Archiv der Kategorie: Gesetzesvorhaben

Zwei Gesetzesvorhaben sind jetzt auf dem Weg, oder: Strafen bei „Kinderpornos“ und Vertrauensleute pp.

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So, heute ist Samstag und damit Zeit für den „Kessel Buntes“. Und in dem ist es heute ganz bunt. Denn ich stelle jetzt zunächst zwei Gesetzesvorhaben bzw. den Stand dieser Vorhaben vor und bringe heute Nachmittag dann einige Entscheidungen mit vereinsrechtlichen Inhalt.

Hier also zunächst zwei Gesetzesvorhaben, und zwar:

Zunächst der Hinweis auf das „Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“ Die Problamtik, die zu diesem Gesetzesvorhaben geführt hat, dürfte bekannt sein. Es geht um die „Reparatur“ einer Gesetzesänderung aus Sommer 2021. Da ist u.a. der Strafrahmen des § 184b StGB – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren auf ein Jahr bis zu zehn Jahren und der Strafrahmen des § 184b Abs. 3 StGB auf ein Jahr bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe angehoben worden.. Alle Taten nach § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StGB sind damit „Verbrechen“ i.S. des § 12 Abs. 1 StGB. Damit ist keine Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a StPO und keine Erledigung durch Strafbefehl mehr möglich.

Das hat in der Praxis vor allem in den Fällen zu Problemen geführt, in den der/die Beschuldigte „nicht aus einem eigenen sexuellen Interesse an kinderpornographischen Inhalten gehandelt hat, sondern (im Fall des § 184b Absatz 1 Satz 1 StGB) im Gegenteil, um eine andere Tat nach § 184b StGB, insbesondere eine weitere Verbreitung oder ein öffentliches Zugänglichmachen eines kinderpornographischen Inhalts, zu beenden, zu verhindern oder aufzuklären. Besonders häufig sind solche Fälle bei Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern älterer Kinder oder Jugendlicher aufgetreten, die kinderpornographisches Material bei diesen gefunden und an andere Eltern, Lehrerinnen oder Lehrer oder die Schulleitung weitergeleitet haben, um diese über den Missstand zu informieren.“

Das soll nun behoben werden. Alle Tatbestände des § 184b Abs. 1 und 3 StGB sollen durch Absenken der Mindeststrafen wieder zu Vergehen herabgestuft werden Die Erhöhung der Höchstfreiheitsstrafe auf zehn Jahre für die schwerer wiegenden Tatbestände des § 184b Abs. 1 StGB wird aber beibehalten.

Die Stimmen zu dieser (geplanten) Gesetzesänderung waren zwiespältig. ich empfehle die Lektüre der Stellungnahmen auf der Homepage des BMJ. Inzwischen gibt es den o.a. Regierungsentwurf. Wie man hört, soll der schnell im Bundestag beraten werden. Es ist (angeblich) geplant, die Gesetzesänderungen schon zum 01.04.2024 in Kraft treten zu lassen. Das ist für laufende Verfahren von Bedeutung.

Und dann der Hinweis auf den „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation. Dazu existiert, wenn ich es richtig sehe, bisher nur der Referentenentwurf des BMJ, mit dem der Einsatz von Vertrauenspersonen und der Umgang mit der Tatprovokation erstmals gesetzlich geregelt werden soll.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Entwurf, der in etwa Folgendes vorsieht:

