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Verkehr II: Absehen von der Fahrerlaubnisentziehung, oder: Die Feststellungen müssen stimmen

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch vom KG.

Das hat im KG, Urt. v. 10.12.2021 – 3 Ss 56/21 – zu einigen Fragen in Zusammenhang mit der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung Stellung genommen. Insoweit müssen hier die Leitsätze reichen, und zwar:

  1. Im Zweifel ist eine von der Staatsanwaltschaft eingelegte (Sprung-)Revision (auch) zuungunsten eines Angeklagten eingelegt. Bei Erhebung der allgemeinen Sachrüge wird die uneingeschränkte Überprüfung des tatrichterlichen Urteils begehrt.
  2. Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage des Maßregelausspruchs nach §§ 69 ff. StGB ist dann nicht möglich, wenn im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht. In einer solchen untrennbaren Wechselwirkung stehen regelmäßig Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung.

Außerdem hat das KG sich zum Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) geäußert. Vom LG war abgesehen worden. Das hat dem KG nicht gefallen:

„b) Auch das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist durchgreifenden rechtlichen Bedenken ausgesetzt.

aa) Entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts greift vorliegend die Regelvermutung für die Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB.

Danach liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung wegen charakterlicher Ungeeignetheit vor, wenn der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Sinne von § 142 StGB weiß oder wissen kann, dass an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, bemisst sich allein nach wirtschaftlichen Kriterien und beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (vgl. OLG Hamm NZV 2011, 356 m.w.N.). Entscheidend ist der Geldbetrag, der erforderlich ist, den Geschädigten so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten (BGH NStZ 2011, 215). Die Frage, welche Schadenspositionen dabei außer den Reparaturkosten zu berücksichtigen sind, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt, kann aber dahinstehen, da allein die – rechtskräftig festgestellten – Reparaturkosten von 3.096,34 Euro (netto) schon einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB darstellen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 204 StRR 1940/19 -, BeckRS 2019, 38522). Auf weitere vom Tatgericht vermisste „genaue Feststellungen zur Schadenshöhe“, die es wegen des unentschuldigten Ausbleibens eines Zeugen nicht aufklären zu können glaubte, kommt es diesbezüglich nicht an.

bb) Die Annahme einer Ausnahme von diesem Regelprinzip durch das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft; die dazu getroffenen Feststellungen erweisen sich ebenfalls als lückenhaft.

Entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben (vgl. BT-Drs. IV/651, 17).

Solche Umstände lassen sich den Urteilsausführungen nicht entnehmen. Diese beschränken sich darauf mitzuteilen, dass – selbst wenn entgegen der Einschätzung des Amtsgerichts die Regelvermutung des § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB greifen sollte, „[u]nter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Fahrerlaubnis bereits seit dem 24. November 2020 vorläufig entzogen war, […] eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr angemessen und erforderlich“ (UA S. 2) erscheine. Der bloße Zeitablauf rechtfertigt ein Absehen von der Maßregel indes nicht (vgl. Senat, Urteil vom 1. November 2010 a.a.O.). Da der Eignungsprüfung der Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht vorgegriffen werden soll (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. März 1999 – 1 Ws 191/99 -, juris), bedarf es in aller Regel der Feststellung von zusätzlichen Tatsachen, die über den bloßen Zeitablauf hinaus belegen, dass die Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist (vgl. Senat, Urteil vom 1. November 2010 a.a.O.). Diese zusätzlichen Tatsachen fehlen hier.

Dies gilt gleichermaßen, sollte das Amtsgericht eine Gesamtwürdigung im Rahmen von § 69 Abs. 1 StGB vorgenommen haben wollen.“

OWi II: Einige Entscheidungen zu Fahrverbot/Geldbuße, oder: Zeitablauf, Absehen, Urteilsgründe

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Das zweite Posting des Tages dann zum Fahrverbot (§ 25 StVG) und zur Geldbuße, und zwar mit folgenden Entscheidungen:

Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

1. Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

2. Der Umstand, dass sich der Betroffene zwischen Tatbegehung und tatrichterlichem Urteil – erneut – nicht verkehrsgerecht verhalten hat, spricht für die Erforderlichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes.

Soll vom Regelfall der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, so bedarf es wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer einer besonders eingehenden und sorgfältigen Überprüfung der Einlassung des Betroffenen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalls auszuschließen und auch dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der richtigen Rechtsanwendung zu ermöglichen. Deshalb hat das Amtsgericht eine auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende Begründung zu geben, in der es im Einzelnen darlegt, welche besonderen Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot abzusehen.

