Zusätzliche Verfahrensgebühr, oder: Warum schaut der „Proberichter“ nicht mal in einen Kommentar?

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So, die gebührenrechtlichen Entscheidungen des heutigen Tages beginne ich mit dem AG Aschaffenburg, Beschl. v. 24.07.2017 – 390 AR 46/17, den mir die Kollegin Diane Waterstradt aus Aschafenburg übersandt hat. Die Kollegin war Pflichtverteidigerin des Beschuldigten. Sie hat im Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten Stellung genommen. Das Verfahren ist dann nach § 154 StPO eingestellt worden. Die Kollegin hat die Gebühr Nr. 4141 VV RVG geltend gemacht. Die ist von der Rechtspflegerin nicht festgesetzt worden. Die Erinnerung hatte beim AG dann keinen Erfolg:

„Mit Schriftsatz vom 23.05.2017 beantragte Rechtsanwältin Waterstradt die Festsetzung von insgesamt 873,04 Euro, darunter die Gebühr Nr. 4141 VV RVG (BI. 298 d.A.).

Im Ergebnis ist die Gebühr Nr. 4141 VV RVG nicht entstanden. Im Aktenverlauf lässt sich keine Förderung auf das Verfahren gerichtete Tätigkeit von Rechtsanwältin Waterstradt entnehmen. Die Einstellung des Verfahrens erfolgte mit Verfügung vom 17.05.2017 ausdrücklich aufgrund einer in einem anderen Verfahren zu erwartenden Strafe. Die hier verfolgte Tat würde nicht beträchtlich ins Gewicht fallen. Das von Rechtsanwältin Waterstradt vorgetragene Einlassungsverhalten des Beschuldigten spielte daher für die Einstellung des Verfahrens keine Rolle, sodass die Gebühr Nr. 4141 VV RVG mangels auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht entstanden ist. Auf die zutreffenden Ausführungen des Beschlusses des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 05.07.2017 wird Bezug genommen. Für die Entstehung der Gebühr sind höhere Anforderungen als Haftbeschwerde, Akteneinsicht und eine anschließende Einstellung durch die Staatsanwaltschaft erforderlich.“

M.E. ist die Entscheidung falsch. Denn für das Entstehen der Gebühr Nr. 4141 VV RVG reicht jede auf die Förderung der Erledigung des Verfahrens gerichtete und zur Verfahrensbeendigung „objektiv geeignete“ Tätigkeit des Rechtsanwalts aus (zutreffend BGH RVGreport 2008, 431 = AGS 2008, 491 = StRR 2009, 77 m. zust. Anm. Burhoff; OLG Stuttgart RVGreport 2010, 263 = AGS 2010, 202 = StRR 2010, 440; LG Dresden RVGreport 2010, 69 = StRR 2010, 239; LG Saarbrücken RVGreport 2016, 254 = AGS 2016, 171 = StRR 10/2016, 24; weitere Nachw. bei Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, VV 4141 Rn 11 und bei Burhoff/Volpert/Burhoff, Nr. 4141 VV Rn 18). Und dafür wäre das vom AG selbst erwähnte „Einlassungsverhalten“ des Beschuldigte, der im Zweifel geschwiegen hat, ausreichend gewesen, denn das war objektiv geeignet, zur Beendigung des Verfahrens – durch Einstellung – beizutragen. Ob es das tatsächlich hat, ist eine Frage, die im Rahmen der Nr. 4141 VV RVG keine Rolle spielt. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft den aus ihrer Sicht vielleicht einfacheren Weg der Einstellung nach § 154 StPO gegangen ist, sagt ja nichts über die Qualität der Mitwirkung des Verteidigers aus. Und das ist m.E. auch zutreffend, denn sonst hätten es die Gerichte in der Hand, durch die Wahl des „richtigen“ Einstellungsgrundes die Voraussetzungen für das Entstehen der Nr. 4141 VV RVG zu legen oder nicht. Das kann aber nicht richtig sein.

Ich hatte der Kollegin zu der Entscheidung, die von einem Proberichter stammt, geschrieben, was ich hier lieber nicht schreibe 🙂 . Dem Proberichter kann man wegen der falschen Entscheidung an sich kaum einen Vorwurf machen, denn auch das übergeordnete OLG Frankfurt kann es in meinen Augen nicht besser (vgl. den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 05.07. 2017 – 2 Ws 35/17). Was man dem Proberichter allerdings „vorwerfen“ kann, ist, dass er offenbar nicht einmal kurz in einen gebührenrechtlichen Kommentar geschaut, sondern das, was die Rechtspflegerin vorgebetet hatte, fast wortgleich übernommen hat (hier der AG Aschaffenburg, Beschl. v. 05.07.2017 – 390 AR 46/17). So viel Zeit sollte aber trotz aller sicherlich vorhandener Belastung sein, auch wenn es „nur“ um anwaltliche Gebühren geht. Dann hätte er nämlich gemerkt/gelesen, dass der Satz „Für die Entstehung der Gebühr sind höhere Anforderungen als Haftbeschwerde, Akteneinsicht und eine anschließende Einstellung durch die Staatsanwaltschaft erforderlich“ so nicht passt.

