Pflichti III: Bestellung eines RA, wenn nur Zweifel an Verteidigungsfähigkeit bestehen

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Und dann noch der dritte Pflichverteidigungsbeschluss. Es handelt sich um den LG Leipzig, Beschl. v. 18.09.2017 – 5 Qs 119/17, der (mal wieder) die Problematik der Bestellung in den Fällen der Betreuung behandelt. Dazu das LG:

„Zwar genügt – wie das Amtsgericht im Grundsatz richtig annimmt – die bloße Betreuerbestellung nicht, um allein deswegen eine Verteidigerbestellung auszusprechen. Auch spielt es letztlich keine entscheidende Rolle, ob – wie die Beschwerde geltend macht – der Angeklagte die vorgeworfene Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder zumindest der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Denn dies ist nicht entscheidend für die hier allein zu beantwortende Frage der Fähigkeit, sich nunmehr im Verfahren selbst verteidigen zu können.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt aber dann ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn der Angeklagte aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten oder seines Gesundheitszustands in seiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Eine Pflichtverteidigerbestellung kommt in Betracht, wenn der Angeklagte unter Betreuung steht (OLG Naumburg FamRZ 2017, 757 f.; OLG Hamm NJW 2003, 3286). § 140 Abs. 2 ist dabei schon anwendbar, wenn an der Fähigkeit zur eigenen Verteidigung erhebliche Zweifel bestehen (vgl. Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 140 Rn. 30 m. w. N.). Schon das in dem Betreuungsverfahren von Dipl.-Med. S. am 16.10.1997 erstattete Gutachten diagnostiziert bei dem Angeklagten ein niedriges intellektuelles Niveau bei deutlich eingeschränkter Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie eine bei Alkoholeinwirkung ganz besonders herabgesetzte Frustrationstoleranz und Persönlichkeitsveränderung (Verhaltens- und Anpassungsstörung) aufgrund derer er seine Angelegenheiten nicht mehr selbständig adäquat regeln könne. Es empfiehlt eine Betreuung u. a. im auch jetzt angeordneten Umfang. Eine solche wurde durch das Betreuungsgericht – gestützt auf das ärztliche Zeugnis des Dipl.-Med. Sch. vom 23.08.2012, das dem Angeklagten eine Alkoholkrankheit mit Persönlichkeitsstörung und autoagressivem Verhalten attestiert – zuletzt im Oktober 2012 angeordnet. Hierdurch ist die Beschränkung der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung hinreichend belegt. Diese wird auch nicht durch die Tatsache kompensiert, dass der Angeklagte einen Betreuer hat. Insofern ist selbst dann eine Bestellung eines Pflichtverteidigers notwendig, wenn der Angeklagte – wie hier nicht – einen Rechtsanwalt als Betreuer hätte (vgl. Schmitt a.a.O. m.w.N.).

Zudem ist gemäß dem Beschluss des Amtsgerichts Oschatz aus Oktober 2012 — 3 XVII 5108/96 — die Berufsbetreuerin dem Angeklagten unter anderem mit dem Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden bestellt. Im Rahmen des Aufgabenkreises vertritt sie ihn gerichtlich und außergerichtlich. Der Begriff der Vertretung vor Behörden umfasst dabei auch die Vertretung vor einem Gericht; es bedarf insoweit keiner ausdrücklichen Nennung der Vertreter in Gerichtsangelegenheiten. Auch das durch diesen Beschluss anerkannte Defizit des Angeklagten, seine Rechte selbst vor einem Gericht vertreten zu können, legt bereits die Unfähigkeit des Angeklagten zur Verteidigung nahe (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, a.a.O.; LG Berlin 2016, 487 f.).“

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