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Werbung II: Werbung mit einem Fachanwaltstitel, oder: Wo „IT-Recht“ drauf steht, muss „IT-Recht“ drin sein

Werbung, Marketing

Die zweite „Werbeentscheidung“, das LG Düsseldorf, Urt. v. 01.02.2023 – 12 O 350/22, behandelt die Werbung eines „IT-Rechts“-Kollegen. Gegen den hatte ein anderer Rechtsanwalt, der Inhaber des Fachanwaltstitels für Informationstechnologierecht war/ist, unter dem Gesichtspunkt der Irreführung einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht. Das LG Düsseldorf hat die einstweilige Verfügung erlassen und dann auf den Widerspruch des Antragsgegners bestätigt.

Zum Sachverhalt: Der in Anspruch genommene Kollege ist europäischer Rechtsanwalt, der nach § 2 EuRAG in die für den Ort seiner Niederlassung zuständigen RAK aufgenommen wurde und berechtigt ist, in Deutschland unter der Berufsbezeichnung seines Herkunftsstaates die Tätigkeit eines Rechtsanwaltes auszuüben. Auf seiner Internetseite heißt es unter der Rubrik „Internetrecht/IT-Recht/Online-Recht:“ u.a.: „Beratungsfelder unserer Rechts- und Fachanwälte IT-Recht“.

Der Antragsteller hat den Antragsgegner mit E-Mail vom 21.10.2022 aufgefordert, ihm gegenüber den Nachweis über die Existenz von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in seiner Kanzlei, die Inhaber eines entsprechenden Fachanwaltstitels für IT-Recht sind, zu führen. Der Antragsgegner reagierte nicht. Mit Schreiben vom 09.11.2022 mahnte der Antragsteller den Antragsgegner wegen der vorgenannten getätigten Werbeaussage dann anwaltlich ab.

Das LG hat dann mit Beschluss vom 28.11.2022 dem Antragsgegner untersagt: „im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken auf der Internetseite S mit der folgenden Behauptung zu werben: „Beratungsfelder unserer (…) Fachanwälte IT-Recht“, sofern in der Kanzlei des Antragsgegners nicht tatsächlich Fachanwälte und/oder Fachanwältinnen für IT-Recht mit dem entsprechenden Fachanwaltstitel beschäftigt sind, wenn dies wie in Anlage AS 3 wiedergegeben geschieht.“

Das hat es dann im Urteil bestätigt:

„Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 28.11.2022 ist zu bestätigen. Auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung ergibt sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Unterlassungsanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner aus §§ 8 Abs. 1, 3, 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG.

Zwischen den Parteien besteht ein Wettbewerbsverhältnis auch in räumlicher Hinsicht. Beide Parteien sind Anwälte, die sich schon deshalb in räumlicher Hinsicht im Wettbewerb begegnen, weil der Antragsteller unstreitig überregional tätig ist. Insoweit kann offen bleiben, inwieweit dies hinsichtlich des Antragsgegners auch zutrifft. Die angegriffene Aussage auf der Internetseite des Antragsgegners täuscht im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG über die tatsächlichen Verhältnisse in der Kanzlei des Antragsgegners. Aus der angegriffenen Aussage „Beratungsfelder unserer (…) Fachanwälte IT-Recht“ ergibt sich unzweifelhaft, dass in der auf der Internetseite beworbenen Kanzlei des Antragsgegners mehrere Fachanwälte für IT-Recht tätig sind. Unstreitig ist in der Kanzlei jedenfalls derzeitig kein Fachanwalt für IT-Recht tätig. Auch soweit der Antragsgegner über externe Berater verfügt, ist die Werbung mit der Aussage „Beratungsfelder unserer Fachanwälte“ irreführend.“

Tja: Wo „IT-Recht“ drauf steht, muss natürlich auch „IT-Recht“ drin sein. Gilt dann aber nicht nur für „IT-Recht“.

Werbung I: Focus-Siegel „Top-Mediziner“ irreführend, oder: Lasset die „Do ut Des-Spiele“ beginnen

Ranking, Top 10

Heute mache ich im „Kessel Buntes“ mal Werbung, aber nicht „mal wieder“ für meine Bücher – obwohl ich dafür auch werben könnte <<Werbemodus an>> zur Bestellseite geht es hier <<Werbemodus aus>> 🙂 , sondern ich stelle zwei Entscheidungen vor, die sich mit Werbung befassen.

