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Verkehrsrecht III: Körperverletzung durch einen Unfall, oder: Gericht ist nicht der „Libero der Anklagebehörde”

Und zum Abschluss des Tages hier dann noch der AG Reutlingen, Beschl. v.  07.10.2022 – 5 Cs 29 Js 20198/22. Das AG hat mit dem Beschluss den Erlass eines Strafbefehls abgelehnt. Es sieht die Voraussetzungen für den Nachweis einer fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) infolge eines Verkehrsunfalls als nicht gegeben an. Der Nachweis sei mit den vorliegenden Beweisn nicht zu führen.

In dem Zusammenhang führt das AG im Hinblick auf eine Pflicht zur Nachermittlungen im Zwischenverfahren aus:

„2. Die bei der Akte befindlichen Lichtbilder lassen nicht ansatzweise auf eine besonders heftige biomechanische Belastung schließen. Im Gegenteil: Der Unfallhergang selbst wird von den unfallaufnehmenden Beamt*innen als „unklar“ beschrieben. Der knappen Unfallaufnahme können kaum irgendwelche Anknüpfungstatsachen entnommen werden, die eine unfallanalytische Beweisaufnahme überhaupt ermöglichten. Die mit dem diagnostizierten Verletzungsbild einhergehenden medizinischen Herausforderungen blieben im Ermittlungsverfahren ebenfalls unbedacht.

a) Es besteht für das Amtsgericht auch keine Rechtspflicht nach § 202 StPO, durch eigene (umfangreiche) Ermittlungen im Zwischenverfahren die Grundlage für den hinreichenden Tatverdacht erst noch zu schaffen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes stehen Ermittlungen im Zwischenverfahren im Ermessen des Gerichts. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den in § 202 StPO benannten Beweiserhebungen um solche zur einzelnen Ergänzung oder Überprüfung eines im Ermittlungsverfahren grundsätzlich bereits aufgeklärten Sachverhalts handelt. Für Ermittlungen nach § 202 StPO ist dann kein Raum, wenn erst durch eine Ermittlungsanordnung des Gerichts ein hinreichender Tatverdacht geschaffen werden muss (vgl. LG Köln — Beschluss vom 16. November 2011- 110 Qs 19/11).

Das Gericht ist nämlich nicht der „Libero der Anklagebehörde” (KK-Schneider, 7. Aufl. 2013, § 202 StPO Rn. 3; LG Köln — 111 Qs 497/09).

Im Zwischenverfahren kommen eingedenk der strukturellen Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht nur einzelne ergänzende richterlich veranlasste Beweiserhebungen in Betracht. Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung des von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Anklagevorwurfs sind gesetzlich nicht vorgesehen (KK-Schneider, 7. Aufl. 2013, § 202 StPO Rn. 2; OLG Karlsruhe wistra 2004, 276, 279; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2009, 88; OLG Celle StV 2012, 456, 457; LG Berlin NStZ 2003, 504 mit Anm. NStZ 2003, 568; Meyer-Goßner, § 202 Rn 1; Stuckenberg LR Rn 3; Radtke/Hohmann/Reinhart Rn 1; Eisenberg JZ 2011, 672; Beulke Rn 355). Gleichermaßen unstatthaft sind umfangreiche Beweisaufnahmen wie etwa die Vernehmung zentraler Zeugen zur Vorabklärung der Belastbarkeit ihrer Angaben; hierin läge ein von Rechts wegen nicht vorgesehener Vorgriff auf die Hauptverhandlung (Paeffgen SK StPO Rn. 3; Stuckenberg LR Rn. 2).

Das gilt hier umso mehr, als die Einholung zweier Sachverständigengutachtens notwendig wäre (hierzu: Balke: Medizinische Begutachtung in der Verkehrsunfallregulierung, SVR 2019, 246 m.w.N.).

….“

StPO III: Vollstreckung nach Doppelbestrafung? oder: Was ist der richtige Weg zum Ziel?

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Und zum Tagesschluss dann noch der AG Reutlingen, Beschl. v. 25.01.2022 – 5 Cs 24 Js 7842/21. M.E. bedenklich, zwar nicht das Ergebnis, aber der Weg dorthin. Es geht um die Zulässigkeit der Vollstreckung einer Geldstrafe.

Der Verurteilte wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 07.05.2021 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln am 02.04.2021 gegen 11:10 Uhr in seiner Wohnung zu einer Geldstrafe verurteilt. Einer weiteren rechtskräftigen Verurteilung zu einer weiteren Geldstrafe am 29.07.2021 in einem anderen Verfahren lag eine Widerstandshand­lung gegen Polizeibeamte ebenfalls am 02.04.2021 gegen 11:10 Uhr in seiner Wohnung zugrunde. Die polizeilichen Maßnahmen in der Woh­nung des Verurteilten erfolgten, weil durch die Poli­zeibeamten im Haus ein starker Cannabisgeruch festgestellt wurde, was nach richterlicher An­ordnung zur Kontrolle der Wohnung und dem abgeurteilten Widerstand führte. Auf Antrag der StA hat das AG festgestellt, dass die Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Urteil vom 26.06.2021 unzulässig ist:

„Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Tübingen wird festgestellt, dass die Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Reutlingen vom 26.06.2021 i. V. m. dem Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 29.07.2021, rechtskräftig seit 18.10.2021, unzulässig ist.

