StPO II: Akteneinsicht bei Vergewaltigungsvorwurf, oder: (Theoretische) Möglichkeit der „Präparierung“

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Und im zweiten Posting dann mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.03.2024 – 2 Ws 56/24 – noch einmal etwas zur Akteneinsicht der Verletzten in einem Vergewaltigungsverfahren. Der Vertreterin der Verletzten ist vom LG Akteneinsicht gewährt worden. Dagegen die Beschwerde des Angeschuldigten, die keinen Erfolg hatte:

„1. Die Beschwerde des Angeschuldigten ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 304 Abs. 1, 406e Abs. 4 S. 4 StPO – die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen abgeschlossen und Anklage erhoben – statthaft (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 1 Ws 81/20,-, BeckRS 2020, 17128; KG, Beschluss vom 10.05.2021 – 5 Ws 85/21161 AR 62/21 -, BeckRS 2021, 55985; Senat, Beschluss vom 05.02.2021 – 2 Ws 27/21 -, juris; BeckOK/Weiner, StPO, 50. Ed. Stand 01.01.2024, § 406e StPO Rn. 19).

2. In der Sache erweist sich die Beschwerde des Angeschuldigten indes als unbegründet.

a) Auch wenn dem Vorsitzenden bei seiner Entscheidung darüber, ob einem Akteneinsichtsbegehren § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO entgegensteht, ein weiter Ermessensspielraum zusteht (BGH NJW 2005, 1519; OLG Schleswig StraFo 2016, 157), ist der Senat nicht auf eine Prüfung der angefochtenen Entscheidung auf Ermessensfehler beschränkt. Vielmehr hat er – mangels abweichender gesetzlicher Regelung – gemäß § 309 Abs. 2 StPO als Beschwerdegericht selbst die in der Sache gebotene Entscheidung zu treffen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 309 Rn. 4; KK-Zabeck, StPO, 9. Aufl., § 309 Rn. 6).

b) Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks ist zwar auch dann anzunehmen, wenn die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihm noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen könnte (BT-Drs. 10/5305 S. 18).

Allerdings ist auch in Verfahrenskonstellationen, in denen der Aussage des Verletzten für die Wahrheitsfindung besondere Bedeutung zukommt – namentlich wenn allein seine Aussage gegen die des Beschuldigten steht oder sich dieser nicht zur Sache einlässt – nicht generell davon aus-zugehen, dass eine Beeinflussung der Aussage durch die Gewährung von Akteneinsicht zu be-sorgen ist. Vielmehr ist auch dann eine Betrachtung der Umstände des Einzelfalls geboten (BGH NStZ 2016, 367). Allein die (theoretische) Möglichkeit einer „Präparierung“ oder ggf. auch unbewussten Beeinflussung des Verletzten und seiner Aussage anhand des Akteninhalts reicht für eine Versagung der Akteneinsicht, auf die der Nebenkläger gemäß § 406e Abs. 1 StPO grundsätzlich einen Anspruch hat, nicht aus (KG a.a.O.; OLG Brandenburg, a.a.O.).

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Nebenklägerin bereits polizeilich und richterlich, in Anwesenheit der ihr damals beigeordneten Rechtsanwältin, vernommen wurde und dass dieser bereits umfassend Akteneinsicht seitens der Staatsanwaltschaft gewährt worden war. Die Sachverständige hat in ihrem vorläufigen schriftlichen Gutachten nach sorgfältiger Aussageanalyse keinerlei Anhalte für eine suggestive Beeinflussung der Nebenklägerin ermitteln können. Eine nachträgliche Beeinflussung der Zeugin durch Vermittlung von Aktenkenntnis oder gar durch die ihr nunmehr beigeordnete Rechtsanwältin selbst erscheint fernliegend. Der Senat hält im Übrigen an seiner Auffassung fest, dass jedenfalls die anwaltliche Zusicherung der mit der Akteneinsicht betrauten Rechtsanwältin, keinerlei Aktenkenntnis an die Nebenklägerin weiterzugeben, geeignet ist, eine Beeinflussung der Aussage der Verletzten und damit eine Gefährdung des Untersuchungszwecks auszuschließen (vgl. Senat, Beschluss vom 05.02.2021, a.a.O.). Eine entsprechende Zusicherung hat Rechtsanwältin pp. vorliegend abgegeben.“

StPO I: Wesentliche Änderung des Tatbildes, oder: Rechtlicher Hinweis erforderlich

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Und heute dann noch einmal StPO-Entscheidungen.

Hier zunächst ein Beschluss zum rechtlichen Hinweis nach § 265 StPO, und zwar der OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.04.2024 – 1 ORs 6/24.