Und ich beginne mit dem LG München I, Urt. v. 13.02.2023, Az. 4 HK O 14545/21. Das ist das „Focus-Siegel-Urteil“. Das ist schon etwas älter. Und es betrifft Ärzte. M.E. dürfte es aber auch für andere Berufsfruppen gelten, also auch für Rechtsanwälte.

Ich habe bewusst bisher noch nicht über das Urteil berichtet – an anderen Stellen konnte man aber schon dazu nachlesen. Ich wollte auf den gegebenen Anlass warten. Und der ist nun da und weitere werden sicherlich folgen. Derzeit liest man nämlich viel über eine „Stern-Liste“ und die nächste „Focus-Liste“ für Rechtsanwälte wird sicherlich folgen, die Liste „Deutschlands Top-Anwälte“ oder so ähnlich.. Und vorher wird es sicherlich auch wieder einen „Focus-Aufruf“ geben, der dann dazu führen wird, dass in den sozialen Netzwerken an manchen Stellen wieder das (ermüdende) Spiel „do ut des“ beginnt, also: „Meldest du mich, melde ich dich“ oder: „Meldest du mich im IT-Recht, melde ich dich im Strafrecht“. Ich kann das nicht so richtig nachvollziehen, weil ich mich immer frage, was ist eigentlich eine Bewertung wert, die ggf. unter solchen Umständen erfolgt ist bzw. zum Erfolg geführt hat, dass man nämlich auf der Liste steht? In meinen Augen zumindest nicht viel. In meinen Augen ist das weitgehende nur Geschäftemacherei vom Focus, der sich das Verwenden des „Focus-Siegels“ ja (teuer) bezahlen lässt. Früher waren das man 7.500 EUR (vgl. hier Die spinnen, die vom Focus…., oder: Was man mit 7.500 € alles machen kann). Was es heute kostet, weiß ich nicht.

Nun, langer Rede kurzer Sinn, oder: Dazu passt dann das LG München I-Urteil. Entschieden worden ist mit dem Urteil über die Unterlassungsklage eines Verbraucherschutzverbands betreffend die Verleihung und Veröffentlichung  des „Ärzte-Siegel“ des Focus). Beanstandet worden ist vom Verbraucherschutzverband, dass der Focus-Verlag gegen Entgelt – an Ärzte und Ärztinnen – Siegel verleiht, die sie dafür als „Top Mediziner“ auszeichnen oder eine „Focus Empfehlung“ ausweisen. Einmal im Jahr erscheint im Focus dann eine „Ärzteliste“. Und wer ein Entgelt von rund 2.000 EUR bezahlt, erhält ein Siegel unter der Rubrik „Focus Empfehlung“, das werblich genutzt werden kann.

Nach Auffassung des LG verstößt die Vergabe dieser Siegel  gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot:

„1. Die Beklagte verstößt durch die Vergabe der Siegel, die nach ihrem eigenen Vortrag von den Ärzten werblich genutzt werden sollen, gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsgebot des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG.

Mit den Siegeln wird bei deren angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt, dass die betreffenden Ärzte, die als „TOP-Mediziner“ bezeichnet bzw. als … Empfehlung“ angepriesen werden, aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet wurden und dadurch eine Spitzenstellung unter den Ärzten gleicher Fachdisziplin einnehmen.

Die von der Beklagten gegen Bezahlung einer nicht unerheblichen sog. Lizenzgebühr vergebenen Siegel haben die Aufmachung eines Prüfzeichens und werden in den vorgelegten Medien auch als solche werbend verwendet (vgl. etwa die Werbung gemäß Anlage K 9, Seite 1 der Anlage K 1 und die Rückseiten der Anlagen K 1 und K 2). Dies wird letztendlich auch von der Beklagten so gesehen, die auf die als Anlage B 9 vorgelegte Pressemitteilung der Stiftung Warentest verweist. Die angesprochenen Verkehrskreise werden die Siegel, die von der Beklagten lizenziert werden, ähnlich wie Prüfsiegel der Stiftung Warentest auffassen und davon ausgehen, die betreffenden Ärzte seien aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet worden.

