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OWi II: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Fahrverbot beim „viel beschossenen“ Hasen?

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch vom AG Landstuhl. Im AG Landstuhl, Urt. v. 09.02.2024 – 3 OWi 4211 Js 11910/23 – geht es um die Rechtsfolgen bei einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung.

Das AG hat den Betroffenen wird wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 1.160 EUR verurteilt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Dre Betroffene war auf einer BAB anstelle der zulässigen 80 km/h mit 133 km/h gefahren. Der Betroffene ist verkehrsrechtlich bislang auch schon einige Male in Erscheinung getreten, und zwar gibt es eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis am 21.12.2013, die Verurteilung nach § 316 StGB am 09.01.2014 zu einer Geldstrafe mit einer Maßregel nach §§ 69, 69a StGB, einen Abstandsverstoß am 22.2.2022 und einen Geräteverstoß.

Das AG begründet seine Rechtsfolgenentscheidung wie folgt:

„Durch den genannten Verstoß hat der Betroffene zunächst eine Geldbuße zu tragen. Diese ergibt sich zunächst als Regelsatz in Höhe von 480 EUR gemäß Ziffer 11.3.8 des Anhangs zur BKatV, die für das Gericht in Regelfällen einen Orientierungsrahmen bildet (BeckOK StVR/Krenberger, § 1 BKatV, Rn. 1). Von diesem kann das Gericht bei Vorliegen von Besonderheiten nach oben oder unten abweichen. Vorliegend bestehen keine Umstände, die ein Abweichen vom Regelsatz nach unten bedingen würden. Angesichts der vorsätzlichen Begehensweise ist die Regelgeldbuße auf 960 EUR zu verdoppeln, § 3 Abs. 4a BKatV.

Zudem sind hier Umstände gegeben, die eine Erhöhung der Geldbuße nach sich ziehen, § 17 Abs. 3 OWiG. Der Betroffene ist, wie unter I. festgestellt, bereits verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten. Der zeitliche und auch inhaltliche Zusammenhang der geahndeten Verstöße mit der jetzigen Handlung gebietet eine moderate Erhöhung der Regelgeldbuße um 100 EUR (Abstand) sowie 100 EUR (Geräteverstoß) auf 1160 EUR.

Die Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen haben ergeben, dass der Betroffene die ausgeurteilte Geldbuße wirtschaftlich verkraftet.