Hat der Betroffene Einsicht in das Fehlverhalten gezeigt und ist durch die Vollstreckung eines Fahrverbots nach einer weiteren, nach der abzuurteilenden Tat begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung hinreichend beeindruckt, kann vom Fahrverbot abgesehen werden.

1. Grundsätzlich hat das Tatgericht bei der Verhängung von Geldbußen von mehr als 250,00 Euro keine weiteren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen, wenn es das Abweichen vom Regelsatz nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt hat.

2. Etwas anderes gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte für außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II, der zwar grundsätzlich darauf hindeuten kann, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht durchschnittlich sind, steht der Entbehrlichkeit weiterer Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen aber nicht entgegen.

3. Der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Betroffenen ist dann durch Zahlungsaufschub oder Ratenzahlung Rechnung zu tragen.

OWi III: Mehr als 2 1/2 Jahre Abstand zum Verstoß, oder: Kein Fahrverbot und auch keine erhöhte Geldbuße

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Und dann hier noch der OLG Schleswig, Beschl. v. 22.10.2021 – I OLG 230/21 – zum Absehen vom Fahrverbot nach langer Verfahrensdauer und zur Erhjöhung der Geldbuße. Das AG hatte hier zwar wegen der langen Verfahrensdauer – mehr als 2 1/2 Jahre – vom Fahrverbot abgesehen, aber es hatte die Geldbuße erhöht. Das geht nicht, sagt das OLG:

„3. Auch der Ausspruch über die Rechtsfolgen ist – unabhängig von der Schuldform – rechtsfehlerhaft, indem das Amtsgericht von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen und statt-dessen die Regelgeldbuße verdoppelt hat.

Zwar ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht von der Verhängung des Regelfahrverbots von einem Monat gemäß § 4 Abs. 3 BKatV abgesehen hat, weil seit der Tat mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats und der übrigen Oberlandesgerichte.

Allerdings kommt eine Erhöhung der Geldbuße wegen des Absehens vom Fahrverbot gemäß § 4 Abs. 4 BKatV dann nicht mehr in Betracht, wenn es der Anordnung eines Fahrverbots wegen des langen Zeitablaufs zwischen der Tat und deren Ahndung zur erzieherischen Wirkung auf den Betroffenen nicht mehr bedarf. Da die Denkzettel- und Warnungsfunktion des Fahrverbots entfallen ist, hat auch eine Erhöhung der Geldbuße zur Erreichung dieses spezialpräventiven Zweckes zu unterbleiben (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. Juli 2007 – 3 Ss OWi 360/07 -, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 14. Februar 2006, DAR 2006, 337; OLG Celle, Beschluss vom 23. Dezember 2004, VRS 108, 118, 121). Denn sowohl die Anordnung eines Regelfahrverbots als auch das ausnahmsweise Absehen davon bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße können ihren Strafcharakter nur dann erfüllen, wenn sie sich in einem kurzen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Betroffenen auswirken. Das ist bei einer Zeitdauer von mehr als 2 1/2 Jahren – wie im vorliegenden Sachverhalt – jedenfalls nicht mehr der Fall.“

Einziehung III: Absehen von der Vollstreckung, oder: Wenn kein Vermögen (mehr) da ist

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In der letzten Entscheidung geht es um die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung. In einer Verurteilung wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist auch die Einziehung des Wertes des Taterlöses in Höhe von 73.850 EUR  angeordnet worden. Der Verurteilte hat beantragt. dass die Vollstreckung der Einziehung nach § 73 f StGB unterbleibe (§ 459 g Abs. 5 StPO). Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung keine Erlöse aus den Betäubungsmittelgeschäften (mehr) in seinem Vermögen gehabt habe. Unabhängig davon, dass der tatsächliche Erlös deutlich geringer sei als die in dem Urteil genannte Summe, da er ja auch Mittel zum Erwerb der Betäubungsmittel habe aufbringen müssen, um diese weiterveräußern zu können, seien die verbliebenen Erlöse für Eigenkonsum, Alkohol und Veranstaltungen aufgewendet worden. Mit seinem derzeitigen Vermögen von ca. 6.400,00 Euro könne er die im Urteil ausgesprochene Forderung nicht begleichen. Auch seien sämtliche derzeit in seinem Vermögen befindlichen Bestandteile erst nach den ihm zur Last gelegten Straftaten durch rechtlich nicht zu beanstandende berufliche Tätigkeit in das Vermögen gelangt.