Der Strafausspruch im Verfahren 5 Cs 24 Js 7842/21 verstößt gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung, Art. 103 III Grundgesetz.

Ob dieselbe „Tat“ nach Art. 103 III GG vorliegt, ist dabei unabhängig vom Begriff der Tateinheit nach § 52 StGB zu beurteilen, weil die Rechtsfiguren der Tateinheit (§ 52 StGB) und der Tatidentität (Art. 103 III GG) verschiedene Zwecke verfolgen (vgl. BVerfGK 5, 7 = BeckRS 2005, 22553). Tat nach Art. 103 III GG ist vielmehr der geschichtliche — und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte — Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen oder mehrere Straftatbestände verwirk-licht hat (BVerfGK 5, 7 BeckRS 2005, 22553). Die prozessuale Tat nach § 264 StPO entspricht damit im Wesentlichen dem verfassungsrechtlichen Begriff der sogenannten Tatidentität gern. Art. 103 III GG.

Über die prozessuale Tat ist hier bereits rechtskräftig seit 27.05.2021 abschließend entschieden mit einem Strafbefehl es Amtsgerichts Reutlingen vom 07.05.2021. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist nicht geboten oder vom Verurteilten beantragt. Es ist ausreichend, aber auch geboten, die Unzulässigkeit dler Vollstreckung festzustellen (hierzu: Meyer/Goßner, StPO, § 359, Rn. 39 m.w.N.).

Der Verurteilte wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Reutlingen vom 07.05.2021 (Az: 5 Cs 41 Js 9699/21), rechtskräftig seit 27.05.2021, wegen unerlaubtem Besitzes von Betäubungsmitteln (rund 40 Gramm) am 2.04.201 gegen 11:10 Uhr in seiner Wohnung in pp. zu einer Geldstrafe verurteilt.

Der späteren Verurteilung im Verfahren 5 Cs 24 Js 7842/21 hingegen lag eine „Widerstandshandlung gegen Polizeibeamte“ ebenfalls am 02.04.2021 „gegen 11:10 Uhr in der Wohnung des Verurteilten in pp.» zugrunde. Da die polizeilichen Maßnahmen in der Wohnung des Verurteilten nach den gerichtlichen Feststellungen auch erfolgten, weil seitens der Polizeibeamten im Haus ein starker Cannabisgeruch festgestellt wurde, was nach richterlicher An-ordnung zur Kontrolle der Wohnung und dem abgeurteilten Widerstand führte, stehen die den vorgenannten Verurteilungen zugrundeliegenden Taten nicht nur in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, sondern darüber hinaus in einem besonders starken inneren Beziehungs- und Bedingungszusammenhang.

Der Sachverhalt ist weder rechtlich noch bei verständiger Betrachtung des wirklichen Geschehens in verschiedene Lebenssachverhalte irgendwie „aufspaltbar“. Eine Tat im prozessualen Sinne ist der von der zugelassenen Anklage umgrenzte geschichtliche Lebensvorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun der in der Anklage konkret bezeichneten Person unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 264 Rn. 5, stRspr, vgl. BGH Beschl. v. 23.9.2020 — 2 StR 606/19, BeckRS 2020, 28081).

Zur Tat in diesem Sinne gehört das gesamte Verhalten eines Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang darstellt (BGH Beschl. v. 23.9.2020 — 2 StR 606/19, BeckRS 2020, 28081). Dies gilt auch, wenn einzelne damit zusammenhängende oder darauf bezogene Umstände in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt, in einem anderen Verfahren angeklagt oder vergessen worden sind (hierzu: 01.3 Stuttgart, NJW 2021, 2596 Rn. 14, beck-online)

Dass die gesamt Tat bereits rechtskräftig abgeurteilt ist, war wohl bedauerlicherweise zu übersehen, da in dem Bundeszentralregisterauszug (Stand: 28.04.2021, mit Beantragung des Strafbefehls im Juni) in der Verfahrensakte in Sachen 5 Cs 24 Js 7842/21 die frühere Aburteilung durch den Strafbefehl noch nicht enthalten war und vom zum damaligen Zeitpunkt unverteidigten Angeklagten in der Hauptverhandlung am 29.07.2021 nicht mitgeteilt wurde. Lediglich anzumerken bleibt, dass die eingesetzte Software ForumStar nicht auf die Anhängigkeit von mehr als einem Verfahren zur gleichen Zeit gegen ein und dieselbe Person beim Gericht oder Spruchkörper automatisiert hinweist. Dar er Strafbefehl. welcher zur zweiten Verurteilung führte, beim Gericht erst im Juni 2021 beantrag: wurde, hat sich das Fehlen einer entsprechenden Softwarefunktion nicht ausgewirkt.

Die doppelte Verurteilung ist misslich, rechtswidrig und wurde erst mit einer vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung bei der Staatsanwaltschaft augenfällig.