Das LG hat den  Angeklagten wegen Bestechlichkeit zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG haben die Ermittlungsbehörden vermutet, dass der Gefangene pp. auch aus der Haft heraus weiter Drogengeschäfte in erheblichem Umfang vornehme. Daher sei der Telefonanschluss seiner Frau im Rahmen einer genehmigten Telekommunikationsüberwachung überwacht worden. Im Rahmen dieser TKÜ-Aufzeichnung am 29.09.2018 habe die Polizei festgestellt, dass der inhaftierte Zeuge mit seinem Handy telefoniert habe. Da das Handy im Vollzug nicht gestattet sei, sei der Leiter des Sicherheitsdienstes der JVA, der Zeuge pp., informiert worden, der daraufhin angeordnet habe, den Haftraum des Gefangenen unverzüglich aufzusuchen und sofort das Handy sicherzustellen. Diesen Zugriff habe der Angeklagte mit dem weiteren Justizvollzugsbeamten und Zeugen pp. vornehmen sollen.

Im Rahmen dieser Haftraumprüfung habe der Angeklagte aufgrund eines Zahlungsangebotes von 20,- EUR mit dem Inhaftierten pp. eine Vereinbarung dahingehend getroffen, er (der Angeklagte) werde das Handy des Inhaftierten an sich nehmen, um es anschließend bewusst verschwinden zu lassen, oder den Inhaftierten blitzschnell in die direkt angrenzende Nasszelle rennen lassen, das Handy in der Toilette versenken und anschließend die Spülung ziehen lassen, ohne dass der Angeklagte Versuche unternehmen würde, diese Beseitigung des Handys zu verhindern, weil er ihm sein Einverständnis mit dem Belassen des Handys bzw. dessen Entsorgung signalisiert habe.

Während der Haftraumprüfung habe die Telefonverbindung (TKÜ-Aufzeichnung) noch bestanden, sodass das in der Zelle geführte Gespräch aufgenommen werden konnte.

Das der getroffenen Vereinbarung zugrundeliegende Gespräch hatte nach den Feststellungen der Kammer den folgenden Inhalt (UA Seite 7):

„Angeklagter: Mahlzeit
pp.: Hallo
Angeklagter: Na, biste am Telefonieren?
pp.: hmm
pp: Zwanni geb ich dir       bis zwanzig vor….
Angeklagter: Du hast schon länger Zeit 
pp.: Noch 5 Minuten, gucken sie mal an wie viel….
Angeklagter: Komm mal her!
pp.: Guck doch rein, ich hab doch nicht pp. guck doch mal hier.
Angeklagter: Komm mal her!
pp.: Ja ich komme….“

Auf der Grundlage dieses Gesprächs ist das LG davon ausgegangen, dass der Gefangene dem Angeklagten tatsächlich ein Angebot unterbreitet habe und der Angeklagte dieses auch angenommen habe. Die ursprünglich beabsichtigte Durchsuchung des Zeugen und die Sicherstellung des Handys habe sich seit dem Angebot für den Angeklagten erledigt. Nach der vorgenommenen Beweiswürdigung des LG habe der Angeklagte das Handy bereits gehabt oder er habe mit dem Gefangenen mittels Zeichen, Tuscheln, Signalen oder Gesten verabredet, dass dieser das Handy schnell in der Toilette entsorgen oder ihm zu Entsorgung übergeben könne, ohne seinen Kollegen pp., der als zweiter Beamter mit der Zellenprüfung betraut war, in diese Vereinbarung mit einzubeziehen, damit dieser nicht bösgläubig würde.

Das OLG hat auf die Revision des Angeklagten das LG-Urteil aufgehoben:

„Die mit Eröffnungsbeschluss zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, sich einer Bestechlichkeit gemäß § 332 Abs. 1 StGB schuldig gemacht zu haben, indem er sich bei einer durchgeführten Haftraumkontrolle als Gegenleistung für das Belassen des Handys beim Zeugen (dem Inhaftierten pp.) und das wahrheitswidrige Mitteilen, es sei kein Handy gefunden worden, von diesem 20,- € versprechen ließ. Demgegenüber hat das Landgericht festgestellt, um 1:28:47 Uhr sei die Aufzeichnung des Gesprächs entweder deshalb abgebrochen, weil der Angeklagte aufgrund des Zahlungsangebotes das Handy an sich genommen habe, um es anschließend bewusst verschwinden zu lassen oder pp. blitzschnell in die direkt angrenzende Nasszelle gerannt sei, das Handy in der Toilette versenkt habe und anschließend die Spülung gezogen habe, ohne dass der Angeklagte Versuche unternommen hätte, diese Beseitigung des Handys zu verhindern, weil er dem Zeugen pp. sein Einverständnis mit dem Belassen des Handys bzw. dessen Entsorgung signalisiert habe.

