Archiv der Kategorie: Strafvollzug

Haft III: Zulässige Dauer von sog. Organisationshaft, oder: Umstände des Einzelfalls maßgebend

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Und als dritte Entscheidung dann ein weiterer Beschluss zur Organisationshaft, und zwar der LG Wuppertal, Beschl. v. 17.07.2023 -21 StVK 736/23 (10 Js 421/22).  Das LG führt zur zulässigen Dauer von Organisationshaft aus:

„Die Organisationshaft stellt grundsätzlich einen Verstoß gegen die richterlich angeordnete Vollstreckungsreihenfolge dar und ist als regelwidriges Institut der Freiheitsentziehung anzusehen; weil indes aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen eine zeitliche Verzögerung bei der Vollstreckung einer durch Strafurteil angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB in der Regel unvermeidbar ist, liegt dann noch keine — gesetzeswidrige und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechende — Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge vor, wenn eine verurteilte Person sich für diejenige kurze Zeitspanne in Organisationshaft befindet, welche die Vollstreckungsbehörde nach Rechtskraft der erfolgten Anordnung unter Berücksichtigung des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebotes benötigt, um einen vorhandenen Maßregelvollzugsplatz gegebenenfalls auch in einem anderen Bundesland — zu lokalisieren und den Verurteilten dorthin zu überführen (OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.09.2020, 1 Ws 205/20, juris Rn. 21 f. m.w.N.). Welche Zeitspanne für diesen verwaltungstechnischen Vollzug der Überstellung des Verurteilten in die Maßregeleinrichtung als (noch) zulässig anzusehen ist, lässt sich nicht generell bestimmen, sondern hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (OLG Braunschweig a.a.O., juris Rn. 23 m.w.N.; für eine solche Einzelfallbetrachtung auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.02.2023, 1 Ws 97/22, juris Rn. 8 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen ist die Vollstreckung von Organisationshaft im Verfahren zum Az. 10 Js 3098/19 der Staatsanwaltschaft Wuppertal im jetzigen Zeitpunkt nicht mehr zulässig.

Die Organisationshaft in diesem Verfahren dauert seit Rechtskraft des zugrunde liegenden Urteils bereits über 16 Wochen. Zwar ist der Staatsanwaltschaft zuzugeben, dass sie sich nach Eintritt der Rechtskraft zeitnah durch wiederholte Anfragen bei der Maßregelvollzugsbehörde um die Bereitstellung eines Unterbringungsplatzes bemüht hat. Jedoch hängt die Zulässigkeit der Organisationshaft nicht allein davon ab, ob die Vollstreckungsbehörde alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um auf eine zeitnahe Überführung in den Maßregelvollzug hinzuwirken.

So ist die Organisationshaft nach den vorerwähnten Maßstäben von dem Zeitpunkt an unzulässig, bis zu dem die Vollstreckungsbehörde bei dem gebotenen beschleunigten Vorgehen klären kann oder hätte klären können, ob für den Verurteilten ein Unterbringungsplatz zur Verfügung steht oder nicht (OLG Celle, Beschl. v. 19.08.2002, 1 Ws 203/02, NStZ-RR 2002, 349 [350]). Auch ist eine weitere Organisationshaft nicht mehr zulässig, sobald sich im Rahmen der entfalteten Bemühungen ergibt, dass ein solcher Platz nicht zur Verfügung steht (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.1 1.2003, 4Ws 537/03 u. 4Ws 569/03, NStZ-RR 2004, 381 [3821 m.w.N.). Die Zeit, während derer die Vollstreckungsbehörde lediglich noch in erzwungener Untätigkeit auf das Freiwerden eines — auch nur vage in Aussicht gestellten — Vollzugsplatzes wartet, fällt nicht unter die zur Organisation der Überstellung in die gerichtlich angeordnete Maßregelunterbringung unerlässliche Zeitspanne (OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.09.2020, 1 Ws 205/20, juris Rn. 23 m.w.N., ähnlich OLG Hamm, Beschl. v. 07.05.2019, 111-1 Ws 209/19, juris Rn. 15). so lag es im vorliegenden Fall allerspätestens am 11.07.2023. Denn die Maßregelvollzugsbehörde hatte bereits am 31.03.2023 mitgeteilt, dass derzeit kein Unterbringungsplatz zur Verfügung stehe, ohne das Freiwerden eines Platzes in überschaubarem Zeitraum auch nur vage in Aussicht zu stellen. Hieran änderte sich bis zum 10.07.2023 nichts, sodass spätestens zu diesem Zeitpunkt — ob bereits früher und ggf. zu welchem konkreten Zeitpunkt, bedarf hier keiner Entscheidung — eine Situation vorlag, in der mit dem Freiwerden eines Platzes im Maßregelvollzug nicht konkret gerechnet werden konnte und die weitere Wartezeit völlig ungewiss war. Das gilt auch unter Berücksichtigung der laut Staatsanwaltschaft — möglicherweise gezwungenermaßen, freilich etwas umständlich — im Berichtswege über Ministerialebenen entfalteten Bemühungen um eine Unterbringung in anderen Bundesländern, zumal auf den Erlass vom 05.04.2023 bis zum 10.07.2023 keine Reaktionen der Stellen, die so letztlich wohl erreicht werden sollten, im Vollstreckungsheft aktenkundig oder sonst bekannt geworden sind.