Von Amts und Verfassungs wegen ist die „zweite Geldstrafe“ nicht zu vollstrecken, wenn auch der „doppelt“ Verurteilte den Fehler weder bis zur Rücknahme einer Berufung noch zu einem späteren Zeitpunkt gerügt hat.“

Wie gesagt: M.E. bedenklich. Denn abgesehen davon, dass der Weg zur Unzulässigkeit der Strafvollstreckung wohl über die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten möglich und geboten wäre, war der hier vom AG gewählte Weg über § 458 Abs. 1 StPO, die Unzulässigkeit der Strafvollstreckung festzustellen, schon deshalb nicht gangbar, weil die Korrektur nach § 458 Abs. 1 StPO nur auf entsprechende Einwendung des Verurteilten oder seines Verteidigers zulässig gewesen wäre. Einwendungen der StA als Vollstreckungsbehörde zugunsten des Verurteilten und damit auch der Antrag hier sind mangels Einwendungsberechtigung hingegen nicht statthaft.

Im Übrigen: Augen auf – und zwar bei der StA. Denn die „Doppelbestrafungskonstellationen“ im BtM-Bereich sind ja nicht selten.

Polizeilicher Bodycameinsatz in einer Wohnung, oder: Hier „ungeeignet und unverhältnismäßig…“

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Die zweite Entscheidung, der AG Reutlingen, Beschl. v. 10.08.2021 – 5 UR II 4/21 L – ist schon etwas älter und hängt demgemäß daher auch schon länger in meinem Blogordner. Heute passt es dann – endlich. In dem Beschluss nimmt das AG zum Einsatz des technischen Mittels Bodycam in einer Wohnung und zur Kontrolle dieses Einsatzes durch das zuständige AG Stellung.

Folgender Sachverhalt:

Unter Datum 04.05.2021 hat das das Polizeipräsidium Reutlingen, hier das Polizeirevier pp., um Zustimmung zur weiteren Verarbeitung von Bild- und Tonaufnahmen, die mittels des technischen Mittels Bodycam in der Wohnung des Betroffenen und der Frau pp. in der pp.Straße am pp. in pp. hergestellt wurden, nachgesucht.

Zur Begründung wird verwiesen auf zwei Vorkommnisberichte und Anfangsanzeigen wegen zweier Straftaten der fahrlässigen Körperverletzung und der Beleidigung. Ergänzend mitgeteilt wird am 29.07.2021, das technische Mittel Bodycam sei zum Einsatz gebracht worden, da das Verhalten des Betroffenen „aggressiv und unberechenbar“ gewesen sei. Auch sei der Betroffene als Gewalttäter polizeilich bekannt, wobei über Vorstrafen dem Gericht im Antrag nichts mitgeteilt wird. Einsatzgrund sei ein Fall von „Häuslicher Gewalt“ gewesen. Vor Ort sei der alkoholisierte Beschuldigte angetroffen worden. Der habe sich aggressiv vor den Beamten aufgebaut und sei dann zur Eigensicherung durch zwei Beamte mittels einfacher körperlicher Gewalt an der Wand fixiert und mit dienstlich gelieferten Handschließen geschlossen worden. Danach sei es zu Beleidigungen gekommen. Die Aufnahmen sollen nach dem Antrag künftig der Strafverfolgung dienen.

Das AG hat jede weitere Verarbeitung oder Verwendung der dem AG vorgelegten Aufnahmen gem. §§ 44 Abs. 5, Abs. 6, 132 PolGBW in Verbindung mit Art. 13 Abs. 5 GG untersagt. Das AG hat seine Entscheidung recht umfangreich begründet. Wegen der Einzelheiten ist das Selbtsleseverfahren angesagt.

Das AG stützt sich auf zwei Argumente, nämlich:

„Die Bild- und Tonaufzeichnung mittels des technischen Mittels Bodycam am 30.03.2021 in der Wohnung des Betroffenen war nicht rechtmäßig. Die Aufzeichnung war zur Abwehr einer dringenden – und noch unmittelbar bestehenden – Gefahr für Leib oder Leben einer Person ungeeignet und damit unverhältnismäßig.

Eine Leibes- und Lebensgefahr bestand zur Zeit der Erstellung der Aufnahmen (soweit die dem Amtsgericht Reutlingen vorgelegt sind) schon nicht mehr. Zu Beginn der Aufnahmen war der Betroffene augenscheinlich bereits fixiert und mit Handschließen auf dem Rücken geschlossen.

Strafbare Beleidigungen mögen die Öffentliche Sicherheit gefährden oder stören, rechtfertigen aber nicht den Einsatz des technischen Mittels Bodycam in einer Wohnung. Sie sind keine Gefahr für Leib oder Leben, wie die Ermächtigungsgrundlage dies voraussetzt. Die Ehre hingegen wird über § 44 PolG-BW nicht geschützt, soweit die Störung in einer Wohnung zu befürchten ist oder eintrat.

……

b) Zum Zeitpunkt des Beginns der Erstellung der Aufnahmen war im durch das Amtsgericht Reutlingen zu prüfenden Einsatz die polizeiliche Gefahr bereits beseitigt. Die Lage war statisch. Der Betroffene war augenscheinlich wehrlos und keine Gefahr für die in § 44 PolG-BW genannten Schutzgüter mehr.

Im Übrigen nicht erkennbar ist, dass die Maßnahme dem Betroffenen offen angekündigt wurde, was einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Maßnahme betrifft, andererseits die tatsächliche Geeignetheit des Einsatzes des technischen Mittels weiter in Zweifel stellt……“

Rest bitte selbst lesen. Hat man ja nicht jeden Tag.

Corona II: Aufenthalt im Pkw = öffentlicher Raum? oder: Was ist mit der Wirksamkeit der Corona-VO BW?