Das Gericht, das den Schuldspruch innerhalb des Rahmens der prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO auf einen gegenüber der Anklage wesentlich verändertes Tatbild stützt, muss dem Angeklagten zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 52; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Auflage 2023, § 265 Rn. 23 m.w.N.). Dies dient insbesondere dem schutzwürdigen Verteidigungsinteresse des Angeklagten.

Eine wesentliche Veränderung des Tatbildes lag vor. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten waren ohne den erfolgten Hinweis erheblich eingeschränkt. Er ist zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, dass das An-sich-Nehmen des Telefons zur Entsorgung für das Landgericht als alternatives Tatverhalten in Betracht kommen würde. Die Annahme dieses alternativen Tatverhaltens ergibt sich auch nicht durch den Gang der Hauptverhandlung. Das Urteil beruht auf diesem Verfahrensfehler. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil des Landgerichts nach erfolgtem Hinweis und ggf. weiterem Verteidigervorbringen anders ausgefallen wäre. Hätte der Angeklagte Kenntnis von der Annahme eines alternativen Tatverhaltens gehabt, hätte er vorbringen können, dass ihm ein Verschwindenlassen des Handys in der konkreten Situation aufgrund der Kontrollmechanismen in der Justizvollzugsanstalt und des konkreten Ablaufs am Tattag gar nicht möglich gewesen wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kammer dann nicht zur Verurteilung gelangt wäre.“

OWi III: Entgegen dem BayObLG Einsicht in Messreihe, oder: Ende der Karriere :-)

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Und dann zum Schluss noch ein AG-Beschluss zum Dauerbrennerthema „Akteneinsicht im Bußgeldverfahren“. Ich stelle den Beschluss vor, weil er sich vom Mainstream der OLG-Rechtsprechung wohltuend absetzt und das in Bayern (!!).

Der Verteidiger des Betroffenen, dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt wird, hat Akteneinsicht beantragt, die nur teilweise gewährt worden ist. Gegen die Versagung der Gewährung von Akteneinsicht ist Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt worden

Das AG Passau hat im AG Passau, Beschl. v. 13.02.2024 – 4 OWi 749/23 – das bayerische Polizeiverwaltungsamt „angewiesen, dem Verteidiger die mit Antragsschriftssatz vom 16.12.2023 angeforderten Unterlagen in Form des ersten und des letzten Bildes der gesamten Messereihe sowie der jeweils 5 Bilder vor und nach der Messung des Betroffenen im Rahmen einer erneuten Akteneinsicht zur Verfügung zu stellen.“

Begründung:

„Dieser Antrag erweist sich als zulässig und begründet.

Grundsätzlich steht einem Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht zu gemäß § 46 I OWiG in Verbindung mit § 147 StPO.

Dieses umfasst regelmäßig lediglich die in der Akte des Bußgeldverfahrens enthaltenen Unterlagen. Das Akteneinsichtsrecht begründet grundsätzlich keinen Anspruch auf Erweiterung des Aktenbestandes.

Ein solcher Anspruch ergibt sich jedoch im vorliegenden Verfahren aus der gesetzlich gebotenen Aufklärungspflicht, denn die im Beschlusstenor genannten Unterlagen sind zur Überprüfung der verfahrensgegenständlichen Messung durch einen Sachverständigen spätestens diesem in der Praxis regelmäßig vorzulegen.

Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG verwenden Sachverständige diese Bilder der Messreihe zur Überprüfung einer Geschwindigkeitsmessung regelmäßig und ziehen aus diesen Rückschlüsse auf die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der Messung, welche sich beispielsweise durch eine im Rahmen des Vergleichs der Messbilder festzustellende Veränderung der Bildeinstellung ergeben kann.“

„Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG“ = Ende der Karriere 🙂 .

OWi II: Absehen vom Fahrverbot wegen „Notstands“, oder: Dringende „Pinkelpause“ auf der BAB

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Die Entscheidung in diesem zweiten Posting des Tages stammt auch vom OLG Hamm. Mal wieder etwas zum Fahrverbot, und zwar Absehen wegen Verneinung eines „groben Verstoßes“.

Verurteilt worden ist der Betroffene wegen fahrlässiger unberechtigter Benutzung einer freien Gasse für die Durchfahrt von Polizei- oder Hilfsfahrzeugen auf einer Autobahn zu einer Geldbuße in Höhe von 240 EUR. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat das AG abgesehen. Der Betroffene hatte ein dringendes Bedürfnis zur Verrichtung der Notdurft geltend gemacht. Die StA hatte mit ihrer Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Das OLG hat die im OLG Hamm, Beschl. v. 28.03.2024 – 5 ORbs 35/24 – verworfen.