15 Gedanken zu „Zusätzliche Verfahrensgebühr, oder: Warum schaut der „Proberichter“ nicht mal in einen Kommentar?

  1. meine5cent

    Mal vom anderen Ende her aufgezäumt:: Gibt es denn (außer dem schlichten Nichtstun) überhaupt eine denkbare Anwaltstätigkeit, die beim 154 StPO nicht „fördernd“ wäre?
    – RA rät dem Mandanten, zu schweigen oder Tatvorwurf zu bestreiten -> Nachweis schwierig, StA /Gericht zieht den 154
    – RA rät dem Mandanten, zu gestehen, -> Straferwartung wird niedriger -> StA/Gericht zieht den 154.

  2. Peter Glanz

    Wieso ist es wichtig, dass die Entscheidung von einem Proberichter stammte? Solche Argumente ad personam finde ich entbehrlich. Wir wissen, dass Sie Experte sind, da muss man dem Entscheider nicht noch mangelnde Kompetenz/Erfahrung zuschreiben finde ich.

  3. RA Ullrich

    @ meine5cent: In der Tat braucht es nicht viel, um die Zusatzgebühr 4141 entstehen zu lassen, außer in den Fällen, in denen der Rechtsanwalt lediglich kommentarlos die Akte einsieht und gar nichts nach außen hin mitteilt. Ansonsten reicht grundsätzlich jeder Sachvortrag, auch die bloße Mitteilung, dass der Beschuldigte schweigen wird, aus. Wenn da der Richter oder StA die Entstehung der Zusatzgebühr „verhindern“ will, muss er schon einstellen, bevor er überhaupt die Akte zusendet. Und außerdem bleiben natürlich die exotischen Fälle, in denen eine Kausalität der anwaltlichen Tätigkeit für die Einstellung offensichtlich ausgeschlossen ist, etwa bei Einstellung wegen Verfahrenshindernis, wenn die StA ohne Zutun des Rechtsanwalts herausfindet, dass die Sache schonmal angeklagt und abgeurteilt war oder dass der Beschuldigte verstorben ist.

    Den Verweis darauf, dass es ein Proberichter war, braucht es m.E. wirklich nicht, den größten Unsinn verzapfen nach meiner Erfahrung oftmals nicht die Proberichter (die meist im Zweifel tatsächlich noch in den Kommentar schauen), sondern langjährige unambitionierte Provinzamtsrichter, die grundsätzlich keine Zeit haben in Kommentare zu schauen und die StPO ohnehin nur noch als grobe Richtlinie betrachten (damit meine ich natürlich nicht alle Provinzamtsrichter, aber die meisten Verteidiger dürften ein, zwei Exemplare der genannten Sorte kennen 😉 ).

  4. Untertan

    Zum Glück gibt es hier und da immer mal wieder unfehlbare Leute, an denen man sich aufrichten kann.

  5. Peter Glanz

    Wie war denn das Einlassungsverhalten? Hat die Rechtsanwältin mitgeteilt, dass er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht? Das bleibt in Ihrem Posting offen. Nach ihrem Kommentar ist das aber erforderlich. Da Sie die Entscheidung von der Rechtsanwältin haben: Wieso spekulieren Sie darüber und fragen nicht bei ihr nach? Nur so können wir erkennen, ob es sich wirklich um eine Fehlentscheidung handelt. Anhand der mitgeteilten Umstände vermag ich das bisher nicht zu erkennen. Eine Haftbeschwerde und Akteneibsicht allein dürften für die Gebühr im Zweifel tatsächlich nicht ausreichen, jedenfalls dann, wenn die Haftbeschwerde sich nur mit dem Haftgrund befasste. Aber auch das wissen wir nicht.

  6. Peter Glanz

    Und noch ergänzend? Wenn er sich eingelassen hat oder geschwiegen: War da die Rechtsanwältin schon tätig und hat daran mitgewirkt? Wenn er zB geständig war oder bestritten und die Rechtsanwältin hätte später nichts mehr daran geändert, also schlicht nichts mehr gemacht: wäre das schon die Gebühr nach Nr 4141 VV RVG wert? Ihr Beitrag leidet leider an Darlegungs-/Darstellunsmängeln, Herr Burhoff. Der BGH würde ihn aufheben 😉

  7. Peter Glanz

    Ich habe Ihren Kommentar gelesen. Ist der nicht vernünftig? Ihre arrogante Art finde ich bedenklich.

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