Aufklärungsrüge nach fehlender Akteneinsicht, oder: Schattenboxen beim KG

Heute dann ein „OWi-Tag“, an dem ich zunächst den KG, Beschl. v. 15.05.2017 – 3 Ws (B) 96/17 – vorstelle. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Das AG hatte schon alle Anträge abgewimmelt, nun ging es in der Rechtsbeschwerde u.a. noch um die Aufklärunsgrüge, mit der die Ablehnung des Antrags auf Einsicht ind ie Messdaten pp. als Verstoß gegen § 338 Nr. 8 stPo gerügt wurde. Und da – man schreibt schon fast: natürlich – auch eine Ablehnung. Die begründet das KG dann mit den sattsam aus den Beschlüssen anderer OLG schon bekannter Anforderungen, die zu erfüllen sind:

„2. Soweit der Rechtsmittelschrift auch eine die Verletzung des § 77 Abs. 1 OWiG beanstandende Aufklärungsrüge oder eine Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 338 Nr. 8 StPO) zu entnehmen sein sollte, so versäumt sie es, substantiiert vorzutragen, welche Tatsachen sich aus welchen (genau bezeichneten Stellen der beizuziehenden bzw. anzufordernden) Unterlagen ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten. Sollte dem Verteidiger, was hier naheliegt, eine solche konkrete Bezeichnung vorenthaltenen Materials (hier: dem Messgerät zugeordnete Unterlagen über die Wartung u. Ä. sowie die Rohmessdaten) nicht möglich sein, weil ihm dieses noch immer nicht vorliegt, so muss er sich bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun (vgl. BGH NStZ 2010, 530; Senat DAR 2013, 211; OLG Bamberg DAR 2016, 337; OLG Celle NZV 2013, 307; OLG Hamm NStZ-RR 2013, 53). Hier bleibt schon offen, welche Anstrengungen die Verteidigung unternommen hat, die Verwaltungsbehörde zur Herausgabe der begehrten Unterlagen und Dateien zu veranlassen. Die Rechtsmittelschrift spricht verschiedentlich und sachlich offensichtlich unrichtig von „außergerichtlichen“ Anträgen. Tatsächlich bleibt unklar, ob sich der Betroffene bei der Polizeibehörde um das begehrte Material bemüht hat. Schon gar nicht wird deutlich, dass dies mit Nachdruck (vgl. etwas Thüringer OLG NJW 2016, 1457: „mehrfach und dezidiert“) und unter Ausnutzung des nach § 62 OWiG statthaften Rechtsbehelfs (dieses Erfordernis anzweifelnd: Thüringer OLG NJW 2016, 1457) geschehen wäre oder dass die Behörde aufgefordert worden wäre, statt der angeblich nicht geführten „Lebensakte“ jedenfalls die das Messgerät betreffenden Unterlagen herauszugeben. Der Rechtsbeschwerdeschrift ist auch nicht zu entnehmen, dass der Betroffene einen Antrag auf Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung gestellt hätte (§§ 71 Abs. 1 OWiG, 265 Abs. 4 StPO), um ihm die Beschaffung der begehrten Unterlagen und Dateien zu ermöglichen (vgl. Senat DAR 2013, 211 und Beschluss vom 12. November 2001 – 3 Ws (B) 514/01 – mwN [juris]; Cierniak, DAR 2014, 2), oder dass er zeitlich nach dem Urteil die vom Bundesgerichtshof zur Vervollständigung der Verfahrensrüge erforderten Anstrengungen unternommen hat. Dass die Verteidigung die Mitteilung des polizeilichen Zeugen, eine Lebensakte werde nicht geführt, für falsch und gar für eine „Schutzbehauptung“ hält, entband sie nicht von weiteren Bemühungen, sondern eröffnete einerseits gerade deren Erfolgsaussichten und begründete andererseits die Obliegenheit, die Verwaltungsbehörde zur Herausgabe der begehrten Unterlagen mit Nachdruck zu veranlassen.“

Nachvollziehbar für mich (nur) die Forderung nach einem Antrag in der Hauptverhandlung. Die Forderung: „Auch nach der Hauptverhandlung muss man sich um die Akten bemühen“, erschließt sich mir – gelinde gesagt – nicht. Was soll das dann noch bringen, wenn Akteneinsicht tatsächlich nun noch gewährt werden würde? Das Verfahren ist doch beendet. Und zum Schattenboxen wird das Ganze, wenn man vom Verteidiger verlangt, dass er sich auch dann weiter um Akteneinsicht bemühen muss, wenn die Verwaltungsbehörde „behauptet“, eine Lebensakte werde nicht geführt.

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