  • Die Anforderungen an den Einsatz von V-Personen werden gesetzlich geregelt. Es wird geregelt, welche Personen nicht als V-Personen eingesetzt werden dürfen und unter welchen Voraussetzungen Einsätze grundsätzlich zu beenden sind oder beendet werden sollen. Darüber hinaus wird geregelt unter welchen Voraussetzungen, Angaben über V-Personen geheim gehalten werden dürfen.
  • Es wird im Bereich der Zeugenvernehmung eine neue Regelung zum besseren Schutz der Identität von Zeugen eingeführt, die insbesondere auch für Verdeckte Ermittler und V-Personen relevant ist.
  • Für Einsätze von V-Personen wird ein Richtervorbehalt eingeführt und die Einsätze werden einer regelmäßigen richterlichen Kontrolle unterstellt.
  • Für Einsätze Verdeckter Ermittler und von V-Personen werden Berichtspflichten eingeführt.
  • Die Regelungen zum Kernbereichsschutz werden unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG (Beschluss vom 9. Dezember 2022 – 1 BvR 1345/21, Randnummern 100-123) für Einsätze Verdeckter Ermittler erweitert und auf V-Personen erstreckt.
  • Die Voraussetzungen eines zulässigen Verleitens zu einer Straftat werden geregelt. Die rechtsstaatswidrige Tatprovokation wird definiert und als Rechtsfolge ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis festgelegt.

Der Stand des Gesetzgebungsverfahren: Die Verbände hatten beis zum 27.01.2024 Zeit sich zu äußern. Dazu steht bisher nichts auf der Homepage des BMJ. Eine Reaktion habe ich aber schon gefunden: „Klares Nein aus Niedersachsen zu Referentenentwurf für den Einsatz Verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern und von Vertrauenspersonen – Justizministerin Dr. Wahlmann und Innenministerin Behrens erteilen Bundesjustizminister eine Absage.

Was kommt in 2024 „vielleicht“ an neuen Gesetzen, oder: Eckpunkte StGB, RVG-Erhöhung und digitale HV (?)

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Und dann am Neujahrsnachmittag ein kleiner Ausblick auf das, was kommt bzw. kommen könnte. Ich beschränke mich dabei auf die Gesetzesvorhaben, die uns die Ampel-Koalition noch „beschert“, wenn sie es denn so weit noch schafft.

Das Wichtigste dürften da die vom BMJ mit einem „Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuchs“ aus November 2023 angekündigten Änderungen sein. Das beruht auf dem Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition, der vorsieht, dass das StGB systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche überprüft werden soll. Es sollen besonders historisch überholte Straftatbestände kritisch überprüft werden, um die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz zu gewährleisten.

Das BMJ hat unter diesen Gesichtspunkten folgende Delikte vorgesehen/aufgelistet, die verändert bzw. aufgehoben werden sollen:

1. Aufzuhebende oder inhaltlich anzupassende Tatbestände

2. Änderungen bei Tatbeständen mit Bezug zum Nationalsozialismus:

3. Tatbestände, die Gegenstand anderer Vorhaben sind bzw. waren:

      • Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte – § 184b StGB
      • Ausspähen von Daten, Abfangen von Daten, Vorbereitung des Ausspähens und Abfangens von Daten – §§ 202a ff. StGB

Wegen der Einzelheiten und der Begründung für die Änderungen verweise ich auf das vollständige Eckpunkte-Papier auf der Homepage des BMJ.

Und dann haben wir ja noch die für das RVG geplanten Änderungen. Beim DAV und der BRAK ist man da ganz hoffnungsvoll, ich bin mir nicht sicher, ob die Änderungen schon in 2024 kommen oder ob sie erst in 2025 in Angriff genommen werden. Dann quasi als Vorwahlgeschenk. Zu den Änderungen gibt es aber nichts Neues, so dass ich dazu auf meinen Beitrag: Höhere Anwaltsgebühren/RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft 2.0 – Stand September 2023 verweisen kann.

Und dann ist da noch das „Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen
Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer Vorschriften Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG), zu dem der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen hat (vgl. hier die BR-Drucks. 603/23). Der Bundesrat wünscht eine „grundlegende“ Überarbeitung.

Ich bin gespannt.