„Die zu Lasten des Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde ist unbegründet, da das angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler aufweist. Das Tatgericht ist im Rechtsfolgenausspruch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass – trotz der Indizwirkung der Bußgeldkatalogverordnung (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BKatV) – kein Fall der groben Verletzung der Pflichten eines Fahrzeugführers i.S.v. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG vorliegt; im Einzelnen:

1. Eine grobe Pflichtverletzung liegt dann vor, wenn die Pflichtverletzung des Betroffenen objektiv abstrakt oder konkret besonders gefährlich gewesen ist (vgl. OLG Düsseldorf Entscheidung v. 28.7.1998 – 5 Ss (OWi) 235/98 = BeckRS 1998, 155012, beck-online). Hinzukommen muss, dass der Täter auch subjektiv besonders verantwortungslos handelt (vgl. BGH, NZV 1997, 525, beck-online). Regelbeispiele für ein derartiges Verhalten finden sich in § 4 Abs. 1, 2 BKatV. Bei diesen Katalogtaten ist das Vorliegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers zwar indiziert (vgl. BGHSt 38, 125 (134) = NZV 1992, 117); die Regelbeispiele ersetzen aber nicht gesetzliche Merkmal des § 25 I StVG. Die Bußgeldkatalogverordnung befreit daher die Tatgerichte nicht von der Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung; sie schränkt nur den Begründungsaufwand ein (vgl. BVerfG, DAR 1996, 196 (198) = NZV 1996, 284; BGHSt 38, 125 (136) = NZV 1992, 117 (120). Dementsprechend muss eine im Sinne der Regelbeispiele der Bußgeldkatalogverordnung tatbestandsmäßige Handlung dann (ausnahmsweise) nicht zwingend mit einem Fahrverbot geahndet werden, wenn als Ergebnis der gebotenen Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine grobe Pflichtverletzung – sei es in objektiver oder in subjektiver Hinsicht -ausscheidet (vgl. BGH NZV 1997, 525, beck-online). Bei der Frage, ob ein grober Verstoß gegeben ist, sind die Umstände des Einzelfalles – auch unter Berücksichtigung von Irrtumsaspekten – gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Bamberg Beschl. v. 1.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15, BeckRS 2015, 20269 Rn. 12, beck-online).

2. Das Amtsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung im Einzelnen dargelegt, warum es im vorliegenden Einzelfall von der Anordnung des einmonatigen Fahrverbots ausnahmsweise abgesehen hat (vgl. UA S. 6 – 8). Zwar deuten die Urteilsgründe darauf hin, dass das Amtsgericht von einem Erlaubnistatbestandsirrtum des Betroffenen ausgeht, obwohl die irrige Annahme des Betroffenen von der Freigabe des Verkehrs die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns (§ 11 OWiG) betrifft. Allerdings beruht die angefochtene Entscheidung nicht darauf, da diese Erwägung nicht tragend ist. Vielmehr stellt das Tatgericht bei seiner Begründung des Absehens vom Fahrverbot darauf ab, dass der Betroffene nach den Umständen des Einzelfalls subjektiv nicht besonders verantwortungslos handelte. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.

3. Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass in notstandsähnlichen Situationen (konkret: dringendes Bedürfnis zur Verrichtung der Notdurft) das Handlungsunrecht für die Anordnung eines Fahrverbotes – je nach den Umständen des Einzelfalls – fehlen kann (vgl. bei Geschwindigkeitsverstößen: OLG Hamm Beschl. v. 10.10.2017 – 4 RBs 326/17 = BeckRS 2017, 129512 Rn. 7, beck-online; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.12.1996 – 1 Ss 291/96 = NStZ-RR 1997, 379, beck-online; OLG Brandenburg (1. Strafsenat – Senat für Bußgeldsachen), Beschluss vom 25.02.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 41/19 (45/19) = BeckRS 2019, 2716, beck-online). Das ist hier auf der Grundlage – der revisionsrechtlich ohnehin nur beschränkt überprüfbaren – Feststellungen des Amtsgerichts der Fall. Das Handeln des Betroffenen stellt in subjektiver Hinsicht kein besonders vorwerfbares Verhalten dar. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen neigte der Angeklagte aufgrund der von ihm eingenommenen Medikation zu einem erhöhten Harndrang, der bereits kurz nach Beginn des Staus einsetzte. Zudem ist er im Hinblick auf den wiedereinsetzenden Verkehr davon ausgegangen, die Rettungsgasse bereits wieder befahren zu dürfen. Insoweit liegt zwar weder ein Notstand i.S.v. § 16 OWiG noch ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor. Allerdings befand sich der Betroffene in einer – durch Medikamentenwirkung hervorgerufenen – notstandsähnlichen Situation; dazu hat das Amtsgericht festgestellt, dass zum Tatzeitpunkt bereits ein erheblicher Harndrang bzw. Druckgefühl vorhanden war (vgl. UA S. 6). Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft konnte der Betroffene auch nicht etwa seine Notdurft außerhalb des Fahrzeugs verrichten. Denn – worauf die Verteidigung in ihrer Stellungnahme zur Antragsschrift zu Recht hinweist – ein Betreten der Autobahn ist grundsätzlich nicht erlaubt (§ 18 Abs. 9 StVO). Außerdem wäre ihm dieses Handeln unter dem Gesichtspunkt naheliegender Eigengefährdung rechtlich nicht zumutbar gewesen.

