„Brauchst nicht zu kommen, ich verwerfe dann eben“, oder: Anfänger?

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Urheber Photo: Andreas Praefcke

Das hatten wir im Bußgeldverfahren auch schon. Der Betroffene wird von der Anwesenheitspflicht entbunden. Er erscheint nicht und sein Einspruch wird nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Jetzt gibt es dazu eine vergleichbare Entscheidung aus dem Strafverfahren. Da war der Einspruch einer Angeklagten gegen einen Strafbefehl verworfen worden. Das LG Braunschweig bestimmt Termin zur Hauptverhandlung auf den 03.02.2016 und ordnete das persönliche Erscheinen der Angeklagten an. Nachdem die Angeklagte am 27.01.2016 über ihren Verteidiger dem Gericht mitgeteilt hatte, dass sie in einem anderen beim LG anhängigen Strafverfahren ein ärztliches Attest über ihre Verhandlungsunfähigkeit eingereicht habe, entbindet das LG mit Beschluss vom 27.01.2016 die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom 03.02.2016 und weistsie drauf hin, dass für den Fall ihres Ausbleibens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit verhandelt werden könne. Am 03.02.2016 erscheint die Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht. Das LG Braunschweig verwarf daraufhin die Berufung der Angeklagten.

Das OLG Braunschweig sagt im OLG Braunschweig, Beschl. v. 18.05.2016 – 1 Ss 27/16 – also schon etwas älter, aber gerade erst im StV veröffentlicht: Geht (natürlich) nicht:

„Die Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung lagen nicht vor. Eine solche kann gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nur dann erfolgen, wenn eine nicht genügend entschuldigte Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung ausbleibt oder kein Verteidiger mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht auftritt. Unabhängig von der Frage, ob die Angeklagte aufgrund etwaiger Erkrankung möglicherweise ausreichend entschuldigt war, kann nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dann nicht mehr verfahren werden, wenn die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war (§ 233, § 332 StPO) (so Brunner in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl., 2016, § 329, Rn. 9). Im Falle der Entbindung vom persönlichen Erscheinen kann eine Entscheidung nur noch nach § 329 Abs. 2 StPO ergehen, sofern dessen weitere Voraussetzungen vorliegen. Das Landgericht hatte die Angeklagte mit Beschluss vom 27.01.2016 von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden und sie mit diesem Beschluss darauf hingewiesen, dass im Falle ihres Nichterscheinens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit entschieden werde. Eine Berufungsverwerfung gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO war dem Landgericht Braunschweig somit verwehrt.

Ob das angefochtene Urteil darüber hinaus auch gegen § 338 Nr. 5 StPO verstößt, weil das Landgericht Braunschweig nach der Unterbrechung und Fortsetzung der Hauptverhandlung dann auch ohne den gem. § 140 Abs. 2 StPO beigeordneten Verteidiger verhandelt hat, konnte aufgrund des bereits feststehenden Verstoßes gegen § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dahin stehen.“

Manche Entscheidungen verstehe ich beim besten Willen nicht. Gemeint ist nicht die des OLG, sondern die des LG. Da sitzen doch keine Anfänger in einer Berufungsstrafkammer……..oder vielleicht doch?

12 Gedanken zu „„Brauchst nicht zu kommen, ich verwerfe dann eben“, oder: Anfänger?

  1. nutellaberliner

    Selbst wenn man Anfänger ist oder keine Ahnung von Strafprozessrecht hat, sollte es doch einleuchten, dass da ein Gericht contra factum proprium entscheiden will…

  2. Briag

    Vielleicht hat auch einfach jemand, ob Anfänger oder alter Hase, die zuvor erfolgte Entbindung übersehen bzw. überblättert? Sicher nicht schön, aber bei über 40.000 Berufungsverfahren pro Jahr mag auch mal der eine oder andere Fehler passieren. Und wie die von Ihnen zitierte Entscheidung zeigt, ist unsere Rechtsstaat bestens gerüstet, solche Fehler auszubügeln.

  3. Elmar der Anwalt

    Ich sehe es weniger als lächerlich, sondern eher als peinlich an – tendiere aber auch zu der Erklärung, dass die Entbindung wohl übersehen wurde, da kein vernunftbegabter Mensch jemanden dispensieren würde um ihn dann wegen seiner Abwesenheit in die Pfanne zu hauen.

    Wie gesagt – peinlich isses – aber (vor dem Hintergrund, dass Kammerbesetzungen wechseln, Akten groß und unübersichtlich sind, und diese Kammern auch mehr als ein Verfahren gleichzeitig bearbeiten) auch menschlich.