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In der zweiten Entscheidung des Tages geht es auch noch einmal um die Wirksamkeit einer Corona-Schutz-VO, diesee Mal die aus Baden-Württemberg. Dazu hat das AG Reutlingen im AG Reutlingen, Beschl. 9.12.2020 – 4 OWi 23 Js 16246/20 – Stellung genommen.

Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, er habe gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) verstoßen, indem er sich mit mehr als einer weiteren Person, nämlich drei weiteren Personen, die nicht zu den Angehörigen seines eigenen Hausstandes gehörte, im öffentlichen Raum aufgehalten habe. Ausweislich der Bußgeldanzeige befand sich der Betroffene mit anderen Personen, die alle einen unterschiedlichen Wohnsitz hatten, in einem Privat-PKW.

Das AG hat nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt und führt dazu aus:

„Der vorgeworfene Sachverhalt stellt wohl keinen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Corona-VO dar. Der gemeinsame Aufenthalt von fünf Personen in einem Privat-Pkw stellt aber keinen Aufenthalt im öffentlichen Raum dar. Öffentlicher Raum im Sinne der Corona-VO sind der öffentliche Verkehrsraum i.S.v. § 2 LBO, öffentliche Verkehrsmittel (Bahn, Bus, Taxi) oder öffentliche Gebäude soweit sie öffentlich zugänglich sind, nicht aber private Wohnräume oder andere vom öffentlichen Raum klar abgegrenzte Bereiche (privater Garten, Terrasse o.a.). Ein Privatfahrzeug wie der in diesem Fall genutzte Pkw ist nicht dem öffentlichen Raum zuzuordnen, denn es ist im Gegensatz zu einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht öffentlich zugänglich. Über den Zugang zu einem Privat-Pkw bestimmen nach dessen Nutzungszweck wie auch nach der Verkehrsanschauung ausschließlich der Pkw-Halter und / oder der Pkw-Führer (vgl.: AG Stuttgart, Beschl. Vom 08.09.2020, 4 OWi 177 Js 68534/20). Außerhalb des öffentlichen Raumes war am 15.05.2020 indes ein Zusammenkommen von bis zu fünf Personen unabhängig von verwandtschaftlichen Beziehungen oder einer häuslichen Gemeinschaft nach § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 CoronaVO BW in der geltenden Fassung 09.05.2020 wohl erlaubt.“

Darüber hinaus nimmt es dann zur Wirksamkeit der CoronaVO Baden-Württemberg Stellung, und zwar wie folgt:

„2. Es bestehen hier spätestens mit der Neufassung des IfSG und Schaffung des § 28a IfSG erhebliche Bedenken an der Verfassungsgemäßheit der von der Bußgeldstelle zur Anwendung gebrachten CoronaVO BW.

Gerade nicht Gegenstand der prozessualen Tat sind nur die Allgemeine Handlungsfreiheit betreffende Gebote oder dementsprechend mitgeteilte Verstöße. Betroffen sind darüber hinaus zumindest wohl die Versammlungsfreiheit und sicher, nach dem Vorbringen des Betroffenen und der Aktenlage, die Berufsausübungsfreiheit und die Freizügigkeit.

Eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für das Verbot, auf welchem der Bußgeldbescheid gründet, war nicht vorhanden, wobei dies – aus verfassungsrechtlichen Gründen – alleine wegen der epidemiologisch unbestreitbaren(!) Sinnhaftigkeit der Maßnahmen nicht als „geheilt“ oder „überwindbar“ gelten kann. Erst recht gilt dies für das nachlaufende Bußgeldverfahren, mit einem durch die Sanktionierung, über die bloße Freiheitsbeschränkung durch eine konkretisierende behördliche Anordnung hinaus, gesteigerten Eingriffsgehalt, unbesehen der formellen Rechtmäßigkeit der Corona-Verordnung und Vollziehbarkeit der Gebote zum Vorfallszeitpunkt. Auf die Entscheidung des AG Dortmund, Urt. v. 02.11.2020 — 733 OWi — 127 Js 75/20 — 64/20, nicht rechtskräftig, darf hingewiesen werden.

Die zum Vorfallszeitpunkt geltende Corona-VO verkannte die Bedeutung des Parlamentsvorbehalts und des Bestimmtheitsgebots. Der Parlamentsvorbehalt verpflichtet den Bundesgesetzgeber nicht nur, wesentliche, für die Grundrechtsverwirklichung maßgebliche Regelungen selbst zu treffen und nicht anderen Normgebern oder der Exekutive zu überlassen. Der Bestimmtheits-grundsatz verlangt, dass eine Norm so formuliert ist, dass das Verhalten der Behörden nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzt wird und die Gerichte an diesem Maßstab das behördliche Vorgehen kontrollieren können. Diese Anforderungen sind umso strenger, je intensiver die Grundrechtseingriffe sind, die die Vorschrift ermöglichen soll. Auch diese Gründe haben zur Änderung, Umformulierung und Anpassung des IfSG und einer Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers zum 18.11.2020 geführt. Die im Gesetzgebungsverfahren und den Ausschüssen bekannt gewordenen Zweifel an der bis dahin geübten Rechtspraxis der Exekutive und mitgeteilten Diskussionsstandpunkt der Parlamentarierlnnen bestätigen die Bedenken des Gerichts, welches wegen des bloßen Verordnungscharakters des Tatbestandes und des Bußgeldtatbestandes zur eigenständigen, auch verfassungsrechtlichen, Kontrolle berufen ist.

