Schlagwort-Archive: § 238 StPO

Aufmucken in der Hauptverhandlung – lieber einmal mehr…

Der BGH, Beschl. v.10.01.2012 –  5 StR 508/11 ist wieder mal ein schöne Beweis für die/meine Behauptung, dass in der Hauptverhandlung Schweigen des Verteidigers häufig nicht Gold ist, sondern nur Silber. Denn, wenn der Verteidiger in verfahrensrechtlichen Situationen, in denen es um Fragen der sog. Verhandlungsleitung des Vorsitzenden schweigt, wird es häufig mit der Verfahrensrüge in der Revision schwierig. Denn ist nicht gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet und ein Beschluss des Gerichts herbeigeführt worden, fehlt es an den Voraussetzungen des § 338 Nr. 8 StPO.

Dazu der BGH, Beschl.:

„Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge eines Fairnessverstoßes ist unzulässig. Der erst nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft erteilte Hinweis des Landgerichts auf veränderte Konkurrenzen hätte, wenn die Verteidigung ihn als verspätet beanstanden wollte, einen Zwischenrechtsbehelf erfordert: Die als Maßnahme der Verhandlungsleitung unmittelbar danach ergangene Aufforderung an den Verteidiger, den Schlussvortrag zu halten, wäre gemäß § 238 Abs. 2 StPO zu beanstanden gewesen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 238 Rn. 22), anstatt – wie geschehen – widerspruchslos den Schlussvortrag zu halten. „

Allerdings: Wenn die Rechtsprechung an immer mehr Stellen den Widerspruch/Zwischenrechtsbehelf verlangt, dann darf man sich nicht beklagen, dass die Hauptverhandlungen so unruhig werden/sind. Der Verteidiger hat dann keine andere Wahl.

Immer wieder übersehen wird § 238 Abs. 2 StPO…

wenn nicht in der Hauptverhandlung, dann aber häufig im Rahmen der Begründung der Verfahrensrüge. Denn da wird häufig vergessen vorzutragen, dass in der Hauptverhandlung der erforderliche (§ 338 Nr. 8 stPO) Gerichtsbeschluss gem. § 238 Abs. 2 StPO eingeholt wurde. Ergebnis: Die Verfahrensrüge ist nicht zulässig begründet (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

So auch mal wieder in BGH, Beschl. v. 08.06.2011 -1 StR 126/11.

Die Krux mit § 238 Abs. 2 StPO – oder: Wird er übersehen, tritt irreparabler Schaden ein

Eine, wenn nicht die für die Revision wesentliche Vorschrift ist § 238 Abs. 2 StPO – also die Beanstandung einer Maßnahme des Vorsitzenden, um den für die Revisionsrüge des § 338 Nr. 8 StPO erforderlichen Gerichtsbeschluss herbeizuführen.

Man kann es kurz und knapp fassen: Ohne Beanstandung kein Beschluss und damit keine in dem Punkt erfolgreiche Revision. Das macht (mal wieder) der Beschl. des BGH v. 14.12.2010 – 1 StR 422/10 deutlich, in dem es um ein Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) ging. Es waren die Maßnahmen des Vorsitzenden, die damit zusammenhingen, nicht beanstandet worden, damit hatten die darauf gestützten Revisionsrügen keinen Erfolg.

Der Beschluss ist zudem auch noch aus einem anderen Grund interessant. Man sollte ja meinen, dass ein Selbstlesevefahren nur in Betracht kommt, wenn der Angeklagte auch lesen kann. Muss er aber nicht können. Und: Der BGH führt aus, wie man Selbstleseverfahren gestalten kann.

Der Gang der Hautpverhandlung – warum/was ist bei Kachelmann anders?

„Gang der Hauptverhandlung, Allgemeines“ heißt in meinem „Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung“ ein Stichwort. Ich räume ein, ich habe dem bislang nicht so ganz große Bedeutung beigemessen: Das kann sich jetzt aber vielleicht ändern, wenn man sich das Verfahren Kachelmann ansieht.