    Ich sehe solche Dinge mit mehr konfuzianischer Gelassenheit: Wenn die Gerichte immer perfekt und fehlerfrei arbeiten würden, wäre ich als Strafverteidiger der überflüssigste Mensch auf Erden!
    Insofern danke ich dem Gericht für manche Nachlässigkeit – da mir das zum einen eine berufliche Bestätigung verschafft und es mir zum anderen ermöglicht, mein Brot zu verdienen. 😉

  4. Briag

    Es ist eher lächerlich, dass Sie aus zehntausenden Berufungs- und hunderttausenden OWi-Entscheidungen immer die paar rauspicken, in denen etwas schief gegangen ist, um diese dann als Beispiel dafür anzuführen, dass ein Großteil der Gericht nur mit Anfängern, Ingoranten und inkompetenten Idioten besetzt ist. Dieser Blogpost hat – wie so viele – keinerlei neues gebracht, sondern einzig und alleine einen Fall herausgepickt, in dem beim Landgericht etwas schief gelaufen ist und das OLG daraufhin erwartbar die einzig logische Entscheidung getroffen hat. Kein Skandal oder sonstiges. Und mit Sicherheit hat da kein Vorsitzender entschieden, der sich rechtsfehlerhaft gedacht hat, er dürfe die Berufung wegen unentschuldigten Ausbleibens verwerfen, obwohl er vorher entbunden hatte, wie Sie das suggerieren.

    Ich bin sicher, Herr Burhoff, dass Sie selbst in Ihrem ganzen (Berufs)leben noch niemals einen Fehler gemacht haben, denn anders wäre Ihre Haltung nicht zu erklären. Gehen Sie aber doch einfach mal davon aus, das andere nicht ganz so unfehlbar sind, wie Sie.

  5. Solkan

    Wenn man bedenkt, wie oft in diesem Blog der Begriff „Anfänger“ benutzt wird, könnte man auf die Idee kommen, dass der Autor nie mit irgendwas angefangen hat 🙂

  6. Elmar der Anwalt

    Hier muss ich unsren elektronischen Gastgeber in Schutz nehmen: Verfahren bei denen alles Perfekt gelaufen ist, weil jeder genau das getan hat was in der StPO steht, taugen bestenfalls als Einschlaflektüre.

    Getreu dem Motto „aus Fehlern wird man klug“ sind es gerade die Entscheidungen die danebengegangen sind (oder in gewohnt juristisch – verschwurbelter Ausdrucksweise: Entscheidungen bei denen der Erwartungshorizont wenigstens eines Beteiligten in ganz erheblichem Maße vom tatsächlichen Ergebnis abweicht) die, aus denen man lernen kann.

    Da man mit der Zeit in der Regel lernt, völlige geistige Abweichungen der eigenen von der allgemein vorherrschenden Ansicht zu umschiffen, nennt man ein solch krachendes danebenliegen meist Anfängerfehler. Bei häufigem Auftreten von Anfängerfehlern beim selben Anfänger wechselt dieser zügig in den Status des Nichtskönners, wobei häufiges danebenlangen auch am Verhältnis von Arbeitsaufkommen und Bearbeitungszeit liegen kann.
    Da aber auch die Anfänger quasi nachwachsende Rohstoffe sind, sterben folglich auch die Anfängerfehler nicht aus. Weil aber jeder in einem anderen Gebiet Anfänger ist, informiere ich mich gerne über die Anfängerfehler anderer, um möglichst zu vermeiden, dass ich derjenige bin, der plötzlich juristisch quasi ohne Hosen dasteht. Dieses ist nämlich zum einen peinlich, und könnte zum anderen irgendwann Geschäftsschädigend werden. Ergo lese ich die vom Autor ausgewählten Entscheidungen (meist) mit Interesse (und gebe auch gerne meinen Senf dazu – Anwaltlicher Mitteilungs- und Diskussionsreflex…).

    Und nun der Forengemeinde ein entspanntes Wochenende getreu der Devise:

    Wieder ist ein Tag vollbracht,
    Wieder wurd´viel Mist gemacht.
    Doch nun leckt mich am Arsch, Ihr Sorgen,
    Ich geh´jetzt nach Haus – bis Morgen!
    Dann geht es mit demselben Fleisse
    wieder in die gleiche Sch…
    önes Wochenende!!!

  7. Solkan

    @ Elmar:
    Das wäre gut nachvollziehbar, wenn der Gastgeber nicht so nachgelegt hätte:
    „Ach ne, nicht schon wieder: Überblättern, vergessen, übersehen – es ist lächerlich, das immer so gesund beten zu wollen……“

  8. Elmar der Anwalt

    @ Detlef Burhoff:
    Moi?
    Äääah… ja… natürlich…
    Erwischt…
    Quasi noch mit der Hand in der Keksdose…
    Aber das „gesundbeten“ ist ja die Ureigenste Aufgabe des Anwalts – insbesondere des Strafverteidigers. 😉

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