Des Weiteren ist vorliegend auch ein Regelfahrverbot anzuordnen, § 4 Abs. 1 BKatV. Durch die oben festgestellte Handlung hat der Betroffene eine objektiv so gefährliche und subjektiv so vorwerfbare Verhaltensweise im Straßenverkehr an den Tag gelegt, dass im Sinne des § 25 StVG ein Fahrverbot anzuordnen ist. Es bestand vorliegend kein Grund, wegen abweichender Umstände vom Regelfall das Fahrverbot zu erhöhen. Vorliegend bestand kein Grund, vom Wegfall des Fahrverbots ausgehen zu müssen. Soweit der Betroffene vorgetragen hat, seinen Arbeitsplatz zu verlieren und für die Berufstätigkeit auf die Fahrerlaubnis angewiesen zu sein, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Insbesondere trifft die Anordnung des Fahrverbots den Betroffenen nicht mit einer unzumutbaren Härte. Gewöhnliche Belastungen, die ein Verzicht auf den PKW für die Dauer des Fahrverbots mit sich bringt, sind hinzunehmen. Die Konsequenz der Anordnung des Fahrverbots ist selbstverschuldet (OLG Celle Beschl. v. 26.1.2015 – 321 SsBs 176, 177/14, BeckRS 2015, 16403). Die Gleichbehandlung mit anderen Verkehrsteilnehmern, die ein Regelfahrverbot verwirkt haben, muss gewährleistet sein (BVerfG NZV 1996, 284), sodass nur unzumutbare Härten aus rechtlicher Sicht relevant sein können, nicht das persönliche Befinden des Betroffenen (BeckOK StVR/Krenberger, § 25 StVG, Rn. 90). Solche sind hier nicht gegeben. Zwar kann der Verlust des Arbeitsplatzes eine unzumutbare Härte darstellen. Ausweichmöglichkeiten im Betrieb sind, so der Zeuge pp., nicht gegeben und auch eine unbezahlte Urlaubnahme kann angesichts der Spezialisierung des Betroffenen vom Unternehmen nicht aufgefangen werden. Der Betroffene befindet sich noch in der Probezeit und kann deshalb unter erleichterten Bedingungen gekündigt werden. Jedoch ist hier zu beachten: Zum einen stammt der Bußgeldbescheid vom 16.8.2023, sodass der Betroffene das Fahrverbot noch vor Antritt der Arbeitsstelle bei der Firma pp. sozialkonform hätte ableisten können, wozu er auch verpflichtet gewesen wäre (OLG Hamm NZV 2005, 495; AG Landstuhl DAR 2015, 415). Er hätte, wenn es ihm nur um die Geldbußenhöhe und den Schuldvorwurf gegangen wäre, den Einspruch auf die Höhe der Geldbuße bei gleichzeitiger Akzeptanz des Fahrverbots beschränken können (AG Dortmund NZV 2022, 540), um den neuen Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Und schließlich kann der Grundsatz der Unverhältnismäßigkeit nicht für den Betroffenen streiten, der in Kenntnis der Notwendigkeit der Fahrerlaubnis und des Führerscheins für seine Berufstätigkeit durch verkehrswidriges Verhalten seine Berufstätigkeit gefährdet: Ein Kraftfahrzeugführer, der ein Fahrverbot durch mangelnde Verkehrsdisziplin riskiert, kann nicht geltend machen, auf den Führerschein angewiesen zu sein (KG SVR 2015, 427). Könnte sich ein Betroffener bei vorhandenen Vorahndungen immer wieder aufs Neue auf eine drohende Existenzgefährdung berufen, wären die für ihn unzumutbaren Folgen eines Fahrverbots ein Freibrief für wiederholtes Fehlverhalten (OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2010, 26343; OLG Karlsruhe NZV 2004, 316). Hinzu kommt hier der Vorsatz des Vorwurfs bei erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung im Baustellenbereich (AG Zeitz BeckRS 2015, 18698). Schließlich müsste der Arbeitsplatzverlust auch zu einer existenzvernichtenden Härte führen (OLG Karlsruhe NZV 2006, 326). Dies ist nicht erkennbar. Denn der Betroffene ist als Bauleiter mit Asbestberechtigung hoch spezialisiert und dementsprechend begehrt auf dem Arbeitsmarkt, so der Zeuge pp. Wenn er also eine vorübergehende Zeit, in der er auch Anspruch auf staatliche Leistungen hat, nicht im Abhängigkeitsverhältnis beschäftigt ist, vernichtet dies nicht seine bürgerliche Existenz.“

Ok, ein „viel beschossener Hase“. Aber dennoch erscheint mir die Entscheidung angesichts der für den Betroffenen sprechenden Umstände nicht angemessen, zumal die Trunkenheitsfahrt 10 Jahre zurück liegt. Dass und warum ein Betroffener verpflichtet sein soll, ein Fahrverbot ggf. noch vor Antritt der Arbeitsstelle bei seiner Firma „sozialkonform“ – was immer das auch ist – abzuleisten, erschießt sich mir (auch) nicht. Denn dabei wird m.E. übersehen, dass der Betroffene ggf. noch nicht rechtskräftig verurteilt ist.

OWI III: Ein Bisschen was zum Fahrverbot aus Bayern, oder: Nachtatverhalten, Trunkenheit, Kindesumgang

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Und zum Tagesschluss dann noch drei Entscheidungen zum Fahrverbot (§ 25 StVG). Alle drei stammen vom BayObLG und alle drei für die Betroffenen negativ, was mich beim BayObLG nicht überrascht.

