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Akteneinsicht a la AG Chemnitz, a la AG Luckenwalde: Die gute ins Töpfchen, die schlechte ins Kröpfchen

© Avanti/Ralf Poller

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Akteneinsicht im Bußgeldverfahren war bis vor ein paar Monaten sicherlich das das Bußgeldverfahren verfahrensmäßig bestimmende Thema. Seit einiger Zeit ist aber verhältnismäßige Ruhe eingekehrt, was sicherlich auch an den deutlichen Worten von Cierniak in zfs 2012, 662 ff. und DAR 2014, 2 ff. liegt. Es gibt dann aber doch noch immer wieder Entscheidungen, die man vorstellen kann/sollte. Dazu gehören die beiden nachfolgend dargestellten, die man „schön gegeneinander setzen“ kann.

Fangen wir mit der „schlechten“ an. Das ist der AG Chemnitz, Beschl. v. 23.01.2014 – 19 OW 3619/13. Der Verteidiger hatte gegenüber der Bußgeldstelle Akteneinsicht, „vor allem in die Haupt- und Verfahrensakten, sämtliche Beiakten, Beweismittelordner und sonstige Beweisstücke“ beantragt. Daraufhin wurde dem Verteidiger die Verfahrensakte übersandt, welche er dann an die Bußgeldstelle zurückleitete. Dann hat er Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, weil ihm insbesondere nicht die „Lebensakte“ des Messgeräte übermittelt worden sei. Das AG weist den Antrag als unzulässig zurück:

„Die Nichtvorlage der angeblichen „Lebensakte“ stellt eine solche Maßnahme nicht dar. Der Verteidiger hat nämlich lediglich pauschal Akteneinsicht im vorstehend genannten Umfang beantragt. Ausdrücklich nicht erwähnt war, dass er Einsicht in eine sogenannte „Lebensakte“ begehre.

Eine „Lebensakte“ ist nach Maßgabe der physikalisch-technischen Bundesanstalt nicht zu führen. Sollte im Einzelfall derartiges, wobei es sich um irgendwelche Wartungsnachweise handeln dürfte, geführt werden, so handelt es sich hierbei jedenfalls nicht um notwendige Aktenbestandteile. Der im Bußgeldverfahren gültige formelle Aktenbegriff umfasst die von der Verfolgungsbehörde dem Gericht vorgelegten oder vorzulegenden Akten und Beiakten (vgl. OLG Brandenburg, Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 15.11.2013 zu Az.: 53 Ss OWi 444/13 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes). Die „Lebensakte“ respektive Wartungsnachweis, gehören dazu nicht. Der Verteidiger hatte also auf seinen Antrag hin umfassende Akteneinsicht erlangt.

Wenn er darüber hinaus Einsicht in die sogenannte „Lebensakte“ begehrt, so kann erwartet werden, dass er dies zusätzlich zu seinem Antrag auf Akteneinsicht ausdrücklich mitteilt, damit die Behörde in die Lage versetzt wird, auch hierüber zu entscheiden. Es kann nämlich nicht von der Behörde erwartet werden, dass sie ergründet, ob der Verteidiger über seinen Akteneinsichtsantrag hinaus auch Einsicht in sonstige Unterlagen begehrt, welche nicht zu den Akten gehören.

Beides nicht so schön. Beim Verteidiger fragt man sich, warum er nicht von vornherein seinen Antrag ausdrücklich auch auf die „Lebensakte“ erstreckt. Beim AG fragt man sich – unabhängig, ob die Ausführungen zur Lebensakte richtig sind: Warum fasst man „sonstige Beweisstücke“ nicht so auf, dass man darunter auch die Lebensakte erfasst? Muss man den Antrag gleich als „unzulässig“ zurückweisen. Das AG hat doch sicherlich auch schon mal was von Auslegung gehört.

Der zweite -„schöne – Beschluss, den ich vorstellen möchte, ist der AG Luckenwalde, Beschl. v. o7.10.2013 – 28 OWi 122/13. Da hatte der Verteidiger Einsicht in den kompletten Datensatz einer Messung mit ES 3.0 beantragt, aber nur die Falldaten mit den Fotolinien erhalten. Reicht nicht,sagt das AG:

„Bei den Datenaufzeichnungen zu der dem Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung handelt es sich um ein amtlich verwahrtes Beweisstück. Für den Beweiswert der Messung kommt es auf deren Richtigkeit an. Da bei einer gewissen Fehlerhäufigkeit innerhalb einer Messserie Zweifel an der Richtigkeit sämtlicher Messungen der Messserie entstehen können, ist Beweisstück die gesamte Messserie.

Das Recht des Verteidigers auf Einsicht betrifft alle Unterlagen und Beweistücke, die regelmäßig einem – gerichtlich bestellten – Sachverständigen vorgelegt werden. Bei Geschwindigkeitsmessungen überprüft der Sachverständige regelmäßig den Film unter anderem hinsichtlich der Vollständigkeit, eventueller zwischenzeitlicher Standortsveränderungen, Besonderheiten der Ablichtung der Messung des Betroffenen aber auch der sonstigen Messungen etc. Gegebenenfalls auf dem übrigen Film erkennbare Besonderheiten sind bei der Bewertung der gesamten Messreihe von Bedeutung und somit auch für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verteidigung von Bedeutung. Deswegen hat der Verteidiger ein Recht auf Einsicht in den gesamten Messfilm (AG Cottbus, 17.06.2008, 67 OWi 174/08; AG Ulm, 21.02.2013, 5 OWi 45/13; AG Senftenberg, 26.04.2011, 59 OWi 93/11; AG Stuttgart, 29.12.2011, 16 OWi, 3433/11).

Aufgrund der Komplexität der Überprüfung einer Messreihe muss sich der Verteidiger auch nicht auf eine Einsichtnahme des Messfilms in den Räumen der Behörde verweisen lassen, sondern kann Einsicht durch Gewährung einer Kopie auf einem von ihm bereit gestellten Datenträger verlangen….“

Na bitte, geht doch :-). Und: Schön zu sehen, dass das AG Entscheidungen zitiert, die hier auch schon gestanden haben (vgl. AG Stuttgart : Messfilm – auch darin ist Akteneinsicht zu gewähren – und zwar in den ganzen Film, und AG Ulm: Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.