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Bestehen auf Erscheinen in der HV – Besorgnis der Befangenheit

Eine in der Praxis gar nicht so seltene Konstellation: Der Amtsrichter lehnt den Antrag des Betroffenen vom Erscheinen in der HV entbunden zu werden (zweimal) ab. Der Betroffene gibt sich damit nicht zufrieden und reagiert mit einem Befangenheitsantrag. Und der hatte beim AG Fulda Erfolg. Dieses sagt in AG Fulda, Beschl. v. 15.08.2011 – 25 OWi. – 34 Js 1906/11:

Die Ablehnung der Richterin ist zulässig und begründet (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 24 StPO).

Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO besteht nunmehr. Dem Antrag eines Betroffenen, ihn von der Teilnahme zu entbinden, wenn er die Fahrereigenschaft eingeräumt aber angekündigt hat, nichts weiter auszusagen, ist grundsätzlich zu entsprechen. Im vorliegenden Fall war zunächst zwar von einem wankelmütigen Betroffenen auszugehen, dessen persönliche Vernehmung sogar vom Unterbevollmächtigten im Termin am 18.5.2011 ausdrücklich beantragt worden war. Nachdem aber mit Schreiben vom 30.6.2011 erneut die Entbindung der Pflicht zum persönlichen Erscheinen beantragt wurde, war diesem Antrag zu entsprechen (OLG Stuttgart, 12.4.2007, 4 Ss 163/2007, zitiert nach Juris). Die Richterin konnte jetzt nämlich nicht mehr davon ausgehen, dass sich der Betroffene vielleicht doch noch zu einer ergänzenden Aussage entschließen würde. Seine Anwesenheit kann nicht erzwungen werden. Wenn nach dem bisherigen Verfahrensverlauf die Richterin dennoch auf einem Erscheinen in der Hauptverhandlung besteht, kann dies auch bei einem besonnenen Angeklagten den Eindruck erwecken, die Richterin wolle ihn durch die erzwungene Anwesenheit zu einer weitergehenden Aussage oder aber wegen des weiten Weges zu einer Einspruchsrückname veranlassen.“

Ähnlich hatte im vergangenen Jahr bereits das AG Recklinghausen entschieden.

Wer austeilt, muss auch einstecken können, oder: Nun mandeln Sie sich doch nicht so auf.

Ich will jetzt nicht auch wie die Kollegin Rueber über Sprichwörter berichten (vgl. z.B. hier), allerdings fiel mir bei der Lektüre des Beschl. des BGH v. 03.11.2010 – 1 StR 500/10 sogleich das mit den Steinen und dem Glashaus ein :-).

Wenn man den Sachverhalt liest, ist man schon erstaunt. Da äußert der Verteidiger – so sieht es der BGH – gegenüber der Staatsanwältin am ersten Haupverhandlungstag „sie solle doch nicht dümmer tun, als sie tatsächlich sei“, was nun nicht unbedingt zur Klimaverbesserung beiträgt. :-). Dann gibt es Streit um die Aushändigung/Anfertigung von Kopien, in dessen Verlauf der Vorsitzende zum Verteidiger sagt: „„Jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf. Sie kriegen jetzt keine Kopie“ (so in der Revisionsbegründung) oder „er – der Verteidiger – solle sich nicht so aufmandeln“ (so in der dienstlichen Stellungnahme des Strafkammervorsitzenden).“ Was macht der BGH?

Er führt zu dem auf das „Mandeln“ gestützte Ablehnungsgesuch aus:

Die Verwendung des Begriffs „aufmandeln“ seitens des Vorsitzenden der Strafkammer (beim Landgericht Kempten) gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten vermag hier den Eindruck der Befangenheit nicht zu begründen. Dieser Begriff wird im bayerischen Sprachraum häufig gebraucht. Er ist abgeleitet von der bayerischen Verkleinerungsform für Mann (Mandl). „Mandeln Sie sich nicht so auf“ beinhaltet zwar eine gewisse Kritik (etwa: spielen Sie sich doch nicht so auf). Gerade durch die Verwendung der lokalen Sprachform wird dem Vorwurf aber die Schärfe genommen. Dementsprechend erklärte auch der Vorsitzende in seiner dienstlichen Stellungnahme, er habe mit der „Verwendung des freundlich bleibenden und hier nicht ungebräuchlichen Ausdrucks“ nur weiteres „unnötiges Insistieren“ verhindern wollen. Diese Erläuterung in der dienstlichen Erklärung ist für sich schon geeignet, ursprüngliches Misstrauen zu beseitigen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2002 – 1 StR 557/01). Im Übrigen kann der tadelnde Hinweis „nun mandeln Sie sich doch nicht so auf“ oder „jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf“ vor dem Hintergrund des von der Strafkammer in ihrem Beschluss über die Zurückweisung des Befangenheitsantrags geschilderten Prozessverhaltens des Verteidigers nur als eine auf bayerisch eher zurückhaltend formulierte Bitte um Respektierung des Rechts und der Pflicht des Strafkammervorsitzenden, die Verhandlung zu leiten (§ 238 Abs. 1 StPO), sowie um Wahrung des – auch standesrechtlich geforderten (§ 43a BRAO) – Gebots der Sachlichkeit verstanden werden.

Wie gesagt: Wer austeilt, muss auch einstecken können…

Zweimal Entbindungsantrag abgelehnt – Besorgnis der Befangenheit begründet

M.E. werden in der Praxis die Vorschriften der §§ 73, 74 OWiG häufig dazu missbraucht, eine Rücknahme des Einspruchs „anzuregen“ bzw. dessen Verwerfung vorzubereiten, indem nicht selten begründete Entbindungsanträge des Betroffenen abgelehnt werden mit der Begründung, die Anwesenheit des Betroffenen in der HV sei erforderlich. Zu der Problematik, wann das der Fall ist, oder wann der Betroffene von seiner Anwesenheitspflicht entbunden werden muss, gibt es eine umfangreiche oberlandesgerichtliche Rechtsprechung, die in Zusammenhang mit dem sog. Verwerfungsurteil steht.

Sehr schön jetzt dazu ein Beschl. des AG Recklinghausen v. 30.08.2010 – 29 OWi-56 Js 81/10-12/10. Dort hatte der Betroffene Einspruch eingelegt, bei dem es offenbar erkennbar nur um die Frage der Videomessung ging, also eine Rechtsfrage. Im Übrigen war aber wohl damit zu rechnen, dass der Betroffene zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen pp. keine Angaben machen würde. Jedenfalls hatte er zwei Entbindungsanträge gestellt, die das AG abgelehnt hat. Dagegen dann der Befangenheitsantrag, der beim AG dann durchging. Das AG führt aus:

Hat der Betroffene durch zwei Anträge auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen zu erkennen gegeben, dass er von der Möglichkeit, sich nicht zur Sache einzulassen, Gebrauch machen will und ist in der Hauptverhandlung nur noch eine Rechtsfrage zu erörtern, erscheint die Aufrechterhaltung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des 570 km entfernt wohnenden Betroffenen aus Sicht eines Außenstehenden unverhältnismäßig und geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter zu begründen.“

M.E. zutreffend.