Des Weiteren war seine Pflichtverletzung als Fahrzeugführer in subjektiver Sicht infolge der – irrigen – Annahme der Verkehrsfreigabe nicht besonders verantwortungslos. Der Einwand der Generalstaatsanwaltschaft, der Betroffene habe durch sein Verhalten die Notstandslage erst herbeigeführt, verfängt nicht. Ausweislich der Feststellungen verspürte er den Harndrang bereits fünf Minuten, nachdem der Stau einsetzte. Es gehört jedenfalls nicht zu den Pflichten eines Fahrzeugführers, seine Toilettenverhalten bzw. Toilettengangintervalle nach einem unvorhersehbaren Stauereignis auszurichten.

Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass der Erfolgsunwert infolge der zwischenzeitlich erfolgten Verkehrsfreigabe objektiv nicht von besonderem Gewicht war.“

Erfreulich. Aber Vorsicht mit dieser oder ähnlichen Einlassungen. Folgt man dem nicht, droht ggf. eine Verurteilung wegen Vorsatzes.

OWi I: Unternehmerverstöße gegen das FahrpersonalG, oder: Wer ist Unternehmer und ist die Geldbuße ok?

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Und dann ein OWi-Tag.

Den eröffne ich mit zwei Entscheidungen des OLG Hamm zum FahrpersonalG, und zwar zu Verstöße eines Unternehmers gegen das FahrpersonalG. In beiden Entscheidungen geht es darum, dass dem betroffenen Unternehmer Verstöße gegen § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG zur Last gelegt worden waren. Diese Vorschrift verlangt vom Unternehmer, dass er dafür sorgt, dass die vorgeschriebenen Lenkzeiten und Fahrtunterbrechung oder die erforderlichen Ruhezeiten vom Fahrer eingehalten werden.

Zur konkreten Vorstellung nehme ich dann mal den OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2024 – III-4 ORbs 31/24. Das OLG das amtsgerichtliche Urteil, mit dem der Betroffene zu einer Geldbuße von 25.000 EUR verurteilt worden ist, wegen nicht ausreichender Feststellungen aufgehoben. Begründung, in der das OLG zunächst die Stellungnahme der GsTA „eingerückt“ hat:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt sowie form- und fristgerecht begründet worden und hat auch in der Sache – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

Das Urteil unterliegt bereits auf die Sachrüge der Aufhebung, da es keine ausreichenden Feststellungen zu den Tatvorwürfen enthält.

a) Die Vorschrift des § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG, auf welche das Amtsgericht die Verurteilung u. a. gestützt hat, nimmt Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006. Gemäß Art. 2 Abs. 1 a) der vorgenannten Verordnung gilt diese nur für Güterbeförderungen im Straßenverkehr, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteigt.

Gemäß ihres Art. 2 Abs. 2 gilt sie in räumlicher Hinsicht zudem ausschließlich für Beförderungen im Straßenverkehr innerhalb der Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft, der Schweiz und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist in dem angefochtenen Urteil indes nicht festgestellt. Insbesondere enthält die mit dem Urteil verbundene Verstoßliste keine entsprechenden Fahrzeug- bzw. Streckeninformationen. Es ist daher unklar, ob der Anwendungsbereich der angewandten Bußgeldnorm überhaupt eröffnet ist.

Gleiches gilt, soweit Verstöße – jedenfalls ausweislich der diesbezüglichen Liste – zum Teil auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 b) FPersG.i. V. m. Art. 32 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 165/2014 gestützt werden, da diese Verordnung gemäß ihres Art. 3 Abs. 1 nur für Fahrzeug gilt, die dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 unterfallen, was vorliegend nicht ausreichend festgestellt ist.

b) Auch die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs führt zur Aufdeckung von Rechtsfehlern zum Nachteil des Betroffenen. Insbesondere ist zu bemängeln, dass das Amtsgericht keinerlei Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen hat (§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG). Die Feststellung, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, die verhängte Geldbuße könne den Betroffenen in finanzielle Nöte stürzen, zumal dessen Verteidiger auf entsprechende Nachfrage keine Angaben gemacht habe, reichen insoweit nicht aus. Weitergehende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sind nur bei geringfügigen Geldbußen entbehrlich. Hiervon kann bei einer Summe von 25.000,- € indes nicht die Rede sein.

