Verteidiger aufgepasst: Ganz wichtige StPO-Änderungen bei den Anwesenheitsrechten, oder: Jetzt darf ich dabei sein

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Wir erleben gerade wieder ein Phänomen, das am Ende einer BT-Legislaturperiode immer zu beobachten ist. Die Gesetzesänderungen überschlagen sich, alles getreu dem Satz: Am Abend werden die Faulen fleißig. Nachdem wir nun gerade vor ein paar Tagen am 24.08.2017 das Inkrafttreten vom „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202) „feiern“ konnten (vgl. dazu Änderungen/Neuerungen in StPO/StGB/StVG, oder: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Verteidiger und auch Sondermeldung: Die Änderungen der StPO 2017 sind da – und dazu gleich ein Ebook)  ist gestern (05.09.2017) ein weiteres Gesetz veröffentlicht worden, das heute, also am 06.09.2017, in Kraft tritt.

Es ist „Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts v. 27.8.2017“ (BGBl I, S. 3295). Das hat während des Gesetzgebungsverfahrens (vgl. dazu die BT-Drucks. 18/9534) leider nicht so viel Aufmerksamkeit erfahren – auch von mir nicht -, was allerdings dem Inhalt des Gesetzes nicht ganz gerecht wird. Es muss zwar nicht die Geschichte der StPO neu geschrieben werden, aber das Gesetz hat es – wie man sagt – dann doch „in sich“.

Das Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. L 294 vom 6.11.2013, S. 1) . Das nur, damit der „Bundesheiko“ nicht sagt, die Neuregelungen seien „auf seinem Mist gewachsen“. Der Anstoß kommt vielmehr aus Brüssel.

Das vorab und nun zu den wesentlichen Neuregelungen:

Bei Gegenüberstellungen ist dem Verteidiger des Beschuldigten bisher ein Anwesenheitsrecht nicht eingeräumt worden. § 58 Abs. 2 StPO in nun aber geändert. Nach § 58 Abs. 2 Satz 2 StPO ist bei einer Gegenüberstellung mit dem Beschuldigten die Anwesenheit von dessen Verteidiger jetzt gestattet ist. Dies gilt ohne Einschränkung sowohl für Vernehmungsgegenüberstellungen als auch für Identifizierungsgegenüberstellungen. Weiterhin ist in § 58 Abs. 2 Satz 3 StPO sichergestellt worden, dass der Verteidiger vor dem Termin benachrichtigt wird, um von seinem Anwesenheitsrecht Gebrauch machen zu können. Wie für Vernehmungen des Beschuldigten in § 168c Ab. 5 Satz 3 StPO geregelt, besteht nach § 58a Abs. 2 Satz 4 StPO aber kein Anspruch auf Verlegung eines Termins bei Verhinderung.

In § 136 Abs. 1 Satz 3 und 4 StPO ist jetzt eine Verpflichtung des Vernehmenden normiert, den Beschuldigten, der vor der Befragung einen Verteidiger befragen möchte, bei der Herstellung des Kontakts zu einem Verteidiger durch die Zurverfügungstellung allgemeiner Informationen zu unterstützen. Danach sind dem Beschuldigten, Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren, auf bestehende anwaltliche Notdienste ist er hinzuweisen.

Für die mitlesesenden potentiellen Vernehmenden: Erforderlich ist nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 18/9534, s. 22) das ernsthafte Bemühen, den Beschuldigten bei der Kontaktaufnahme etwa durch die Übergabe von Anwaltsverzeichnissen bzw. Strafverteidigerlisten oder insbesondere durch den Hinweis auf Verteidigernotdienste zu unterstützen. Also keine „Pseudo-Hilfe“.

Informations- und Hinweispflichten

In § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO wird jetzt auch auf die neuen § 136 Abs. 1 Satz 3 u. 4 StPO verwiesen. Damit gelten die vorstehenden Informations- und Hinweispflichten betreffend Verteidiger und anwaltliche Notdienste auch für polizeiliche Vernehmungen.