Nach der Lebenserfahrung hat der Hinweis auf ein Prüfzeichen für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers eine erhebliche Bedeutung. Der Verbraucher erwartet, dass ein mit einem Prüfzeichen versehenes Produkt oder eine Dienstleistung von einer neutralen und fachkundigen Stelle auf die Erfüllung von Mindestanforderungen anhand objektiver Kriterien geprüft wurde und bestimmte, von ihm für die Güte und Brauchbarkeit der Ware als wesentlich angesehener Eigenschaften aufweisen (vgl. GRUR 2016, 1398 bis 1400 – LGA tested).

Tatsächlich ist es aber selbst nach dem Vortrag der Beklagten so, dass sich die Qualität ärztlicher Dienstleistungen nicht mit Messgeräten im Testlabor ermitteln und vergleichen lässt.

Vielmehr sind von den Kriterien, die nach dem Vortrag der Beklagten bei ihren Empfehlungslisten berücksichtigt werden, Kriterien dabei, die auf ausschließlich subjektiven Elementen beruhen, wie z.B. die Kollegenempfehlung oder die Patientenzufriedenheit.

Dass Anwaltsranglisten (und gleiches muss für Ärztelisten geltend) schwerpunktmäßig Werturteile und gerade keine Tatsachenbehauptungen enthalten, war sogar der maßgebliche Grund dafür, dass das Bundesverfassungsgericht in der Juve-Handbuch-Entscheidung das Urteil des Bundesgerichtshofs, dass die entsprechenden Anwaltslisten als wettbewerbswidrig eingestuft hatte, aufgehoben hat (vgl. den ersten Leitsatz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts GRUR 2006, 1319)

Durch die gegen ein nicht unerhebliches Entgelt gewährte Lizenzierung von Gütesiegeln, die den Anschein eines objektiven Prüfzeichens erwecken, wird jedoch gerade der Bereich der von der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gedeckten redaktionellen, bewertenden Beurteilung verlassen und der irreführende Eindruck erweckt, es gebe tatsächliche, objektiv nachprüfbare Kriterien, die zur Verleihung des Gütesiegels geführt haben.

Die von der Beklagten vergebenen Siegel erwecken gerade nicht den Eindruck, dass diesem eine mathematisch nicht nachvollziehbare Wertungsentscheidung zugrunde liegt. Das vermeintlich durch das Siegel objektivierte Qualitätsurteil ist in Wahrheit ein rein subjektives, das von vielen durch Ärzte und ihre Leistungen nicht beeinflussbare Faktoren abhängt. Dies gilt sowohl für das Siegel mit der Bezeichnung „TOP-Mediziner“ als auch für das regionale Siegel, das mit … Empfehlung“ galabelt ist. Auch dieses etwas weicher formulierte Siegel hat die optische Aufmachung eines Prüfzeichens und wird daher jedenfalls bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise die Erwartung wecken, die Prüfung sei anhand objektiv nachvollziehbarer Kriterien durchgeführt worden.

2. Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, die Lizenzierung sogenannter Siegel sei ein unselbständiger, nachgelagerter Akt der Ärztelisten, der ebenfalls von der Pressefreiheit umfasst sei. Zwar erstreckte sich die Pressefreiheit in dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts NJW 2003, 277, Juve-Handbuch zu Grunde lag, auch auf die Refinanzierung der redaktionellen Inhalte. Diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts bezog sich jedoch allein darauf, dass in dem dort zu entscheidenden Fall nicht festgestellt werden konnte, dass durch die Veröffentlichung von Ranglisten in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von Inseraten hingewirkt wurde und dass anzeigenfinanzierte Medien regelmäßig darauf angewiesen sind, zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren.

Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall jedoch grundlegend. Die Wettbewerbswidrigkeit der Prüfsiegel ergibt sich im vorliegenden Fall nicht daraus, dass irgendjemand in sittenwidriger Weise zum Erwerb dieses Prüfsiegels verleitet wurde, sondern daraus, dass in irreführender Weise der Bereich des redaktionellen, wertenden Beitrags verlassen und der Eindruck erweckt wird, es finde eine Bewertung nach objektiven Kriterien statt.

