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Internetfahndung/Öffentlichkeitsfahndung: Wohl nicht bei einem Ladendiebstahl

entnommen wikimedia.org Urheber User:Mattes

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Neue Techniken bringen neue Probleme/neue Frage. Darauf habe ich schon häufiger hingewiesen und das zeigt dann auch mal wieder der AG Bonn, Beschl. v. 21.04.2016 – 51 Gs -410 UJs 203/16- 722/16. In ihm geht es um die Anordnung einer sog . Öffentlichkeitsfahndung nach § 131 b Abs. 1 StPO. Das AG hat die abgelehnt, wobei es von folgendem Sachverhalt ausgegangen ist:

„Am 9. März 2016 betrat gegen 13:00 Uhr eine unbekannte weibliche Person die Verkaufsräumlichkeiten der Firma F G in C und entnahm dort aus den Auslagen Kinderbekleidung im Wert von insgesamt 95,92 EUR. Bevor sie die Räumlichkeiten verlassen konnte, wurde sie im Kassenbereich von einer Mitarbeiterin angesprochen. Die entwendete Ware ließ sie daraufhin zurück und verließ, ohne sich auszuweisen, die Geschäftsräumlichkeiten.

Am 22. März 2016 fand sich offenbar auf Veranlassung der ermittelnden Beamten die Mitarbeiterin der Firma F G bei der Polizei ein. Nachdem ihr dort „Video-Beweismaterial der SWB“ vorgelegt wurde, will die Zeugin die „flüchtige Tatverdächtige“ in einem Linienbus wieder erkannt haben. Diese Abbildungen sollen nunmehr auf Antrag der Staatsanwaltschaft uneingeschränkt im Internet veröffentlicht werden.“

Begründung der Ablehnungsentscheidung des AG:

Ungeachtet dessen ob die Auswertung des Video-Beweismaterials in einem Strafprozess brauchbar wäre, liegt schon keine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 131b StPO vor.

Die tatbestandliche Voraussetzung einer Straftat von erheblicher Bedeutung bringt das Übermaßverbot zum Ausdruck und stellt klar, dass eine Öffentlichkeitsfahndung bei geringfügigen Straftaten untersagt ist, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 131b Rn. 2.

Maßgeblich für eine Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle ist eine einzelfallbezogene Beurteilung, da der Gesetzgeber bewusst (z.B. in Abweichung von § 98a Abs. 1 StPO) auf einen konkretisierenden Deliktskatalog verzichtet hat. Es ist daher gerade nicht ausreichend, dass es sich um ein Delikt handelt, bei dem der Schaden die Geringwertigkeitgrenze lediglich überschreitet.

Das Gewicht der Straftat muss vielmehr so groß sein, dass der mit einer Öffentlichkeitsfahndung verbundene intensive Eingriff in das Persönlichkeitsrecht angemessen und verhältnismäßig ist, vgl. auch AG Hannover Beschluss vom 23.04.2015, AZ: 174 Gs 434/14.

Mit Rücksicht darauf ist der in Betracht kommende Strafrahmen für sich genommen kein taugliches Kriterium, zumal im Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht ansatzweise eingeschätzt werden kann, welche Strafe konkret im Raum steht; der in Betracht kommende Strafrahmen vermag daher nur ein Gesichtspunkt für die Bewertung der Bedeutung der Straftat sein. Als weitere Anknüpfungspunkte für die Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle sind heranzuziehen die konkrete Vorgehensweise, das Maß an krimineller Energie sowie die Rechtsfolgen der Tat, soweit diese hinreichend prognostizierbar sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere bei Veröffentlichungen im Internet und in Printmedien, die auf eine aktive Beteiligung des Bürgers zielen, bei der eine allzu häufige Inanspruchnahme der Massenmedien die Bereitschaft der Öffentlichkeit, an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken, erlahmen kann.

Vorliegend sprechen bei einer einzelfallbezogenen Betrachtung alle vorgenannten Kriterien gegen die Annahme einer Straftat von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 131 b StPO. Der Wert des Diebstahlgutes überschreitet die Geringwertigkeitsgrenze zwar, allerdings nicht in erheblichem Maße. Die konkrete Vorgehensweise lässt keinerlei Rückschlüsse auf eine gewerbsmäßige Vorgehensweise zu und ist Alltags.-bzw. der Kleinkriminalität zuzuordnen; die Täterin war offenbar noch nicht einmal imstande, die elektronischen Sicherungsetiketten zu entfernen. Darüber hinaus ist der Firma F G tatsächlich kein Schaden entstanden; die Ware ist unbeschädigt bei der Eigentümerin verblieben.