2. Auf die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

Die Sache bedarf insgesamt erneuter Verhandlung und Entscheidung.“

Diesen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.“

Und dann gibt es aber noch reichlich Eigenes 🙂 :

„Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Ordnungswidrig sind nur Verstöße, die von einem Unternehmer (§ 8 Abs. 1 und § 8a Abs. 1 FPersG) begangen worden. sind. Bei der hier vorliegenden Internationalen Speditions-GmbH & Co. KG erfüllt der Betroffene nur dann das besondere persönliche Merkmal eines „Unternehmers“, wenn und soweit er als vertretungsberechtigtes Organ (Geschäftsführer) der Komplementär-GmbH (§ 9 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG) gehandelt hat bzw. wenn und soweit er – ohne selbst Geschäftsführer zu sein – von dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH oder einem sonst dazu Befugten beauftragt ist, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten oder ausdrücklich beauftragt ist, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen und aufgrund dieses Auftrags gehandelt hat (§ 9 Abs. 2 Ziff. 1 bzw. Ziff. 2 OWiG) (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – IV-2 Ss (OWi) 124/06 – (OWi) 67/06 III – juris Rn. 6).

Im Übrigen kann zur Bestimmung des Unternehmerbegriffs ergänzend auch auf die entsprechende Regelung in § 3 PBefG Bezug genommen werden. Danach gilt als Unternehmer, wer den Verkehr im eigenen Namen unter eigener Verantwortung und für eigene Rechnung betreibt. Im eigenen Namen betreibt ein Unternehmen, wer nach außen hin als Inhaber des Unternehmens auftritt. Unter eigener Verantwortung bedeutet, dass der Handelnde der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde gegenüber die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Betriebs trägt. Für eigene Rechnung handelt derjenige, dem Lasten und Nutzen des Betriebes, wenn auch nicht ganz, so doch mindestens zu einem erheblichen Teil zufallen. Folglich gilt als Unternehmer, wer u.a. die Fahrzeuge einsetzt, Verträge abschließt, Arbeitskräfte bestellt, Fahrzeuge zur Reparatur gibt, Art und Inhalt der Buchführung bestimmt und jederzeit die Kontrollmöglichkeit hat. Für diese rechtliche Beurteilung der Unternehmereigenschaft ist dabei vor allem die Eintragung im Handelsregister, die Gewerbeanmeldung sowie die Erteilung der CEMT-Genehmigung für den Verkehr zwischen Staaten der EU und anderen Staaten ein wichtiges Indiz und bedarf entsprechender konkreter Feststellungen durch das Tatgericht (OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 2 Ss OWi 1265/07 -juris Rn. 23).

Die bloße tatsächliche Wahrnehmung der dem Inhaber des Betriebes aus dem Fahrpersonalgesetz erwachsenen Pflichten durch den Betroffenen würde für eine Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG nicht ausreichen. Erforderlich wäre vielmehr ein Auftrag, der ausdrücklich und unter Hinweis auf die Verantwortlichkeit für die Pflichten, die dem Betriebsinhaber bei der Überwachung des Fahrpersonals obliegen, erteilt worden wäre. Dabei hätte der Betroffene damit beauftragt werden müssen, diese Pflichten in eigener Verantwortung zu erfüllen, d.h. mit entsprechenden Selbständigkeit und Entscheidungsfreiheit (vgl. OLG Hamm a.a.O., OLG Schleswig VRS 58, 384, 386). Der Betroffene hätte in der Lage sein müssen, von sich aus ohne Weisung des Betriebsinhabers die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erfüllung der Pflichten aus dem Fahrpersonalgesetz notwendig waren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006, a.a.O., Rn. 7, juris).