Voraussetzung für ein Tätigwerden der zuständigen Behörde nach den geltenden §§ 28 ff. IfSG ist — wie im Gefahrenabwehrrecht im engeren Sinne üblich — eine konkrete Gefahr, die dann in einem konkreten Einzelfall punktuell bekämpft wird. Notwendigerweise muss ein individueller Bezug zwischen Gefahrenlage und Adressatin der Maßnahme bestehen. Dieser konkret-individuelle Bezug geht verloren, wenn eine Epidemie flächendeckend bekämpft wird und beispielsweise Gemeinschaftseinrichtungen geschlossen werden, ohne dass vor Ort ein Krankheitsausbruch aufgetreten ist, oder wenn für Reiserückkehrer aus sogenannten Risikogebieten pauschal eine Quarantänepflicht geregelt wird. In diesen Fällen werden die vorhandenen Vorschriften überdehnt, weil keine konkrete Gefahr vorliegt, die entweder einer individuellen Person zugerechnet werden kann oder die durch die Inanspruchnahme eines Nichtstörers abgewehrt werden soll (etwa indem einem Gesunden verboten wird, einen Kranken aufzusuchen, vgl. BT-Drs. 8/2468, S. 27). Die Maßnahmen reagieren vielmehr auf ein diffuses Infektionsgeschehen, das nicht mehr auf einzelne gefährliche Verhaltensweisen zurückgeführt werden kann. Wenn in der Folge die Allgemeinheit flächendeckend adressiert wird, wie dies während der Corona-Pandemie geschieht, handelt es sich nicht mehr um Gefahrenabwehr im engeren Sinne, sondern um Risikovorsorge.

Das Gesetz über den „Erlass infektionsschützender Maßnahmen des Landes Baden-Württemberg“ datiert erst vom 23. Juli 2020 und enthält, worauf es freilich nicht ankommt, keine inhaltliche oder eingriffskonkretisierende Regelung, gar im Sinne des § 80 V GG. Lediglich dem Zitiergebot wird dort wohl Genüge getan und ein eher einfaches „Kenntnisgabeverfahren“ zur Parlamentarischen Kontrolle vorgesehen.

Die teilweise verwaltungsgerichtlich in Eilverfahren geäußerte Rechtsauffassung (so wohl OVG NRW, 13 B 1635/20), wonach im Rahmen „unvorhergesehener Entwicklungen“ es aus „übergeordneten Gründen des Gemeinwohls“ geboten sein könne, nicht hinnehmbare „gravierende Regelungslücken“ für einen Übergangszeitraum insbesondere auf Grundlage von Generalklauseln zu schließen ist aus tatsächlichen Gründen und verfassungsrechtlich nicht haltbar.

Zum einem belegen verschiedene, aber offenbar nicht oder nur teilweise in die Tat umgesetzte Pandemiepläne im vergangenen Jahrzehnt, dass es sich bei eine COVID19-Pandemie keineswegs um eine unvorhergesehene Entwicklung handelte. Eine Unterlassung des Gesetzgebers trägt freilich niemals einen Grundrechtseingriff, zumal wenn, wie vorliegend, die hinreichen bestimmte Formulierung der gesetzlichen Generalklausel und im Anschluss Verordnung verabsäumt oder vernachlässigt wurde, weswegen die Normadressatlnnen oder Betr. in Zweifel geraten konnten, welche Konkretisierung die gesetzliche Generalklausel (in der hier zu entscheidenden Vorfallsituation) erfahren sollte.

Der Rechtsgüterschutz und die Handlungsfähigkeit staatliche Organe sind und waren im Übrigen stets durch die formelle Rechtmäßigkeit und die vorläufige Vollziehbarkeit des Exekutivrechts gewährleistet. Mängel der Gesetzliche Grundlage dürfen gleichwohl nicht im weiteren Verlauf, gar unbesehen, in Bußgeldverfahren später perpetuiert werden.

Rechtslogisch kranken die Ausführungen daran, dass es dem Gesetzgeber unbenommen war, wie andere Bereiche und die Neufassung im November 2020 zeigen, die Generalklausel genauer zu fassen oder wenigstens die gebotenen Abwägungen vorzunehmen. Entsprechend Hinweise in den Gesetzesmaterialien zum IfSG sind rar, zumal der Gesetzgeber die Generalklausel aus dem Bundesseuchengesetz um einige Regelbeispiele („Badeanstalten“ oder „Gemeinschaftseinrichtungen“, vgl. § 28 BSeuchG) bereinigt hat.

Zum anderen kennt der Parlamentsvorbehalt – zumindest im „nichteiligen“, repressiven Bereich keine zeitliche Komponente oder eine dynamische Ausgestaltung. So im Wechselwirken der Gewalten eine zeitliches Moment erkennbar ist, geht dieses einher mit dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts für Gesetze. Die betreffende Verordnung weder in der Sache noch verfassungsrechtlich hieran teil. Mit der Möglichkeit zur Verordnungsgebung durch die Exekutive geht – wohl aus guten verfassungsrechtlichen Gründen – eine allgemeine Verwerfungskompentenz der Gerichte einher, die wiederum die Möglichkeit der Gewährung legislativer Übergangsfristen nicht kennt und kennen kann.