Soweit der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf Bedenken gegen die Bewertung „bloßen Zuwartens“ auf einen freiwerdenden Therapieplatz als unzulässig vollzogene Untersuchungshaft geäußert hat, betrifft dies ausdrücklich Fälle einer noch „angemessene[n] Zeit des Zuwartens“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.03.2021, 2 Ws 37/21, juris Rn. 14). Hiernach soll es, soweit für die Kammer ersichtlich, nur nicht dazu kommen, dass ein Verurteilter, der sich erst seit wenigen Tagen in Organisationshaft befindet, aus dieser entlassen werden müsste, wenn sich unmittelbar herausstellt, dass ein Unterbringungsplatz derzeit nicht, wohl aber kurzfristig verfügbar ist. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Es sind seit Rechtskraft des Urteils bereits mehrere Monate vergangen, ohne dass ein Platz im Maßregelvollzug verfügbar wurde oder konkret in Aussicht gestellt werden konnte. Selbst wenn es — insbesondere verfassungsrechtlich – nicht geboten sein sollte, Behandlungsplätze im Maßregelvollzug jederzeit und auch kurzfristig verfügbar zu halten, besteht im Grundsatz die seit Langem bekannte Rechtspflicht der Verwaltung und der Haushaltsgesetzgeber in den Bundesländern, die praktische Vollstreckbarkeit der Bundesrecht konkretisierenden Strafurteile sicherzustellen, und zwar, soweit dies vom Vorhandensein finanzieller Mittel abhängt, unter Hintansetzung anderer, politisch zwar erwünschter, aber nicht in diesem Sinne unerlässlicher Vorhaben (OLG Braunschweig a.a.O., juris Rn. 23; OLG Hamm, Beschl. v. 25.1 1.2003, 4 Ws 537/03 u. 4 569/03, NStZ-RR 2004, 381 [382]). Dass hier über mehr als 15 Wochen nach Rechtskrafteintritt nicht einmal ein voraussichtliches künftiges Freiwerden von Kapazitäten in Nordrhein-Westfalen oder einem anderen Bundesland terminlich konkretisiert werden konnte, erscheint als Folge einer unzureichenden Umsetzung dieser Rechtspflicht, die nicht zulasten des betroffenen Verurteilten gehen darf.

Nichts Anderes ergibt sich unter zusätzlicher Berücksichtigung der Gefährlichkeit des Verurteilten und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit im Rahmen der Einzelfallabwägung. Eine hangbedingte Gefahr neuer Straftaten ist bei Verurteilten, deren Unterbringung nach S 64 StGB angeordnet wurde, naturgemäß gegeben, da unter anderem dies Voraussetzung der Unterbringungsanordnung ist, und kann daher nicht schlechthin den (weiteren) Vollzug einer ansonsten unzulässigen oder unzulässig gewordenen Organisationshaft rechtfertigen. Umstände, die eine (weitere) Freiheitsentziehung hier erforderlich machen, sind nicht ersichtlich.