Hier sind die Leitsätze der Entscheidungen:

    1. Das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots, das an die an die Außerachtlassung besonderer Rücksichtnahmepflichten und die bloße Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers anknüpft (hier: lfd.Nr. 41 BKat) mit der Begründung, der Betroffene habe nicht rücksichtslos gehandelt und der Geschädigte sei nicht schwerwiegend verletzt worden, ist rechtsfehlerhaft.
    2. Das Verhalten eines Betroffenen nach einem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall rechtfertigt regelmäßig nicht das Absehen von der Verhängung eines an seinen Verkehrsverstoß anknüpfenden Regelfahrverbots.
    1. Ist ein konkreter Rechtsmittelantrag nicht gestellt, ist der Umfang der Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung seitens der Staatsanwaltschaft durch Auslegung des der Rechtsmittelbegründung zu entnehmenden Angriffsziels zu ermitteln.
    2. Die mit einem Fahrverbot verbundenen Einschränkungen des Kindesumgangsrechts sind, will das Tatgericht in ihnen eine außergewöhnliche Härte sehen und deshalb von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot absehen, positiv festzustellen.
    1. Ein Absehen vom gesetzlichen Regelfahrverbot nach den §§ 24a Abs. 1 (i.V.m. Abs. 3), 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV kann nur in einem Härtefall ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommen, oder dann, wenn wegen besonderer Umstände äußerer oder innerer Art das Tatgeschehen ausnahmsweise derart aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG herausfällt, dass die Anordnung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre.
    2. Die Indizwirkung des Regelbeispiels nach den §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24a StVG wird nicht allein dadurch entkräftet, dass bei einer nur wenige Minuten andauernden Alkoholfahrt eine Wegstrecke von lediglich 200 m zurückgelegt wurde. Dies gilt erst recht, wenn der Atemluftgrenzwert nach § 24a Abs. 1 StVG von 0,25 mg/l nicht nur geringfügig überschritten, sondern die Alkoholkonzentration nahe zum Grenzwert der (absoluten) Fahruntüchtigkeit i.S.v. § 316 Abs. 1 StGB lag.

OWi III: Kein Fahrverbot nach langem Zeitablauf, oder: Wenn man beim OLG die Akten nicht gelesen hat

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas vom OLG Frankfurt am Main. nämlich den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.07.2023 – 3 Ss OWi 1316/22.

Vorab: Ergangen isz der Beschluss nach einem – vorsichtig ausgedrückt – ein wenig unüblichen Verfahrensverlauf, der der einsendende Kollege wie folgt schildert:

„Zum Hintergrund 2-3 Sätze.

Die GStA schloss sich in ihrer Stellungnahme dem Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag der Verteidigung an.

Das OLG FfM verwarf sodann die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Zur Begründung verwies es auf die überzeugenden Ausführungen der GStA in ihrer Stellungnahme (die aber eben die Aufhebung des Urteils beantragt hatte). Eine weitere Begründung gab es nicht.

Ich erhob sodann Gehörsrüge, mit dem Argument, dass die Entscheidung des OLG FfM und ihre Begründung widersprüchlich seien, da die GStA gerade nicht die Verwerfung der Rechtsbeschwerde beantragt hatte, sondern der Rechtsbeschwerde Erfolg attestierte.

Hierauf erging ein Berichtigungsbeschluss des OLG FfM. Die Rechtsbeschwerde „blieb“ als unbegründet verworfen. Der Hinweis auf die Stellungnahme der GStA wurde ersatzlos gestrichen und der Zurückweisungsbeschluss wurde dann (eben) überhaupt nicht begründet. Der Berichtigungsbeschluss wurde erlassen, da der ursprüngliche Beschluss unter einer offensichtlichen Unrichtigkeit litt, der jederzeit korrigiert werden könnte.

Ich erhob erneut Gehörsrüge, da nunmehr der Zurückweisungsbeschluss des OLG FfM gar keine Begründung mehr enthielt.