Letzthin ist der Antrag auf einschränkungslose Veröffentlichung aber im Hinblick auf den erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch unverhältnismäßig. Eine im Ergebnis zeitlich unbegrenzte und irreversible Veröffentlichung im Internet scheidet angesichts des geringen Schadens und vor dem Hintergrund, dass die Lichbildaufnahmen keinen objektiv nachvollziehbaren unmittelbaren Tatzusammenhang haben, von vornherein aus. Eine Veröffentlichung in den örtlichen Printmedien wäre allenfalls verhältnismäßig, wenn dem zunächst ein (nicht genehmigungsbedürftige) Veröffentlichung im Intranet der Polizei vorangegangen wäre.“

Über den erwähnten AG Hannover, Beschl. v. 23.04.2015 – 174 Gs 434/14 – habe ich übrigens auch berichtet – vgl. hier: Öffentlichkeitsfahndung mit Videoprints – welche Voraussetzungen?.

Die schwangere Verteidigerin und das AG Bonn – Termin dann doch verlegt

Ich hatte ja bereits über die schwangere Kollegin und ihren Terminsverlegungsantrag berichtet, der vom AG Bonn abgelehnt worden war, was das LG Bonn in der Beschwerde gehalten hatte. Nun hatte ihr Vertreter noch einmal einen Verlegungsantrag gestellt :-), nachdem die Kollegin komplikationslos entbunden hatte.  Das AG Bonn hat nun doch verlegt – Terminsverfügung und Begründung:

„Die Verlegung ist nunmehr möglich, da das Gericht der anwaltlichen Versicherung, es lägen keine Komplikationen vor und eine Terminswahrnehmung in ca. 4 Wochen sei möglich, Glauben schenkt. Lediglich die bisher – faktisch – beantragte Verlegung auf unbestimmte Zeit kam und kommt nicht in Betracht. Zudem ist ein maßgeblicher Zeuge verhindert“.

Man ist geneigt zu sagen: Geht doch (die Kollegin hatte schon im ersten Antrag um Verlegung um etwa einen Monat gebeten). Aber wahrscheinlich lag es eh am verhinderten Zeugen.

Die schwangere Verteidigerin und (nun) das LG Bonn – oder „Arroganz der Macht“?

Die Geschichte „Die schwangere Verteidigerin und das AG Bonn“ hat nun ein (unrühmliches) Ende beim LG Bonn gefunden. Dieses hat in LG Bonn, Beschl. v. 19.04.2011 – 22 Qs 31/11 die Beschwerde der Kollegin gegen die Ablehnung ihres Terminsverlegungsantrags durch das AG Bonn zurückgewiesen, um nicht zu sagen: Abgebügelt. Die Beschwerde sei unzulässig, jedenfalls sei die Ablehnung des Terminsverlegungsantrages der Kollegin nicht so „evident fehlerhaft“, dass das zum Erfolg der Beschwerde = zur Terminsverlegung führe.

Wenn man es liest, dann hat man schon den Eindruck, dass der Kommentar des Kollegen Melchior zur Entscheidung des AG „ekelhafte richterliche Arroganz“ nicht so ganz von der Hand zu weisen ist. Das „ekelhaft“ ist vielleicht ein bißchen dick, aber m.E. schon berechtigt ist der darin liegende Vorwurf der „Arroganz der Macht“. Denn im Beschluss setzt man sich wieder nicht konkret mit der Frage auseinander, dass die Kollegin eine Verschiebung um etwas einen Monat erbeten hatte. Er lässt m.E. auch nicht erkennen, ob man sich eigentlich der Schwierirgkeiten bewusst ist, die in solchen Situationen außerhalb des öffentlichen Dienstes bestehen. Dafür wird aber mit „denkbar“, also mit Vermutungen und Annahmen, argumentiert, wenn es heißt:

Abschließend entscheiden braucht die Kammer diese Frage jedoch nicht, da es an einer solchen evidenten Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung fehlt und zudem die Nachteile für den Betroffenen nicht von erheblichem Gewicht sind. Aus der vom Amtsgericht gegebenen Begründung für die Nichtverlegung des Termins ergibt sich, dass von einer Verlegung des Hauptverhandlungstermins deshalb abgelehnt wurde, weil für eine absehbare Zeit nicht sichergestellt sei, dass die Verteidigerin für einen Termin zur Verfügung stehe. Dies ist nicht falsch: Die Verteidigerin kann naturgemäß nur den errechneten Entbindungstermin angeben, der tatsächliche Entbindungstermin kann aber unter Umstän­den deutlich später liegen. Zudem ist es denkbar, dass es bei der Geburt zu Komplikationen kommt und/ oder zu gesundheitlichen Problemen beim Kind oder der Verteidigerin, welche letztendlich — eventuell kumuliert — die Teilnah­me an einem Hauptverhandlungstermin auch einige Wochen nach dem avisier­ten Termin nicht zulassen. Vor diesem Hintergrund besteht ein grundsätzlich anerkennenswertes Interesse des Amtsgerichts daran, den Termin bestehen zu lassen, um das bereits lange andauernde Verfahren, in dem es zudem um kei­ne besonders gewichtige Verkehrsordnungswidrigkeit geht und zudem die Ver­tretung durch einen anderen Verteidiger möglich ist, zeitnah abschließen zu können.“