Der Parlamentsvorbehalt wird geboten und unmittelbar ausgelöst von der tatsächlichen und rechtlichen Folge des staatlichen (Grundrechts-)Eingriffs, mithin der Eingriffsintensität und dem betroffenen Grundrecht und dessen Schranken. Er hängt hingegen nicht von der abstrakten Eingriffsdauer oder vom (letztlich aus Sicht der Gewaltenteilung nur willkürlich zu bestimmenden) „Kenntnis- und Wissensstand“ des Gesetzgebers oder einem wohlmeinenden und vorliegend zweifelsfrei verfassungsrechtlich zulässigen und sogar gebotenen Eingriffsziel, wie sie die exekutiven Schutzmaßnahmen seit Beginn der der COVID-19 Pandemie ausdrücken, ab. Gerade diese Zielsetzung ist nur sehr eingeschränkt und ganz mittelbar über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich, welche die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu respektieren hat. Ausdrücklich klargestellt sei: Die Zweckmäßigkeit, die Verhältnismäßigkeit und die Zielsetzung der Maßnahmen der Landesregierung, soweit sie im Verfahren hier eine Rolle spielen, werden schon deswegen nicht beanstandet.

Der strenge Parlamentsvorbehalt muss allerdings spätestens im Bußgeldverfahren umso mehr gelten, als bereits im März 2020 rasch gesetzliche Änderungen und Regelungen beispielsweise im Bereich der Strafprozessordnung oder des Zivilrechts stattfanden und möglich waren, ohne dass die vom Verwaltungsgericht angenommenen Erschwernisse ein Tätigwerden des Gesetzgebers gehindert hätten, wobei teilweise sehr gravierende Freiheitsbeschränkungen von Bundesgesetzgeber beschlossen wurden oder Justizgrundrechte betroffen waren.

Da die Eingriffsermächtigung mit der Corona-VO selbst zu unbestimmt und wohl verfassungswidrig war, kann ein bußgeldbewehrter Verstoß ebenfalls nicht mit den zu „verwaltungsakzessorischen“ Straf- und Bußgeldtatbeständen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen begründet werden. Hier (und im Regelfalle) fehlt es bereits an einer konkret-individuellen Verwaltungsentscheidung mit Tatbestandswirkung und, was entscheidend ist, der materiellen Rechtmäßigkeit der Grundnorm.

Abschließend hinzuweisen ist die Überlastung des Amtsgerichts Reutlingen und der auf absehbare Zeit stark beschränkten Möglichkeiten überhaupt seuchenhygienisch verantwortbar Hauptverhandlungen durchführen zu können, zumal mit einer größeren Zahl von Zeuglnnen, die teilweise getrennt verfolgt werden, mit einer Anreise von mehr als 100 km, deren Erinnerungsvermögen mit der Zeit schwinden dürfte.“

Und da sag noch mal einer, der Rechtsstaat sei in Gefahr……

Corona II: Maskentragepflicht, oder: Wer im Gericht keine Maske trägt, ist nicht erschienen

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Die zweite Entscheidung stammt vom AG Reutlingen. Das hat im AG Reutlingen, Urt. v. 14.08.2020 -9 OWi 29 Js 9730/20 – den Einspruch eines Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG wegen unentschuldigten Ausbleibens Betroffenen verworfen. Begründung – kurz gefasst: Der Betroffene habe ich geweigert, im Gerichtsgebäude eine Maske zu tragen, sei deshalb nicht eingelassen worden und daher unentschuldigt ausgeblieben.

Das AG geht in seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt aus:

„1. Die Stadt Reutlingen hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 14.04.2020 ein Bußgeld in Höhe von 75 Euro verhängt, weil er als Hundehalter oder Hundeführer seinen Hund nicht an der Leine geführt hatte. Hiergegen legte der Betroffene am 22.04.2020 form- und fristgerecht Einspruch ein.

Zum heutigen Termin zur Hauptverhandlung am Amtsgericht Reutlingen ist der Betroffene ungeachtet der durch Zustellungsurkunde vom 19.05.2020 nachgewiesenen Ladung unter Belehrung über die Folgen des Ausbleibens ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbunden ist.

a) Zwar erschien der Betroffene kurz vor Beginn der Hauptverhandlung pünktlich an der Gerichtspforte. Hier erklärte er aber, nicht bereit zu sein, eine Mund-Nasen-Bedeckung zum Zwecke des Infektionsschutzes zu tragen, selbst wenn ihm diese vom Gericht gestellt werde. Der Direktor des Amtsgerichts wurde durch die Wachtmeister hinzugerufen. Der Direktor des Amtsgerichts forderte den Betroffenen nochmals dazu auf, eine Maske zu tragen, da im Gerichtsgebäude durch den Direktor zum Zwecke des Infektionsschutzes angeordnet ist, dass jeder Besucher, Mund und Nase mit Hilfe einer Maske zum Zwecke des Infektionsschutzes anlässlich der Corona-Pandemie 2020 zu bedecken hat. Dem Betroffenen wurde durch den Direktor des Amtsgerichts eine Mitteilung des Kreisgesundheitsamtes vom gleichen Tage bekannt gegeben, wonach beim Betroffenen keine medizinischen Gründe für eine Ausnahme vom Maskengebot vorlägen. Der Betroffene beharrte darauf, keine Maske tragen zu wollen, und entschied sich sodann, eine Art Zitronen- bzw. Orangennetz über sein Gesicht zu ziehen. Das Tragen einer geeigneten, also nicht löchrigen Maske verweigerte er nach wie vor. Sodann machte der Direktor des Amtsgerichts von seinem Hausrecht Gebrauch und gewährte dem Betroffenen keinen Zutritt zum Gericht. Der Direktor bot dem Betroffenen nochmals an, dass dieser das Gericht ohne Weiteres betreten könne, wenn er einen Mund-Nasen-Schutz tragen würde. Dies lehnte der Betroffene abermals ab. Der Betroffene verließ sodann den Eingangsbereich des Amtsgerichts. Das soeben dargestellte Geschehen teilte der Direktor des Amtsgerichts sodann dem Richter im Hauptverhandlungssaal mit.