Das OLG FfM hat der Gehörsrüge dann stattgegeben und auf die Rechtsbeschwerde das angefochtene Urteil aufgehoben und zurückverwiesen.“

Kommentar: Da hatte wohl jemand die Akten nicht gelesen und ist nach dem Motteo verfahren: Das machen wir doch immer so. Das Verwerfen :-). Warum man dann aber nicht sofort die Kurve bekommt…… Denn:

Das OLG hat schließlich das AG-Urteil, das den Betroffenen wegen einer 2019 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 480,- EUR verurteilt und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt hat, im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben:

„Die Rechtsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 30. Januar 2023 verworfen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs.

Der Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs ist begründet, da der Senat seine Entscheidung vom 30. Januar 2023 nicht begründet hatte, obwohl die Generalstaatsanwaltschaft auf die erhobene Sachrüge hin beantragt hatte, den Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bad Hersfeld zu verweisen.

Der Senat hat daher in der Sache neu entschieden.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG), form- und fristgerecht eingelegte (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 341 StPO) und fristgerecht begründete (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 344, 345 StPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat – wie aus dem Tenor ersichtlich —hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs einen vorläufigen Erfolg. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde unbegründet……

3. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs deckt das Urteil auf die Sachrüge hin einen Rechtsfehler auf. Die Urteilsgründe leiden an einem Erörterungsmangel:

Das Amtsgericht hat sich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung in seinen Urteilsgründen nicht damit auseinandergesetzt, ob ein Fahrverbot trotz des Zeitablaufes zwischen Tatbegehung und Urteil von mehr als zwei Jahren noch seinen erzieherischen Zweck erfüllen kann. Auf diesen Erörterungsmangel beruht das Urteil.

a) Nach allgemeiner Auffassung kann grundsätzlich als gerechtfertigt angesehen werden, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, wenn die Tat lange zurückliegt, die Verzögerung nicht dem Betroffenen anzulasten ist und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat (siehe BayObLG Beschluss vom 09.10.2003 —1 ObOWi 270/03, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Beschluss vom 16.07.2008 — 2 Ss OWi 835/08, juris Rn. 10 f.; OLG Celle, Beschluss vom 23.12.2004 – 211 Ss 145/04 (OWi), juris Rn. 18 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 08.02.2005 —Ss (OWi) 32/05, juris Rn. 17; OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2012 — III-3 RBs 364/11, juris Rn. 9; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31.03.2014 — Ss (B) 18/2014 (15/14 OWi), juris Rn. 17).

Grundlage dieser Argumentation ist, dass das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion hat und als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.11.1991 —4 StR 366/91, juris Rn. 30, BGHSt 38,125; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30.12.2020 — 1 OLG 53 Ss-OWi 630/20), deren Verhängung bei langer Verfahrensdauer wegen des Zeitablaufes allein oder zusammen mit anderen Umständen nach der gebotenen Einzelfallprüfung als nicht mehr geboten angesehen werden könnte.

b) Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass die Tat am 21.10.2019 begangen wurde und das Urteil am 19.07.2022 ergangen ist; die Tat liegt somit deutlich mehr als zwei Jahre zurück. Den Urteilsgründen ist aber eine Prüfung, ob das Fahrverbot wegen dem Zeitablauf ganz zu entfallen hat, oder ob es lediglich zu mildern ist oder ob andere Umstände nach wie vor die Notwendigkeit der Verhängung eines Fahrverbotes erforderlichen machen, nicht zu entnehmen. Andere Umstände können auch darin zu sehen sein, dass ein Betroffener bzw. sein Verteidiger durch sein prozessuales Verhalten zu einem erheblichen Teil zu einer Verfahrensverzögerung beigetragen hat, indem er etwa mehrfach eine Verlegung des Hauptverhandlungstermins veranlasst oder Verfahrensakten nicht rechtzeitig zurückgibt und darin eine Verzögerungstaktik liegt. Denn in diesem Fall hat der Betroffene die lange Verfahrensdauer selbst zu vertreten und es ist ihm verwehrt, sich bei der Prüfung der Frage eines Absehens von der Verhängung eines Fahrverbotes auf den langen Zeitablauf zu berufen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.2014 — 2 Ss-OWi 1030/14; OLG Frankfurt am Main -2 Ss-OWi 48/06-; Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.; OLG Hamm NZV 2004, 600).