Gestern die Verlesung der Anklage, die (nicht erfolgte) Einlassung des Angeklagten = Verlesung seiner Angaben beim Haftrichter, und dann der Streit über den weiteren Gang der Hauptverhandlung. Denn normal – aber was ist schon normal – wäre es, wenn sich nun die Vernehmung des potenziellen Tatopfers anschließen würde, das wäre der normale Gang. Der liegt m.E. i.d.R. auch im Interesse des Angeklagten, der einen Anspruch darauf hat, ggf. möglichst schnell frei gesprochen zu werden, wenn man dem Tatopfer nicht glaubt, aber dieser Gang liegt auch im Interesse des Tatopfers, das dann die vor ihm liegende Belastung durch die Zeugenaussage schneller hinter sich hat.

Von diesem Gang wird nun abgewichen und es werden zunächst die Vernehmungsbesamten, die das Opfer zuerst vernommen haben, gehört und der Haftrichter. Und dann – man ist erstaunt – 10 ehemalige Freundinnen von Kachelmann – so meldet es wenigstens dpa in unserer Tageszeitung (vgl. aber auch hier). Das erschließt sich mir nun wirklich nicht. Was sollen deren Angaben denn für den Vorwurf der Vergewaltigung einer anderen Frau bringen? Etwa die Überlegung, dass K. bestimmte Praktiken nicht wesensfremd sind, woraus man ggf. Rückschlüsse ziehen will? Aber die Praktiken und das, was passiert sein soll, kennt man doch noch gar nicht. Das erfährt man ggf. doch erst durch die Vernehmung des Opfers, wenn überhaupt. Das eigentliche Tatgeschehen liegt doch bis dahin im Wesentlichen im Dunkeln, es sei denn die Kammer hinterfragt schon mal das, was man in den vergangenen Monaten alles in der Presse hat lesen können. :-(. Der zuständige Staatsanwalt hat für den späten Vernehmungstermin als Begründung angeführt, dass ein Gutachter, der die Aussage des mutmaßlichen Opfers bewerten solle, bis zum 13.10.2010 verhindert sei. Ok, das kann ein Grund für die spätere Vernehmung eines Zeugen sein. Aber, tatsächlich auch hier: Denn man muss sich doch fragen, ob der Gutachter, wenn er ein vernünftiges Gutachten erstatten soll/will, dann nicht die gesamte Beweisaufnahme mit erleben muss, nicht nur die 10 ehemaligen Freundinnen, sondern vor allem auch die Vernehmung der „Erstvernehmungsbeamten“, da sich ja gerade aus deren Angaben Anhaltspunkte für die Glaub- oder Unglaubhaftigkeit des mutmaßlichen Opfers ergeben können. An deren Vernehmung nimmt der Guachter dann aber wohl nicht teil.

Alles in allem: Der „Gang der Hauptverhandlung“ ist für mich – auf der Grundlage der Informationen, die ich habe – nicht so recht nachvollziehbar. Man erkennt nicht so richtig, was dahintersteckt. Mir ist auch unverständlich, warum die Kammer die Abweichungen vom normalen Gang nicht in öffentlicher HV erörtert und erläutert. So könnte man doch dem Eindruck, der entstanden ist, man wolle erst mal durch die Vernehmung der 10 Ex-Freundinnen Stimmung machen, entgegenwirken.

Im Übrigen: Mir ist klar, dass der Vorsitzende und ggf. das Gericht (§ 238 Abs. 2 StPO) die Reihenfolge der Zeugenvernehmungen bestimmt. Es wird auch nicht ganz einfach sein, aus einer Abweichung von der „normalen Reihenfolge“ Munition für die Revision ziehen zu können. Grds. möglich ist es aber (vgl. § 338 Nr. 8 StPO).

Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

Zum Thema auch noch hier, hier und hier, und es gibt noch mehr. Man kann nicht alles lesen.

Ich sage es ja immer: Revisionen werden in der Instanz gewonnen…

zumindest aber dort vorbereitet, sonst wird es mit dem Ertfolg nichts.

Ein schönes Beispiel ist m.E. der Beschl. des BGH v. 27.04.2010 – 1 StR 155/10. Zumindest zwei der dort vom BGH angesprochenen vier Punkte gehen auf Versäumnisse in der Hauptverhandlung zurück. Einmal hat der Verteidiger die Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO übersehen, die auch bei dem Streit um ein Auskunftsverweigerungsrecht gilt, und einmal war der Beweisantrag wohl nicht so schön formuliert. Na ja, ob es, wenn der Verteidiger das beachtet hätte, gereicht hätte,…