Rechtsbeugung I: Saalverhaftung nach der „Hüttenstädter Prozessordnung“ oder: Ping-Pong

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das BGH, Urt. v. 10.05.2017 – 5 StR 19/17. Das wollte ich schon länger vorstellen, habe aber immer wieder davor zurückgeschreckt, weil sich das Urteil hier nicht so gut darstellen lässt. Es ist immerhin 24 Seiten lang, davon allein 19 Seiten Sachverhalt. Aber heute will ich es dann versuchen.

Bei dem Verfahren handelt es sich um die Geschichte mit der „Hüttenstädter Prozessordnung“. Vorwurf an den angeklagten Richter: Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)  durch Erlass von Haftbefehlen trotz Unzuständigkeit. Dem Richter ist vorgeworfen worden – mit einer Anklage aus Sommer 2007 -, in Zusammenhang mit einem von ihm geleiteten Strafverfahren vorsätzlich zu Unrecht Haftbefehle erlassen und andere Verfahrensfehler begangen zu haben. Er ist deswegen im Juni 2009 durch das LG zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Es ging in etwa um folgenden Sachverhalt:

Der Angeklagte hatte den Vorsitz in einem Verfahren wegen Untreue am AG Eisenhüttenstadt. Anklagevorwurf dort:  Der dortige Angeklagten soll als Nachlasspfleger in sechs Nachlassverfahren Vermögen von über 430.000 € veruntreut haben. In dem Verfahren verdächtigte der Richter den Verteidiger sowie die Frau des angeklagten Mannes, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Dazu heißt es im BGH, Urt. v. 11.04.2013 – 5 StR 261/12, „dass Rechtsanwalt R. der Teilnahme an den Taten des A. überführt und sein Ausschluss aus dem Strafverfahren erreicht werden müsse“. Als sich der Verdacht in der Verhandlung nach Ansicht des Richters bestätigte, warf er „seine Robe nach hinten, deutete auf den Zeugen R. und rief: ‚Sie sind festgenommen!‘ (BGH, Beschl. v. 07.07.2010 – 5 StR 555/09). Als ein Justizwachtmeister dem Rechtsanwalt Handfesseln anlegen wollte und dieser erklärte, dass das nicht notwendig sei, da er nicht fliehen werde, rief er dem Wachtmeister zu: „Das volle Programm!“ Die Frau des in dem Prozess angeklagten Mannes wurde wenig später in der Kita, in der sie arbeitete, verhaftet. (zu allem auch hier). Zudem wurde die Durchsuchung der Kanzlei des Verteidigers angeordnet. Als dieser sich über die Rechtswidrigkeit der Aktion beschwerte, erklärte der angeklagte Richter, es handele sich um eine „Durchsuchung nach der HPO“, der „Hüttenstädter Prozessordnung“.

Der BGH hatte das Urteil aus Juni 2009 wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und  zurückverwiesen (BGH, Beschl. v. 07.07.2010 – 5 StR 555/09; dazu Verurteilung eines Richters und eines Oberstaatsanwaltes wegen Rechtsbeugung).

Dann hat das LG Potsdam den Angeklagten freigesprochen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger führten zur Aufhebung des Urteils und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das LG (vgl. BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – 5 StR 261/12). In der Segelanweisung zu der Entscheidung hatte der BGH darauf hingewiesen, dass in der dritten Hauptverhandlung vor allen Dingen zu klären sei, ob sich der Angeklagte gemäß früheren Äußerungen für den Erlass zweier Haftbefehle gegen zu diesem Zeitpunkt nicht Angeklagte für zuständig hielt. Inhaltlich seien die Haftentscheidungen nicht zu beanstanden, das weitere Verhalten des Richters belege den Vorwurf der Rechtsbeugung nicht (vgl. Rechtsbeugung durch den Richter, oder: Auch bei angemaßter Zuständigkeit).

Jetzt hatten wir also den dritten Durchgang beim LG mit einem erneuten Freispruch. Der BGH meint, dass die Beweiswürdigung des LG nun in Ordnung ist. Dazu aus dem Urteil:

„Gemessen an diesen Maßstäben hält der Freispruch des Angeklagten revisionsgerichtlicher Überprüfung stand:

a) Seine Überzeugung davon, dass der Angeklagte rechtsirrig von seiner Zuständigkeit für den Erlass aller drei Haftbefehle ausging, hat das Landgericht nach umfassender Würdigung der erhobenen Beweise mit einer Vielzahl tragfähiger Argumente begründet: Die subjektive Annahme eigener Zuständigkeit sei gerade vor dem Hintergrund der engen Verflechtung aller Tatvorwürfe und der im Verfahren gegen alle drei Beteiligte durchgeführten Dursuchungen sowie die gemeinschaftlichen Verdunkelungshandlungen nachvollziehbar. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte aus sachfremden Erwägungen die Zuständigkeit wider besseres Wissen an sich gezogen habe, um zu Lasten der von der Verhaftung betroffenen Personen eine von ihm gewünschte Entscheidung herbeizuführen, die bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften vo-raussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre. Vielmehr seien die Haftentscheidungen überzeugend begründet worden. Gegen das Vorliegen eines entsprechenden Vorsatzes spreche bereits, dass die Rechtsfrage zur Tatzeit durchaus kontrovers beurteilt worden sei, ob aus § 125 Abs. 1 StPO die gleichrangige unmittelbare Zuständigkeit jedes Richters bei dem Amtsgericht folge, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet sei.

Bei der Saalverhaftung habe es sich – auch angesichts der sonst ruhigen und besonnenen Verhandlungsführung – nicht um eine „effektheischende öffentliche Machtdemonstration“, sondern um eine unmittelbare Reaktion auf die Verdunkelungshandlungen des Nebenklägers R. während laufender Hauptverhandlung gehandelt. Das Prozedere der Verhaftung habe ähnlichen Fällen entsprochen. Der Angeklagte habe zudem keinerlei persönlichen Nutzen aus der Verhaftung gezogen, sondern angesichts der Verhaftung eines Rechtsanwalts mit einer umfangreichen rechtlichen Überprüfung seines Vorgehens rechnen müssen. Der handschriftlich abgesetzte kurze Verbindungsbeschluss erschöpfe sich sachlich darin, dass über die drei Haftbefehlsanträge einheitlich entschieden werde. Der Angeklagte habe seine Rechtsauffassung auch nach außen, etwa gegenüber dem Behördenleiter, nachdrücklich vertreten. Hinweise für eine sachfremde Motivation seien weder dem beruflichen Vorleben noch der damaligen Verfahrenssituation zu entnehmen.

b) Diese Überzeugungsbildung des Landgerichts lässt angesichts der festgestellten Besonderheiten des vom Angeklagten geführten Strafverfahrens Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht hat bei seiner Würdigung alle wesentlichen Gesichtspunkte des Falls erörtert und gegeneinander abgewogen.

Auch der Inhalt wichtiger Zeugenaussagen wie derjenigen des früheren Mitangeklagten P. ist in dem mit 175 Seiten überaus ausführlichen Urteil in ausreichendem Umfang wiedergegeben. Aus Rechtsgründen war hier keine umfangreichere Darstellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme geboten.

c) Das weitere Prozedere des Angeklagten ist – wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 11. April 2013 bei insoweit gleichbleibenden landgerichtlichen Feststellungen näher ausgeführt hat – weder für sich noch in seiner Gesamtschau geeignet, den Vorwurf der Rechtsbeugung gegen den Angeklagten zu begründen oder das Vorgehen im Zusammenhang mit der Verhaftung in gänzlich anderem Licht erscheinen zu lassen.“

Nun ja, kann man so sehen, obwohl es mich angesichts des Sachverhaltes nicht so richtig überzeugt. Ein gewisses Unbehagen bleibt. Aber: Irgendwann ist Schluß bzw. muss Schluß sein mit diesem Ping-Pong. Und dann lieber mit einem ggf. falschen Freispruch als einer falschen Verurteilung.

9 Gedanken zu „Rechtsbeugung I: Saalverhaftung nach der „Hüttenstädter Prozessordnung“ oder: Ping-Pong

  1. Miraculix

    > Der Angeklagte habe zudem keinerlei persönlichen Nutzen aus der Verhaftung gezogen,
    Immer wenn ich diesen Satz lese weis ich das da etwas gewaltig stinkt.
    Aber auch hier funktioniert halt mal wieder das Krähenprinzip.

  2. Julian Dresel

    Na ja… nur wegen fehlender Zuständigkeit bei ansonsten goldrichtigen Entscheidungen 2 Jahre ist echt nicht wenig. Das kriegt man ja oft erst für sehr heftige Straftaten. Ist das nicht etwas hoch?

  3. mtx

    Aha, der BGH findet es also völlig in Ordnung, daß sich ein kleines AG mal eben selbst zum Gesetzgeber aufschwingt. Willkommen in der BRDDR.

  4. HL

    Es ist in unserem Rechtssystem üblich, dass illegal beschaffte Beweise in der Regel benutzt werden dürfen und dass Polizisten, die diese Beweise illegal unter Verletzung der Rechte Betroffener beschafft haben, ungeschoren bleiben. Angesichts dessen kann ich nicht wirklich schlimm finden, dass eine richterliche Anordnung Bestand hat, die lediglich Formvorschriften verletzt.

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