Pflichti II: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Petitionsausschuss empfiehlt Prüfung der Frage

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Und im zweiten Posting dann eine Entscheidung des LG Halle zur „Dauerbrennerproblematik“ der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. Um die Frage wird ja nach wie vor heftig gestritten, wobei die wohl h.N. inzwischen davon ausgeht – was m.E. auch richtig ist -, dass die nachträgliche/rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers zumindest dann zulässig ist, wenn der Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1 oder 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.

So jetzt dann auch noch einmal das LG Halle im LG Halle, Beschl. v. 21.11.2023 – 3 Qs 109/23 -, in dem das LG seine bisherige Rechtsprechung in der Frage bestätigt hat. Wegen der Einzelheiten der Begründung der Entscheidungen verweise ich auf den verlinkten Volltext. Die stelle ich nicht mehr ein, da ich über die Problemati in der letzten Zeit ja schon häufiger berichtet habe.

In meinen Postings habe ich auch immer wieder darauf hingewiesen, dass der Streit in der Rechtsprechung: Nachträgliche Bestellung zulässig ja oder nein?, letztlich wohl nicht eine Frage ist, die die Rechtsprechung (abschließend) entscheiden kann/wird, sonder m.E. der Gesetzgeber an der Stelle tätig werden muss. Sonst wird sich dieses Hin und Her und das Kleben – vor allem der Obergerichte – an alten Zöpfen, nämlich an Rechtsprechung aus der Zeit vor der Neuregelung der §§ 140 ff. StPO nie ändern/enden.

Und an der Stelle habe ich jetzt ein wenig Hoffnung, dass sich vielleich etwas bewegt. Denn es hat im Bundestag eine Petition gegeben, mit der der Petent gefordert hat, gesetzlich zu regeln, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch nach Abschluss des Strafverfahrens erfolgen kann, sofern die Beiordnung rechtzeitig beantragt worden war. Auf die hat mich der Kollege M. Höpfner aus Berlin hingewiesen. Diese Petition ist im Petitionsausschuss des Bundestages beraten worden. Und der Ausschuss hat empfohlen, die Petition der Bundesregierung, und zwar dem BMJ – zu überweisen. Wer Interesse an der Beschlussempfehlung hat, der Kollege hatte sie mir zur Verfügung gestellt. Ich habe sie hier eingestellt. Im Übrigen verweise ich auf die BT-Drucks. 20/9210.

Ich bin gespannt, was „unser (?) BMJ M. Buschmann macht. Im Zweifel wahrscheinlich (leider) gar nichts. Denn in der „Beschlussempfehlung“ heißt es (schon):

„Der Petitionsausschuss weist allerdings darauf hin, dass der BGH bislang noch nicht Gelegenheit gehabt hat, darüber zu entscheiden, ob und wie sich die Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung auf seine bisherige Rechtsprechung auswirkt. Angesichts dessen hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuwarten“

Also: Abwarten? Na ja, der Petitionssausschuss hat zumindest ein wenig Druck gemacht, wenn es in der Beschlussempfehlung heißt:

„Demgegenüber ist der Petitionsausschuss der Ansicht, dass die überragende Bedeutung, die dem Recht auf ein faires Verfahren Zukommt, sowie das mit dem Gesetz zur Neuregelung. des Rechts der notwendigen Verteidigung verfolgte Ziel, auch mittellosen. Beschuldigten einen frühzeitigen Zugang zum Recht zu Bewähren, hinreichend Anlass geben, unter eben diesen Gesichtspunkten die Notwendigkeit der vom Petenten geforderten gesetzlichen Klarstellung zumindest zu prüfen.

Anderenfalls wäre unter Umständen eine Beeinträchtigung des notwendigen Rechts auf Verteidigung allein deshalb zu besorgen, weil die Frage nicht bzw. nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes höchstrichterlich geklärt wird.“

Höhere Anwaltsgebühren/RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft 2.0 – Stand September 2023

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Und heute geht es hier dann um Gebühren bzw. Kosten.

