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Bundesratsinitiative zur Ausdehnung des § 229 StPO, oder: Kein Fristenlauf in Fällen höherer Gewalt

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Und als zweites Posting dann hier der Hinweis darauf, dass es eine Bundesratsinitiative zur Ausdehnung des § 229 StPO gibt.

Die Bundesländer haben nämlich am 07.10.2022 im Bundesrat eine Entschließung zur Änderung der StPO in Form der Erweiterung der Hemmungstatbestände in § 229 StPO um die Fälle der höheren Gewalt verabschiedet (vgl. BR-Drucks. 402/22). Darin fordert der Bundesrat, dass die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO auch in Fällen höherer Gewalt nicht laufen. Darunter sollen insbesondere Seuchen und Katastrophen fallen. Gelten soll dies unabhängig davon, ob die Hauptverhandlung bereits zehn Tage gedauert hat. Anstelle einer zeitlich befristeten Regelung, die es für die Corona-Zeit gab und die sich bewährt habe, sei eine dauerhafte Lösung geboten. Die geltenden Vorgaben würden auch den Fall einer Quarantäne nicht erfassen, weil es sich dabei lediglich um den Verdacht einer Krankheit und nicht um eine tatsächliche Krankheit handele. Weitere denkbare Anwendungsfälle für „höhere Gewalt“ seien Sperrungen des Luftraumes, wie es sie z.B. aufgrund der Aschewolke des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010 oder aufgrund von Terroranschlägen bereits gegeben habe.

Man darf gespannt sein, wie die Bundesregierung auf diese Initiative reagieren wird. M.E. ist an der Stelle Vorsicht geboten. Denn im Ergebnis führen solche Hemmungen zu einer Ausdehnung und Zerstückelung der Hauptverhandlung.

Dauerbrenner: Schiebetermin

Auch so ein verfahrensrechtlicher Dauerbrenner, mit dem sich der BGH, Beschl. v. 07.04.2011 – 3 StR 61/11 befasst: der Schiebetermin i.S. des § 229 StPO. Dazu heißt es im Beschluss:

Die zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO greift durch. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Hauptverhandlung, die in der Zeit vom 28. Juli 2010 bis zum 7. September 2010 an drei Verhandlungstagen durchgeführt wurde, nach der Unterbrechung am ersten Verhandlungstag, dem 28. Juli 2010, in dem ‚8-minütigen Kurztermin‘ vom 18. August 2010 ‚lediglich in einem formalen Sinne und gleichsam zum Schein fortgesetzt‘ worden sei (RB S. 28).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1952, 1149; 1996, 3019, 3020; 2006, 3077; NStZ 2000, 212, 214; 2008, 115; BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1, 3-6; vgl. auch Becker in LR StPO 26. Aufl. § 229 Rdnr. 10, Gmel in KK StPO 6. Aufl. § 229 Rdnr. 6 und Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 229 Rdnr. 11, jeweils m.w.N.) ist ein Fortsetzungstermin nur dann geeignet, die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 oder 2 StPO zu wahren, wenn in ihm zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird. Dabei genügt bereits jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente (BGH NJW 2006, 3077; NStZ-RR 1998, 335). Nicht ausreichend sind dagegen so genannte (reine) ‚Schiebetermine‘, welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (BGH NStZ 2008, 115). Unzulässig ist es darüber hinaus, einheitliche Verfahrensvorgänge, insbesondere Beweisaufnahmen, willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zu zerstückeln und diese auf mehrere Verhandlungstage zu verteilen, nur um hierdurch die gesetzlichen Unterbrechungsfristen einzuhalten (BGH a.a.O.).

Ausgehend von diesen Maßstäben stellt der Hauptverhandlungstermin vom 18. August 2010 lediglich einen unzulässigen Schiebetermin dar. Zwar ist die Durchführung der Beweisaufnahme, zu dem die auf § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO beruhende Verlesung des Durchsuchungsberichts sowie des zugehörigen Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokolls gehört, grundsätzlich eine Verhandlung zur Sache und demnach geeignet, die Unterbrechungsfrist aus § 229 Abs. 1 StPO zu wahren (vgl. BGH NJW 2006, 3077, 3078). Auch steht die relativ kurze Dauer des Termins seiner Eignung zur Fristunterbrechung nicht entgegen (BGH a.a.O.). Im vorliegenden Fall diente der auf den Nachmittag verschobene Termin vom 18. August 2010 jedoch allein der Einhaltung der Unterbrechungsfrist, was unzulässig ist.