Der Erörterungsmangel zwingt zur Aufhebung des Fahrverbotes. Anders als in der aufgehobenen Entscheidung folgt der Senat nunmehr im Verfahren nach § 33a StPO der Auffassung des 2. Strafsenates, wonach es dem Rechtsbeschwerdegericht im Ordnungswidrigkeitsverfahren versagt ist, eigenständig die Ursachen für eine lange Verfahrensdauer festzustellen, sondern es der Darlegung in den Urteilsgründen bedarf (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.2014 — 2 Ss-Owi 1030114). Da keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen worden sind, konnte der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden.

c) Aufgrund der Wechselwirkung zwischen der — vom Amtsgericht festgesetzten erhöhten – Geldbuße und dem Fahrverbot war das angefochtene Urteil im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.“

OWi I: Rotlichtverstoß auf der Rechtsabbiegespur, oder: Augenblicksversagen des Taxifahrers

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Heute dann wieder Entscheidungen aus dem Bußgeldverfahren.

Zunächst hier zwei Entscheidungen zum Rotlichverstoß (§ 37 StVO), und zwar:

1. Ein Fahrzeugführer, der auf einer Rechtsabbiegerspur bei Rotlicht (schwarzer Pfeil nach rechts) in den Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich einfährt, begeht auch dann einen Rotlichtverstoß, wenn er nicht nach rechts abbiegen will, sondern die Rechtsabbiegerspur nur zum Überholen eines auf der Geradeausspur, für die der Verkehr freigegeben ist, fahrenden Fahrzeugs benutzt und anschließend geradeaus weiterfährt. Dies gilt aber nur dann, wenn er sich im Zeitpunkt des Einfahrens in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich zumindest noch teilweise auf der Rechtsabbiegerspur befindet.

2. Der Einmündungsbereich wird im Falle einer bogenförmig verlaufenden Einmündung durch den Punkt bestimmt, an dem die Geradeausspur und der Beginn der Kurvenkrümmung zusammentreffen.

3. Bei Fahrstreifenmarkierungen mit Pfeilen (Zeichen 297 der Anlage 2 zur StVO) zwischen Leitlinien (Zeichen 340 der Anlage 3 zur StVO) ist es gemäß lfd. Nr. 70 der Anlage 2 zur StVO gestattet, in Abweichung von § 5 Abs. 1 StVO rechts zu überholen.

1. Von der Anordnung eines Fahrverbots beim Rotlichtverstoß kann abgesehen werden, wenn ein atypischer Fall vorliegt, bei dem der Erfolgsunwert verringert ist, insbesondere wenn jede konkrete Gefährdung ausgeschlossen gewesen ist oder eine Verkehrssituation vorliegt, welche die Unaufmerksamkeit des Betroffenen und seine Sorgfaltswidrigkeit im Sinne eines so genannten Augenblicksversagens in einem signifikant milderen Licht erscheinen lassen könnten.

2. Ein Augenblicksversagen kann bei einem „Frühstart“ oder „Mitzieheffekt“ vorliegen. Kein Augenblicksversagen ist anzunehmen, wenn ein ortskundiger Taxifahrer bei Dunkelheit mit unverminderter Geschwindigkeit eine bereits seit Längerem Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage überfährt, weil er diese überhaupt nicht wahrgenommen hat.

