Archiv der Kategorie: Strafvollzug

Vollzug II: Rentner im Knast – Haftkostenbeitrag?, oder: Abgetretene Einkünfte

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 24.08.2023 – 1 Ws 208/23 (StrVollz). Es geht um die Zahlung eines Haftkostenbeitrags.

Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe wegen Betruges in der JVA. Vom 22.12.2021 bis zum 24.10.2021 befand er sich zunächst im offenen und seit dem 17.11.2022 im geschlossenen Vollzug.

Der Antragsteller hat das gesetzliche Rentenalter erreicht. Bereits während des offenen Vollzugs wurde der Antragsteller auf Grund von Renteneinkünften an den Haftkosten beteiligt. Mit Bescheid vom 12.04.2023 erhob die Antragsgegnerin seit 17.11.2022 ebenfalls einen monatlichen Haftkostenbeitrag auf Grund von Renteneinkünften. Diesen setzte sie für den Zeitraum vom 17.11.2022 bis zum 31.12.2022 auf 322,60 EUR und für die Zeit vom 01.01.2023 bis zum 31.12.2023 auf monatlich 312,94 EUR fest. Als monatliche Renteneinkünfte legte sie Renteneinkünfte in Höhe von monatlich 621,01 EUR zugrunde.

Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die StVK zurückgewiesen hat. Die  Rechtsbeschwerde des Verurteilten hatte Erfolg:

„Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gemäß § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG.

1. So geht die Strafvollstreckungskammer zwar zunächst zutreffend davon aus, dass Renteneinkünfte grundsätzlich zu den Einkünften im Sinne des § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG zählen, welche für eine Kostenbeteiligung im Rahmen der Haftkosten nach 52 Abs. 2 in Betracht kommen (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2008, 294). Soweit die Kammer allerdings bei ihrer Betrachtung auch solche Einkünfte berücksichtigt, die aus nicht näher festgestellten Gründen bereits abgetreten worden sind, hält dies einer rechtlichen Überprüfung im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

Entgegen der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer ist für die grundsätzliche Möglichkeit für eine Heranziehung zu den Haftkosten zunächst Voraussetzung, dass der Antragssteller über entsprechende Einkünfte verfügte (vgl. Feest, Lesting, Lindemann StVollzG, 7. Aufl., Teil II § 61 LandesR Rn. 6). Hierfür spricht schon der Wortlaut. Denn § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG setzt für eine Kostenbeteiligung zunächst voraus, dass die oder der Gefangene Einkünfte hat, d.h. er auch darüber verfügen kann. Soweit das Gesetz die Formulierung „entfallende“ Einkünfte gebraucht, bezieht sich dies erkennbar auf die zeitliche Komponente, bei der nur solche Einkünfte zu berücksichtigen sind, die im jeweiligen Zeitraum anfallen. Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine eng am Wortlaut haftende Anwendung. Nach der gesetzlichen Grundkonzeption, die eine Angleichung der Haftsituation an die allgemeinen Lebensverhältnisse erreichen will, ist der Gefangene grundsätzlich an den Kosten seiner Haft zu beteiligen und zwar – den Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt in Freiheit vergleichbar – nicht an sämtlichen, durch die Inhaftierung entstehenden Kosten, sondern allein an den Kosten für Unterkunft und Verpflegung (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach, 21. Ed. 1.7.2023, NJVollzG § 52 Rn. 2). Dies setzt hingegen voraus, dass der Gefangene Einkünfte erzielt, die ihm prinzipiell zunächst auch zufließen.

