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Akteneinsicht im Bußgeldverfahren: AG Hannover ist „verwundert“ über die Verwaltungsbehörde, oder: Deutliche Worte

entnommen openclipart.org

Dass es an der „Akteneinsichtsfront“ auch anders geht als beim LG Würzburg zeigt m.E. der AG Hannover, Beschl. v. 28.11.2017 – 24 OWi 298/17, den mir der Kollege Ritter aus Laatzen zur Verfügung gestellt hat. Auf seinen Antrag auf gerichtlicher Entscheidung hat das AG „die Landeshauptstadt Hannover angewiesen, dem Verteidiger die dem Erlass des Bußgeldbescheides zugrunde liegenden Rohmessdaten einschließlich des Key-Accounts, sämtlicher TOC-Dateien, Geräteschlüssel und Kennwörter zur Verfügung zu stellen, soweit diese zur Auswertung der Rohmessdaten durch einen Sachverständigen erforderlich sind.“ Das AG hat das wie folgt begründet:

„Der Antrag ist auch begründet. Auch im Falle eines sog. standardisierten Messverfahrens kann sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ein Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in vorhandene, sich nicht bei den Akten befindliche Messdaten ergeben, und zwar unabhängig davon, ob konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorliegen oder vorgetragen worden sind (vgl. Beschluss des OLG Celle v. 16.6.2016, Az.1 Ss (Owi) 96/16, juris). Dies ergibt sich aus der Obliegenheit des Betroffenen, im weiteren Verfahrensverlauf konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Geschwindigkeitsmessung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt. Hierfür benötigt der Betroffene zwangsläufig den Zugang zu den oben bezeichneten Daten, da erst die Auswertung dieser Daten unter Hinzuziehung eines Sachverständigen den Betroffenen in die Lage zu einem konkreten, entsprechenden Sachvortrag versetzt.

Einer solchen Datenherausgabe stehen mit der Herausgabe an den Verteidiger und der Bereitstellung an einen von diesem beauftragten Sachverständen auch eventuelle datenschutzrechtliche Bedenken nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, welche unzulässigen Informationen oder Schlussfolgerungen aus den obigen Daten gezogen werden sollten

Der Verteidiger ist selbst Organ der Rechtspflege und damit zu einem sachgemäßen Umgang standesrechtlich verpflichtet. Auch in der Person eines Sachverständigen ist ein Missbrauch konkret nicht zu befürchten.

Es stößt dabei gelinde gesagt beim Gericht auf mehr als nur Verwunderung, dass die Bußgeldbehörde trotz der mittlerweile hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung, die dem Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Herausgabe der Messdaten ausnahmslos zubilligt und bei Verweigerung der Herausgabe durch die Bußgeldbehörde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen konstatiert (vgl. OLG Celle a.a.O., OLG Celle, Beschluss vom 21. März 2016 — 2 Ss (0Wi) 77/16 —, juris m.w.N.), weiterhin unter Berufung auf datenschutzrechtliche Richtlinien dennoch die Gerichte mit derart eindeutigen Sachverhalten überobligatorisch in Anspruch nimmt und damit vermeidbar für andere Verfahren dringend benötigte Kapazitäten bindet.“

Sehr schön der letzte Absatz. Man merkt deutlich, dass das AG „genervt“ ist. Ich frage mich nur, ob es hilft, wenn das AG seine „Verwunderung“ zeigt. Leider gibt es ja keine Kostenfolge wegen Ungehorsam 🙂 , das würde vielleicht helfen.

Auf derselben Linie wie das AG Hannover liegt übrigens der AG Bayreuth, Beschl. v. 14.11.2017 – 2 OWi 228/17 – man beachte: Ein bayerisches AG. Anders sieht es – das darf man nicht verschweigen – der AG Stadtroda, Beschl. v. 07.08.2017 – 7 OWi 1367/17. Ich kann es nur wiederholen: Wann haben wir endlich eine BGH-Entscheidung, die mit diesem Irrsinn ein Ende macht?

Spendenaufruf !! Rettet das AG Bayreuth – oder: Wie alt darf ein Kommentar sein?

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Ein Kollege – selbst Betroffener in einem Bußgeldverfahren – hat mir den AG Bayreuth, Beschl. v. 19.08.2013 – 2 OWi 149 Js 3321/13 übersandt, in dem ihm als Betroffenem die Akteneinsicht (in seinen Kanzleiräumen) verwehrt wird. Dagegen ist im Ergebnis nichts einzuwenden, wenn sich auch das AG nicht mit § 147 Abs. 7 StPO auseinandersetzt, obwohl: Erteilung von Abschriften pp. wohl nicht beantragt.

Also: So weit, so (einigermaßen) gut. Warum also dann ein Posting zu diesem Beschluss? Nun, er ist m.E. aus einem anderen Grund bemerkens- und berichtenswert. Da heißt es:

„Grundsätzlich hat weder ein Betroffener noch ein Verteidiger Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht durch Mitnahme in Wohnräume oder in eine Kanzlei. Grundsätzlich ist Akteneinsicht in den Diensträumen des Gerichts zu gewähren, vgl. Kleinknecht/Meyer/Goßner, 45. neub. Auflage, Rdnr. 28 zu § 147 StPO. Gemäß BVerfGE 53, 207, 214 kann grundsätzlich auch einem Rechtsanwalt, der selbst Betroffener ist, Akteneinsicht verwehrt werden“

Lassen wir mal dahingestellt, ob der Satz so richtig ist und ob nicht vielmehr es inzwischen so gesehen wird, dass dem Verteidiger die Akten grds. zur Einsichtnahme in sein Büro mitgegeben werden, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Die Frage ist nicht berichtenswert, aber: Die Passage „Kleinknecht/Meyer/Goßner, 45. neub. Auflage“ die ist m.E. berichtenswert. Denn man muss sich dazu in Erinnerung rufe, dass der Meyer-Goßner als Standardkommentar zur StPO inzwischen in der 56. Auflage (!!!) vorliegt und das Werk schon seit einigen Jahren unter „Meyer-Goßner“ firmiert. Und: „45. neub. Auflage“? Wenn ich richtig gerechnet/geforscht habe, dürfte die aus dem Jahr 2000/2001 stammen.

Da kann ich nur sagen: Man glaubt es nicht. Sind in Bayern die Kassen denn so leer, dass die Amtsrichter mit so alten – rechtsgeschichtlichen – Werken, die mehr als 10 Jahre alt sind, arbeiten (müssen)? Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber warum dann der Hinweis auf ein so altes Werk? Und: Hat nicht der Beschuldigte/Angeklagte einen Anspruch darauf, dass die Justiz mit einigermaßen aktuellen Kommentaren arbeitet?

Daher meine ich: Wir sollten sammeln und dem AG Bayreuth zumindest ein aktuelles Exemplar des „Meyer-Goßner“ zur Verfügung stellen. Daher also der Spendenaufruf.

Kleiner Tipp an die Bayern: Ggf. könnte man das eine aktuellere Auflage auch bei Ebay ersteigern. 🙂