In dem Zusammenhang komme ich erst noch einmal auf das sog. Eckpunkte-Papier von DAV und BRAK zurück, über das ich ja schon einmal berichtet habe, und zwar hier: Höhere Anwaltsgebühren/
RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft mit dem „Eckpunktepapier“ 2023
.

Mir war das Papier damals „zugespielt“ worden, es hatte den Stand Mai 2023, war aber wohl noch nicht „offiziell“ von DAV und BRAK abgesegnet. Das ist jetzt der Fall und es gibt jetzt ein neues Papier – Stand September 2023,

Das heißt

Gemeinsamer Katalog des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer – Vorschläge zur linearen Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung sowie
zu strukturellen Änderungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes
„.

Die Forderungen in dem Katalog sind etwas ausführlicher begründet als in dem im August von mir vorgestellten „Eckpunktepapier“ – Stand Mai 2023.

An den „Forderungen“ von DAV/BRAK hat sich allerdings m.E. nichts geändert. Daher stelle ich hier nicht noch einmal das ganze Papier ein, sondern verweise auf den o.a. Link.

Man darf nun gespannt sein, wie es weiter. Ich denke, es werden Änderunge/Klarstellungen kommen, aber wahrscheinlich nicht alles das, was „gefordert“ wird. Dem werden die Bundesländer einen Riegel vorschieben und auf ihre leeren Kassen verweisen. Ich werde die Entwicklung im Auge behalten und hier weiter berichten.

Wir hatten über die geplanten Änderungen übrigens schon im StRR 8/2023 berichtet. Hier geht es zum Beitrag

Änderung im RVG in der 20. Legislaturperiode, oder: Eckpunktepapier
von DAV/BRAK aus Mai 2023

Der enthält auch bereits erste Einschätzungen.

Höhere Anwaltsgebühren/RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft mit dem „Eckpunktepapier“ 2023

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Im Mittagsposting dann heute keine Entscheidung, sondern ein Blick in die Zukunft oder auch in die Glaskugel. Es geht nämlich um Änderungen im RVG, die sich – nun ja, noch nicht ankündigen, aber immerhin – abzeichnen. Ist ja schon mal schön, das zu hören bzw. zu lesen.

Ausgangspunkt der Berichterstattung ist ein sog. Eckpunktepapier mit dem Titel: Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung in der 20. Legislaturperiode – Eckpunktepapier von DAV und BRAK – Mai 2023. Ja, richtig gelesen. „Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung“. Es ist mal wieder so weit. Die letzten linearen und/oder strukturellen Änderungen im RVG datieren aus der 19. Legislaturperiode. Diese Änderungen durch das 2. KostRÄG 2021 sind am 1.1.2021 in Kraft getreten. Um weitere/neue Änderungen „anzustoßen“, haben nun also DAV und BRAK im Mai 2023 gemeinsam dieses. Eckpunktepapier vorgelegt, in dem sie ihre Änderungswünsche/ – vorschläge formuliert haben. Ich stelle diese hier heute vor. In dem Papier heißt es:

„Die Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege gewährleistet den effektiven Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger und sichert dadurch die Errungenschaften des Rechtsstaats. Damit die Anwaltschaft ihrem Auftrag nachkommen kann, müssen die Rahmenbedingungen gewährleistet werden. Dazu gehört auch die zureichende Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit.

Deshalb setzt sich die Anwaltschaft für eine zeitnahe lineare Erhöhung der anwaltlichen Vergütung ein. Zudem bedarf es struktureller Änderungen und Ergänzungen im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.

Vor diesem Hintergrund fordern BRAK und DAV:

I. Lineare Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung

Die Anwaltschaft ist auf eine zeitnahe lineare Erhöhung ihrer Vergütung dringend angewiesen. Die hohen und stetig wachsenden Kosten, eine Kanzlei zu unterhalten, sowie die nach wie vor steigende Inflation, die sich insbesondere auch in der hohen bestehenden Kerninflation bestätigt, machen eine rasche Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung unumgänglich. Denn nur eine ausreichende Vergütung versetzt Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dauerhaft in die Lage, den Zugang zum Recht in angemessener Weise zu garantieren. Darüber hinaus erfolgte durch die Erhöhung im Rahmen des KostRÄG 2021 keine vollständige Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung seit dem 2. KostRMoG 2013. Auch diese Differenz gilt es aufzuholen.