b) Durch Verfügung des Direktors des Amtsgerichts gilt im gesamten Gerichtsgebäude zum Zwecke des Infektionsschutzes anlässlich der Corona-Pandemie 2020 für jeden die Pflicht, während des Aufenthaltes im Gericht, Mund und Nase mit Hilfe eines Mund-Nasen-Schutzes zu bedecken. Diese Verfügung ist im Erdgeschoss durch einen Aushang bekanntgemacht. Zudem wird hierauf vor Betreten des Gebäudes durch die Wachtmeister hingewiesen. Durch Verfügung des Richters gilt darüber hinaus die Pflicht, im Verhandlungssaal für die Dauer der Verhandlung Mund und Nase mit Hilfe eines Mund-Nasen-Schutzes zu bedecken. Diese Verfügung ist dem Betroffenen schon mit seiner Ladung zum Termin bekanntgegeben worden.

Beide Anordnungen waren dem Betroffenen also bekannt. …..“

Die Begründung der Entscheidung durch das AG ist m.E. lesenswert. Ich stelle hier (nur) folgende Passagen ein, den Rest bitte selbst lesen:

„….. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich durch eine Auslegung des § 74 Abs. 2 OWiG nach Sinn und Zweck bestätigt. § 74 Abs. 2 OWiG soll einem Betroffenen, der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid eingelegt hat, daran hindern, die Entscheidung über seinen Rechtsbehelf dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (vgl. BGHSt 17, 188, 189). Insofern bezweckt die Vorschrift eine Verfahrensbeschleunigung und strebt nach einer möglichst gerechten Entscheidung. Ersteres zeigt sich daran, dass es nicht einmal im Ermessen des Gerichts steht, wie mit einem unentschuldigt ausbleibenden Betroffenen hinsichtlich seines Einspruchs zu verfahren ist: Der Einspruch ist zwingend zu verwerfen. Anderenfalls würde die Entscheidung über den Einspruch unnötig verzögert werden. Bestünde die Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG nicht, böte sich für Betroffene geradezu ein Anreiz zur Verschleppung des Verfahrens (BGHSt 23, 331, 335). Unter Einbeziehung des von der Vorschrift verfolgten Zwecks kann es gerade nicht im Belieben und im Verhalten des Betroffenen stehen bzw. hiervon abhängen, ob eine Entscheidung über seinen Einspruch getroffenen werden kann. So wie der Betroffene eine Entscheidung über seinen Rechtsbehelf nicht herauszögern kann, indem er sich in einen verhandlungsunfähigen Zustand versetzt, so kann er die Entscheidung über seinen Einspruch im Bußgeldverfahren nicht herauszögern, indem er in einem Zustand erscheint, der es unter Beachtung des Infektionsschutzes und der Rechtsgüter der sonst im Gericht anwesenden Personen nicht ermöglicht, ihm Zutritt zum Gericht zu gewähren.

Nach alledem bleibt derjenige unentschuldigt aus i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG, der zu einem Hauptverhandlungstermin im Gericht in einem Zustand erscheint, der es aus Infektionsschutzgründen und mit Rücksicht auf die Rechtsgüter der anderen im Gericht befindlichen Personen nicht möglich erscheinen lässt, ihm unter Wahrung des Infektionsschutzes und der Rechtsgüter anderer Zutritt zum Gerichtsgebäude zu gewähren, obwohl es ihm ohne weiteres möglich wäre, einen solchen Zustand herzustellen, er hiervon aber beharrlich nicht abrücken will. Etwas anderes mag dann gelten, wenn dem Betroffenen das Tragen einer Maske zum Zwecke des Infektionsschutzes aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar wäre. Dies war hier unter Verweis auf das amtsärztliche Gutachten nicht der Fall.

2. Die an den Betroffenen gestellten Anforderungen zum Betreten des Gerichtsgebäudes und des Hauptverhandlungssaals, namentlich die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, sind verhältnismäßig.

