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Zusätzliche Verfahrensgebühr trotz (ausgesetzter) Haupverhandlung, oder: Abfuhr für RSV und RAK

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Heute also dann der erste „Gebührenfreitag“, den ich mit dem AG Riedlingen, Urt. v. 10.12.2018 – 1 C 170/17 – eröffne, das mit der Kollege Kabus aus Bad Saulgau geschickt hat. Gegenstand des Urteils ist eine Gebührenklage gegen den Mandanten nach einem eingestellten Bußgeldverfahren. Der Mandant ist aber nur „Platzhalter“ für dessen Rechtsschutzversicherung gewesen. Die meinte nämlich mal wieder, die vom Kollegen geltend gemachten Gebühren zusammenstreichen zu können.

Der Kollege hatte auf der Grundlage des Umfang der von ihm erbrachten Tätigkeiten, der schon erheblich über das hinaus gegangen ist, was sonst in manchen Bußgeldverfahren zu tun ist, und der Bedeutung der Sache für den Mandanten die Mittelgebühr abgerechnet. Das Wort „Mittelgebühr“ kannte man bei der RSV aber wohl nicht und man streicht die Gebühren auf erheblich unterhalb der Mittelgebühr zusammen. Dagegen dann die Klage, bei deren Abfassung der Kollege feststellt, dass versehentlich von ihm die Gebühr Nr. 5115, 5103 VV RVG – zuästzliche Verfahrensgebühr – nicht abgerechnet worden ist. Die wird gegenüber der RSV nachberechnet. Und man wundert sich nicht – jedenfalls ich nicht – wenn man dann liest, dass die RSV die (natürlich) nicht übernommen und zur Begründung offenbar nur mitgeteilt hat: Ist nicht angefallen. Der Kollege hat dann in vollem Umfang Klage erhoben.

Und der Kollege hatte in vollem Umfang Erfolg. Zu den Mittelgebühren schreibt das AG nichts Näheres außer:

„Zunächst ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass nach Auffassung und überzeugender Darstellung der Rechtsanwaltskammer Tübingen in ihrem schriftlichen Gutachten die mit Rechnung vom 14.07.2017 geltend gemachten Gebühren in einer Gesamthöhe von 859,78 € auch im Rahmen der Mittelgebühren nach dem RVG sachgerecht und angemessen sind.

Folglich ist diese Rechnung nicht zu beanstanden.“

Das war dann schon mal die erste Abfuhr, die sich die RSV geholt hat, und die zweite kommt dann gleich bei der Gebühr Nr. 5115, 5103 Vv RVG:

„Aber zur Überzeugung des Gerichts ist auch die weitere Kostenrechnung vom 08.08.2017, die einen Gesamtbetrag von 1.050,18 € ausweist gerechtfertigt.

So wurde in dieser Kostennote zu Recht die Gebühr „Mitwirkung Entbehrlichkeit Hauptverhandlung- gemäß Nr. 5115, 5103 W über 160,00 € in Ansatz gebracht.

So führt insoweit die Rechtsanwaltskammer Tübingen ihrem schriftlichen Gutachten zutreffend aus, dass die Durchführung einer Hauptverhandlung grundsätzlich den Anfall einer Erledigungsgebühr nicht ausschließt. Vielmehr stellt sich die Abgrenzungsfrage wie das Verfahren stattgefunden hat, bzw. danach, ob eine Hauptverhandlung ausgesetzt wird oder, ob die Hauptverhandlung lediglich unterbrochen und ein Fortsetzungstermin bestimmt wird. Im zweiten Fall ist nach Auffassung der herrschenden Meinung die Erledigungsgebühr nicht entstanden (vgl. hierzu Gerold/Schmidt RVG Ziffer 5115, Randnummer 7 mit Verweis auf Ziffer 4141 VV, Randnummer 15 ff hier Ziffer 23).

Nach den weiteren Ausführungen der Rechtsanwaltskammer Tübingen in ihrem schriftlichen Gutachten ist nach Auswertung der Bußgeldakten des Amtsgerichts Biberach und dem sich daraus ergebenden Verlauf der Hauptverhandlung davon auszugehen, dass die Hauptverhandlung lediglich unterbrochen worden sei und daher vom Grundsatz der Einheit der Hauptverhandlung ausgegangen werden müsse, was einer Anwendung der Erledigungsgebühr nach Ziffer 5115 VV RVG entgegen stehen würde.