Im Falle einer wirksamen Abtretung der für die Berechnung einer Haftkostenbeteiligung herangezogenen Ansprüche gegen die Deutsche Rentenversicherung wäre jedoch ein Wechsel in der Gläubigerstellung eingetreten (MüKoBGB/Kieninger, 9. Aufl. 2022, BGB § 398 Rn. 92) mit der Folge, dass der Zedent die Gläubigerstellung verliert. Demnach wären spätere Abtretungen oder Verpfändungen durch ihn unwirksam, für eine Aufrechnung fehlte es an der Inhaberschaft, Pfändungen gingen ins Leere und die Forderung gehörte im später eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Zedenten nicht zur Masse (MüKoBGB/Kieninger aaO Rn. 95). Folglich könnten auch andere Gläubiger des Antragstellers nicht mehr auf die abgetretene Forderung zugreifen. Nichts anderes kann daher für die Antragsgegnerin gelten. Demnach kommt es für die Frage der Prüfung einer Kostenbeteiligung maßgeblich darauf an, ob der Antragsteller noch Inhaber der von ihm behaupteten Forderung ist.

Zu den Fragen einer Abtretung und deren Wirksamkeit insbesondere im Hinblick auf etwaige Abtretungsverbote (vgl. §§ 399, 400 BGB, § 53 SGB I) hat die Strafvollstreckungskammer dagegen keine näheren Feststellungen getroffen. Der Senat ist daher an der Prüfung gehindert, ob die Strafvollstreckungskammer letztlich zutreffend von der Erhebung von Haftkostenbeiträgen beim Antragsteller ausgegangen ist.

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass vorliegend maßgeblich zu prüfen sein wird, ob eine wirksame Abtretung vorgelegen hat. Dabei hat die Kammer die Behauptung des Antragstellers im Freibeweisverfahren – kritisch – zu würdigen. Zwar ist der Gefangene zu einer Auskunft – anders als im Steuerrecht – mangels Rechtsgrundlage grundsätzlich nicht verpflichtet (vgl. Arloth/Krä StVollzG § 50 Rn. 7; BeckOK Strafvollzug Bund/Kuhn, 24. Ed. 1.8.2023, StVollzG § 50). Den Antragsteller trifft im Verfahren nach dem StVollzG auch weder eine Beweislast für sein Vorbringen noch hat er das Beweisrisiko zu tragen (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 24. Ed. 1.8.2023, StVollzG § 115 Rn. 2 m.w.N.). Der erforderliche Umfang der Aufklärung bemisst sich allerdings an dem Vorbringen der streitenden Parteien. Je eingehender, plausibler und anhand der Umstände nachvollziehbarer eine der Parteien einen Sachverhalt darstellt, die andere Partei ihm aber nur pauschal oder neben der Sache liegend entgegentritt, desto eher darf sich der Tatrichter mit dem Vorbringen der erstgenannten Partei zufriedengeben (KG BeckRS 2016, 13731 und BeckRS 2016, 13733). Behauptungen des Antragstellers, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Tatsachenfeststellungen zu Grunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 – 3 StR 154/22 –, Rn. 17, juris).

Gemessen daran ist die Strafvollstreckungskammer daher nicht gehalten, allein die bloße Behauptung des Antragstellers über eine Abtretung bei der Prüfung der Haftkostenbeteiligung zugrunde zu legen. Vielmehr sprechen bislang die weiteren Umstände eines fehlenden Tatsachenvortrags zu näheren Umständen der angeblichen Abtretung sowie der zuvor beanstandungsfreien Zahlung des Haftkostenbeitrags während des offenen Vollzugs für eine bloße Schutzbehauptung des Antragstellers. Dass auf seinen Namen ein Beitragskonto mit den zugrunde gelegten monatlichen Beträgen geführt wird ist bislang unstreitig, sodass es dem Antragsteller obliegt, die behauptete Abtretung näher darzulegen, wenn diese – wie hier weder offenkundig noch aus anderen Vorgängen bekannt ist (vgl. in diesem Sinne auch (OLG Koblenz Beschl. v. 20.10.2014 – 2 Ws 495/14 (Vollz), BeckRS 2015, 1832 Rn. 2, beck-online).“

Vollzug I: Akteneinsicht in die Maßregelvollzugsakte, oder: Anfechtung der Ablehnungsentscheidung

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Zum Start in die 37. KW bringe ich heute zwei Entscheidungen, die mit Strafvollzug usw. zu tun haben. Beide kommen vom OLG Celle.

