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Verkehrsrecht II: Hier etwas zur (Akten)Einsicht, oder: Zweimal falsch, einmal richtig

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Im zweiten Posting dann ein paar Entscheidungen, die sich mal wieder/noch einma/immer noch mit der Frage der Verwendung von Messergebnissen befassen, und zwar:

Die grundsätzliche Verwertbarkeit der Ergebnisse einer Geschwindigkeitsmessung unter Verwendung eines standardisierten Messverfahrens, wie z.B. mit dem Gerät ES 8.0, hängt – entgegen der Auffassung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs (NJW 2019, 2456; dagegen auch Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz NZV 2022, 427) – nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit der Daten ab, die der Messung zugrunde liegen.

 

Die Ablehnung des Antrags, der Verteidigung die gesamte Messreihe zur Verfügung zu stellen, kann nicht mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden.

Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und des hieraus folgenden Gebots der Waffengleichheit ergibt sich ein Recht auch auf Einsicht in Daten, welche nicht in der dem Gericht vorliegenden Akten befindlich sind, solange sie einen tatbestandsrelevanten Bezug zu der vorgeworfenen Tat aufweisen.

Tja, die Entscheidungen aus Altötting und Detmold sind falsch, liest man aber leider so immer wieder. Man muss damit leben.

Akteneinsicht im Bußgeldverfahren: AG Hannover ist „verwundert“ über die Verwaltungsbehörde, oder: Deutliche Worte

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Dass es an der „Akteneinsichtsfront“ auch anders geht als beim LG Würzburg zeigt m.E. der AG Hannover, Beschl. v. 28.11.2017 – 24 OWi 298/17, den mir der Kollege Ritter aus Laatzen zur Verfügung gestellt hat. Auf seinen Antrag auf gerichtlicher Entscheidung hat das AG „die Landeshauptstadt Hannover angewiesen, dem Verteidiger die dem Erlass des Bußgeldbescheides zugrunde liegenden Rohmessdaten einschließlich des Key-Accounts, sämtlicher TOC-Dateien, Geräteschlüssel und Kennwörter zur Verfügung zu stellen, soweit diese zur Auswertung der Rohmessdaten durch einen Sachverständigen erforderlich sind.“ Das AG hat das wie folgt begründet:

„Der Antrag ist auch begründet. Auch im Falle eines sog. standardisierten Messverfahrens kann sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ein Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in vorhandene, sich nicht bei den Akten befindliche Messdaten ergeben, und zwar unabhängig davon, ob konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorliegen oder vorgetragen worden sind (vgl. Beschluss des OLG Celle v. 16.6.2016, Az.1 Ss (Owi) 96/16, juris). Dies ergibt sich aus der Obliegenheit des Betroffenen, im weiteren Verfahrensverlauf konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Geschwindigkeitsmessung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt. Hierfür benötigt der Betroffene zwangsläufig den Zugang zu den oben bezeichneten Daten, da erst die Auswertung dieser Daten unter Hinzuziehung eines Sachverständigen den Betroffenen in die Lage zu einem konkreten, entsprechenden Sachvortrag versetzt.

Einer solchen Datenherausgabe stehen mit der Herausgabe an den Verteidiger und der Bereitstellung an einen von diesem beauftragten Sachverständen auch eventuelle datenschutzrechtliche Bedenken nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, welche unzulässigen Informationen oder Schlussfolgerungen aus den obigen Daten gezogen werden sollten

Der Verteidiger ist selbst Organ der Rechtspflege und damit zu einem sachgemäßen Umgang standesrechtlich verpflichtet. Auch in der Person eines Sachverständigen ist ein Missbrauch konkret nicht zu befürchten.

Es stößt dabei gelinde gesagt beim Gericht auf mehr als nur Verwunderung, dass die Bußgeldbehörde trotz der mittlerweile hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung, die dem Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Herausgabe der Messdaten ausnahmslos zubilligt und bei Verweigerung der Herausgabe durch die Bußgeldbehörde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen konstatiert (vgl. OLG Celle a.a.O., OLG Celle, Beschluss vom 21. März 2016 — 2 Ss (0Wi) 77/16 —, juris m.w.N.), weiterhin unter Berufung auf datenschutzrechtliche Richtlinien dennoch die Gerichte mit derart eindeutigen Sachverhalten überobligatorisch in Anspruch nimmt und damit vermeidbar für andere Verfahren dringend benötigte Kapazitäten bindet.“

Sehr schön der letzte Absatz. Man merkt deutlich, dass das AG „genervt“ ist. Ich frage mich nur, ob es hilft, wenn das AG seine „Verwunderung“ zeigt. Leider gibt es ja keine Kostenfolge wegen Ungehorsam 🙂 , das würde vielleicht helfen.