An der somit spätestens am 10.07.2023 eingetretenen Unzulässigkeit des weiteren Vollzugs der Organisationshaft änderte die am 11.07.2023 unerwartet entstandene Perspektive der Überführung des Verurteilten in den Maßregelvollzug am 18.07.2023 nichts.“

Haft II: Rechtmäßigkeit der sog. Organisationshaft, oder: Zeitnahe Unterbringung im Maßregelvollzug

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Und als zweite Entscheidung dann der schon etwas ältere OLG Bamberg, Beschl. v. 07.11.2022 – 1 Ws 629/22 – mir allerdings erst vor kurzem zugegangen. Er nimmt Stellung zur Rechtmäßigkeit der sog. Organisationshaft und zum Anspruch auf zeitnahe Unterbringung im Maßregelvollzug.

Folgender Sachverhalt: Mit Urteil des LG vom 30.03.2022, rechtskräftig seit 07.04.2022, wurde der Verurteilte, der am 09.07.2021 festgenommen worden war und sich seit 10.07.2021 in Untersuchungshaft befand, wegen Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt. Daneben wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit Verfügung vom 06.05.2022 wurde die Vollstreckung des vorgenannten Urteils eingeleitet.

Das verschlief „schleppend“; der Verurteilte befand sich zunächst in sog. Organisationshaft. Am 12.09.2022 beantragte der Verurteilte die Feststellung, dass die weitere Vollstreckung der Organisationshaft unzulässig ist, die Unterbrechung der Organisationshaft sowie die sofortige Entlassung des Verurteilten aus der Haft. Mit Beschluss vom 23.09.2022 stellte die Strafvollstreckungskammer des LG fest, dass die gegen den Verurteilten vollstreckte Organisationshaft mit Ablauf des 12.07.2022 rechtswidrig ist, ordnete die Unterbrechung der Organisationshaft an und erklärte, dass mit Aufnahme des Verurteilten in den Maßregelvollzug vor Rechtskraft des Beschlusses das Verfahren erledigt ist. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die keinen Erfolg hatte.

Ich stelle auch hier nur die Leitsätze ein und verweise wegen der Einzelheiten auf die recht umfangreiche Begründung des OLG im verlinkten Volltext:

1. Die Maßregelvollstreckung nach § 64 StGB ist unverzüglich nach Rechtskrafteintritt einer hierauf lautenden Entscheidung einzuleiten.

2. Wird ein Therapieplatz erst mittelfristig frei, ist die Vollstreckungsbehörde gehalten, sich um einen (zeitlich früher) verfügbaren Behandlungsplatz, notfalls auch außerhalb des zuständigen Landschaftsverbands zu bemühen und, sofern dies erfolglos ist, ggf. auch um einen solchen außerhalb des jeweiligen Bundeslandes.

3. In der Regel darf die Organisationshaft über 3 Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der auf Unterbringung nach § 64 StGB lautenden Entscheidung und 2 Monate nach der Mitteilung der Maßregelvollzugseinrichtung, dass ein Therapieplatz erst mittelfristig frei wird, nicht aufrechterhalten werden.

4. Die Frage, ob die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Organisationshaft einer Abwägung zwischen dem Gewicht der Verletzung des Interesses des Verurteilten an der unverzüglichen Umsetzung der konkret angeordneten Vollstreckungsreihenfolge einerseits und dem Schutz der Allgemeinheit andererseits zugänglich ist, bleibt offen.

Vollzug III: Nichtraucherschutz im (U-Haft)Vollzug, oder: Fürsorgepflicht der JVA

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Und die dritte Entscheidung betrifft dann den U-Haft-Vollzug, und zwar dort die Frage nach dem Nichtraucherschutz.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 22.09.2022 bis 14.03.2023 in Untersuchungshaft in der JVA X und wandte sich mehrfach mit Anträgen, die die Durchsetzung des Rauchverbots in der JVA zum Inhalt hatten, an diese. Mit Schreiben vom 28.12.2022 stellte er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte u.a. die Umsetzung des Nichtraucherschutzgesetzes durch die JVA X, Feststellung der Rechtswidrigkeit und Ortsbegehung sowie Sicherstellung der Videoaufnahmen durch das Gericht. Er fügte dem Antrag eine Skizze bei, die die räumlichen Verhältnisse der Abteilung D, in welcher er zum Antragszeitpunkt eine Zelle hatte, zeigt. Hierzu gab er an, seine Mitgefangenen würden im Gang zwischen den Zellen auf einer Tischtennisplatte sitzen und Zigaretten/Tabak konsumieren. Die Abteilung sei zeitweise komplett mit grauem Rauch durchzogen und „versinke in Zigaretten-/Tabakgestank“. Wenn er seine Zelle zum Duschen oder Aufschluss verlasse, sei er dem Rauch auf der Abteilung vollkommen ausgesetzt. Wenn seine Zelle geschlossen sei, ziehe der Zigaretten- bzw. Tabakrauch durch den unteren Schlitz der Zellentür in seine Zelle, da die rauchenden Gefangenen weiterhin Aufschluss hätten und rauchen würden.