Hinzu kommt, dass Medien zwar regelmäßig darauf angewiesen sind, sich durch Anzeigen finanzieren, nicht jedoch durch die Vergabe von Prüfsiegeln gegen ein nicht unerhebliches Entgelt. Dass dies eine unübliche, nicht zwingend erforderliche Art der Finanzierung redaktioneller Beiträge ist, zeigt von der eigene Vortrag der Beklagten, wonach die Verteilung der Siegel erst eine Reaktion auf den vor etwa zehn Jahren eingetretenen sogenannten „Wildwuchs“ gewesen sei. Davor wurden die Magazine mit den Ärztelisten ganz offensichtlich anders finanziert“

Ok, ich räume ein, die Vergabe der „Ärzte-Siegel“ läuft wohl anders als bei den „Anwaltslisten“ (zur dortigen Methodik u.a. hier: So ermittelt FOCUS die Top-Rechtsanwälte). Aber auf die Anwaltsliste kommt man ja wohl auch nicht – so mein Kenntnisstand „aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung“.

Nur, damit kein falscher Eindruck entsteht. Mir ist es völlig egal, wer sich da auf den Listen tummelt und ob das nun alles „Spitzenanwälte“ oder „Top-Anwälte“ sind. M.E. trennt sich die Spreu vom Weizen eh an anderer Stelle, nämlich in der Praxis. Und ja, ich weiß auch, dass nicht alle, die auf der Liste stehen, das „do ut des“-Spiel mitmachen. Um die und deren Bewertung tut es mir dann erst recht leid. Denn. Was ist eine solche „neutrale Bewertung“ wert, wenn nebenab jemand platziert ist, der „do ut des“ gespielt hat? Die Frage stellen, heißt sie mit einem „nichts“ oder „zumindest wenig“ zu beantworten.

StPO I: Einiges zur Durchsuchungsanordnung, oder: Reichsbürger, anonyme Anzeige, BtM-Zusendung u.a.,

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute dann StPO-Entscheidungen.

Den Opener machen hier einige LG-Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar zu den Anordnungsvoraussetzungen. Da sind ja meist die LG die „letzte Instanz“. Eine Entscheidung stammt aber nicht „aus der StPO“.

Hier sind dann folgende Entscheidungen, allerdings nur mit den Leitsätzen:

Ein geltend gemachtes Auskunftsverweigerungsrecht hindert nicht, dass gegen die auskunftsverweigerende Person ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann. Treten weitere Anhaltspunkte hinzu, ist die Strafverfolgungsbehörde nicht gehindert, eine Durchsuchung mit dem Ziel, weitere Beweismittel aufzufinden, zu veranlassen, um einen bestehenden Tatverdacht zu überprüfen, sofern sich dieselbe nicht als unverhältnismäßig darstellt.

Eine anonyme Anzeige kann nur dann als Grundlage für eine Durchsuchung genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wurde.

Zur Bejahung eines für die Anordnung einer Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdachts bei BtM-Zusendungen.

Allein die Zugehörigkeit zu der Reichsbürgerbewegung stellt noch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar.

 

Reise II: Flug verpasst, weil EasyPASS nicht nutzbar, oder: Man muss sich schon richtig informieren

Entnommen bei Wikicommons
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Die zweite reiserechtliche Entscheidung ist dann ein wenig aktueller. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 08.12.2022 – III ZR 204/21. Gestritten worden ist in dem Verfahren um Schadensersatz für Flugpassagier wegen fehlender Nutzbarkeit von EasyPAS. 

Der BGH hat einen Schadensersatzanspruch gegen einen Flughafenbetreiber verneint. Den hatte ein Passagier geltend gemacht, der seinen Flug versäumt hatte. Verklagt war die Betreiberin eines Großflughafens, der mit dem elektronischen Grenzkontrollsystem EasyPASS ausgestattet ist. Dieses ermöglicht ein schnelleres Passieren der Grenzkontrolle, indem die Identität des Reisenden, der – neben weiteren Voraussetzungen – mindestens zwölf Jahre alt sein muss, sowie die Echtheit und Gültigkeit des elektronischen Reisedokuments automatisiert überprüft werden. Die Beklagte wies auf ihrer Internetseite auf das EasyPASS-System hin, ohne das Mindestalter für dessen Nutzung zu erwähnen.

Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau sowie die drei minderjährigen Kinder einen Überseeflug gebucht. Die planmäßige Abflugzeit war um 12.15 Uhr. Die Familie verpasste jedoch den Flug, da sie nach Durchlaufen der Sicherheits- und Passkontrollen das Abfluggate nicht mehr rechtzeitig erreichte.