II. Strukturelle Änderungen und Klarstellungen

1. Anpassung der Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG

Die Terminsgebühr nach Nr. 1010 VV RVG soll dahingehend geändert werden, dass diese unabhängig von der Durchführung einer Beweisaufnahme bei der Teilnahme an mehr als zwei gerichtlichen Terminen (sowohl gerichtliche einschließlich der vor einem Güterichter als auch von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumte Termine) mit einer Gesamtdauer von insgesamt mehr als 120 Minuten entsteht. Denn die im Jahr 2013 eingeführte Gebühr kommt in der Praxis aufgrund der hohen Hürde (Kombination aus besonders umfangreicher Beweisaufnahme und drei gerichtlichen Terminen) fast nie zur Anwendung. Rechtsanwälten entsteht allerdings bei mehreren Terminen ein erheblicher zusätzlicher Aufwand.

2. Inkassodienstleistungen –Nr. 2300 Anm. Abs. 2 VV RVG

Zum Schutz von Verbrauchern vor zu hohen Inkassokosten wurde mit dem Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei Inkassodienstleistungen zum 01.10.2021 bei der Geschäftsgebühr ein neuer Abs. 2 in Nr. 2300 VV RVG eingeführt. Bei unbestrittenen Forderungen gilt für Inkassodienstleistungen ein reduzierter Gebührenrahmen der Geschäftsgebühr. Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass im Hinblick auf die Erweiterung zulässiger Inkassodienstleistungen auch bei der klassischen anwaltlichen Geltendmachung von Forderungen sowohl aus unerlaubter Handlung als auch gegenüber Unternehmern die Gebühren vom Erstattungspflichtigen gekürzt werden, z. B. in Verkehrsunfallsachen durch den Haftpflichtversicherer.

Entsprechend Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung soll daher durch eine Ergänzung von Nr. 2300 Anm. Abs. 2 VV RVG klargestellt werden, dass der Gebührentatbestand nur bei Inkassodienstleistungen wegen vertraglicher Forderungen gegenüber Verbrauchern Anwendung findet.

3. Abschaffung des Schriftformerfordernisses bei Anwaltsrechnungen in § 10 RVG

In § 10 RVG soll das Schriftformerfordernis bei Rechtsanwaltsrechnungen durch die Textform ersetzt werden und zwar unabhängig von der Zustimmung des Mandanten. Das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift passt nicht mehr in die digitalisierte Lebenswirklichkeit. Die Textform entspricht sehr viel stärker den Bedürfnissen der Praxis nach einer einfachen Möglichkeit einer elektronischen Übermittlung. Von entscheidender Bedeutung sind die Richtigkeit, Angemessenheit und Kenntnisnahme der Rechnung durch die Rechtsanwälte. Diesen Voraussetzungen tragen die berufsrechtlichen Grundpflichten nach §§ 43, 43a BRAO Rechnung. Ferner verlangt bereits jetzt § 3a RVG für Vergütungsvereinbarungen nur die Textform.

4. Einführung von Gebühren für das strafrechtliche Zwischenverfahren

Das Strafverfahren ist in drei Abschnitte (Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren) geteilt, in denen Rechtsanwälte tätig sind. Eine Vergütung ist jedoch nur für das Ermittlungs- und das Hauptverfahren vorgesehen. Die vergütungsrechtliche Regelung widerspricht damit der prozessrechtlichen Struktur des Strafverfahrens. Darüber hinaus besteht im Zwischenverfahren ein erheblicher Arbeitsaufwand für Rechtsanwälte. Dabei erhalten Beschuldigte und ihre Vertreter erstmalig Gelegenheit festzustellen und zu prüfen, welche konkreten Vorwürfe erhoben werden und welche Beweismittel zur Verfügung stehen. Erst in diesem Stadium besteht die Möglichkeit, zur Sach- und Rechtslage umfassend Stellung zu nehmen. Dem ist durch die Schaffung einer gesonderten Gebühr für das Zwischenverfahren Rechnung zu tragen.

