Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…

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War klar, welche Entscheidung heute den Opener macht. Oder? Natürlich der VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18. Den hat mir gestern der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog geschickt. Und er hat auch darüber als erster berichtet. Das ist auch gut/richtig so, denn der Kollege hat den Beschluss ja mit erstritten – denke ich. Und dann gilt: Ehre, wem Ehre gebührt, bzw. Er hat den Vortritt.

Der Kollege hat sein Posting: „Machtwort vom Verfassungsgericht: „Geblitzte“ Autofahrer müssen Messergebnisse überprüfen können!“ überschrieben. Ich beginne meins mit „Paukenschlag“. Ich denke, beides ist richtig. Denn der Beschluss ist ein „Machtwort“, ein „Paukenschlag“ oder auch Meilenstein. Und ein wenig auch ein Schlag ins Gesicht all derjenigen OLG-Entscheidungen, die um das Einsichtsrecht in Messunterlagen seit Jahren – „der“ Cierniakaufsatz ist von Ende 2012 – einen (unverständlichen) Eiertanz veranstaltet haben, der nicht mehr nachvollziehbar. Ich erinnere nur an „Teufelskreis 1.0“ oder „Teufelkreis 2.0“. Da war seit langem eine obergerichtliche Entscheidung fällig, ja überfällig. Und da man von den OLGs ja eine Vorlage an den BGH gescheut hat, gibt es sie nun als verfassungsgerichtliches Verdikt. Der Kollege Gratz und seine Mitstreiter haben es erstritten. Viele Amtsgerichte und auch OLG können sagen: Haben wir ja immer schon gesagt. Die anderen sollten sie sorgfältig lesen…..

Der Beschluss des VerfG Saarland ist fast 30 Seiten lang. Das bedeutet, dass man ihn hier nicht im Einzelnen darstellen kann, sondern dass ich auf den Volltext verweisen muss/möchte. Aber ein paar Eckpunkte/Kernaussagen möchte ich dann doch herausstellen, wobei ich die verfahrensrechtlichen Fragen in dem Beschluss mal außen vorlasse. Die lauten:

  • „Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs….
  • Aus dem dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt -, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen….
  • Da die Verwaltungsbehörden den Einsichtsgesuchen der Verfahrensbevollmächtigten sowie den diesbezüglichen Verfügungen des Amtsgerichts nicht nachgekommen sind, hätte das Amtsgericht das Verfahren bis zur Herausgabe der Messdaten aussetzen sowie sicherstellen müssen, dass der Verfahrensbevollmächtigten eine Herausgabe dieser Daten nicht verwehrt wird. Denn da im Zeitpunkt der Hauptverhandlung diese Daten der Verfahrensbevollmächtigten und dem Sachverständigen nicht vorlagen, konnte eine effektive Verteidigung des Beschwerdeführers mit Vortrag von Messfehlern – wenn diese aufgetreten sein sollten – nicht vorbereitet werden. Damit ist dem Beschwerdeführer das Äußerungsrecht abgeschnitten bzw. dessen Ausübung faktisch unmöglich gemacht worden. Es liegt ein Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs vor…….“
  • Auch die Ablehnung des in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht gestellten Beweisantrags auf Einholung eines technischen Gutachtens verletzt das Gebot eines fairen Verfahrens, das Gebot des rechtlichen Gehörs und das Willkürverbot.
    Es ist willkürlich und unfair und begründet einen Gehörsverstoß, wenn nach Nichtzugänglichmachung der Messdaten – in dieser Situation – der Beweisantrag auf Einholung eines technischen Gutachtens zur weiteren Überprüfung der Messung auf Fehlerhaftigkeit mit der Begründung abgelehnt wird, es liege ein standardisiertes Verfahren vor, und damit ausdrücklich oder stillschweigend dem Beschwerdeführer oder der Verteidigung vorgeworfen wird, es seien keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt worden. Eine solche Darlegung wäre nämlich erst nach Einsicht in die Messdaten möglich gewesen……..“

Schön, das alles lesen zu können. Und das drückt sich in dem zweiten Teil des Postings aus: „Der Rechtsstaat lebt.“ Die Literatur hat so seit Jahren argumentiert, die OLG haben es zum Teil nicht lesen/sehen/machen wollen – und sind dafür m.E. nun zu Recht gerügt worden. Um einen Spruch aus der Stern-Geschichte mit den „Hitlertagebüchern“ aufzugreifen: M.E. wird die Rechtsprechung zur Einsicht und Herausgabe in und von Messunterlagen umgeschrieben werden müssen.

Und ich füge an: Hoffentlich. Denn wir alle haben ja in den letzten Jahren die Klimmzüge lesen können, mit denen man das Einsichtsrecht verneint hat. Und ich wage die Voraussage: Das letzte Wort in der Frage ist noch nicht geschreiben/gesprochen. Die OLG, deren Rechtsprechung explizit als Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs angesprochen worden ist, werden versuchen, weiter zu mauern. Man wird neue Wege ersinnen – vielleicht: Ist ja „nur“ eine Entscheidung aus dem Saarland, die interessiert uns hier in Bayern, NRW oder sonst wo nicht – , um an der Entscheidung aus dem Saarland dann doch vorbei zu kommen. Und da wird sich sicherlich auch „anbieten“, weiter an den Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge zu schrauben bzw. dort die Hürden noch höher zu legen, als man sie jetzt schon (unsinnigerweise) gezogen hat. Und da kann man dann nur hoffen, dass hoffentlich bald wieder ein Verfassungsgericht sagt: So nicht.

Aber das soll die Freude über den Beschluss des VerfG Saarland natürlich nicht trüben. Und: Nochmals Gratulation an den Kollegen Gratz.

17 Gedanken zu „Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…

  1. Miraculix

    Wenn ich das richtig gesehen habe hat den Beschluss die Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz aus Bous erstritten:
    http://www.zimmer-gratz.de/wp-content/uploads/2018/05/Lv-1.18-anonym.pdf
    http://www.zimmer-gratz.de/?p=603

    Solange nicht das BVerfG eine vergleichbare Entscheidung fällt wird das außerhalb des Saarlandes wohl kein OLG interessieren. Von dem lebenden Rechtsstaat bin ich daher noch lange nicht überzeugt.
    Trotzdem Gratulation zu der Entscheidung. Ein paar Richter die etwas auf den Rechtsstaat geben finden sich also doch noch.

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  3. Detlef Burhoff Beitragsautor

    Ja, sicher. Und wenn man dann das Posting liest, stößt man auf:
    „Das ist auch gut/richtig so, denn der Kollege hat den Beschluss ja mit erstritten – denke ich.“
    Was denn noch?

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