Sexueller Missbrauch, oder: Die Lücke in der Beweiswürdigung bei Aussage-gegen-Aussage

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Ich habe gerade erst gestern auf das BGH, Urt. v. 04.9.2017 – 4 StR 45/17 hingewiesen (s. Freispruch vom Vergewaltigungsvorwurf, oder: Aussage-gegen-Aussage), das die Aufhebung eines Freispruchs vom Vorwurf der Vergewaltigung in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zum Gegenstand hatte. Heute ist auf der Homepage des BGH der BGH, Beschl. v. 21.09.2017 – 2 StR 275/17 – eingestellt worden. Die Revision richtete sich gegen ein Urteil des LG Gera, durch das der Angeklagte u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt worden ist. Der BGH hat (ebenfalls) aufgehoben, weil er in der gegebenen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation Rechtsfehler bei der landgerichtlichen Beweiswürdigung sieht. Die sei lückenhaft:

„In Fällen, in denen – wie hier – „Aussage gegen Aussage“ steht, hat der Bundesgerichtshof zudem besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 – 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO).

b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforde-rungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln. Der Generalbundesanwalt hat insoweit in seiner Antragsschrift vom 19. Juli 2017 ausgeführt:

„Hinsichtlich des Kerngeschehens der sechs festgestellten Taten liegt eine ‚Aussage gegen Aussage‘-Situation vor. Anders als die Feststellungen zur Aussageentstehung sind die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 – 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), lückenhaft.

Das Landgericht führt aus, dass die Geschädigte ihre Erleb-nisse zunächst gegenüber dem Zeugen M. , dann auch detailreicher gegenüber der Polizei und schließlich ebenfalls umfassend vor der Kammer geschildert hat (UA S. 9). Aufgrund der Aussage der Kriminalhauptkommissarin B. stellt die Kammer sodann fest, dass die von der Geschädigten vor der Kammer gemachten Angaben mit denen übereinstimmen, die sie schon bei der Polizei gemacht hat. Auch hier habe sie schon die genaueren Details dazu – gemeint sind die als sexuelle Übergriffe bezeichneten Handlungen des Angeklagten – mitgeteilt. Dem Urteil sind jedoch diese genaueren Details der Aussage insbesondere zum Kerngeschehen nicht zu entnehmen. Ansatzweise werden lediglich die Situation nach dem letzten erlebten Übergriff im Jahr 2011, als die Geschädigte ihre Mutter aufgefordert hatte, sie abzu-holen (UA S. 11) und die Vorkommnisse geschildert, in denen der Angeklagte die Geschädigte an der Brust gestreichelt und mit der Zunge berührt hat (UA S. 25, 29). Ebenso nur in Ansätzen (UA S. 15, 27 f.) wird wiedergegeben, was die Geschädigte gegenüber ihrem Vater und ihrer Mutter zu den Taten des Angeklagten erzählt hat, als sie sich diesen anvertraut hatte.

Die Konstanz der Aussage der Geschädigten ist jedoch für die Verurteilung des Angeklagten von besonderer Bedeutung. Diese muss für das Revisionsgericht nachprüfbar sein, wodurch detaillierte Angaben zu den verschiedenen Aussagen der Zeugin erforderlich sind. Dies gilt umso mehr, als die Kammer im Zusammenhang mit den Feststellungen der Taten 5 und 6 selbst von Abweichungen zwischen der Aussage der Geschädigten vor Gericht und ihrer polizeilichen Vernehmung ausgegangen ist (UA S. 29).

Die von der Kammer nachvollziehbar (UA S. 9, 18 ff.) als widerlegt angesehene Einlassung des Angeklagten und als unglaubwürdig angesehenen Ausführungen der Zeugin U. (UA S. 11 f., 15 ff.) vermögen diese Mängel in einer Gesamtschau ebenso wenig (zu) beseitigen, wie die Aussagen der Zeugen M. und M. -U. zu vergleichbaren Taten des Angeklagten zum Nachteil der Zeugin Mü. .“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

Und sonst scheint der BGH mit dem landgerichtlichen Urteil auch nicht zu recht zufrieden zu sein:

„3. Zur sprachlichen Abfassung eines Urteils verweist der Senat auf Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 207 ff.“

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