt und wieder zurückbringt, ohne dass er Zeit-, Fahrt- und Parkaufwand hierfür gesondert in Rechnung stellen kann oder sich dies als persönlichem und bereits abgegoltenem Vorteil ersparen möchte und das Gericht bittet, die Akte ausnahmsweise entgegen der ansonsten üblichen Praxis und unter Zusage der Kostenübernahme übersenden zu lassen. Notwendig ist dies aus der vorgenannten Alternativmöglichkeit allerdings schon sprachnotwendig nicht (dazu auch LG Berlin v. 30.08.2022 in 528 Qs 53/22). Auch die Kosten der Rücksendung der Akte sind über die pauschalen Postauslagen hinaus übrigens nicht in Ansatz zu bringen.“

Wenn man es gelesen hat, mag man es nicht glauben. Die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG soll beim ortsansässigen Verteidiger nicht erstattungsfähig sein?. Man fühlt sich zurückgesetzt ins vorige Jahrhundert, als um diese Frage gestritten worden ist.

Was bei dem Beschluss aber vor allem sauer aufstößt, ist der Umstand, dass der entscheidende Amtsrichter offenbar die Rechtsprechung anderer Abteilungen des AG Tiergarten nicht kennt, die die Frage genau anders lösen (vgl. AG Tiergarten, Beschl. v. 21.02.2023 – 336 Cs 209/18). Und noch schlimmer: Abgesehen davon, dass ihn, aber auch die Rechtspflegerin und den Bezirksrevisor, die andere Auffassung der h.M. in Rechtsprechung und Literatur nicht zu interessieren scheint, erwähnt er mit keinem Wort den VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.5.2022 – 91/21 (StraFo 2023, 27 = AGS 2022, 557 = StRR 12/2022, 33 = VRR 2/2023, 27); „mia san eben mia“. Vielleicht kennt er den Beschluss aber auch nicht, was die Sache nicht besser macht. Das VerfGH hat die Nichterstattung der Aktenversendungspauschale mit der Begründung, es handle sich um eine „Serviceleistung“ des Gerichts als willkürlich angesehen. Die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, sei nämlich eine Einsichtnahme in den Räumen der Ermittlungsbehörden, was aber eine deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative darstelle.

Zudem: Der Amtsrichter scheint auch den Unterschied zwischen anwaltlicher Vergütung und Auslagen nicht zu kennen (vgl. § 1 Abs. 1 RVG). Gebühren sind das Entgelt für die Anwaltstätigkeit. Davon zu unterscheiden sind die Auslagen. Die Auslagen, die nicht zu den allgemeinen Geschäftskosten gehören, kann der Rechtsanwalt geltend machen. Dies ist ausdrücklich in Vorbem. 7 Abs. 1 S. 2 VV geregelt. Die Gebühren, die dem Rechtsanwalt zustehen, decken die von ihm gezahlten Auslagen nicht ab. Im Übrigen ist es Unsinn, wenn das AG meint, die Kosten der Akteneinsicht seien nicht gesondert anzusetzen, sondern in der Grund- und Verfahrensgebühr enthalten. Das ist nicht der Fall, weil diese Frage mit „anwaltlicher Tätigkeit“ nicht zu tun hat. Das wird bisher, soweit ersichtlich, auch nicht vertreten.

Für die Frage der Erstattung gilt: Bei der Übersendung der Akten zur Akteneinsicht handelt es sich nicht um eine „Serviceleistung“ des Gerichts. Zur Erstattung im Übrigen eingehend Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 212 ff.). Die zum Pflichtverteidiger teilweise vertretene a.A. ist durch die Entscheidung des BGH v. 06.04.2011 (IV ZR 232/08, NJW 2011, 3041) überholt.