Zunächst der OLG Celle, Beschl. v. 21.06.2023 – 1 Ws 154/23 (MVollz), ergangen in einer Maßregelvollzugsache. Der Sachverhalt ergibt sich aus dem (kurzen) Beschluss:

„Der Antragsteller befindet sich im Maßregelvollzug. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen hat mit Beschluss vom 23. März 2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. März 2023 als unbegründet zurückgewiesen. Gegenstand seines Antragsbegehrens war eine Erhöhung des monatlich nach § 11 Nds. MVollzG i.V.m. § 27 SGB XII monatlich gewährten Taschengeldes.

Zu einem nach § 118 Abs. 3 StVollzG am 21. April 2023 anberaumten Termin zur Protokollierung seiner Rechtsbeschwerde gegen den vorbezeichneten Beschluss der Strafvollstreckungskammer erschien der Antragsteller nicht. Er beantragte vielmehr schriftlich, ihm Akteneinsicht in die gerichtlichen Strafvollzugsakten zu gewähren.

Mit Beschluss vom 8. Mai 2023 versagte die Strafvollstreckungskammer die begehrte Akteneinsicht und führte zur Begründung aus, dass die Akte im Wesentlichen nur aus Schreiben des Antragstellers sowie gerichtlichen Verfügungen bestehe und ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme durch den Antragsteller daher nicht erkennbar sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 12. Mai 2023. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Gegen die Ablehnung der Akteneinsicht ist die einfache Beschwerde nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, 138 Abs. 3, § 304 Abs. 1 StPO statthaft (BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 23. Ed. 1.2.2023, StVollzG § 120 Rn. 4).

Sie hat indessen in der Sache keinen Erfolg.

Zwar steht dem anwaltlich nicht vertretenen Antragsteller im Maßregelvollzugsverfahren grundsätzlich gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2, § 138 Abs. 3 StVollzG, § 147 Abs. 4 StPO ein Recht auf Einsicht in die Gerichtsakten zu. Anders als im Strafverfahren besteht im Strafvollzugsverfahren die gerichtliche Akte hingegen für gewöhnlich ausschließlich aus den Eingaben des Antragstellers, den ihm zur Kenntnisnahme übersandten Schriftsätzen des Antragsgegners und den dem Antragsteller bekanntgemachten gerichtlichen Entscheidungen. Der Antragsteller ist zur Ausübung seiner Verfahrensrechte in Strafvollzugsverfahren mithin in aller Regel nicht auf Akteneinsicht angewiesen. Denn durch die Akteneinsicht würden ihm lediglich die Schriftstücke, deren Inhalt er bereits kennt, zur Einsicht vorgelegt oder in Kopie übermittelt werden.

Aufgrund dieser Erwägungen obliegt es einem anwaltlich nicht vertretenen Antragsteller im Strafvollzugsverfahren darzulegen, worauf sein Akteneinsichtsgesuch zielt, damit ihm die Akteneinsicht in einer dem Zweck entsprechenden Weise gewährt werden kann. (vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 7.2.2022 – V 4 Ws 241/20, BeckRS 2022, 20086 Rn. 3, beck-online).

Im zugrundeliegenden Fall lässt sich indessen weder dem Antragsvorbringen noch der Beschwerdeschrift entnehmen, weshalb der Antragsteller Akteneinsicht begehrt. Bei dieser Sachlage kann das mit der Sache befasste Gericht nicht beurteilen, welche Schriftstücke dem Antragsteller möglicherweise fehlen und ob und in welchem Umfang ihm gemäß § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO, § 120 Abs. 1 Satz 2, § 138 Abs. 3 StVollzG Kopien bereitgestellt werden müssen oder ob es erforderlich ist, ihm die Akte im Original ? unter Aufsicht ? vorzulegen, was bei untergebrachten Antragstellern mit erheblichem Aufwand verbunden ist.