Der Kläger hat geltend gemacht, er habe am Abflugtag zusammen mit seiner Familie das Reisegepäck um 10.07 Uhr am Check-in-Schalter aufgegeben. Um 11.10 Uhr habe sich seine Familie zu der Sicherheitskontrolle begeben und diese um 11.35 Uhr passiert. Anschließend seien sie zu den elektronischen Passkontrollen gegangen. Diese hätten aber nicht genutzt werden können, da seine jüngste Tochter noch keine zwölf Jahre alt gewesen sei. Die Familie sei deshalb an die zwei mit Personal besetzten Durchgänge verwiesen worden. Dort sei bei der Kontrolle eines anderen Passagiers ein Problem aufgetreten, was zu einer Verzögerung von 20 Minuten geführt habe. Obwohl er eine Mitarbeiterin der Beklagten auf das drohende Verpassen des Abflugs hingewiesen habe, sei er in der Warteschlange nicht vorgezogen worden.

Das AG hat die auf Zahlung von 2.980,08 EUR (Erwerb eines Ersatztickets, zusätzliche Hotel- und Fahrtkosten) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung ist beim LG ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom LG zugelassenen Revision hat der Kläger den Anspruch weiter verfolgt.

Ohne Erfolg. Der BGH hate einen Schadensersatzanspruch verneint.In der PM zu der Entscheidung heißt es:

„Er hat dabei offengelassen, ob zwischen der Betreibergesellschaft und dem Kläger eine vertragliche Beziehung bestand, aus der Schadensersatzansprüche hergeleitet werden könnten.

Jedenfalls fiel die Organisation der Passkontrollen nicht in den Verantwortungsbereich der Flughafenbetriebsgesellschaft, sondern in den der Bundespolizei (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a BPolG). Der Flughafenbetreiber hat insoweit keine Einflussmöglichkeiten, insbesondere ist es ihm verwehrt, einzelne (verspätete) Reisende durch ein „Vorziehen der Passkontrolle“ gegenüber rechtzeitig erschienenen Passagieren zu privilegieren.

Dessen ungeachtet ergaben sich aus dem Klägervortrag keine Anhaltspunkte für eine unangemessene, auf einem Organisationsmangel beruhende Verzögerung der Passkontrolle. Nach seinen Angaben hat er um 11.35 Uhr die Sicherheitskontrolle passiert und das Abfluggate kurz nach zwölf Uhr erreicht. Die Passkontrolle ist somit zügig durchgeführt worden.

Eine Pflichtverletzung war der Beklagten auch nicht vorzuwerfen wegen des Hinweises in ihren Internetseiten auf EasyPASS, ohne zu erwähnen, dass der Passinhaber mindestens zwölf Jahre alt sein musste. Der Hinweis war ersichtlich nicht abschließend. Der Kläger hätte sich über die Nutzungsbedingungen näher, etwa über die hierfür eingerichtete Interseite der Bundespolizei, informieren müssen. Verzichtet der Fluggast auf die Einplanung eines ausreichenden Zeitpuffers, weil er das automatisierte Grenzkontrollsystem EasyPASS nutzen möchte, ohne sich rechtzeitig über dessen Modalitäten zu informieren, begibt er sich freiwillig in eine prekäre Situation, deren Folgen letztlich von ihm herbeigeführt und von ihm zu tragen sind. Der Kläger hätte sich sogar noch am Flughafen die nötigen Informationen rechtzeitig beschaffen können. Obwohl er – wie er vorgetragen hat – bereits um 10.07 Uhr das Gepäck am Check-in-Schalter aufgegeben hatte, hat er sich erst um 11.10 Uhr mit seiner Familie zur Sicherheitskontrolle begeben. Es hätte somit vor Ort noch genügend Zeit zur Verfügung gestanden, sich hinsichtlich der Nutzungsbedingungen von EasyPASS zu erkundigen. Stattdessen hat der Kläger mit seiner Familie rund eine Stunde leichtsinnig „verbummelt“, indem – wie er selbst vorträgt – unter anderem „in das ein oder andere Geschäft geschaut“ wurde.

Im Übrigen darf sich ein Fluggast auch nicht auf die ständige Betriebsbereitschaft der computergestützten elektronischen Grenzkontrolle verlassen.“

Und hier dann noch die Leitsätze seiner Entscheidung:

1. Verzichtet ein Fluggast auf die Einplanung eines ausreichenden Zeitpuffers von zwei bis drei Stunden vor dem Abflug, weil er das automatisierte Grenzkontrollsystem EasyPASS nutzen möchte, muss er sich rechtzeitig über dessen Modalitäten informieren, wenn er mit diesen nicht vertraut ist. Auf ersichtlich nicht abschließende Hinweise des Flughafenbetreibers auf dessen Internetseite darf er sich nicht verlassen.