Und: Man kann angesichts der Rechtslage, dem betroffenen Verteidiger nur empfehlen, noch einmal den Weg zum VerfGH Berlin zu wählen. Die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde sind m.E. groß. Diesen Weg sollte er allein schon deshalb wählen, weil solche falschen Entscheidungen sonst schnell Schule machen. Eine (unheilige) Allianz zwischen Rechtspfleger, Bezirksrevisor und AG ist, wie die Entscheidung zeigt, schnell gebildet. Die Landeskasse (Berlin) wird es freuen, die Verteidiger weniger. Zwar handelt es sich nur um einen Betrag von 12 EUR, aber: „Auch Kleinvieh macht Mist.“ Zudem: Durch eine Verfassungsbeschwerde erfährt man am VerfGH Berlin dnan auch, was die Instanz von den Entscheidungen des Verfassungsgerichts hält. Offenbar leider nichts.

 

Nochmals Erstattung der Aktenversendungspauschale, oder: „Kopfschüttelentscheidung“ und Zeitdiebstahl

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Im zweiten Posting dann noch einmal etwas zur Erstattung der Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG. Es handelt sich um den AG Tiergarten, Beschl. v. 21.02.2023 – 336 Cs 209/18. Das ist eine dieser – von mir so bezeichneten – „Kopfschüttelentscheidungen“, bei denen ich mich immer frage: Wozu braucht man für die Frage eigentlich eine Gerichtsentscheidung?

„Gestritten“ worden ist um Erstattung der Aktenversendungspauschale. Der Angeklagte ist frei gesprochen worden mit der Folge der Kosten- und Auslagenerstattung durch die Staatskasse. Der Verteidiger macht seine Gebühren geltend, die auch – wohl antragsgemäß – festgesetzt werden, nur eben die 12 EUR für die Aktenversendungspauschale nicht. Begründung offenbar: Hättest die Akten ja auch abholen können, daher sind die Kosten nicht notwendig. Dagegen dann die Erinnerung, die – natürlich – Erfolg hat:

„Entgegen der dem verfahrensgegenständlichen Beschluss zugrunde gelegten Auffassung stellen sich die im Zuge der Akteneinsichtnahme dem Rechtsanwalt entstandenen Versendungskosten grundsätzlich ohne Weiteres als notwendige Auslagen der Prozessführung dar und sind damit bei gegebenem Erstattungsanspruch auszugleichen. Notwendig im Sinne des § 464a Abs. 2 StPO sind Auslagen bereits dann, wenn Sie von dem Rechtsanwalt redlicherweise als Ausdruck einer verfahrenszweckgerichteten kosteneffizienten Prozessführung verstanden werden durfte, wobei dieser den ihm – etwa durch eine alternativ mögliche Abholung der Akte bei Gericht entstehenden Zeit- und Arbeitsaufwand – in die vergleichende Betrachtung miteinbeziehen darf; bei seiner Geschäftsführung im Grundsatz gar muss. Die Notwendigkeit der Kostenentstehung liegt damit bei Anfall einer Aktenversendungspauschale in Höhe von lediglich 12,00 Euro auf der Hand.“

Kostenbeamte/Rechtspfleger müssen viel Zeit haben, wenn sie solche „ausgekauten“ = mehrfach entschiedenen Fragen, immer wieder „zum Spruch stellen“. Die Zeit, die dadurch bei den Gerichten vergeudet wird, könnte man sicherlich nutzbringender einsetzen; es handelt sich also um „Zeitdiebstahl“.

Im Übrigen der VerfGH Berlin lässt das AG Tiergarten mit (mindestens) einer Entscheidung grüßen: VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.05.2022 – VerfGH 91/21.

AG II: Sind Sitzblockaden der Klimaaktivisten strafbar?, oder: Keine Nötigung/kein Widerstandleisten?

