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Die Kuh ist vom Eis – BGH: Bezugnahme auf „Videofilme“ geht nicht

Gerade noch der 5. Strafsenat des BGH die Frage der Zulässigkeit einer Bezugnahme auf einen Videofilm offen gelassen (vgl. hier und hier), da kommt der 2. Strafsenat mit einer für BGHSt bestimmten Entscheidung und klärt das Problem, das auch im OWi-Verfahren Bedeutung hat(te), nämlich: Kann gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf einen Videofilm Bezug genommen werden?

Der BGH, Beschl. v. 02.11.2011 – 2 StR 332/11 verneint das:

„cc) Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings die an mehreren Stellen des Urteils vorgenommene Verweisung „wegen der weiteren Einzelheiten … der Videoaufzeichnung … auf die bei den Akten befindliche CD-ROM“. In der Verweisung auf ein elektronisches Speichermedium als solches liegt keine wirksame Bezugnahme im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (vgl. auch OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 89; DAR 2005, 635; OLG Schleswig SchlHA 1997, 170; a.A. OLG Dresden NZV 2009, 520; OLG Zweibrücken VRS 102, 102 f.; KG VRS 114, 34; OLG Bamberg NZV 2008, 469). Nach dieser Vorschrift darf wegen der Einzelheiten auf (nur) „Abbildungen“ verwiesen werden, die sich bei den Akten befinden.

Abbildungen sind Wiedergaben der Außenwelt, die unmittelbar durch den Gesichts- oder Tastsinn wahrgenommen werden können (Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 267 Rn. 9; Fischer StGB 58. Aufl. § 11 Rn. 37). In seiner Sprachbe-deutung als „bildliches Darstellen“ (Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl. 2011 S. 78) erfasst der Begriff vor allem statische bildliche Wiedergaben wie Fotografien, gemalte Bilder, Zeichnungen, Skizzen, Landkarten, technische Diagramme, grafische Darstellungen und Statistiken (vgl. Duden – Das Syno-nymwörterbuch – 5. Aufl. 2010 S. 32). Ob sich der Wortsinn auch auf Filme  oder Filmsequenzen erstreckt, die in einer kontinuierlichen Abfolge einer Viel-zahl von visuellen Eindrücken den Ablauf eines Geschehens dokumentieren, mag bereits zweifelhaft erscheinen. Dagegen könnte auch sprechen, dass der Gesetzgeber § 11 Abs. 3 StGB, der bereits den Begriff der „Abbildungen“ enthielt, durch Art. 4 Nr. 1 luKDG um den Begriff des „Datenspeichers“ erweitert hat, der auch CD-ROMs erfassen soll (vgl. BT-Drucks. 13/7385 S. 36). Selbst wenn man von dem Begriff – etwa im Kontext von § 184 StGB – grundsätzlich auch Filme umfasst sieht (Fischer aaO), setzt eine Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO aber voraus, dass diese selbst Aktenbestandteil geworden sind. Dies ist jedenfalls bei auf elektronischen Medien gespeicherten Bilddateien nicht der Fall. Bei diesen wird nicht der Film als solcher und damit das durch das menschliche Auge unmittelbar wahrnehmbare Geschehen, Bestandteil der Akten, sondern es bedarf für die Wahrnehmung der Vermittlung durch das Speichermedium sowie weiterer technischer Hilfsmittel, die das Abspielen er-möglichen.

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO eine Öffnung für Bezugnahmen in den Urteilsgründen nur in „einer vorsichtigen, die Verständlichkeit des schriftlichen Urteils nicht beeinträchtigenden Form“ (BT-Drucks. 8/976 S. 55) ermöglichen wollte. Bei Bezugnahmen auf Speichermedien mit – unter Umständen mehrstündigen – Videoaufnahmen wären die Urteilsgründe dagegen nicht mehr aus sich heraus verständlich. Darüber hinaus ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, das Urteil möglicherweise tragende Umstände selbst an passender Stelle herauszufinden und zu bewerten; bei ei-nem solchen Vorgehen handelt es sich nicht mehr um ein Nachvollziehen des Urteils, sondern um einen Akt eigenständiger Beweiswürdigung, der dem Revi-sionsgericht verwehrt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2011, 5 StR 355/11). Dies gilt nicht nur für pauschale, sondern auch für Bezugnahmen, welche die Sequenz auf dem Speichermedium konkret bezeichnen und eingrenzen.

Zwar ist die Videoaufzeichnung damit nicht Bestandteil der Urteilsgründe geworden. Indes beruht das Urteil nicht auf dem Rechtsfehler. Die Gründe enthalten auch ohne die ergänzenden Verweisungen eine aus sich heraus ver-ständliche Beschreibung und Würdigung des sich aus den Filmaufnahmen ergebenden Geschehens, die eine umfassende Beurteilung ihres Aussagegehaltes durch den Senat ermöglicht. Die von der Revision unter Hinweis auf das Überwachungsvideo geltend gemachten Lücken und Widersprüche sind urteilsfremd.“

Was erstaunt: Es kam nicht darauf an, aber der Senat hat es doch entschieden. Anders als der 5. Strafsenat hat der 3. Strafsenat nicht „gekniffen“.

Fahrverbot – Urteilsgründe – Wie müssen sie beschaffen sein?

Die letzte Station, ggf. eine Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils zu erreichen, das den Betroffenen zu einem Fahrverbot verurteilt, sind häufig fehlerhafte = lückenhafte (§ 267 StPO) Urteilsgründe. Eine besondere, für manchen Verteidiger auch überraschende Rolle, spielt dabei die Frage, wie konkret sich der Amtsrichter mit der Frage der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße auseinandersetzen muss. Eine Problematik, die Anfang der 90iger Jahre eine größere Rolle gespielt hat und dann ein wenig in Vergessenheit geraten ist.

Nun hat sie das OLG Hamm, Beschl. v. 01.07.2011 – III 1 RBs 99/11 wieder hervorgeholt. Das OLG weist – wie auch schon die Rechtsprechung in der Vergangenheit – darauf hin, dass der Tatrichter bei der Anordnung eines Regelfahrverbots die Möglichkeit, vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße absehen zu können, nicht ausdrücklich ansprechen muss, wenn es sich bei der Tat um einen besonders schweren Verstoß handelt. Insoweit nichts Neues, aber man muss in geeigneten Fällen an diese Nuance denken und prüfen, ob das Urteil ggf. Ausführungen dazu enthalten muss. Nach Auffassung des OLG bemisst sich die Schwere des Verstoßes im Übrigen nicht nur anhand des Maßes der Geschwindigkeitsüberschreitung, sondern auch anhand der im Einzelfall gegebenen Verkehrs- und Messsituation.

Also: Nicht unbedingt der „Messsieger“ liegt vorn.