Am 14.03.2023 wurde der Beschwerdeführer in die JVA Z verlegt.

Die JVA X nahm zum Antrag des Beschwerdeführers dahin Stellung, dass der Schutz von Nichtrauchern beachtet werde. Das AG hat denn den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde hatte mit dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.06.2023 – 12 Qs 40/23 – Erfolg:

„1. Im Rahmen der Zulässigkeit ist das Rechtsschutzinteresse trotz Erledigung der behaupteten Beeinträchtigung durch Verlegung des Beschwerdeführers gegeben. Bei einer Verletzung des Nichtraucherschutzes, der – wie vorliegend durch den Beschwerdeführer beschrieben – zu einer länger andauernden Beeinträchtigung geführt haben soll, liegt ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vor. Dieser gebietet es, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen, auch wenn die Beeinträchtigung tatsächlich nicht mehr fortbesteht. Nur so kann verhindert werden, dass Rechte und insbesondere Grundrechte in bestimmten Fallgestaltungen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben (BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 – 204 StObWs 277/20, juris Rn. 20 m.w.N.).

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die JVA X hat ihre Fürsorgepflicht verletzt, indem sie nicht durch geeignete Maßnahmen verhindert hat, dass der Beschwerdeführer in seiner Zelle einer erheblichen Rauchbelästigung ausgesetzt war.

a) Nach Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG, der für die Untersuchungshaft entsprechend gilt (Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 1.4.2023, BayUVollzG Art. 25 Rn. 6), ist der Schutz der Nichtraucher, soweit es bauliche und organisatorische Maßnahmen ermöglichen, zu gewährleisten. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Nr. 1 lit. b des Bayerischen Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (GSG) ist das Rauchen in Innenräumen der Gebäude der Behörden des Freistaats Bayern verboten. Nach Art. 5 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GSG kann die Anstaltsleitung das Rauchen in Einzel-, Gemeinschaftshafträumen und anderen Gemeinschaftsräumen gestatten (Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed., Art. 58 BayStVollzG Rn. 11). Dies gilt jedoch nicht, wenn aus baulichen oder sonstigen Gründen eine räumliche Trennung von Rauchern und Nichtrauchern in Aufenthaltsräumen im Bereich eines Anstaltsbetriebes nicht möglich ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 – 204 StObWs 277/20, juris Rn. 25 f. m.w.N.).

b) Der Beschwerdeführer hat die von ihm gerügte Verletzung des Nichtraucherschutzes hinreichend konkret vorgetragen. Danach kam es laufend zu einer Rauchbelästigung, da die Mitgefangenen, deren Zellen über einen längeren Zeitraum aufgeschlossen waren, fortwährend rauchten und der Rauch durch den Schlitz an seiner Zellentür in seine Zelle gelangte bzw. auf dem Gemeinschaftsflur präsent war, wenn der Beschwerdeführer seine Zelle verließ. Da es sich dem Vortrag des Beschwerdeführers nach um eine ständige Belästigung handelte, kann im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes nicht verlangt werden, dass er – entsprechend einem Lärmprotokoll – einzelne Vorkommnisse genau dokumentiert.