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Bei der zweiten AG-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 05.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22). Es nimmt Stellung zur Frage, ob  die Sitzblockaden durch Klimaaktivsten der „Letzten Generation“ den Tatbestand des Widerstandleisten gem. § 113 Abs. 1 StGB und/oder der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllen. Das AG hat die Frage verneint und den Erlass eines Strafbefehls abgelehnt. Hier nur die Ausführungen des AG zur Nötigung:

„1. Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeschuldigten vor, am 23.6.2022 gemeinsam mit 66 anderen gesondert verfolgten Personen die Kreuzung Frankfurter Tor/F. Allee im Rahmen einer politischen Demonstration „Öl sparen statt Bohren“ (ausweislich der durch die Zeugen fotografierten Plakate) der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ blockiert zu haben und dadurch über einen Zeitraum von ca. 3,5 Stunden erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen erzeugt zu haben sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begangen zu haben: insoweit wirft die Staatsanwaltschaft der Angeschuldigten vor, sich zur Erschwerung der polizeilichen Räumungsmaßnahmen mit der rechten Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn festgeklebt zu haben, so dass zunächst ca. 10 Minuten lang der Klebstoff gelöst werden musste, bis es möglich gewesen sei, die Angeschuldigte von der Straße wegzuführen.

2. Soweit der Vorwurf des Widerstandleistens gem. § 113 Abs. 1 StGB erhoben wird, liegt bereits der objektive Tatbestand nicht vor,……..

3. Soweit der Angeschuldigten vorgeworfen wird, sie habe gegenüber den durch die Sitzblockade behinderten Fahrzeugführerenden eine verwerfliche Nötigungshandlung i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB begangen, ist dies den Akten nicht zu entnehmen.

Vorauszuschicken ist, dass jede politische Demonstration lästig ist, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich: Großdemonstrationen legen den Innenstadtverkehr oftmals für halbe Tage lahm, die Anwohner müssen für Stunden verschiedene Belästigungen dulden. Um politischen Demonstrationen strafrechtlich zu begegnen, muss daher festgestellt werden, dass der gesetzliche Rahmen durch Demonstrationsteilnehmer verlassen wurde, namentlich im Falle unfriedlicher Demonstrationen, in denen es zu kollektiven, nicht unerheblichen Gewalthandlungen kommt.

Dass dies hier nicht der Fall war, ist den eindrücklichen Schilderungen mancher Zeugen und von Seiten der Polizei zu entnehmen, die nicht nur keinerlei Gewalttätigkeit beobachteten, sondern im Gegenteil die Friedfertigkeit bzw. Kooperationswilligkeit sämtlicher beteiligter Demonstrationsteilnehmer ausdrücklich hervorheben, …: „Ganz ruhig und überhaupt nicht aggressiv“ und die dienstliche Äußerung …: „Außerdem sind die Personen meist sehr offen mit ihrer Verklebung Aktive Handlungen, die das lösen erschweren, hat bis heute keine der durch mich gelösten Personen unternommen“.

Im Übrigen ist auch im Rahmen von politischen Demonstrationen welche zur Steigerung der (medialen) Aufmerksamkeit auf das Mittel von Blockaden zurückgreifen, der grundrechtliche Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG eröffnet, weshalb eine umfängliche Güterabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB zu vollziehen ist, vgl. BVerfG, Beschl.v.7.3.2011:

„Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92, 104; BVerfGK 11, 102, 108). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315, 342 f.; 87, 399, 406). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206, 248; 87, 399, 406; 104, 92, 103 f.). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315, 345).

Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315, 351; BVerfGK 4, 154, 158; 11, 102, 108). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206, 250).“

Deshalb sind im Lichte von Art. 8 GG zum Schutz vor übermäßigen Sanktionen seitens des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel gem. § 240 Abs. 2 StGB aufgestellt worden.

Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion (a), deren vorherige Bekanntgabe (b), Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten (c), die Dringlichkeit des blockierten Transports (d), aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (e). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist (f). Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92, 112).

Die danach vorzunehmende Abwägung ergibt vorliegend, dass die – nicht angemeldete – Protestdemonstration nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB ist.