Entsprechende Feststellungen lässt die angefochtene Entscheidung vermissen. Dort ist ausgeführt, der Betroffene sei bis zum 15. Juli 2019 Geschäftsführer (gemeint ist wohl Geschäftsführer der Komplementär-GmbH) gewesen und ab dem 16. Juli 2019 habe pp. die Geschäftsführung und zugleich die Aufgabe des Verkehrsleiters übernommen, es sei jedoch originäre Aufgabe des Betroffenen als bis dahin Verantwortlicher und Geschäftsführer, dafür Sorge zu tragen, dass ein neuer Geschäftsführer und Verkehrsleiter seinen Aufgaben unter Einhaltung der Rechtsvorschriften nachkomme. Aus diesen Erwägungen allein kann eine Verantwortlichkeit des Betroffenen für die Zeit ab dem 15. Juli 2019 jedoch nicht begründet werden. Eine solche würde nur dann bestehen, wenn – was im Einzelnen festzustellen wäre – der Betroffene von dem Geschäftsführer gemäß den vorstehenden Ausführungen konkret mit der Überwachung des Fahrpersonals in eigener Verantwortung beauftragt worden wäre, was ggf. auch durch die Vernehmung einzelner Mitarbeiter aufgeklärt werden kann. Zudem werden die einschlägigen Handelsregisterauszüge (auch betreffend die Komplementär-GmbH) beizuziehen und durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzubeziehen sein.

2. Die bußgeldbewehrte Pflichtwidrigkeit besteht darin, dass der Unternehmer nicht dafür sorgt, dass die Sozialvorschriften eingehalten werden, also in einem Unterlassen. Das Amtsgericht muss folglich Feststellungen dazu treffen, welche Verpflichtungen den Betroffenen treffen, ob und inwieweit der Betroffene gegen diese Verpflichtungen verstoßen hat und ‚ob die Pflichtverletzung kausal zu Verstößen gegen Sozialvorschriften geführt hat. Solche Feststellungen fehlen bislang gänzlich und müssten zunächst noch getroffen werden.

Dabei wird das Amtsgericht davon auszugehen haben, dass der Unternehmer verpflichtet ist, das Fahrpersonal in regelmäßigen zeitlichen Abständen auf die maßgeblichen Lenk- und Ruhezeiten hinzuweisen, wöchentlich die Schaublätter der EG-Kontrollgeräte zu überprüfen und im Übrigen die Fahrten so zu disponieren, dass den Fahrern unter Berücksichtigung des Bestimmungsortes, der Streckenführung und der Zeiten für An- und Abfahrt sowie für Be- und Entladung die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten möglich ist. Bei Vernachlässigung dieser Pflichten wird ferner zu prüfen sein, ob festgestellten Verstöße gegen Sozialvorschriften ursächlich auf die fehlende oder unzulängliche Belehrung und Überwachung zurückzuführen sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – IV-2 Ss (OWi) 124/06 – (0Wi) 67/06 III – juris Rn. 14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2007 – IV-2 Ss (OWi) 83/07 – (OWi) 64/07 III – juris Rn. 18 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 – juris Rn. 20 f.; vgl. zu den Verpflichtungen Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Werkstand 249. EL September 2023, Verordnung (EU) 561/2006 Art. 10 Rn. 4 ff.).

Entsprechende Feststellungen im Hinblick auf den Pflichtenkreis des Unternehmers werden sich wohl erst nach Auswertung von Geschäftsunterlagen bzw. der diesbezüglichen Vernehmung des Zeugen H. und erforderlichenfalls auch der zeugenschaftlichen Vernehmung von einzelnen Fahrern treffen lassen.

Soweit es um die Frage geht, ob Verstöße des Unternehmers gegen die ihm obliegenden Pflichten sich kausal durch Verstöße gegen Sozialvorschriften ausgewirkt haben, kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen Verstöße den Fahrern jeweils subjektiv vorwerfbar sind. Denn Sanktionsgrund gegenüber dem Unternehmer ist die Verletzung seiner einheitlichen umfassenden Aufsichts- und Überwachungspflicht, während der Fahrer – worauf es hier nicht ankommt – mit jedem einzelnen Verstoß gegen die Bestimmungen der EU-Verordnungen ordnungswidrig handelt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Juli 2010 – 2 Ss-OWi 276/10 – juris Rn. 19). Daher ist es in diesem Zusammenhang ausreichend, wenn das Vorliegen von – kausal verursachten – Verstößen gegen Sozialvorschriften objektiv festgestellt werden kann. Nicht auch wird es einer zeugenschaftlichen Vernehmung von Fahrern zu der Frage bedürfen, inwieweit der Verstoß jeweils dem Fahrer individuell vorwerfbar ist.

3. Die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 gilt nur für Beförderungen im Straßenverkehr ausschließlich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft, der Schweiz und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (Art. 2 Abs. 2 der Verordnung).

Aus den Feststellungen des Urteils muss sich daher ergeben, dass es sich bei den Fahrten, bei denen es infolge des Pflichtverstoßes des Betroffenen zu Verstößen gegen die zulässige Lenk- bzw. Ruhezeit gekommen. ist, um Beförderungen innerhalb des vorgenannten räumlichen Gebiets gehandelt hat (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 -juris Rn. 17; OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 3 Ss OWi 284/13 juris Rn. 5).