Haft III: Rechtsmittel/gewünschter Verteidigerwechsel, oder: Keine rechtsstaatswidrige Verzögerung

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Und als letzte Entscheidung dann noch der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 01.06.2023 – 7 Ws 114/23. Das OLG befasst sich mit der Frage der rechtssstaatswidrige Verfahrensverzögerung bei der Unterbringung. Vom LG ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht zur Bewährung ausgesetzt und auch nicht für erledigt erklärt worden. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„Die Unterbringung des Beschwerdeführers ist – auch unter Berücksichtigung der Unterbringungsdauer – weiterhin verhältnismäßig. Weder kann die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers verantwortet werden (§ 67d Abs. 2 S.1 StGB) noch ist die Maßregel für erledigt zu erklären (§ 67 d Abs. 6 S. 1 StGB).

…..

Die Strafvollstreckungskammer hat zutreffend festgestellt, dass die Überprüfungsfrist des § 67e StPO vorliegend um sechs Monate und zehn Tage überschritten wurde. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ist allerdings nicht eingetreten (vgl. zum Maßstab: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 3. Strafsenat, Beschluss vom 18. Juli 2019 – 3 Ws 456+457/19).

Die Strafvollstreckungskammer hat zunächst mit Beschluss vom 26. September 2022 über die Fortdauer der Unterbringung entschieden. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers hat der 3. Strafsenat diesen Beschluss mit Beschluss vom 29. November 2022 aufgehoben, da die nach § 463 Abs. 3 S. 1 StPO i.V.m. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung des Untergebrachten nicht vor der vollbesetzten Kammer erfolgt war. Der im Zusammenhang mit der Durchführung des (ersten) Beschwerdeverfahrens bis zur Entscheidung des 3. Strafsenats am 29. November 2022 eingetretene Zeitablauf begründet keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung. Denn der für das Rechtsmittelverfahren selbst benötigte Zeitablauf ergibt sich aus der Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems und kann deshalb für sich allein nicht als rechtsstaatswidrig angesehen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Januar 2004 – 2 BvR 1471/03). Anders kann dies zu beurteilen sein, wenn die Zurückverweisung Folge eines Verfahrensverstoßes ist, der im Licht der rechtsstaatlichen Gesamtverfahrensordnung schlechterdings nicht nachvollziehbar und als unvertretbarer Akt objektiver Willkür erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2006 – 2 StR 565/05). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Auch der weitere Zeitablauf nach der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 29. November 2022 bis zur erneuten Entscheidung durch die Kammer am 29. März 2023 lässt keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung besorgen. Denn es führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs in Unterbringungssachen, die zu einer Überschreitung der einschlägigen Fristvorgaben führt, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2016 – 2 BvR 1103/16). Das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten kann aber dann verletzt sein, wenn die Fristüberschreitung auf einer nicht mehr vertretbaren Fehlhaltung gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht sichernden Verfahrensrecht beruht (BVerfG, Beschluss vom 13. August 2018 – 2 BvR 2071/16; Beschluss vom 10. Oktober 2016 – 2 BvR 1103/16). Die Verfahrensführung der Kammer lässt eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht sichernden Verfahrensrecht nicht erkennen. Vielmehr hat die Vorsitzende das Verfahren – insbesondere nach Rückkehr der Akten aus der Beschwerdeinstanz – stets ausreichend gefördert. So hat sie umgehend nach Rückkehr der Akten mit Verfügung vom 13. Dezember 2022 eine ergänzende Stellungnahme der Klinik angefordert, mit Verfügung vom 10. Januar 2023 die Klinik hieran erinnert. Die persönliche Anhörung und Beschlussfassung ist dann zwar nicht zeitnah nach Eingang der Stellungnahme der Klinik vom 25. Januar 2023 erfolgt, sondern erst am 29. März 2023. Diese weitere zeitliche Verzögerung ist indes dem von dem Untergebrachten gewünschten Verteidigerwechsel geschuldet. Die Aufhebung der Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers und Beiordnung des neuen Pflichtverteidigers konnte erst mit Beschluss vom 27. Februar 2023 erfolgen, nachdem der neue Verteidiger – nach mehreren Erinnerungen seitens der Vorsitzenden – erklärt hatte, auf die Geltendmachung bereits entstandener und abgerechneter Gebühren zu verzichten. Sodann war dem neuen Pflichtverteidiger auf seinen Antrag hin noch Akteneinsicht zu gewähren, so dass die am 29. März 2023 erfolgte persönliche Anhörung und Beschlussfassung nicht veranlasst, auf eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung der Kammer gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten sichernden Verfahrensrecht zu schließen.“

