Strafzumessung I: Kurzfristige Freiheitsstrafe bei geringem BtM-Besitz zum Eigenkonsum?

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Author H. Zell

Heute gibt es dann mal wieder ein paar Strafzumessungsentscheidungen, aber nicht vom BGH, sondern von OLG. Und das ist zunächst der OLG Hamm, Beschl. v. 04.04.2017 – 1 RVs 23/17 -, und zwar noch einmal zur Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe wegen Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch und zur Frage der Unerlässiglichtkeit i.S. von § 47 StGB.

Das AG hatte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach den Feststellungen des AG war der bereits vielfach u.a..“auch wegen (aufgrund von Betäubungsmittelabhängigkeit begangener) Diebstahlstaten vorbestrafte und langjährig betäubungsmittelabhängige Angeklagte am 01.03.2016 um 11:30 Uhr im Eingangsbereich der Bahnstation „T“ in E im Rahmen einer Polizeikontrolle im Besitz von drei Stücken Haschisch im Gesamtgewicht von 3,68 Gramm, zwei Tabletten mit dem Wirkstoff Buprenorphin und zwei angebrochenen Tabletten mit dem Wirkstoff Buprenorphin und einer zerbrochenen Tablette mit dem Wirkstoff Buprenorphin angetroffen worden.“ Dabei war das AG mangels Wirkstoffgutachtens von einem unterdurchschnittlichen Wirkstoffgehalt des sichergestellten Haschisch ausgegangen.

Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das LG hat die Berufung mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt worden ist.Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Rechsfolgenausspruchs Erfolg.

„a)….Soweit die Kammer hingegen eine Freiheitsstrafe von 2 Monaten als tat- und schuldangemessen sowie unerlässlich im Sinne des § 47 StGB erachtet hat, hält dies rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Grundsätzlich ist die Strafzumessung allein Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann im allgemeinen nur dann eingreifen, wenn die Erwägungen, mit denen der Tatrichter Strafart und Strafmaß begründet hat, in sich rechtlich fehlerhaft sind, wenn anerkannte Strafzwecke außer Betracht geblieben sind oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, d.h., wenn die Strafe in einem groben Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Insoweit ist auch hinsichtlich des letztgenannten Aspektes die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 146, 149 a).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird nahezu durchgängig die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des Besitzes geringer Mengen Betäubungsmittel zum Eigenkonsum im Sinne der §§ 29 Abs. 5, 31 a BtMG auch bei einschlägig vorbestraften abhängigen Drogenkonsumenten die Verhängung einer Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und sich – soweit sie sich als unerlässlich erweist – im untersten Bereich des Strafrahmens des § 29 Abs. 1 BtMG zu bewegen hat (OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. 12.2009 – 1 Ss 197/09 –, juris, Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27. 09.2006 – III – 104/06 – 1 Ss 166/06 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. 04.2003 – 3 Ss 54/03 –, juris; BGH, Beschluss vom 16. 02.1998 – 5 StR 7/98 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2011 – III-2 RVs 45/11 -). Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen über den festgestellten strafbaren Betäubungsmittelbesitz zum Eigenkonsum hinausgehend nach den getroffenen Feststellungen konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fremdgefährdung – etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte oder durch Beschaffungskriminalität – nicht ersichtlich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 26.03.2014 – 1 RVs 10/14). So liegt der Fall hier; entgegenstehende Feststellungen sind zumindest bisher nicht getroffen.

Grundsätzlich kann nach den gegebenen Umständen die Verhängung einer auch vollstreckbaren kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB vorliegend angesichts der zahlreichen Vorstrafen und des Bewährungsversagens des Angeklagten durchaus in Betracht kommen. Durch die Existenz der Vorschrift § 47 Abs. 1 StGB kommt der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, auch in Fällen objektiv verhältnismäßig geringen Tatunrechts namentlich in den Fällen vorangegangener wiederholt fruchtloser Sanktionen mit der im Verhältnis zur Geldstrafe deutlich belastenderen Strafart der Freiheitsstrafrecht reagieren zu können. Dementsprechend steht außer Zweifel, dass auch in Fällen der Bagatellkriminalität die Festsetzung einer Freiheitsstrafe nicht ohne Weiteres gegen das Übermaßverbot verstößt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.06.1994 – 2 BvR 710/94 –, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22.07.2003 – 5St RR 167/03 – juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.10.2005 –2 St OLG Ss 150/05 –, juris). Bei Festsetzung deren Höhe ist jedoch gerade im Bereich der Bagatellkriminalität zu beachten, dass das in § 38 Abs. 2 StGB festgesetzte Mindestmaß von einem Monat im Vergleich zu einer nach dem Gesetz grundsätzlich primär vorgesehenen Festsetzung einer Geldstrafe das insoweit gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 StGB festgelegte gesetzliche Mindeststrafmaß von 5 Tagessätzen Geldstrafe bereits deutlich übersteigt und auch die gewählte Sanktionsart für sich genommen eine erheblich belastendere Beschwer darstellt. In den Fällen eines vom äußeren Tatbild eher nur geringen kriminellen Unrechts ist daher auch im Fall der Erforderlichkeit der Festsetzung einer Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB sorgfältig zu prüfen, ob zur Einwirkung auf den Täter sowie zur Herbeiführung eines gerechten Schuldausgleichs tatsächlich auch hinsichtlich deren Höhe die Verhängung einer möglicherweise auch deutlich über das Mindestmaß hinausgehenden Freiheitsstrafe tatsächlich rechtlich geboten erscheint.

Bei der konkreten Strafzumessung im Rahmen des § 47 StGB hat das Landgericht hierzu ausgeführt, dass mit der Festsetzung von Geldstrafen nicht mehr hinreichend auf den Angeklagten einzuwirken sei. Er sei vielfach vorverurteilt und trotz früher erlittenen Strafvollzugs und mehrfacher Bewährungschancen wiederholt straffällig geworden, so dass eine Freiheitsstrafe unerlässlich sei.

Dabei hat das Landgericht vorliegend jedoch zumindest nicht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung aktuell in Strafhaft befunden hat. Das Urteil des Landgerichts verhält sich nicht darüber, welche Einwirkungen die aktuelle Vollstreckung der Freiheitsstrafe von 5 Monaten auf den Angeklagten hat bzw. gehabt hat, mithin nicht zu der Frage, ob der Angeklagte sich als von der aktuell vollzogenen Haft beeindruckt gezeigt hat oder etwa nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen erlittenen Strafhaft wäre prognostisch näher zu erörtern gewesen, aus welchen Gründen angesichts des relativ geringen Schuldumfangs die Verhängung einer weiteren zu vollstreckenden kurzzeitigen Freiheitsstrafe auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes unerlässlich ist, zumal die letzte Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits vor knapp 9 Jahren erledigt war.“