Die Pflicht zum Tragen einer Maske haben der Direktor des Amtsgerichts im Gerichtsgebäude und der Richter in seinem Verhandlungssaal zum Infektionsschutz anlässlich der Corona-Pandemie 2020 angeordnet. Es ist allgemein bekannt, dass das SarsCov2-Virus und die durch dieses Virus ausgelöste Covid19-Erkrankung zu schwerwiegenden pathologischen Zuständen (Lungenentzündung, Herzrhythmusstörungen usw.) und sogar bis zum Tod führen kann. Weltweit sind bereits mehr als achthunderttausend Menschen, in Deutschland allein über neuntausend Menschen an oder im Zusammenhang mit Covid19 verstorben. Die Maßnahme der Maskenpflicht erfolgt zum Schutz der Gesundheit und des Lebens anderer (legitimes Ziel). Die Maßnahme ist geeignet, um dieses Ziel zu erreichen. Insoweit wird auf die umfangreichen Ausführungen des Robert-Koch-Instituts Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung aktuell sogar erwägt, eine Maskenpflicht am Arbeitsplatz anzuordnen. Die Maßnahme ist darüber hinaus erforderlich, da kein milderes, aber gleich effektives Mittel ersichtlich ist. Insbesondere senkt das Tragen einer Maske in Räumen das Ansteckungsrisiko durch Aerosole erheblich. Einfaches Abstandhalten kann dies nicht gewährleisten. Gleiches gilt für das schlichte Öffnen von Fenstern, weil kein Luftaustausch im eigentlichen Sinne gewährleistet ist. Ein effektiver Infektionsschutz verlangt nach weiteren Maßnahmen. In einer Zusammenschau ist das Tragen einer Maske erforderlich, um zu verhindern, dass möglicherweise Infizierte die Luft im Saal durch das Ausatmen mit Viren anreichern, die bei Erreichung einer gewissen Konzentration durch das Einatmen anderer ohne Weiteres zur Ansteckung führen können. Das Robert-Koch-Institut führt hierzu auf seiner Homepage (Stand: 25.08.2020) aus:

„Eine Übertragung von SARS-CoV-2 durch Aerosole ist in bestimmten Situationen über größere Abstände möglich, z.B. wenn viele Personen in nicht ausreichend belüfteten Innenräumen zusammenkommen und es verstärkt zur Produktion und Anreicherung von Aerosolen kommt. Das passiert insbesondere beim Sprechen mit steigender Lautstärke, aber auch beim Singen oder ggf. auch bei sportlicher Aktivität. Inwieweit es hier zur Übertragung kommen kann, ist noch nicht abschließend untersucht, jedoch ist es unter anderem zu Übertragungen von COVID-19 im Zusammenhang mit Chorproben und in einem Fitnesskurs gekommen. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie ist es daher ratsam, derartige Situationen zu vermeiden.“

Erst in einer Gesamtwirkung gewährleisten die getroffenen Vorkehrungen (Abstand halten, Mund-Nasen-Bedeckung tragen etc.) einen effektiven Infektionsschutz. Schließlich ist auch die Angemessenheit der Maßnahme im engeren Sinne zu bejahen. Die Eingriffsintensität ist gering, dagegen sind die zu schützenden Rechtsgüter, namentlich Leben und Gesundheit,

überragend wichtige Rechtsgüter, sodass im Ergebnis einer Abwägung grundsätzlich allen Beteiligten das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die kurze Dauer einer Verhandlung am Amtsgericht zuzumuten ist. Auf individuelle Bedürfnisse kann durch Unterbrechungen der Hauptverhandlungen, wie sie auch dem Betroffenen hier angeboten wurden, Rücksicht genommen werden. Entsprechendes gilt für die Rücksichtnahme auf erkrankte Betroffene, denen das Tragen einer Maske aus gesundheitlichen unzumutbar ist und die daher vom Tragen einer Maske freigestellt werden. Zugleich strebt der Richter mit der Maßnahme den besonderen Schutz der Schwächeren der Gemeinschaft an, namentlich der Vorerkrankten, die unter einer Covid19-Infektion besonders leiden würden und nach gesicherten medizinischen Erkenntnissen daran überproportional häufig versterben (zum Überblick die Informationen des Robert-Koch-Instituts: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html zuletzt abgerufen am: 25.08.2020; vgl. beispielhaft die aktuelle Studie von Holman/Knighton et al., in: Lancet Diabetes Endocrinol 2020 Published Online August 13, 2020 https://doi.org/10.1016/ S2213-8587(20)30271-0, zuletzt abgerufen am: 25.08.2020). Hierzu zählen insbesondere Menschen mit einem Lebensalter ab 50 bis 60 Jahren (siehe das Informationsblatt des Robert-Koch-Instituts: Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf), Diabetikerinnen und Diabetiker, Lungen- und Herzkranke (Asthmaerkrankung, Herzrhythmusstörungen) sowie Immungeschwächte. Diese Mitmenschen sind tagtäglich im Gericht, sei es als Besucherinnen und Besucher, Servicemitarbeiterinnen und Servicemitarbeiter, Polizistinnen und Polizisten, Richterinnen und Richter usw. Der Schutz dieser Menschen aus der Mitte der Gemeinschaft zeigt sich als ein wesentlicher und weiterer gewichtiger Aspekt für die Maskenpflicht im Gericht und im Verhandlungssaal im Vergleich zu einem unwesentlichen, ja geradezu bagatellartig erscheinenden Eingriff betreffend die Pflicht zum kurzzeitigen Tragen einer Maske im Gericht und im Verhandlungssaal.“

Wenn ich lese: „Der Betroffene beharrte darauf, keine Maske tragen zu wollen, und entschied sich sodann, eine Art Zitronen- bzw. Orangennetz über sein Gesicht zu ziehen.“ erspart das m.E. jeden Kommentar.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.