Lehrstunde im Straßenverkehr, oder: Wer disziplinierend bremst, haftet allein

entnommen openclipart.org

Die erste Entscheidung, über die ich heute im „Kessel Buntes“ berichte, kommt vom LG Essen. Auf sie hat mich der Kollege Nugel aufmerksam gemacht, der sie auch für den VRR aufbereitet hat. Es geht um die Haftung nach einem Verkehrsvorgang (?) , der häufiger zu beobachten ist: Disziplinierendes Bremsen, wobei nicht ganz klar ist, ob es das hier wirklich.

Den Entscheidungsgründen des LG Essen, Urt. v. 12.01.2018 – 17 O 235/16 – lässt sich dazu folgendes entnehmen:

Am pp. gegen pp. befuhr der Kläger mit seinem PKW Porsche 911 Carrera die pp. in Richtung pp. Der Beklagte zu 1) überquerte als Fahrer des zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten PKW Mercedes E 250 CDI, dessen Halter der Beklagte zu 2) ist, vom aus Klägersicht links gelegenen Parkplatz kommend die Gegenfahrbahn sowie die in der Mitte der Straße befindlichen Straßenbahnschienen, und zog vor den klägerischen PKW auf die Straße in Fahrtrichtung des Klägers, so dass der Kläger abbremsen musste. Um dieses Fahrverhalten des Beklagten zu 1) zu monieren, betätigte der Kläger die Lichthupe. Der Beklagte zu 1) dessen Beifahrerin die Zeugin S. war, hielt sodann am rechten Rand der rechten Fahrspur der dann dort zweispurigen Straße unter Mitnutzung des Bürgersteigs an. Als der Kläger links vorbeifahren wollte, bezeichnete der Beklagte zu 1) ihn durch das geöffnete Fenster als „Arschloch“ Und sagte zu ihm „Steig mal aus, ich werde dich umbringen“. Der Kläger überholte sodann den Beklagten zu 1), hielt quer vor diesem an und stieg aus dem Fahrzeug. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen ihnen. Danach fuhren der Kläger und der Beklagte zu 1) wieder an. Nach wenigen Metern und fuhr der Beklagte zu 1) auf das Klägerfahrzeug auf, wodurch die Fahrzeuge beschädigt wurden. Der Kläger begehrt den Ersatz des ihm aus diesem Ereignis entstandenen Schaden.

Der Kläger behauptet, unmittelbar vor der Kollision nicht abgebremst zu haben, erst recht nicht abrupt. Der Beklagte sei vielmehr grundlos auf sein Fahrzeug aufgefahren. Er – der Kläger – ist daher der Ansicht, dass der Beklagte zu 1) den Unfall alleine verschuldet habe.“

Im Rahmen der Beweisaufnahme ist dann durch eine Reihe an unbeteiligten Zeugen bestätigt worden, dass der Kläger, ohne dass hierfür ein erkennbarer verkehrsbedingter Anlass bestanden hätte, sein Fahrzeug unmittelbar nach dem Anfahren scharf abgebremst hätte. Auch durch den vom Gericht eingeschalteten Sachverständigen wurde herausgearbeitet, dass auch aus technischer Sicht von einem derartigen scharfen Abbremsen des klägerischen Fahrzeuges zum Zeitpunkt des Auffahrens des Beklagtenfahrzeuges auszugehen wäre. Denn im statischen Zustand hätten die Fahrzeuge an sich im Hinblick auf die Kollisionsstelle einen Höhenunterschied von 6 cm, der dadurch überwunden worden wäre, dass zum einen das Fahrzeug der Beklagtenseite mit einem scharfen Abbremsen nach unten mit der Frontpartie abtauchen würde, während das klägerische Fahrzeug aufgrund eines ebenfalls durchgeführten scharfen Bremsmanövers mit dem Heckbereich höher ansteigen würde.

Auf der Grundlage hat das LG die Klage vollständig abgewiesen: Der Kläger haftet also allein. Es könne nicht für den Zeitraum kurz nach dem Anfahren vom Fahrbahnrand von einem Anscheinsbeweis zu Lasten des Beklagten zu 1) wegen eines unachtsamen Auffahrens ausgegangen werden, da hier keine Unachtsamkeit oder ein zu schnelles Fahren zu seinen Lasten als typische Unfallursache angenommen werden könnte. Vielmehr sei aufgrund der Erkenntnisse aus dem eingeholten SV-Gutachten davon auszugehen, dass der Kläger grundlos und ohne verkehrsbedingten Anlass eine scharfe Bremsung durchgeführt habe. Im Zusammenspiel mit der vorangehenden verbalen Auseinandersetzung sei dies als bewusste Disziplinierungsmaßnahme im Straßenverkehr anzusehen, um den Beklagten zu 1) gezielt auszubremsen. Ein derart schwerwiegendes Verhalten führe zu einer alleinigen Haftung des Klägers, zumal auch die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges ohnehin durch ein derartiges besonders gefahrenträchtiges Fahrmanöver in erheblichem Umfang erhöht sei. Die verbleibende Betriebsgefahr auf dem Fahrzeug der Beklagtenseite trete hinter diesem gravierenden Verschulden in vollem Umfang zurück.

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