5. Vergütung des beigeordneten Zeugenbeistands

In § 48 RVG soll eine Vergütungsregelung für die Zeugenbeistandsleistung von Rechtsanwälten, die nach § 68b StPO beigeordnet sind, dahingehend normiert werden, dass sich die Beiordnung auf alle vorbereitenden und nachsorgenden Tätigkeiten erstreckt.

Der Zeugenbeistand wird durch den Zeugen für eine Vielzahl von Tätigkeiten beauftragt (u. a. Erstberatung, ggf. Akteneinsicht beim Opferzeugen, Vorbereitung des Termins, Begleitung im Termin, ggf. Vertretung bei Anträgen des Zeugen auf Schutzeinrichtungen). Die Beiordnung kann nach § 68b StPO durch Wortlautauslegung als Beistand nur für die Dauer der Vernehmung erfolgen. Danach hat der Zeugenbeistand gegenüber der Landeskasse nur einen Anspruch auf Vergütung nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, also nur auf einen geringen Bruchteil dessen, was der Auftraggeber schuldet. Dies ist unangemessen und benachteiligt insbesondere den Zeugen.

6. Anpassung der Grenze in § 49 RVG bei PKH/VKH und Anhebung der Kappungsgrenze

Die Grenze reduzierter PKH-Gebühren soll auf 5.000 Euro Gegenstandswert angehoben werden. In allen Kostengesetzen sowie im RVG wurden die Auffangwerte auf 5.000 Euro vereinheitlicht. Eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Bewertung besteht nicht.

Zudem soll die Kappungsgrenze in § 49 RVG zur Anpassung an die Inflationsentwicklung auf 100.000 Euro angehoben werden.

7. Anhebung der Gegenstandswerte in Kindschafts- sowie Gewaltschutz- und Abstammungssachen

Die Verfahrenswerte in isolierten Kindschaftssachen nach § 45 FamGKG (Höchstgrenze § 44 Abs. 2 FamGKG) sollen auf 5.000 Euro angehoben werden. Sachliche Gründe, die eine vom üblichen Auffangwert abweichende Bestimmung des Verfahrenswertes rechtfertigen, gibt es nicht. Darüber hinaus soll jedes Kind bei der Wertberechnung gesondert berücksichtigt werden. Jedes Kind ist ein Individuum und hat ein Recht auf eigenständige Berücksichtigung seiner subjektiven Interessen im gerichtlichen Verfahren. Diese können auch bei Geschwisterkindern erheblich voneinander abweichen. Für eine angemessene Wertbestimmung ist es daher erforderlich, dass jedes Kind isoliert als Subjekt angesehen und der Wert pro Kind in Ansatz gebracht wird.

Auch die Verfahrenswerte in Gewaltschutzsachen nach dem GewSchG sind mit nur 2.000 Euro bzw. 3.000 Euro bei Wohnungsüberlassung nach § 49 FamGKG sowie in Abstammungssachen mit 2.000 Euro nach § 47 FamGKG deutlich zu niedrig bemessen. Diese Werte wurden seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angehoben und sind entsprechend anzupassen.

8. Auslagentatbestände:

a) Änderung der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG

Nach der jetzigen Regelung werden nur Kopien, keine Scans vergütet. Eine Ungleichbehandlung von Kopien und Scans ist sachlich nicht gerechtfertigt, da der Personalaufwand identisch ist und höhere Kosten für leistungsfähige Geräte zur Erstellung von Scans anfallen. Ebenso besteht eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit den Steuerberatern, die nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 StBVV die Dokumentenpauschale nach wie vor für Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten, also auch Scans, und nicht nur für Kopien erhalten.