Denkbar ist alles/vieles und mit der Begründung kann man jeden Terminsverlegungsantrag zurückweisen. Kein Wort zur obergerichtlichen Rechtsprechung, die die Frage bei dem vergleichbaren Fall der Erkrankung und auch sonst bei Verhinderung des Verteidigers in einigen Fällen anders gesehen hat. Ich bin gespannt, was das OLG Köln demnächst dazu sagen wird. Denn was bleibt denn jetzt noch anders, als den Betroffenen für die HV vorzubereiten, dort einen Aussetzungsantrag zu stellen, um dann dessen zu erwartende Ablehnung in der HV mit der Rechtsbeschwerde zu rügen.

Abschließend: Wenn man den Beschluss des AG Bonn und auch jetzt den des LG Bonn liest, fragt man sich: Was hätte man sich eigentlich damit vergeben, wenn man dem Antrag des Betroffenen gefolgt wäre?

Und: Die Kollegin befindet sich seit Samstag stationär im Krankenhaus, weil Wehen künstlich eingeleitet werden. Anhaltspunkte für weitere Komplikationen  sind derzeit nicht bekannt, so dass man jedenfalls derzeit davon ausgehen muss, dass ihr  eine Terminwahrnehmung in vier bis sechs Wochen möglich sein dürfte. Es ist allerdings naturgemäß nicht damit zu rechnen, dass sie am kommenden Montag in dieser Angelegenheit einen Termin wahrnehmen kann.

Die schwangere Verteidigerin und das AG Bonn

Da war ich ja dann doch mal wieder erstaunt, als ich den Beschl. des AG Bonn v. 14.03.2011 – 804 OWi-665 Js 923/10-356/10 zum Lesen bekam, weil die Verteidigerin in der Sache eine Frage hatte. Hintergrund der Sache, in der während des Verfahrens ein Richterwechsel stattgefunden hat, bereits einmal eine HV stattgefunden hat und nun noch ein Sachverständigengutachten eingeholt worden ist: Die Kollegin/Verteidigerin ist schwanger und entbindet voraussichtlich am 30.04.2011. Sie ist für den 04.05.2011 als Verteidigerin zu der neuen Hauptverhandlung geladen. Sie hat um Terminsverlegung gebeten und gebeten den HV-Termin um rund vier Wochen zu verlegen. Das AG lehnt ab und begründet seine Entscheidung wie folgt:

„Ein Anspruch auf die Verlegung eines Termins besteht nicht. Die Entscheidung steht vielmehr im Ermessen des Gerichts. Denn die Terminsbestimmung ist Sache des Vorsitzenden und steht in seinem Ermessen. Dabei ist im Rahmen des Ermessens den Belangen der Beteiligten unter Berücksichtigung des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen. Diese Grundsätze gelten auch für Terminsverlegungsanträge.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird der Termin vorliegend nicht verlegt. Die Verteidigerin gibt an, voraussichtlich am 30.04.2011 zu entbinden. Vor diesem Hintergrund ist sie nachvollziehbar an der Terminswahmehmung gehindert. Allerdings wird sich wegen des Mutterschutzes auch zu einem späteren Termin in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen. Deshalb wird sich der Betroffene ohnehin nach einer bzw. einem anderen Verteidiger umsehen müssen bzw. auf Verteidigung verzichten müssen. Es handelt sich nicht um einen Fall notwendiger Verteidigung sondern um eine Verkehrsordnungswidrigkeit. Das Vertrauensverhältnis zwischen Wahlverteidiger und Mandant hat seine Grenze dort, wo ansonsten ein Verfahren auf unbestimmte Zeit vertagt werden müsste. Dies ist vorliegend der Fall. Es ist nicht möglich, die Terminierung bis auf die nicht absehbare Zeit des Endes des Mutterschutzes zurückzustellen, zumal etwaige Komplikationen im Verlauf der Entbindung auch eine Terminierung nach Ablauf der Mindestfrist nicht sicherstellen.“

Die Frage, was man (noch) tun könne, hatte die Kollegin schon selbst beantwortet: Sie hat Beschwerde eingelegt. Das wird dann als zulässig angesehen, wenn die Ablehnung des Terminsverlegungsantrags rechtswidrig ist. Davon wird man hier m.E. ausgehen können. Denn: Kein Wort zu dem Antrag, um rund vier Wochen zu verlegen – also nicht auf absehbare Zeit. Es muss also nicht auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Und: Nach der OLG-Rechtsprechung hat der Betroffene auch in OWi-Sachen grds. einen Anspruch auf Verteidigung durch seinen Anwalt des Vertrauens. Auch damit setzt sich das AG nicht auseinander.

Ich bin gespannt, wie das LG entscheiden wird.

//Edit vom 26.04.2011: siehe hier.