Anwesenheitsrecht des Verteidigers

Die StPO sah bislang für Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers nur für richterliche (§ 168c Abs. 1 StPO) und staatsanwaltschaftliche (§ 163a Abs. 3 S. 2 StPO i.V.m. § 168c Abs. 1 StPO) Vernehmungen vor. Ein Recht auf Teilnahme an einer polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten hatte der Verteidiger nicht. An der Stelle hat nun § 163a Abs. 4 StPO eine ganz wesentliche Änderung erfahren. Es wird nämlich jetzt auf § 168c Abs. 1 und 5 StPO verwiesen. Dort ist das Anwesenheitsrecht des Verteidigers (Abs. 1) und das Recht auf Benachrichtigung (Abs. 5) geregelt. Das gilt im selben Umfang jetzt auch bei einer polizeilichen Vernehmung.

Und: Nach § 163a Abs. 4 Satz 3 StPO i.V.m. § 168c Abs. 1 StPO soll dem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft nach der Vernehmung des Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden, sich zu erklären oder Fragen an den Beschuldigten zu stellen. Durch einen Verweis auf § 241 Abs. 2 StPO in § 168c Abs. 1 Satz 3 StPO ist es möglich, dass der Polizeibeamten, der die Vernehmung leitet, ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen wie auch der Richter bei Vernehmungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung zurückweisen kann.

Na, das ist doch mal was. Die Polizei wird sich freuen, wenn in Zuknft – und zwar ab heute (!) – die Beschuldigten bei Vernehmungen in Begleitung ihres Verteidigers erscheinen. M.E. schon ein ganz wesentlicher Schritt zur „Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten“. Vernehmung ohne Verteidiger geht nicht mehr. Und auch die o.a. Informations- und Hinweispflichten sind für die Praxis von Bedeutung. Dazu gibt/gab es ja auch schon Rechtsprechung des BGH, die in die Richtung ging (vgl. BGHSt 42, 15 und BGHSt 42, 170).

Und zum Schluß: Ein Ebook wird es zu den Änderungen von mir nicht geben. Das gibt es nur zum „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“. Ich nutze dann <<Werbemodus an>> dieses Posting, um noch einmal auf dieses Ebook „Effektivere und praxistauglichere Ausgestaltung des Strafverfahrens?  Die Änderungen in der StPO 2017 – ein erster Überblick“ hinzuweisen. Das stellt die seit dem 24.08.2017 durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202) geltenden Änderungen in der StPO vor. Das Ebook kann man auf der Bestellseite meiner Homepage bestellen. >>Werbemodus aus>>.

8 Gedanken zu „Verteidiger aufgepasst: Ganz wichtige StPO-Änderungen bei den Anwesenheitsrechten, oder: Jetzt darf ich dabei sein

  1. Thomas Hochstein

    Wobei man, glaube ich, die Bedeutung der Neuregelung nicht überschätzen darf: Gegenüberstellungen sind eher selten, und die Unterstützung des Beschuldigten bei der Verteidigersuche scheint mir im Wesentlichen Richterrecht zu kodifizieren.

    Bedeutsamer ist da freilich schon das Anwesenheits- und Fragerecht des Verteidigers – wobei der Beschuldigte ja auch bisher die Anwesenheit seines Verteidigers erzwingen konnte, indem er erklärte, nur in dessen Anwesenheit aussagen zu wollen. Aber freilich, ein gesetzliches Recht ist da eine deutliche Stärkung der Verteidigerstellung, ebenso wie das Fragerecht (das in der mir bekannten Praxis ohnehin gewährt worden ist, aber wiederum: besser ein durchsetzbares Recht als auf das Entgegenkommen des Vernehmungsbeamten angewiesen zu sein).

  2. Detlef Burhoff

    Ja, eine von Brüssel aufgezwungene „Reform“ bzw. Stärkung der Beschuldigtenrechte. Man wird sehen, wie die Polizei damit umgeht. Es stellt sich schon die Frage: Bekommt der Verteidiger vor der Vernhmung Akteneinsicht. Denn wie soll er sonst sein Fragerecht vernünftig ausüben?

  3. WPR_bei_WPS

    Na das sind doch mal gute Nachrichten. Ich meine, im Prinzip halte ich es immer noch für schlecht, dass die Polizei nach der letzten Änderung jetzt selber nach Lust und Laune vorlagen darf – dass da die gleichen Rechte gelten müssen wie vorher beim Staatsanwalt / Richter, ist für mich natürlich. Nur haben sich die jubelnden Vernehmungsbeamten damit evtl. ein Eigentor geschossen.