Damit kommt die Rechtsanwaltskammer Tübingen zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die geltend gemachte Gebühr nach 5115 in der Rechnung vom 08.08.2017 nicht angefallen ist.

Dieser Rechtsauffassung vermag sich das Gericht aber nicht anzuschließen.

Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Biberach am 28.04.2017 erging an deren Ende der Beschluss, dass das weitere Vorgehen von Amts wegen bestimmt wird.

Danach bestimmte das Gericht in der Folgezeit, dass die Beschilderung im Messbereich nochmals zu überprüfen sei. Hiernach stellte sich ein völlig anderer Sachverhalt heraus, als jener, welcher in der Hauptverhandlung vom 28.04.2017 zugrunde lag.

Hierauf hat die Klägerseite dem Gericht mit Schriftsatz vom 13.06.2017 – also ungefähr 2 Monate nach dem ersten Hauptverhandlungstermin – einen Kartenausschnitt mit dem Fahrweg des Beklagten überlassen.

Nach Auswertung des Kartenausschnitts hat hierauf das Gericht auf entsprechenden Antrag der Klägerseite das Verfahren gegen den Beschuldigten durch Beschluss vom 10.07.2017 eingestellt.

Aufgrund dieser Entscheidung, knapp 3 Monate nach der 1. Hauptverhandlung, kann daher überhaupt nicht zweifelhaft sein, dass die Hauptverhandlung ausgesetzt und nicht lediglich unterbrochen wurde. Insoweit ist nämlich festzuhalten, dass zum Zeitpunkt des Einstellungsbeschlusses ein Fortsetzungstermin noch nicht bestimmt gewesen ist.

Deshalb ist der Klägerseite zuzugestehen, dass jedes Abbrechen der Verhandlung über den nach § 229 Abs. 1 und Abs. 2 StPO höchst zulässigen Zeitraum hinaus gleichzeitig die Aussetzung der Hauptverhandlung bedeutet.

In der Konsequenz hätte deshalb ein neuer Hauptverhandlungstermin bestimmt werden müssen, mit welchem das Verfahren erneut von Anfang an durchzuführen gewesen wäre.

Dieser erneute Hauptverhandlungstermin ist jedoch mit Beschluss vom 10.07.2017 verhindert worden.

Danach ist auch die Erledigungsgebühr angefallen, so dass der Klage insgesamt stattzugeben ist.“

Auch dies ist zutreffend und entspricht der zutreffenden h.M. in Rechtsprechung und Literatur zu den Nrn. 4141, 5115 VV RVG. Für mich die Entscheidung bzw. das Verhalten der RSV mal wieder der Beweis, dass die RSV (häufig) versuchen, sich mit aller Macht an ihrer Zahlungspflicht vorbeizudrücken. Getreu dem Moitteo: Ein Versuch ist es ja wert, der Rechtsanwalt wird seinen Mandanten schon nicht verklagen. Sollte er dann aber doch tun und dem Mandanten erklären warum. Und man sieht auch: Rechtsprechung und Literatur sind/waren der RSV völlig egal. Augen zu und durch.

Was mich „beunruhigt“. Die RAK Tübingen scheint auch keine Ahnung zu haben bzw. nicht sorgfältig in die Akten geschaut zu haben, sonst hätte man zu der Nr. 5115, 5103 VV RVG nicht die Aussage machen können. Aber vielleicht hat ja auch ein Zivilist das Gebührengutachten gemacht.

Fachanwalt für Strafrecht nur bei Mord und Totschlag?

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Der Kollege Kabus, der mir den AG Riedlingen, Beschl. v. 22.01.2014- Ds 24 Js 13275/13 – übersandt hat, hatte ihn als „Kuriosität aus Riedlingen“ bezeichnet und als Leitsatz vorgeschlagen: „Für einen Freispruch in einem Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung braucht’s keinen Fachanwalt für Strafrecht“. Ich habe mich dann entschieden für: „Zur Frage der Erforderlichkeit der Zuziehung eines (nicht ortsansässigen) Fachanwalts für Strafrecht.“

Im Beschluss geht es um die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines auswärtigen Fachanwalts für Strafrecht nach einem Freispruch vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung. Das AG hat die Reisekosten lediglich bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohnort des Angeklagten ansässigen Rechtsanwalts erstattet.