Das AG hat diesen Antrag abgelehnt, das LG ist dann im LG Leipzig, Beschl. v. 05.07.2021 – 13 Qs 4/21 –   dem Verurteilten gefolgt:

„Auf die zulässige sofortige Beschwerde war der angefochtene Beschluss aufzuheben und das (vorläufige) Unterbleiben der Vollstreckung anzuordnen.

a) Zur Frage der Reichweite des in § 459g Abs. 5 StPO normierten Tatbestandsmerkmals der Entreicherung ist – auch nach der Kommentarliteratur (z.B. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 459 g Rdnr. 13 m.w.N.) – noch keine gefestigte Rechtsprechung entstanden. Insoweit wird insbesondere auch thematisiert, ob im Hinblick auf die mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung beabsichtigte Stärkung der Vermögensabschöpfungsmöglichkeiten (vgl. BT-Drs 18/9525) und den entsprechenden Überlegungen mit einer weitreichenden Ausgestaltung der Entreicherung Rechnung getragen werden kann.

Insoweit muss bedacht werden, dass nach der Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofes (NStZ-RR 18, 241) sich ein Verurteilter quasi stets auf Entreicherung berufen kann, sofern er über kein Vermögen verfügt. Insoweit sei es aufgrund des zwingenden Wortlautes von § 459 g Abs. 5 S. 1 StPO nicht möglich, wertende Gesichtspunkte bei der Prüfung des Wegfalls der Bereicherung einzubeziehen. Insoweit könne sich auch der Täter erfolgreich auf eine Entreicherung berufen, unabhängig davon zu welchem Zweck (vgl. BGH NStZ-RR 18, 241 m.w.N.).

Dabei weist der Bundesgerichtshof explizit auf die Trennung zwischen Anordnung der Einziehung, insbesondere des § 73 e StGB hin. Dabei sieht das Strafgesetz (zunächst) grundlegend die Einziehung vor, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Daran anschließend muss im Vollstreckungsverfahren im Einzelfall gem. § 459 g Abs. 5 StPO die Vermögenssituation geprüft werden. Dabei schreibt § 459 g Abs. 5 S. 1 StPO in der aktuellen Gesetzesfassung zwingend vor, dass eine Vollstreckung zu unterbleiben hat, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Tatbeteiligten vorhanden ist (vgl. BGH Beschluss vom 22.02.2018 – 3 StR 577/17 <JURIS>), wobei eine wertende Entscheidung des zuständigen Gerichts nicht mehr möglich ist (vgl. BGH, NStZ-RR 2017, 14 m.w.N.). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an, wenngleich die im Rahmen des Gesetzesvorhabens geäußerten Überlegungen (vgl. BT-Drs 18/9525 S. 45), wonach Ziel des Gesetzgebungsverfahrens sei, mögliche Beeinträchtigungen des Vertrauens der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung zu begegnen, die sich dadurch ergeben könnten, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögenswerte dauerhaft behalten dürfen, nur eingeschränkt umgesetzt werden können. Insoweit sieht die Kammer durchaus die Gefahr, dass die in § 73 f. StGB normierten (zwingenden) Einziehungsmöglichkeiten durch eine erhebliche Korrekturmöglichkeit im Rahmen des § 459 g StPO beeinträchtigt werden. Die Kammer verkennt dabei durchaus nicht, dass die Vermögenseinziehung im Falle der Entreicherung eine „erdrückende Wirkung“ – so BT-Drs. 18/9525 S. 94) haben kann.

Trotz der genannten Überlegungen und Bedenken schließt sich die Kammer dabei der am Wortlaut des § 459g StPO orientierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an.

In dem vorliegenden Fall sieht die Kammer aufgrund des Vorlegens von umfangreichen Unterlagen über die derzeitige Vermögenssituation auch keine Möglichkeit der Zurückverweisung an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht zur (umfassenden) Klärung der Vermögenssituation, da nach Aktenlage nicht zu erwarten, ist, dass im Rahmen weiterer Recherchen der Einwand der Entreicherung widerlegt werden könnte.“

Auslagenerstattung, oder: „Vorwerfbar prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen“?