 

 

 

 

Rotlichtverstoß III: Fahrverbot beim Rotlichtverstoß, oder: Mietzieheffekt und Augenblicksversagen

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zum Fahrverbot beim Rotlichverstoß, und zwar der OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 31.01.2022 – 3 Ss-OW i 41/22. Es geht um Augenblicksversagen und/oder den sog. Mietzieheffekt. Das AG hat ein Fahrverbot verhängt, das OLG hat keine Bedenken:

„1. Für die festgestellte Ordnungswidrigkeit ist eine Regelgeldbuße von 200 Euro sowie ein Regelfahrverbot von einem Monat nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV, Nr. 132.3 BKat vorgesehen. Die Erfüllung dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel-und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf. Dadurch ist die zur Verhängung des Fahrverbots führende grobe Pflichtverletzung in objektiver und subjektiver Hinsicht indiziert.

Entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers muss daher nicht gesondert geprüft werde, ob ein grober Verstoß im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG vorliegt, sondern allein, ob aufgrund der Umstände des Einzelfalles ein Ausnahmefall gegeben ist, der atypischerweise ein Absehen von der Regelwirkung rechtfertigt (vgl. BGHSt 38, 125, 130 ff. = NZV 1992, 117, 119; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 7).

2. Zutreffend ist das Amtsgericht nicht von einem solchen Ausnahmefall ausgegangen.

Die Indizwirkung für einen groben Verstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG ist durch die im Urteil geschilderten Umstände nicht widerlegt. Das Amtsgericht hat dafür eine auf Tatsachen gestützte Begründung gegeben und die dem Urteil zu Grunde gelegten Ausführungen sind nachvollziehbar und schlüssig (vgl. BGHSt 38, 125, 130 ff. = NZV 1992, 117, 120; OLG Frankfurt aaO, Tz. 8).

a) Bei Vorliegen eines Regelfalles kann nach der Rechtsprechung nur in solchen Fällen von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, in denen der Sachverhalt erhebliche Besonderheiten zugunsten des Betroffenen gegenüber dem Normalfall aufweist (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.08.2010 – 2 Ss-OWi 592/10, BeckRS 2010, 26343). Dafür ist entweder erforderlich, dass schon keinerlei Gefährdung weitere Verkehrsteilnehmer besteht, weil auch eine nur abstrakte Gefährdung völlig ausgeschlossen ist, sodass der Erfolgsunwert erheblich vermindert ist. Somit lässt eine auch nur abstrakte Gefährdung den indizierten Erfolgsunwert eines Rotlichtverstoßes noch nicht entfallen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 27.7.2004 – 1 Ob-OWi 310/04, NZV 2005, 433; KG, Beschl. v. 14.4.2020 – 3 Ws (B) 46/20122 Ss 18/20, BeckRS 2020, 6531 Tz 21 f.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 11 f.). Oder es liegt ein Verstoß von denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert vor. Der Handlungsunwert kann insbesondere durch ein sog. Augenblicksversagen sowie durch den sog. Mitzieheffekt gemindert sein (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.12.2004 – 2 Ss-OWi 411/04, BeckRS 2004, 151752 Tz. 9; Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OW i 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 9 ff.).

b) Weder Erfolgs- noch Handlungsunwert sind hier jedoch derart gemindert, dass das Amtsgericht von einem Ausnahmefall ausgehen musste.

aa) Der Erfolgsunwert ist nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender konkreter Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer erheblich gemindert.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass keinerlei Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer bestand. Unmittelbar vor der sachgegenständlichen Lichtzeichenanlage und auf der anderen Seite der Kreuzung befindet sich ein Fußgängerüberweg, weshalb die Lichtzeichenanlage auch für den Schutz von Fußgängern gedacht ist. Daneben kreuzt an dieser Stelle die Straße1 die Straße2. Die Lichtzeichenanlage dient hier demnach dem Schutz eines Querverkehrs und hat nicht ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion. Demnach ist es allein schon aufgrund dieser Straßenlage nicht auszuschließen, dass durch das Überqueren der Kreuzungsanlage Rechtsgüter weiterer Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Dies ergibt sich insbesondere vor dem Hintergrund der Uhrzeit. Der Sachverhalt trug sich zur Mittagszeit um 13:28 Uhr zu. Um diese Tageszeit ist erfahrungsgemäß Verkehr nicht nur rudimentär vorhanden. Plötzlich noch die Fahrbahn betretende, vielleicht sogar rennenden Fußgänger, unter Umstände unachtsame Fahrradfahrer oder ebenso Kraftfahrzeuge können jederzeit auftreten. Selbst bei langsamer Einfahrtsgeschwindigkeit hätten andere Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen können; das gilt erst Recht bei jemandem, der so unaufmerksam ist, dass er schon das Haltegebot der Lichtzeichenanlage nicht beachtet.