Strafvollzug II: Bestellung eines Kosmetikspiegels, oder: Kosmetikspiegel sind keine Mittel zur Körperpflege

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Urheber Tropenmuseum

In der zweiten Entscheidung des Tages, dem OLG Celle, Beschl. v. 13.07.2023 – 1 Ws 180/23 (StrVollz) – geht es um den Kauf/die Bestellung eines Kosmetikspiegels durch einen Gefangenen. JVA und StVK haben das abgelehnt. Dagegen dann die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Denn die Kammer hat ihre rechtliche Überprüfung an einer nicht einschlägigen Norm vollzogen. Sie stützt sich – wie auch die Antragsgegnerin – auf § 24 Abs. 1 S. 1 NJVollzG, wonach Gefangene sich aus einem von der Vollzugsbehörde vermittelten Angebot Nahrungs- und Genussmittel sowie Mittel zur Körperpflege kaufen dürfen. Die Regelung dient dazu, die Kontrollmöglichkeiten der Anstalt zu gewährleisten (vgl. Arloth/Krä, 5. Aufl., § 22 StVollzG Rn. 2), welche bei solchen Gegenständen besonderen Aufwand bedürfen. Insoweit kann die Anstalt nicht nur den Zeitraum und die Anzahl, sondern auch die Art und Weise des Einkaufs innerhalb des eröffneten Ermessensspielraums regeln. Auf bestimmte Gegenstände hat ein Gefangener keinen Anspruch (vgl. OLG Frankfurt am Main, ZfStrVo SH 1979, 33; OLG Saarbrücken. BeckRS 2016, 09800).

Bei einem Kosmetikspiegel handelt es sich jedoch nicht um einen der in § 24 Abs. 1 S. 1 NJVollzG genannten Gegenstände. Insbesondere handelt es sich nicht um ein Mittel zur Körperpflege. Weder den Gesetzesmaterialien zu § 24 NJVollzG noch denen des diesem als Vorlage dienenden § 22 StVollzG ist zu entnehmen, welche konkreten Gegenstände der jeweilige Gesetzgeber im Sinn gehabt hat. Schon der allgemeine Sprachgebrauch deutet darauf hin, dass es sich – anders als bei Gegenständen zur Körperpflege – um solche Produkte handelt, die unmittelbar im oder am Körper Verwendung finden (vgl. OLG Hamm, ZfStrVo 1988, 311). Die Systematik der Norm in Form der dort aufgestellten Vergleichbarkeit mit Nahrungs- und Genussmitteln legt zudem nahe, dass es sich bei Körperpflegemitteln um solche Mittel handeln muss, die einen ähnlichen Kontrollaufwand zur Folge haben, wie es etwa bei Zahnpasta (vgl. Arloth/Krä, a.a.O., Rn. 2a) oder Cremes und Lotionen der Fall wäre. Der Senat verkennt dabei nicht, dass in der Rechtsprechung auch Rasierklingen unter den Begriff der Körperpflegemittel subsumiert worden sind (vgl. OLG Dresden, BeckRS 2018, 15218). Ob der Senat diese Auffassung teilt, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Anders als Rasierklingen findet die Verwendung eines Kosmetikspiegels jedenfalls nicht unmittelbar am Körper statt.