(a) Die von der Blockade betroffenen Zeugen der sog. zweiten Reihe sind – anders als der Strafbefehlsentwurf glauben machen will – nicht während des gesamten polizeilichen Einsatzes von der ersten polizeilichen Anforderung bis zur vollständigen polizeilichen Freigabe der Straße beeinträchtigt worden …, sondern längstens für ca. zwei Stunden, …. Dass über diese Beschränkung der Bewegungsfreiheit für die Fahrer und Fahrerinnen der betroffenen Fahrzeuge hinaus und die – zugegeben sehr lästigen – Folgen, zu Terminen verspätet oder gar nicht erscheinen zu können, besondere Grundrechtseinschränkungen erfolgten, ist nicht ersichtlich. Namentlich, dass ein Zeuge einer „Schulbeförderung nicht nachkommen“ konnte, nämlich eines 18 Jahre alten Schülers, stellt keine den Demonstranten bzw. der Angeschuldigten vorwerfbare Beeinträchtigung des betreffenden Schülers dar, da nicht ersichtlich und auch nicht ausgeführt ist, dass und ggf. weshalb es dem erwachsenen Schüler nicht möglich gewesen sein sollte, auf anderem Wege noch pünktlich zu seiner Schule zu gelangen.

(b) „Blockadeaktionen“ wurden durch die politische Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ medial angekündigt, zwar nicht konkret dahin, wann oder wo genau entsprechende Demonstrationen stattfinden (das wäre allerdings auch nicht zu erwarten, da dann jede mediale Aufmerksamkeit dank gezielter polizeilicher Vorfeldmaßnahmen abhanden käme), allerdings dahin, dass im Stadtgebiet oder auf Autobahnen bzw. an Autobahnabfahrten ab einem bestimmten Zeitpunkt entsprechende Aktionen geplant sind, so dass für Autofahrer grundsätzlich während der angekündigten Zeiten mit entsprechenden Beeinträchtigungen gerechnet werden konnte und musste und ggf. Möglichkeiten des Parkand-Ride oder der öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen waren.

(c) Verkehrsleitende Maßnahmen (Ableitungen und Vorsperren) wurden seitens der Polizei bereits ab 9:04 Uhr vorgenommen, so dass die anfänglich zwischen 850 m und 1,8 km vorgefundenen Rückstauungen alsbald erheblich reduziert werden konnten. Jedenfalls die Fahrzeugführer der sog. zweiten Reihe waren, als sie hinter den ersten Fahrzeugen vor den Demonstranten bremsen mussten, alsbald eingekeilt zwischen weiteren Fahrzeugen und vermochten nicht mehr fortzufahren über einen Zeitraum von ca. 2 Stunden. Dahingehend weisen die Akten acht ermittelte Geschädigte auf. Die Demonstranten selbst hatten nicht für alternative Zufahrtswege gesorgt. Aus Sicht der betroffenen Fahrzeugführer war also jede Alternative in dem Moment, wo sie in dem Stau vor den Demonstranten standen nach Aktenlage abhanden gekommen.

Es handelt sich bei der Örtlichkeit allerdings um einen allgemein bekannten, stark frequentierten Verkehrsbereich, in dem auch ohne politische Aktionen regelmäßig mit Staus zu rechnen ist.

(d) Eine Behinderung notwendigen Verkehrs, namentlich des Verkehrs von Rettungsfahrzeugen war durch die hier maßgebliche Blockade allerdings nicht gegeben. Die dienstliche Äußerung …, führt dazu aus, dass „Fahrzeuge der BOS … unter Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten auf der entgegen gesetzten Richtungsfahrbahn (sofern ein Wechsel auf diese rechtzeitig stattfand) mit Schrittgeschwindigkeit … ein- und durchfahren“ konnten. Auch sonst war, wie den Fotos … zu entnehmen ist, das Umfahren des blockierten Straßenbereichs über die Schienentrasse der BVG für Krankentransporte möglich.

