Wenn Eröffnungsbeschluss und Urteilstenor nicht stimmen, oder: Etwas mehr Sorgfalt wäre angebracht

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Die 37. Woche eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 20.06.2017 – 1 StR 113/17 – betreffend eine „Anklage“- und/oder Eröffnungsproblematik und einen „Zählfehler“ des LG.

Es stellte sich zunächst für den die Frage: Verfahrenshindernis, weil ein „unrichtiger“ Eröffnungsbeschluss? Die Frage wird vom Revisionsgericht von Amts wegen geprüft. Hat der BGH hier offenbar auch getan und ist zu dem Ergebnis gekommen: Noch alles gut:

„Es liegt kein Verfahrenshindernis vor. Zwar enthält der Eröffnungsbeschluss vom 8. August 2016 ein unzutreffendes Datum, soweit darin die „Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 3. Juni 2016 (Aktenzeichen: 610 Js ) zur Hauptverhandlung zugelassen“ wird. Dies führt aber nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 3. Oktober 1979 – 3 StR 327/79 und vom 15. November 1983 – 5 StR 657/83, NStZ 1984, 133).

Die Anklageschrift gegen die Angeklagte und den nicht revidierenden Mitangeklagten datiert auf den 28. Juni 2016 (Aktenzeichen: 610 Js ). Wenige Seiten vor dieser ist die Abschrift einer Anklage gegen einen anderen Beschuldigten abgeheftet, die das Datum 3. Juni 2016 trägt. Dem Eröffnungsbeschluss lässt sich aber durch die Angabe allein des die Angeklagte und den Mitangeklagten betreffenden Rubrums und die zweifache Angabe des Aktenzeichens der Anklage vom 28. Juni 2016 die eindeutige Willenserklärung des Gerichts entnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 6. August 1974 – 1 StR 226/74; MünchKommStPO/Wenske, 1. Aufl., § 207 Rn. 79), dass es die die beiden Angeklagten betreffende Anklage mit dem Aktenzeichen 610 Js zur Hauptverhandlung zugelassen hat.“

Spontan ist mir dazu „Falsa demonstratio non nocet“ eingefallen. Aber auch etwas anderes: Nämlich: Etwas mehr Sorgfalt wäre bei der Strafkammer schon angebracht (gewesen). Aber bei der – es ist ein Urteil des LG Karlsruhe – scheint es eh ein wenig (?) durcheinander zu gehen. Denn der BGH hat dann doch den Strafausspruch teilweise aufheben müssen. Denn – Problem 2 „Zählfehler“:

„a) Das Landgericht hat vier Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge festgestellt und hierfür Einzelstrafen von einem Jahr und neun Monaten und dreimal einem Jahr und drei Monaten verhängt.

Einen entsprechenden Schuldspruch hat es aber weder verkündet noch ist er im Tenor der Urteilsurkunde enthalten.“

Und der BGH rettet nicht, was sonst ja recht gerne tut:

b) Der Senat hat erwogen, ob es sich bei dem Auseinanderfallen von Schuldspruch und Urteilsgründen um ein offensichtliches Verkündungs- bzw. Fassungsversehen handelt, wonach eine – vom Generalbundesanwalt beantragte – ausnahmsweise Ergänzung der Urteilsformel zulässig wäre. Die Voraussetzungen für eine solche Abänderung des Urteils liegen hier aber nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind „offensichtlich“ nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss – auch ohne Berichtigung – eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2017 – 2 StR 345/16 mwN und vom 22. November 2016 – 1 StR 471/16; Urteil vom 14. Januar 2015 – 2 StR 290/14, BGHR StPO § 267 Urteils-berichtigung 1 mwN; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 268 Rn. 10). Zwar spricht angesichts der späteren Abfassung der Urteilsgründe vieles dafür, dass sich das Landgericht bei dem verkündeten Tenor verzählt hat, jedoch ist dies nicht offensichtlich in dem dargestellten Sinne.

Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten in der Anklageschrift vom 28. Juni 2016 insgesamt acht Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt. Die zugelassene Nachtragsanklage vom 21. September 2016 erfasste einen weiteren Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; mithin waren bei dem Landgericht neun vorgeworfene Taten anhängig geworden. Das verkündete Urteil bezog sich auf vier Taten, für die eine Verurteilung erging (dreimal Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und einmal Beihilfe zu einer solchen Tat). Ausweislich des verkündeten Tenors und des Tenors der Urteilsurkunde ist „im Übrigen“, mithin für alle noch anhängig gewesenen Tatvorwürfe Freispruch erfolgt. Vor diesem Hintergrund war für die Verfahrensbeteiligten nicht erkennbar, dass tatsächlich für einen weiteren Tatvorwurf eine Verurteilung gewollt war, der Freispruch – entgegen des verkündeten Wortlauts – diese weitere Tat nicht erfassen sollte. Anhaltspunkte hierfür haben sich weder aus der Prozessgestaltung, noch aus dem die Tatvorwürfe teilweise bestreitenden Einlassungsverhalten der Angeklagten ergeben.

Jedenfalls bei einer solchen, eindeutig alle anhängigen Taten ergreifenden Fassung des verkündeten Tenors kann allein der Umstand, dass in den Urteilsgründen mehr Taten festgestellt, bewertet und sanktioniert worden sind, als es dem verkündeten Urteilstenor entspricht, nicht dazu berechtigen, einen offensichtlichen Zählfehler anzunehmen (diese Frage offen lassend: BGH, Be-schluss vom 17. März 2000 – 2 StR 430/99, NStZ 2000, 386, wobei sich der Freispruch ausweislich der Entscheidungsgründe abweichend auf eine bezifferte Fallanzahl bezog). Eine Änderung der Urteilsformel liefe auf eine Durchbrechung des alle nicht verurteilten und noch anhängig gewesenen Vorwürfe erfassenden und rechtskräftig gewordenen Freispruchs hinaus.“

Die Schlamperei des LG hat also viel Arbeit gemacht.

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