Die JVA X ist dem Vortrag des Beschwerdeführers insoweit entgegengetreten, als sie in ihrer Stellungnahme vom 29.03.2023 ausführte, auf den Gemeinschaftsflächen bestünde Rauchverbot und etwaige Verstöße würden – soweit sie bekannt seien – disziplinarisch geahndet. Die Kammer hat hierzu ergänzend einen Dienstleiter der JVA X befragt. Dieser gab an, der Beschwerdeführer habe sich auf einer kleinen Abteilung befunden, in welcher Mitgefangene untergebracht gewesen seien, die arbeiten durften. Diese Mitgefangenen hätten sich tagsüber frei bewegen dürfen, was zur Folge gehabt habe, dass ihre Zellentüren häufig geöffnet wurden bzw. offenstanden. Da es den Gefangenen erlaubt sei, in ihrer eigenen Zelle zu rauchen, dringe dieser Rauch durch die offenen Türen auf den Gemeinschaftsflur und könne auch durch die Türschlitze in die Zellen der weiteren Gefangenen gelangen. Dies macht den Vortrag des Beschwerdeführers, wonach Rauch in seine Zelle dringe und auf dem Gemeinschaftsflur vorhanden sei, plausibel. Die Kammer geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer – unabhängig von der Frage, ob Mitgefangene tatsächlich nicht nur in ihren Zellen, sondern auch auf dem Flur geraucht haben – jedenfalls für einen erheblichen Zeitraum dem Rauch, der von den Zellen der Mitgefangenen durch geöffnete Türen austrat und durch den Schlitz der Zellentür in die Zelle des Beschwerdeführers eintrat, ausgesetzt war.

c) Der Schutz vor Passivrauchen war jedenfalls in der Zelle des Beschwerdeführers, in der er sich nicht nur kurzfristig aufhielt, zu gewährleisten. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund seiner Inhaftierung einer Beeinträchtigung seiner Gesundheit nicht in gleicher Weise entziehen kann, wie eine Person, die sich auf freiem Fuß befindet und ohne Weiteres den Ort wechseln kann, um einer Raucheinwirkung zu entgehen. Angesichts der nicht auszuschließenden gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens greift die gemeinschaftliche Unterbringung eines Rauchers und eines Nichtrauchers – jedenfalls wenn der Betroffene ihr nicht zustimmt – in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der nichtrauchende Gefangene hat Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal (BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 – 204 StObWs 277/20, juris Rn. 25 f. m.w.N.).

Auf welche Weise die JVA den Nichtraucherschutz umsetzen hätte müssen, hat die Kammer nicht zu entscheiden. Die JVA hat jedenfalls im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens mit geeigneten Maßnahmen dafür zu sorgen, dass dort einsitzende Nichtraucher auf ihrer Zelle keiner Beeinträchtigung durch Zigarettenrauch ausgesetzt sind. Die Kammer verkennt nicht, dass die effektive Umsetzung des Nichtraucherschutzes angesichts der Vielzahl an Rauchern in der JVA nicht einfach ist. Im Falle der Unterbringung eines Nichtrauchers in einer Abteilung, in der sich Gefangene mehr oder weniger frei bewegen können und es somit zu offenstehenden oder häufig geöffneten Türen kommt, muss die JVA jedenfalls mit zusätzlichen Maßnahmen sicherstellen, dass kein Zigarettenrauch in die Zelle von nichtrauchenden Mitgefangenen eindringt.“

Vollzug II: Anspruch auf Eigengeldauszahlung, oder: Wenn das gesamte Vermögen bar verwahrt wird

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Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 – 203 StObWs 412/22 – gehört für mich in die Rubrik: Was es nicht alles gibt. Denn der Beschluss hat einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt, und zwarI.

„Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen über kein Konto verfügte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschließenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer – hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Zur Begründung führen sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie übergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprünglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrücklich. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.“

Und: Die drei Damen hatten beim BayObLG Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
  2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
  3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.

Wie gesagt: Was es nicht alles gibt. Und: Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

Haft III: Zulässige Dauer der Organisationshaft, oder: Nicht in der Regel bis zu drei Monaten

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Und als letzte Entscheidung dann noch einmal etwa zur (zulässigen) Dauer der sog. Organisationshaft, und zwar den OLG München, Beschl. v. 15.03.2023 – 3 Ws 119/23.

Wegen des Verfahrensablaufs verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das OLG hat die weitere Organisationshaft als unzulässig angesehen. Dazu der Leitsatz:

„Es gibt keinen Grundsatz, nachdem ein Vollzug von Organisationshaft bis zur Dauer von drei Monaten in der Regel rechtmäßig sei. Vielmehr ist der Vollzug von Organisationshaft nur dann rechtmäßig, wenn diese sich nicht vermeiden lässt, obwohl sich die Vollstreckungsbehörden, sobald ihnen bekannt wird, zu welchem Zeitpunkt ein Platz für den Vollzug einer Maßregel benötigt wird, unverzüglich im Rahmen des Möglichen darum bemühen, diesen Platz zu beschaffen.“

Rest dann bitte selbst lesen.