Daher soll Nr. 1 der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG klarstellend dahingehend ergänzt werden, dass auch das Einscannen von in Papierform vorliegenden Akten zur weiteren Bearbeitung als elektronische Akte von der Pauschale erfasst wird.

b) Erhöhung der Fahrtkostenpauschale nach Nr. 7003 VV RVG

Die Kilometerpauschale von 0,42 Euro ist aufgrund der enorm gestiegenen Kraftstoffpreise nicht mehr kostendeckend und soll auf mindestens 0,50 Euro angehoben werden. Im Jahr 2021 lag der durchschnittliche Kraftstoffpreis bei 152,2 Cent/Liter und im Jahr 2022 sogar bei 186,0 Cent/Liter; aktuell (April 2023) liegt er bei 180,5 Cent/Liter. Hinzukommen die gestiegenen tatsächlichen Autokosten.

9. Angelegenheitsbegriff, § 17 RVG

Der Wegfall von § 15 Abs. 2 S. 2 RVG a. F. durch das 2. KostRMoG im Jahr 2013 führte dazu, dass die Rechtsprechung teilweise verschiedene Verfahren als nur eine einheitliche gebührenrechtliche Angelegenheit annimmt. Eine Änderung der vorher geltenden Rechtslage war durch den Wegfall jedoch nicht beabsichtigt.

Durch eine entsprechende Ergänzung des § 17 Abs. 1 Nr. 1 RVG soll klargestellt werden, dass jedes einzelne behördliche, verwaltungsrechtliche und gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind.

10. Fiktive Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG auch bei vorgeschriebener Erörterung

Durch eine Ergänzung der Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 1 VV RVG um Erörterungstermine soll klargestellt werden, dass der Gebührentatbestand auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen ein Erörterungstermin vorgeschrieben ist, Anwendung findet. Aufgrund des derzeitigen Wortlauts, der nur mündliche Verhandlungen umfasst, verneint die Rechtsprechung teilweise die Möglichkeit des Anfalls einer fiktiven Terminsgebühr in Angelegenheiten, in denen eine Erörterung vom Gesetz vorgeschrieben ist. Eine unterschiedliche gebührenrechtliche Bewertung bei der Vermeidung von vorgeschriebener mündlicher Verhandlung und Erörterung ist jedoch sachlich nicht zu rechtfertigen.2

Eine bunte Mischung. Insgesamt kann man die Vorschläge nur unterstützen. Dahin stehen soll an dieser Stelle auch, ob sich nicht weitere Änderungen/Ergänzungen empfehlen würden. Die würden aber sicherlich den Rahmen eines KostRÄG sprengen und eher für ein 3. KostRMoG sprechen. Aber auch die Umsetzung der vorgeschlagenen Änderungen würde dem anwaltlichen Gebührenrecht gut tun. Man kann nur hoffen, dass sie kommen Und man kann nur hoffen, dass sie bald in Angriff genommen werden. Denn die laufende 20. Legislaturperiode endet im Herbst 2025. Viel Zeit für Änderungen im RVG ist also nicht mehr. Allerdings: Ich habe Zweifel, ob das alles kommt. Ich höre schon die Länderfinanzminster rufen: Wir haben kein Geld. Andererseits: In 2025 sind Wahlen. Da wird man sicherlich vorher auch die Rechtsanwälte „positiv stimmen wollen“.

Und: Einen Beitrag zu den Änderungen von mir gibt es inzwischen auch. Der ist in StRR 8/2023, 13 ff. veröffentlicht. Titel: Änderung im RVG in der 20. Legislaturperiode, oder:
Eckpunktepapier von DAV/BRAK aus Mai 2023
. Er enthält eine erste, etwas konkrete Einschätzung der Vorschläge.