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OWi III: Verfahrenshindernis Verfolgungsverjährung?, oder: Ruht die Verjährung nach Verwerfungsurteil?

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Im dritten und letzten Posting des Tages komme ich dann noch einmal auf den KG, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 Ws (B) 304/21 – zurück, über den ich schon einmal in Zusammenhang mit der in dem Beschluss behandelten Fahrverbotsfrage berichtet hate (vgl. hier: OWi II: Einige Entscheidungen zu Fahrverbot/Geldbuße, oder: Zeitablauf, Absehen, Urteilsgründe).

Heute geht es um eine verfahrensrechtliche Problematik, zu der das KG auch Stellung genommen hat, nämlich: Verjährungseintritt?

Der Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen datierte vom 04.04.2019. Dagegen legt der Betroffene Einspruch ein. Das AG terminiert die Hauptverhandlung auf den 10.09.2020. In der ergeht am 10.09.2020 ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG. Dem Betroffenen wird mit Beschluss des AG vom 08.10.2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden. Mit Urteil vom 20.05.2021 wird der Betroffene dann verurteilt.

Das KG hat den Eintritt der Verjährung verneint.

„2. Die von Amts wegen im Freibeweisverfahren veranlasste Prüfung ergibt, dass kein Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung besteht.

Insbesondere war zum einen die ab der Handlung am 6. Januar 2019 laufende dreimonatige Frist der Verfolgungsverjährung (§ 26 Abs. 3 StVG) zum Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides am 4. April 2019 – wobei die Zustellung am 6. April 2019 und somit innerhalb von zwei Wochen erfolgt ist – noch nicht abgelaufen.

Zum anderen war zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils am 20. Mai 2021 die absolute (zweijährige) Verjährungsfrist (§ 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG) nicht verstrichen. Denn seit dem am 10. September 2020 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Abwesenheitsurteil ruhte die Verfolgungsverjährung. Nach § 32 Abs. 2 OWiG tritt die Verjährung nach Erlass eines Urteils im ersten Rechtszug oder eines Beschlusses nach § 72 OWiG nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ein und ist demnach für das gesamte weitere Verfahren gehemmt. Auch ein Abwesenheitsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG löst diese Folge aus, selbst wenn es zu Unrecht erging bzw. – wie hier – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. Januar 2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 84/17 -, BeckRS 2018, 1065; OLG Hamm, Beschluss vom 15.7.2008 – 3 Ss OWi 180/08 -, BeckRS 2008, 18098; OLG Köln, Beschluss vom 23. Dezember 1977 – Ss 806/77 -, juris). Denn der Wortlaut des § 32 Abs. 2 OWiG stellt auf den Erlass eines Urteils im ersten Rechtszug ab und unterscheidet nicht danach, ob ein Sach- oder ein Prozessurteil ergangen ist. Eine solche Differenzierung stünde auch dem im Verjährungsrecht geltenden Gebot klarer, einfacher Regelungen entgegen (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.).“

Der EGMR und die Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 1 StPO).

Der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.02.2012, III-2 RVs 11/12 – befasst sich mit den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Fragen der Berufungsverwerfung im Strafverfahren bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten. Dazu ist schon verschiedentlich diskutiert worden, ob die deutsche Gesetzeslage mit der EGMR-Rechtsprechung vereinbar ist. Das BVerfG hat das in der Vergangenheit verneint. So jetzt auch das OLG Düsseldorf im Beschl. v. 27.02.2012, III-2 RVs 11/12, der folgende Leitsätze hat:

„1. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22. September 2009 (EGMR Nr. 13566/06, Pietiläinen gegen Finnland) steht allein die Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers der Anwendung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach die Berufung des unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen ist, nicht entgegen.

2. Ob die in § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vorausgesetzte Vertretungsmöglichkeit, die sich auf Ausnahmefälle (§§ 234, 411 Abs. 2 StPO) beschränkt, in zulässiger Weise durch konventionsfreundliche Auslegung erweitert werden kann, bedarf mangels schriftlicher Vertretungsvollmacht des Verteidigers keiner Entscheidung.“