Ob der Antragsteller einen Anspruch auf Bestellung eines Kosmetikspiegels geltend machen kann richtet sich deshalb nach § 21 NJVollzG. Zwar regelt dieser unmittelbar nur den Besitz von Ausstattungsgegenständen und äußert sich nicht zu den Möglichkeiten des Gefangenen, sich die fraglichen Sachen zu beschaffen. Es liegt jedoch auf der Hand, dass diesem Recht auch ein Anspruch auf Einkauf zulässiger Ausstattungsgegenstände entsprechen muss. Anderenfalls würde die Befugnis zur Ausstattung des Haftraums mit eigenen Sachen weitgehend leerlaufen; der Gefangene wäre auf die Zuwendungen von Angehörigen angewiesen oder auf solche Ausstattungsgegenstände beschränkt, die er schon beim Strafantritt mitgebracht hat. Eine derartige Einschränkung des  Anspruchs aus § 21 NJVollzG würde der Intention des Gesetzes nicht gerecht. Soweit es um die Beschaffung von nach § 21 NJVollzG zulässigen Ausstattungsgegenständen geht, muss die Vollzugsbehörde den Einkauf demnach gestatten (vgl. OLG Zweibrücken, NStZ 1986, 477). Dass der Antragsteller über einen Wandspiegel im Nassbereich seiner Zelle verfügt, stellt dabei einen unbeachtlichen Umstand dar (vgl. zur ähnlichen Konstellation des Kaufs einer Leselampe bei bereits ausreichender Beleuchtung im Übrigen OLG Celle, NStZ 1981, 238).“r. 8, 52, 60, 63 Abs. 3 Nr. 2, 65 GKG.“

Strafvollzug I: Menschenwürdige Unterbringung, oder: Anforderungen an den Haftraum

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Und ich starte in die neue Woche mit zwei OLG-Entscheidungen zum Strafvollzug.

Die erste kommt aus Bayern. Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 19.07.2022 – 203 StObWs 249/22 – Stellung genommen zur Frage der menschenunwürdigen Unterbringung.

Auszugehen war von folgendem Sachverhalt:

„Der Antragsteller hat im gegenständlichen Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer mit Schreiben vom 1. November 2020 zunächst die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung im Haftraum C II der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kaisheim, die Feststellung eines Anspruchs auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 100.- Euro täglich fortlaufend ab dem 21. September 2020 und eine Verlegung in eine andere Zelle beantragt. Zudem hat er einen Amtshaftungsanspruch geltend gemacht. Mit Schreiben vom 15. Februar 2021 hat er beantragt, die Rechtswidrigkeit der Unterbringung im Haftraum C II sowie der Lochbleche vor dem Fenster im Haftraum DK 15  festzustellen, die Justizvollzugsanstalt zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 860.- Euro und 1290.- Euro sowie von 15.- Euro täglich ab dem 3. November 2020 zu verpflichten, und den Antrag auf Verlegung für erledigt erklärt.

Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe. Vom 21. September bis zum 2. November 2020 befand er sich als alleiniger Insasse im Haftraum C II 26 in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim (im Folgenden: Antragsgegnerin). Bei der Zelle handelt es sich um einen Einzelhaftraum im zweiten Stock des Zellenneubaus der Einrichtung. Ihre Grundfläche beträgt nach dem Vortrag des Antragstellers mindestens 7,58 qm, nach der Berechnung der Antragsgegnerin 8,04 qm. Das im Raum integrierte WC ist baulich nicht abgetrennt und verfügt nicht über eine gesonderte Abluftvorrichtung. Der Haftraum weist in einer Brüstungshöhe von etwa 180 cm ein Oberlichtfenster mit einer Gesamtfläche von etwa 1,30 qm auf. Ein Fensterflügel, der nach den Angaben des Antragstellers in einer seinem Schreiben vom 22. Oktober 2021 beigefügten Skizze mit mindestens 40 x 80 cm etwa ein Drittel der Fensterfront bildet, kann zur Belüftung geöffnet werden. Die übrigen zwei Drittel des Fensters sind nicht zu öffnen und bestehen aus einer Glasscheibe.  Zum Schutz vor Überwürfen ist vor dem Fenster ein Vorsatzgitter angebracht. Im verfahrensrelevanten Zeitraum war der Antragsteller bis zum 19. Oktober 2020 ohne Beschäftigung und befand sich ab dem 20. Oktober 2020 regelmäßig wöchentlich 36 Stunden und 45 Minuten im Arbeitsbetrieb. Die Aufschlusszeiten einschließlich der Aufenthaltsmöglichkeit im Freien betrugen außerhalb der Arbeitswochen von Montag bis Freitag insgesamt 5 Stunden 30 Minuten und am Wochenende 6 Stunden 30 Minuten. Die Reinigung mittels ihm zur Verfügung gestellten Reinigungsmitteln und die Belüftung des Haftraumes oblagen dem Gefangenen. Nachdem der Antragsteller am 30. Oktober 2020 der Antragsgegnerin seine Bedenken gegen die Bedingungen seiner Unterbringung in einem Gespräch mitgeteilt hatte, wurde er am 2. November 2020 in einen anderen Haftraum verlegt.

Der Antragsteller ist der Auffassung, sein Aufenthalt im Raum C II 26 sei aufgrund der Größe des Raumes und der Installation des WCs ohne Abluftvorrichtung und ohne bauliche Abtrennung mit der Menschenwürde nicht vereinbar gewesen und müsse mit einer Geldzahlung ausgeglichen werden. Er hält zudem ein Oberlichtfenster generell für unzulässig. Der Einbau hätte auch nicht den DIN-Vorgaben entsprochen. Das Fensterglas wäre nur mit einfachem Kitt befestigt gewesen. Das Fenster hätte zudem keine ausreichende Belichtung und Beleuchtung des Raumes zugelassen. Selbst bei Tag wären das Lesen und Schreiben nicht ohne künstliche Beleuchtung möglich gewesen. Die Aufschlusszeiten stellten sich ebenfalls als menschenunwürdig dar.

Die Antragsgegnerin ist dem Vorwurf einer menschenunwürdigen Unterbringung in ihrer Anstalt entgegengetreten. Die von ihr vorgetragene und mit einem Grundriß unterlegte Raumgröße von 8,04 qm, die von ihr dargestellte Ausstattung des Haftraumes und die von ihr detailliert aufgeführten Aufschlusszeiten entsprächen den Anforderungen an einen menschenwürdigen Strafvollzug. Die Gesamtfläche des Fensters würde 1,30 qm betragen.  Die Vorsatzgitter seien erforderlich geworden, nachdem Betäubungsmittel und Kommunikationsmittel in die Fenster der Anstalt hineingeworfen worden wären. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hätte die Gitter als gerechtfertigt beurteilt.

Der Verurteilte hatte im Verfahren keinen Erfolg. Hier die Leitsätze des BayObLG:

1. Die Frage nach der Menschenwürdigkeit der Unterbringung von Strafgefangenen hängt stets von einer Gesamtschau der tatsächlichen, die Haftsituation bestimmenden Umstände ab. Eine maßgebliche Bedeutung kommt der Größe und Belegung des Raumes, der Lage und Größe des Fensters, der Ausstattung und Belüftung des Haftraums, den hygienischen und klimatischen Verhältnissen, der Heizung, der Luftmenge und der Beleuchtung, dem Zugang zum Freistundenhof oder zu Frischluft und Tageslicht zu. Längere Aufschlusszeiten sind geeignet, mögliche Defizite zu kompensieren.

2. Auch wenn die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze neben dem Erfordernis einer Sichtverbindung nach außen auch vorsehen, dass die Fenster zulassen, dass die Gefangenen unter normalen Bedingungen bei Tageslicht lesen und arbeiten können, führt eine Feinvergitterung nicht ohne weiteres dazu, eine Unterbringung als menschenunwürdig zu qualifizieren. Auch insoweit kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.