    Zumindest sollten doch solche Stunts wie z. B. bei der Zschäpe nicht mehr möglich sein – also der Fall „Wir packen auf der langsamen, umwegbehafteten Strecke von der JVA zum Gericht (oder wars zu ihrer Oma?) einen BKA-Beamten dazu, der dann mit ihr “ ins Gespräch“ kommt“.

  4. Pingback: Änderungen: Neue Regeln ab September und Oktober 2017 | Rechtsanwalt im Liebknechthaus Leipzig – Max Malkus

  5. Josef Wilfling

    Jeder Beschuldigte darf auch jetzt schon zu jederzeit, auch vor Beginn einer Vernehmung, die sofortige Hinzuziehung eines Anwaltes verlangen, darüber wird er auch ausdrücklich aufgeklärt. Ob er von seinem Recht auf rechtliches Gehör auch ohne Anwalt Gebrauch machen will, oblag also seiner freien, unbeeinflussten Willensentscheidung. Dieses rechtsstaatlich garantierte Selbstbestimmungsrecht wird nun durch die neue Gesetzeslage aussagewilligen und aussagebereiten Beschuldigten entzogen. Ob sie wollen oder nicht, es muss ein Anwalt hinzugezogen werden, der i.d.R. weitere Angaben sofort unterbinden wird. Das weiß jeder Praktiker. Damit nimmt er dem Beschuldigten aber auch die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen, Entlastendes vorzutragen oder auch sich seelisch zu erleichtern. Das gilt ganz besonders bei schweren Delikten wie Mord und Totschlag. 80 % aller Beschuldigten legen in diesem Deliktsbereich bereits vor der Polizei ein Geständnis ab und tragen damit nicht nur zur Wahrheitsfindung bei, sondern sichern sich auch noch die strafmildernde Wirkung eines frühen Geständnisses. Dies wird künftig nicht mehr möglich sein, es wird eben keine Geständnisse mehr geben. Es geht also um puren Täterschutz. Das Argument, man müsse im Interesse eines fairen Verfahrens die Rechte Beschuldigter den durch das Opferschutzgesetzt gestärkten Rechten der Opfer angleichen, kann man nur als pervers bezeichnen. Diese neue Regelung wird die Aufklärungsquote bei Kapitalverbrechen, insbesondere bei Tötungsdelikten, rapide absinken lassen. Und wenn man weiß, dass nicht härtere Strafen, sondern die hohe Aufklärungsquote abschreckende Wirkung erzeugt, fragt man sich, was wohl in den Köpfen solcher Leute vorgeht, die in der neuen Regelung einen Gewinn sehen. Ja doch, ein Gewinn ist es schon, aber nur für die Geldbeutel von Strafverteidigern, nicht für den Rechtsstaat. Übrigens: wer bezahlt eigentlich den Pflichtverteidiger, den ein Beschuldigter gar nicht wollte, wenn das Verfahren vorzeitig eingestellt wird?

  6. Detlef Burhoff

    @ Josef Wilfling

    Dass Sie als ehemaliger Polizeibeamter das so sehen, kann ich noch nachvollziehen. Ja, die Neuregelung – sie liegt übrigens mehr als zwei Jahre zurück, was soll also noch dieser Kommentar? – macht es Polizeibeamten schwieriger, Beschuldigte bei Vernehmungen zu überfahren. Ihr Kommentar zeigt, wie wichtig die Neuregelung war. Denn Polizeibeamte belehren häufig leider nicht oder nicht richtig. Und im Strafrecht geht es zunächst mal um den Angeklagten und erst dann um das Opfer.

  7. Ulrike

    Interessant, dass die Gesetzesänderungen sich manchmal überschlagen. Was heißt das für einen Anwalt? Meine Tochter zeigt gerade großes Interesse daran Jura zu studieren. Da wollte ich mich etwas schlauer machen und recherchieren. Ich habe ihr gesagt, dass man als Anwalt viel Konkurrenz hat und immer einen guten Job machen muss. Ich werde ihr empfehlen diesen Artikel zu lesen, da er ihr eventuell aufzeigt, wie Anwälte arbeiten!

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