4. Die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung vermögen eine vorsätzliche Pflichtverletzung nicht. zu tragen. Ein vorsätzlicher Verstoß kann nur dann bejaht werden, wenn der Betroffene positiv gewusst hat, dass er seinen Organisations-, Anweisungs- bzw. Überprüfungspflichten nicht gerecht wird oder dies jedenfalls billigend in Kauf genommen hat.

Es ist aber zulässig, aus dem Vorhandensein einer Vielzahl festgestellter Verstöße . Rückschlüsse auf das subjektive Element zu ziehen.

5. Der Vorwurf, nicht für die Einhaltung der Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen oder Ruhezeiten von (mehreren) Fahrern oder die richtige Verwendung von EG-Kontrollgeräten Sorge getragen zu haben, knüpft an ein (echtes) Unterlassen an, weshalb regelmäßig von nur einem einheitlichen Verstoß auszugehen und nur eine einzige Geldbuße festzusetzen ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 3 Ss OWi 284/13 – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 – juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 30.01.2014 – 3 Ss OWi 284/13 – juris)

6. Die Urteilsgründe müssen stets eine in sich geschlossene, aus sich heraus verständliche Darstellung der Feststellungen und der sie tragenden Beweiserwägungen enthalten (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 267 Rn. 2). Zwar kann bei einer Vielzahl von sich wiederholenden gleichartigen Sachverhalten wegen der Einzelheiten auf eine in dem Urteil enthaltene tabellarische Aufstellung Bezug genommen werden. Jedoch entbinden tabellarische Darstellungen nicht davon, den zugrunde liegenden Sachverhalt, insbesondere das zugrunde liegende tatsächliche Geschehen zunächst einleitend in verständlicher Weise in Worten zu beschreiben.

Entscheidend ist, dass der Verstoß jeweils – differenziert nach Art des Verstoßes (also Lenkzeitverstoß, Ruhezeitverstoß pp.) – in verständlicher Weise beschrieben wird und nur wegen der Gesamtzahl der Verstöße auf Daten Bezug genommen wird, die sich in der in die Darstellung einbezogenen tabellarischen Aufstellung befinden.

Diesen Anforderungen wird die vom Amtsgericht bisher gewählte Art der Darstellung nicht gerecht.

7. Wenn – wie hier – unter nahezu vollständiger Ausschöpfung des Bußgeldrahmens ein Bußgeld in erheblicher Höhe‘ festgesetzt wird, so muss das Urteil in hinreichendem Umfang Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten.

Einen entsprechenden Hinweis hatte •der Senat dem Amtsgericht in der vorliegenden Sache bereits in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2022 erteilt, durch den das vorangegangene Urteil des Amtsgerichts aufgehoben worden war.

Insoweit weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Einkünfte auch durch Schätzung ermittelt werden können. Eine Schätzung ist dann angezeigt, wenn ein Betroffener keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben macht und eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögem würde oder der Ermittlungsaufwand zu der konkreten Geldbuße in einem unangemessenen Verhältnis stünde. Als Kriterium einer Schätzgrundlage kommen regelmäßig der – ausgeübte – Beruf eines Betroffenen aber auch sonstige Anzeichen seines sozialen Status in Betracht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. September 2021 – 1 OWi 2 SsBs 62/20 – juris Rn. 27; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2019 – 111-3 RBs 82/19 -, juris Rn. 19; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom • 11. Februar 2020 – 201 ObOW12771/20 juris Rn. 11). Sollte der Betroffene vorliegend weiterhin keine Angaben zu seinen Einkünften machen, wird das Amtsgericht im Wege einer Schätzung das durchschnittliche Gehalt des Geschäftsführers eines Speditionsunternehmens der Größenordnung des hier in Rede stehenden Unternehmens zugrunde legen dürfen. Bewertungskriterien dürften hierbei insbesondere der Jahresumsatz, die Anzahl der Mitarbeiter und die Größe des Fuhrparks sein.

8. Das Amtsgericht hat bei der Bemessung der Geldbuße zu Lasten des Betroffenen gewürdigt, dieser sei aufgrund vergangener Bußgeldverfahren bereits sensibilisiert, obwohl sich aus den Feststellungen ’nicht ergibt, dass es gegen den Betroffenen in der Vergangenheit überhaupt weitere Bußgeldverfahren gegeben hat, welcher Vorwurf Gegenstand dieser Verfahren war und ob es zu der Festsetzung von Bußgeldern gekommen ist.“

Auf derselben Linie liegt dann die zweite Entscheidung, der OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2024 – III-4 ORbs 334/23, den ich daher nicht mehr vollständig einstelle.