(e) Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Versammlungsort sowie den Betroffenen der Demonstration mit dem Ziel der Demonstration besteht in gleich zweierlei Hinsicht. Ziel der Demonstration war es, die Aufmerksamkeit auf das dringliche Handeln im Rahmen des Klimawandels zu richten und dahingehend konkret dahin, dass jede Form verschwenderischen Umgangs mit fossilen Brennstoffen zu verringern sei, anstatt weiterhin neue Ölquellen zu explorieren und etwa in der Nordsee oder durch Fracking weitere fossile Brennstoffe zu fördern („Öl sparen statt Bohren“, so die Transparentaufdrucke, zu den Zielen der Demonstrationen und der dahinter stehenden Initiative im Übrigen: https://letztegeneration.de). Diese Thematik betrifft alle Menschen, da es um das Weltklima geht, also auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer, für welche – so gesehen – die Demonstranten mit demonstrieren. Sie betrifft indes gerade auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer insoweit, als diese als Nutzer von PKW maßgeblich an dem Verbrauch von Öl beteiligt und damit Teil der Klimaproblematik sind und nicht – wie von den Demonstranten gefordert – zur Beschleunigung des Erreichens der Klimaziele auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Ein konkreter Zusammenhang der Demonstration mit den von der Demonstration Betroffenen liegt mithin positiv wie negativ vor.

(e) Dass das von den Demonstranten angesprochene Thema des Klimawandels und der ökologisch notwendigen Wende im politischen Handeln – denn die Initiative hat die Fortdauer ihrer Demonstrationen bis zu einer Wende des politischen Handelns der Regierung angekündigt – ein dringendes globales Thema ist, ist wissenschaftlich nicht zu bestreiten und wird regelmäßig in entsprechenden internationalen Klimakonferenzen betont und mit an Deutlichkeit kaum zu übertreffenden Worten vom UN-Generalsekretär bestätigt. Dabei ist im Rahmen der hier gebotenen Abwägung nicht von Belang, inwieweit auch das Amtsgericht die Ziele oder das Vorgehen der Demonstranten, namentlich der Angeschuldigten für nützlich oder wertvoll erachtet, um aber das Gewicht aller demonstrationsspezifischen Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ist auf die objektiv (nicht nur subjektiv aus Sicht der Angeschuldigten und der weiteren Demonstrationsteilnehmer) dringliche Lage bei gleichzeitig nur mäßigem politischem Fortschreiten unter Berücksichtigung namentlich der kommenden Generationen, wie dies auch durch das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich angemahnt werden musste (vgl. BverfG, Beschl.v. 24.3.2021, …), hinsichtlich des Demonstrationsanliegens das Augenmerk zu legen.

Angesichts der die von den Blockaden betroffenen Fahrzeugführer positiv wie negativ und überhaupt die Menschheit dringlich betreffenden Ziele der Demonstrationsteilnehmer und also auch der Angeschuldigten, angesichts der Tatsache, dass dringende Transporte wie namentlich Krankentransporte das Demonstrationsgebiet passieren konnten, angesichts der Tatsache, dass die Demonstration die Betroffenen kaum länger als eine Vielzahl sonstiger (angemeldeter) Demonstrationen im Stadtgebiet beeinträchtigt hat und (mutmaßlich, da von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht umfasst) angesichts der vorangehenden Ankündigungen weiterer Demonstrationen zumindest einige der betroffenen Fahrzeugführer im Vorfeld auch auf öffentliche Verkehrsmittel hätten umsteigen können, ist das Verhalten der Beschuldigten nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB. Die legitime Ausübung von Art. 8 GG seitens der Beschuldigten überwiegt vorliegend bei weitem die nur verhältnismäßig geringfügig eingeschränkten Grundrechtsbelange der durch die Demonstration behinderten Fahrzeugführer.“

Na, das kann man m.E. auch anders sehen – und wird es ja auch. Ich denke, die Frage wird nicht beim AG entschieden, sondern die entscheiden das KG und ggf. sogar irgendwann der BGH und/oder das BVerfG.