2. Unterlässt er dies, riskiert er, die Systemvoraussetzungen nicht zu erfüllen und mangels hinreichenden Zeitpuffers den gebuchten Flug zu verpassen, zumal er sich auf die ständige Betriebsbereitschaft der computergestützten elektronischen Grenzkontrolle nicht ohne weiteres verlassen darf. Er begibt sich damit freiwillig in eine prekäre Situation, deren Folgen letztlich von ihm herbeigeführt und von ihm zu tragen sind.

Reise I: Erhebliche Beeinträchtigung einer Kreuzfahrt, oder: Reiserücktritt wegen Covid-19-Pandemie

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Heute im Kessel-Buntes dann zwei reiserechtliche Entscheidungen.

Die erste ist schon etwas älter. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 30.08.2022 – X ZR 66/21, das eine reiserechtliche Frage in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entschieden hat. Das hatte ich bislang übersehen:

Die Klägerin hatte beim AG die Rückzahlung einer Anzahlung für eine Flusskreuzfahrt. Die Beklagte macht mit ihrer Widerklage darüber hinausgehende Stornogebühren geltend.

Die damals 84 Jahre alte Klägerin buchte am 17.01.2020 bei der Beklagten eine Flusskreuzfahrt (Stationen: Passau – Wien – Esztergom – Budapest – Mohacs – Budapest – Bratislava – Melk – Passau), die vom 22. bis 29.06.2020 stattfinden und 1.599,84 EUR kosten sollte. Der Buchung lagen die Allgemeinen Reisebedingungen der Beklagten zugrunde. Die Klägerin leistete eine Anzahlung in Höhe von 319,97 EUR.

Am 18.03.2020 sprach das Auswärtige Amt wegen der Covid-19-Pandemie eine weltweite Reisewarnung aus, die zunächst bis zum 29.04.2020 galt, später aber bis 14.06. 2020 verlängert wurde. Mit Schreiben vom 07.06.2020 stornierte die Klägerin die Reise unter Bezugnahme auf die Covid-19-Pandemie, nachdem ihr dies von ihrer Hausärztin mit Blick auf frühere Lungenentzündungen geraten worden war. Die Beklagte übersandte mit Schreiben vom 25.06.2020 eine Stornorechnung, die nach Abzug der Anzahlung und einer Gutschrift einen offenen Betrag von 999,89 EUR auswies. Die Flusskreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgeführt.

Das AG hat die Beklagte zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung und zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt und die auf Begleichung der restlichen Stornogebühr gerichtete Widerklage abgewiesen. Das LG hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom LG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren aus den Vorinstanzen weiter. Sie hatte keinen Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Die Bewertung der von der Covid-19-Pandemie ausgehenden Gefahr als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung einer Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn sich die Gefahr einer Erkrankung an Covid-19 im vorgesehenen Reisezeitraum (hier: Juni 2020) als ein nicht beherrschbares erhebliches Risiko für die menschliche Gesundheit darstellte und aufgrund der pandemischen Lage die Gefahr einer Infektion bei Durchführung der Reise bestand, die dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innewohnte.

2. § 651h Abs. 3 BGB setzt nicht voraus, dass die unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände sich nur am Bestimmungsort der Reise oder in dessen unmittelbarer Nähe und nicht auch am Wohnort des Reisenden auswirken.

3. Der Tatbestand des § 651h Abs. 3 BGB ist erfüllt, wenn schon vor Beginn der Reise unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung zum Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt ist.

4. Die Beurteilung der Frage, ob die Durchführung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken verbunden ist, bedarf einer Würdigung aller für den Einzelfall relevanten Umstände und ist aus Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden im Rücktrittszeitpunkt vorzunehmen.

5. Individuelle Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden wie das Alter sind jedenfalls dann in die Abwägung einzubeziehen, wenn sie für die Durchführbarkeit der Reise erst aufgrund der außergewöhnlichen Umstände im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB Bedeutung gewonnen haben und die daraus resultierenden Gefahren für den Reisenden (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer besonders betroffenen Risikogruppe) dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innegewohnt haben.

In dem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung: BGH, Urt. v. 30.08.2022 – X ZR 84/21- und BGH, Beschl. v. 30.08.2022 – X ZR 3/22