Auf derselben Linie wie das AG Hannover liegt übrigens der AG Bayreuth, Beschl. v. 14.11.2017 – 2 OWi 228/17 – man beachte: Ein bayerisches AG. Anders sieht es – das darf man nicht verschweigen – der AG Stadtroda, Beschl. v. 07.08.2017 – 7 OWi 1367/17. Ich kann es nur wiederholen: Wann haben wir endlich eine BGH-Entscheidung, die mit diesem Irrsinn ein Ende macht?

Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, oder: Einmal hui, einmal pfui

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Ich habe länger nicht mehr über die mit der (Akten)Einsicht in Messdaten pp. zusammenhängenden Fragen im Bußgeldverfahren berichtet, einer der verfahrensrechtlichen Dauerbrenner der letzten Jahre – in unterschiedlichen Ausgestaltungen. Da kommen mir zwei AG-Entscheidungen aus Thüringen, die der Kollege M. Lengtat aus 09212 Limbach-Oberfrohna mir vor einiger Zeit zugesandt hat, gerade recht. Für die passt: Einmal hui, einmal pfui.

In die „Abteilung Pfui“ gehört der AG Stadtroda, Beschl. v. 14.12.2016 – 8 OWi 1286/16. Das AG Stadtroda hat einen Anspruch des Verteidigers im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren darauf, dass ihm die Bedienungsanleitung und andere Unterlagen betreffend Messgeräte zugänglich gemacht werden, verneint. Das begründet das AG mit dem sog. formellen Aktenbegriff. Die Bestimmung des § 147 StPO gebe insbesondere keinen Anspruch auf Bildung eines größeren Aktenbestandes.

Demgegenüber ist der AG Gotha, Beschl. v. 04.01.2017 – 10 OWi 742/16 – aus der „Abteilung Hui“. Das AG Gotah hat nämlich (zutreffend) einen Anspruch des Verteidigers auf Einsicht in Messdaten usw. bejaht. Um überhaupt im Einzelfall in der Lage zu sein, konkrete, die Amtsaufklärungspflicht auslösende Anhaltspunkte für Messfehler bei einem standardisierten Messverfahren vorzutragen, müsse die Verteidigung jedenfalls Zugang zu allen Messeunterlagen bzw. zu den für die Kontrolle der Messwertbildung erforderlichen Messdaten, wie dem Foto, dem Film, weitere Videoaufnahmen bzw. den im Gerät oder in einer gesonderten Datei verschlüsselt vorhandenen Messdaten (zumindest den konkreten Messvorgang betreffend), dem Messprogramm, der Gebrauchsanleitung, dem Zulassungsschein, dem Eichschein, Schulungsnachweisen und einer etwa vorhandenen Lebensakte haben. Das begründet das AG mit dem Hinweis auf den OLG Jena, Beschl. v. 01.03.2016 – 2 OLG 101 Ss Rs 131/15 und auf Cierniak zfs 2012, 664 ff. (vgl. auch Akteneinsicht a la OLG Jena, oder: Burhoff und sein „Teufelskreis“).

Statt „Einmal hu, einmal pfui“ hätte ich auch schreiben können: Die gute ins Töpfchen, die schlechte ins Kröpfchen….

Kein Eiertanz um die Gebühren beim AG Stadtroda…

Auch nach Inkrafttreten des RVG sind die Stimmen nicht verstummt, die in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grds. Gebühren unter der Mittelgebühr als angemessen ansehen. Dass das nicht richtig ist, habe ich bereits an verschiedenen Stellen (Nachweise auf meiner Homepage) dargelegt.

Jetzt hat sich auch das AG Stadtroda in einem Beschl. v. 23.06.2010 – 5 OWI 1043/10 – dieser Auffassung angeschlossen und ausgeführt, dass die Diskussion nach Inkrafttreten des RVG erledigt sei.

Wenn doch nur alle AG so denken würden.