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt vom LG Ulm. Den LG Ulm, Beschl. v. 06.11.2020 – 2 Qs 46/20 – hat mit der Kollege Kabus aus Bad Saulgau geschickt. Thematik: Wann ist die Möglichkeit des Absehens nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Erstattung der notwendigen Auslagen gegeben. Ergangen ist der Beschluss nach einem Bußgeldverfahren, das wegen Verjährung eingestellt werden musste. Das LG sagt – anders als das AG: Absehen von der Erstattung notwendiger Auslagen nur, wenn ein vorwerfbar prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen festzustellen ist:

„2. Der Beschluss des Amtsgerichts Ehingen vom 17.09.2020 war auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen insoweit aufzuheben, als darin angeordnet wurde, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen im Bußgeldverfahren selbst zu tragen hat. Diese waren der Staatskasse aufzuerlegen.

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen grundsätzlich die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last, soweit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Über § 46 Abs. 1 OWiG gilt diese Vorschrift sinngemäß auch für das Bußgeldverfahren. Gemäß §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG kann das Gericht jedoch davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Hierauf stützt sich die Entscheidung des Amtsgerichts Ehingen.

Ein Fall der §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG ist indes in vorliegender Sache im Ergebnis nicht gegeben:

Soweit in dem Beschluss des Amtsgerichts Ehingen für eine Anwendung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO darauf abgestellt wird, dass nach Aktenlage eine Verurteilung des Betroffenen jedenfalls wegen einer ihm zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße in hohem Maße wahrscheinlich und lediglich nicht abschließend geklärt sei, ob ihm ein bußgelderhöhender Verstoß anzulasten sei, kann letztlich dahinstehen, ob der Tatverdacht gegen den Betroffenen vorliegend das für eine Anwendbarkeit des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO erforderliche Maß erreicht hat. In Rechtsprechung und Literatur gehen hinsichtlich der insoweit zu fordernden Tatverdachtsstufe die Ansichten auseinander: § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO verlangt, dass der Angeschuldigte wegen einer Straftat „nur deshalb nicht verurteilt wird“ weil ein Verfahrenshindernis besteht. Teilweise wird insoweit verlangt, dass bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sein müsse (vgl. etwa Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, StPO § 467, Rn. 10a). Dies erscheint vorliegend mangels bereits durchgeführten Hauptverhandlungstermins zumindest zweifelhaft. Nach anderer Ansicht und wohl herrschender Rechtsprechung genügt eine niedrigere Tatverdachtsstufe und insbesondere ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht (vgl. etwa OLG Bamberg, Beschluss vom 20.07.2010, Az.: 1 Ws 218/10).

Die Möglichkeit, nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO von einer Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, besteht allerdings nur dann, wenn zusätzlich zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es als billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.05.2017, Az.: BvR 1821/16). Die erforderlichen besonderen Umstände dürfen dabei aber gerade nicht in der voraussichtlichen Verurteilung und der zu Grunde liegenden Tat gefunden werden, denn das ist bereits Tatbestandsvoraussetzung für die Ermessensentscheidung des Gerichts (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 20.07.2010, Az.: 1 Ws 218/10). Grundlage für ein Absehen von der Erstattung notwendiger Auslagen muss vielmehr ein hinzutretendes vorwerfbar prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen sein. Bei einem in der Sphäre des Gerichtes eingetretenen Verfahrenshindernis hingegen, wird es regelmäßig der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzubürden (vgl. hierzu etwa Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O., Randnummer 10b; Bundesverfassungsgericht a.a.O.).

Im vorliegenden Fall ist ein prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen nicht zu erkennen. Der Grund für den Eintritt des Verfahrenshindernisses der Verjährung liegt vielmehr darin, dass seitens des Amtsgerichts versäumt wurde, innerhalb der kurzen sechsmonatigen Verjährungsfrist (erneut) einen Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen. Grundsätzlich wäre eine erneute Terminierung auch nach Rückkunft der Akten nach Durchführung des zweiten Nachermittlungsauftrags am 09.07.2020 noch verjährungsunterbrechend möglich gewesen, ist aber unterblieben.

Vor diesem Hintergrund erscheint es im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung nach §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG unbillig, den Betroffenen entgegen der gesetzlichen Regel nach §§ 467 Abs. 1 StPO, 46 OWiG mit seinen notwendigen Auslagen zu belasten.“