„Die vorliegende Strafsache weist sowohl vom Umfang als auch von der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage her nur durchschnittlichen Charakter auf, weshalb aus Sicht des Gerichts keine Beauftragung eines Fachanwaltes zwingend erforderlich erscheint. Im Übrigen hat sich auch der Nebenkläger mit der Vertretung durch einen Anwalt ohne Fachanwaltsqualifikation begnügt, was im Ergebnis die genannte Auffassung des Gerichts bestätigt, dass keine besondere fachspezifische Qualifikation zur Verteidigung oder Vertretung in einem durchschnittlich umfangreichen und schwierigen Strafrechtsfall erforderlich ist.

Hierbei handelt es sich jeweils, was ausdrücklich hervorzuheben ist, um eine Einzelfallentscheidung bezogen auf den konkreten Strafrechtsfall. Keinesfalls kann nach Auffassung des Gerichts die Zuziehung eines Fachanwalts für Strafrecht in Strafverfahren generell als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig angesehen werden. Die generalisierende Betrachtungsweise, die sich das Amtsgericht Staufen (NStZ 2001, 109) in der vom Verteidiger zitierten Entscheidung zu eigen macht, wird vom Amtsgericht Riedlingen nicht geteilt. Es mag durchaus sein, dass die Bezeichnung als Fachanwalt für Strafrecht bei den von einem Strafverfahren betroffenen Personen die Erwartung begründet, der sie führende Rechtsanwalt sei aufgrund von Spezialkenntnissen in besonderer Weise geeignet, ihre Interessen wahrzunehmen, jedoch ist eben gerade — bezogen auf den jeweiligen Einzelfall — zu prüfen, ob es dieser Spezialkenntnisse des Verteidigers tatsächlich bedarf. Hier im vorliegenden Fall handelt es sich, wie die Bezirksrevisorin zu Recht feststellt, um keine derart schwierige Materie oder ein spezielles Delikt, was die Beauftragung eines Fachanwaltes für Strafrecht zur sachgerechten Verteidigung erforderlich machen würde. Im Umkehrschluss würde die in der zitierten Entscheidung des Amtsgerichts Staufen vertretene Ansicht nämlich bedeuten, dass eine Verteidigung in einem Strafverfahren durch einen Nichtfachanwalt ebenso generell nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung geeignet anzusehen ist. Dies findet jedoch in der langjährigen strafrechtlichen Praxis des Gerichts keine Bestätigung. Nochmal sei betont, dass die Entscheidung, ob die Beauftragung eines Fachanwaltes erforderlich erscheint, immer einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweils Strafrechtsfalles zu treffen ist. Keinesfalls ist es aber so, wie die nur auszugsweise in dem Zivilrechtsstreit des Amtsgerichts Riedlingen (Az.: 1 C 140/12) zitierte Entscheidung des Amtsgerichts Staufen vermuten lässt, dass in jedem noch so einfach gelagerten Strafverfahren generell zur zweckentsprechenden Verteidigung die Beauftragung eines Fachanwaltes für Strafrecht erforderlich ist. Falls ein Angeklagter die in objektiver Hinsicht nicht zutreffende Auffassung vertreten sollte, zur zweck-entsprechenden Verteidigung einen Fachanwalt beauftragen zu müssen, entsteht ihm kein unzumutbarer Nachteil, wenn er die hierdurch verursachten — vorliegend geringen — Mehrkosten selbst tragen muss. Hierfür hat er dann auch den Vorteil, von einem (über-)qualifizierten Fachanwalt verteidigt zu werden.2

Was ich davon halten soll, kann ich nicht abschließend beurteilen, da der Beschluss sich nicht zu den Einzelheiten verhält. Es kommt sicherlich auf den Vorwurf – den kennen wir: gefährliche Körperverletzung – aber auch die sonstigen Umstände – die kennen wir nicht an. Ich persönlich würde eher für eine großzügige(re) Lösung plädieren. Denn sonst ist man sehr schnell an der Stelle, die die Überschrift des Postings vorgibt: Einen Fachanwalt gilt es nur bei Mord und Totschlag.

Was m.E. gar nicht geht: Der Hinweis darauf, dass der Nebenkläger sich auch „mit der Vertretung durch einen Anwalt ohne Fachanwaltsqualifikation begnügt“ hat. Was hat die Entscheidung des Nebenklägers für oder gegen einen Fachanwalt mit der Frage zu tun, ob der Angeklagte einen Fachanwalt beauftragen „durfte“ oder nicht. Die Interessenlage ist eine ganz andere.