Grundkurs, oder: Wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist….

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Ein „schönes“ (?) Beispiel dafür, wie man Beweiswürdigung nicht macht, ist das Urteil des LG Hamburg, dass dem BGH, Beschl. v. 31.05.2017 – 5 StR 149/17 – zugrunde gelegen hat. Die Strafkammer hat den Angeklagten u.a. wegen sexueller Nötigung verurteilt. Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 05.12.. 2015 mit einer U-Bahn, die auch die auf ihrem Heimweg befindliche Nebenklägerin bestieg. Der Angeklagte entschloss sich, sie zu verfolgen, um an geeigneter Stelle an ihr sexuelle Handlungen auch gewaltsam zu vollziehen. Als die Nebenklägerin die U-Bahn verließ, folgte er ihr auf ihrem weiteren Nachhauseweg. Er sprach sie mit der Frage an, ob sie ihn mitnehme, und ließ sich auch durch ihre ablehnende Antwort nicht von seinem Vorhaben abbringen. Um den weiter hinter ihr herlaufenden Angeklagten zur Aufgabe seiner Verfolgung zu bewegen, drehte sich die Nebenklägerin, als er sich direkt hinter ihr befand, zu ihm um, schrie ihn an und schlug mit ihrer Handtasche in seine Richtung, ohne ihn zu treffen. In Umsetzung seines Tatplans drängte der Angeklagte die Nebenklägerin nunmehr gegen eine Mauer, griff ihr in das Gesicht und erklärte, er wolle sie „ficken“. Er fasste ihr unter dem Rock zwischen die Beine und versuchte, mit der Hand unter ihrer Strumpfhose in den Scheidenbereich zu gelangen. Durch ihre Hilfeschreie auf die Tat aufmerksam geworden öffnete ein Anwohner ein Fenster und veranlasste mit seinem Ausruf „Polizei“ den Angeklagten zur Flucht.

Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten, der sich dahin eingelassen hat, keine Erinnerung an einen solchen Vorfall zu haben, aufgrund einer Gesamtschau folgender Umstände überzeugt:

Als „gewichtiges Indiz“ sieht es das Landgericht vor allem an, dass an bestimmten Stellen der Strumpfhose der Nebenklägerin Mischspuren mit Merkmalen gefunden worden seien, für deren Verursachung der Angeklagte in Betracht komme. Nach Erläuterung des Sachverständigen sei die Übereinstimmung des DNA-Identifizierungsmusters der Spuren mit dem des Angeklagten so groß, dass weltweit – wenn überhaupt – diese Spuren nur wenigen Personen zugeordnet werden könnten. Die mögliche Zuordnung der Spuren zu anderen Personen sei eher theoretischer Natur.

Das Landgericht hält weiter den in Augenschein genommenen Angeklag-ten für identisch mit der Person, die von den Videoaufzeichnungen in der U-Bahn erfasst und darauf von der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren als Täter identifiziert worden sei. Die äußere Erscheinungsform (Größe), Kopfform und Gesicht stimmten überein. Das auf den Videoaufnahmen erkennbare Ge-sicht entspreche auch dem auf den Fotos aus der letzten erkennungsdienstli-chen Behandlung des Angeklagten. Demgegenüber habe dessen Wiederer-kennung durch die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung nur geringes Ge-wicht.

Als weiteres Indiz wertet das Landgericht, dass eine bei Festnahme des Angeklagten am 30. Dezember 2015 sichergestellte schwarze wollene Schirmmütze und eine schwarze Jacke „vom Erscheinungsbild her“ identisch seien mit der Mütze und der Jacke, die von der auf den Videoaufzeichnungen abgebildeten Person getragen worden seien; auch habe der Täter nach den Angaben der Nebenklägerin und der beiden seine Flucht beobachtenden Anwohner eine schwarze Mütze getragen. Schließlich decke sich das Tatbild mit jenem mehre-rer nächtlicher Überfälle auf ihm unbekannte Frauen in den Jahren 2006 und 2007, die den Gegenstand einer Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe bildeten.“

Der BGH meint: Lückenhaft, denn

a) Dies gilt zunächst für die Heranziehung der DNA-Spuren auf der Strumpfhose der Nebenklägerin.
Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfah-rungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberech-nung ist nach bisheriger Rechtsprechung in der Regel zumindest erforderlich, dass das Tatgericht mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und in-wieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben ha-ben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2017 – 5 StR 606/16 mwN).

Hier hat das Landgericht mit seiner pauschalen Verweisung auf ein DNA-Gutachten des Landeskriminalamts und mit der Wiedergabe allgemein gehaltener Ausführungen des Sachverständigen nicht nur davon abgesehen, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Gutachtens im Urteil anzugeben, sondern nicht einmal als Ergebnis der Analyse den Seltenheitswert der Spuren mitgeteilt, aus denen sich ableiten ließe, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Angeklagte als Spurenleger anzusehen ist.

b) Auch beschränkt sich das Landgericht darauf, zu seiner Überzeugung von der Identität des Angeklagten mit der Person, die von den Videoaufzeichnungen in der U-Bahn erfasst wurde, das Ergebnis seiner vergleichenden Betrachtung pauschal mitzuteilen, ohne dies anhand von Einzelmerkmalen des äußeren Erscheinungsbildes wie etwa der konkreten Körpergröße oder Kopfform zu belegen. In diesem Zusammenhang mag dahinstehen, ob es hier für eine wirksame Verweisung auf Abbildungen gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (vgl. zu den Anforderungen BGH, Urteil vom 28. Januar 2016 – 3 StR 425/15, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 267 Rn. 8 mwN), die ohnehin nur „wegen der Einzelheiten“ erlaubt ist, schon genügt, dass zu einem Standbild aus der Videoaufzeichnung lediglich zwei Fundstellen in der Akte angegeben werden verbunden mit dem Hinweis auf eine Inaugenscheinnahme durch die Strafkammer (UA S. 33). Jedenfalls hat sich das Landgericht nicht mit der Ergiebigkeit des Bildes und seiner Eignung als Grundlage einer Identifizierung auseinandergesetzt, an deren Begründung umso höhere Anforderungen zu stellen sind, je schlechter die Bildqualität ist (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95, BGHSt 41, 376, 384).

Ebenso wenig wird für den Umstand, dass die Nebenklägerin tatzeitnah auf dem betreffenden Standbild aus der Videoaufzeichnung eine bestimmte Person als Täter wiedererkannt hat (UA S. 30 f.), mitgeteilt, ob und gegebenen-falls an welche bestimmten individuellen Identifizierungsmerkmale sie ihr Wie-dererkennen geknüpft hat. Insofern könnte zudem von Bedeutung sein, ob die Zeugin zuvor schon eine auf diese Person und damit den Angeklagten zutref-fende Täterbeschreibung abgegeben hatte.“

Irgendwie ein kleiner Grundkurs, oder?

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