bb) Auch der Handlungsunwert ist nicht derart gering, dass ein Ausnahmefall anzunehmen ist.

Das Amtsgericht ist überzeugend nicht von einem reinen kurzfristigen Versagen ausgegangen, dass den Handlungsunwert des Verstoßes als weniger gravierend erscheinen ließe. Nach den Feststellungen des Amtsgerichtes fuhr der Betroffene drei Sekunden auf die gelb zeigende und 1,1 Sekunde auf die rot zeigende Lichtzeichenanlage zu. Ein Augenblicksversagen setzt hingegen eine nur kurze Unaufmerksamkeit voraus, weshalb der Verstoß dann nicht auf grober Nachlässigkeit, Rücksichtslosigkeit oder Verantwortungslosigkeit beruht. Bei einer Zeitspanne von 4,1 Sekunden scheidet dies aus, da aufgrund der erheblichen Zeitspanne nicht mehr nur von einer kurzen Unaufmerksamkeit ausgegangen werden kann. Besondere Gründe, warum auch bei dieser erheblichen Zeitspanne von einem Augenblicksversagen auszugehen wäre, sind nach den Feststellungen nicht ersichtlich.

Das Amtsgericht ist zutreffend nicht von einer Verringerung des Handlungsunwerts aufgrund eines Mitzieheffektes ausgegangen. Ein kann dann vorliegen, wenn der Betroffene zuerst ordnungsgemäß an der Lichtzeichenanlage anhält und erst anschließend infolge einer auf einem Wahrnehmungsfehler über die Lichtzeichenanlage und einer Unachtsamkeit, indem er sich durch die vor ihm fahrenden Fahrzeuge in die Kreuzung hineinziehen lässt, trotz fortdauernden Rotlichts in die Kreuzung einfährt.

Einen solchen Ausnahmefall hat das Amtsgericht jedoch mit nachvollziehbarer Begründung abgelehnt. Richtig ist, dass der Betroffene zunächst vor der Lichtzeichenanlage ordnungsgemäß anhielt. Der Betroffene konnte jedoch nicht darlegen, warum er anschließend 4,1 Sekunden mit verringertem Handlungsunwert nicht in der Lage gewesen sein soll, den von ihm gesteuerten Omnibus noch vor der Kreuzungseinfahrt zum Halten zu bringen. Ein dahingehender Wahrnehmungsfehler über die Lichtzeichenanlage z.B. aufgrund besonderer Wetter- oder Witterungsverhältnisse o.ä., ist nicht festgestellt; die Tatsache, dass es zur Tatzeit nass gewesen ist, begründet für sich genommen keinen Wahrnehmungsfehler. Eine nasse Fahrbahn hat zwar Auswirkungen auf die Fahreigenschaften eines Kraftfahrzeuges, jedoch nicht unbedingt auf die Möglichkeit der Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens. Weiter erschließt sich auf Grundlage der Feststellungen nicht, inwieweit gerade die vorausfahrenden Fahrzeuge den Betroffenen in die Kreuzung hineingezogen haben sollen.

3. Die berufliche Situation des Betroffenen rechtfertigt auf der Rechtsfolgenseite für sich allein nicht das Absehen von einem Fahrverbot.“

Passt wohl, aber warum man dazu so viel schreiben muss……