Pflicht II: Sicherungsverteidiger, oder: Nur, wenn unbedingt nötig

© G.G. Lattek – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung zu Pflichtverteidigungsfragen ist der KG, Beschl. v. 06.07.2016 – 2 Ws 176/16 – ja, schon älter, habe ich aber erst jetzt erst vor kurzem erhalten. Es geht um die Beschwerde eines Angeklagten gegen die erfolgte Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Auf den ersten Blick stutzt man, aber: Es ging um einen Sicherungsverteidiger, den das LG dem Angeklagten neben dessen bereits beigeordneten Verteidiger „zur Sicherung des Verfahrens“ als weiteren Pflichtverteidiger beigeordnet hatte. Der Vorsitzende war davon ausgegangen, dass der bereits beigeordnete Verteidiger nicht an allen Terminstagen anwesend sein könnte. Der teilte dann aber mit, dass er (nunmehr) an sämtlichen Terminstagen teilnehmen könne. Er verlangte die Aufhebung der weiteren Beiordnung, was das LG ablehnte. Dagegen die Beschwerde des Angeklagten, die Erfolg hatte:

„2.) Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Es kann hier offen bleiben, ob der Vorsitzende im Zeitpunkt der Beiordnungsentscheidung am 31. Mai 2016 bereits von der Mitteilung des Rechtsanwalts B., dass dieser doch an sämtlichen Terminen teilnehmen könne, Kenntnis gehabt hat. Jedenfalls liegen zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine weitere Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 oder § 140 Abs. 2 StPO nicht vor.

a) Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn hierfür wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten. Unter anderem besteht ein solches unabweisbares Bedürfnis bei einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage dann, wenn sich die Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu ihrer ordnungsgemäßen Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden kann (vgl. KG, Beschlüsse vom 1. September 2013 – 4 Ws 122/13 –; vom 15. August 2011 – 4 Ws 75/11 –; vom 21. Juli 2003 – 4 Ws 126/03 –; und vom 5. November 1997 – 4 Ws 236, 237/97 –; OLG Brandenburg OLG-NL 2003, 261; 262 jeweils mit weit. Nachweisen).

b) Nach derzeitiger Aktenlage kann ein solcher Ausnahmefall nicht angenommen werden.

aa) Zur Sicherung des geordneten und zügigen Verfahrensablaufs in der Haftsache bedurfte es der Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers zumindest nicht mehr wegen einer möglichen Verhinderung des Rechtsanwalts B. Dessen ursprünglicher Vortrag, er könne nicht an sämtlichen Hauptverhandlungstagen teilnehmen, hat sich durch seine Mitteilung vom 31. Mai 2016 erledigt. Hierdurch ist die Durchführung der Hauptverhandlung an den durch das Gericht bisher bestimmten Terminstagen in Anwesenheit des Verteidigers Rechtsanwalt B. gewährleistet.

bb) Hinsichtlich der Dauer der Hauptverhandlung existiert keine starre Grenze dergestalt, dass ab einer bestimmten Anzahl von Verhandlungstagen (hier derzeit zehn Tage) die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers in der Regel erforderlich ist. Eine solche Bestellung im Fall einer außergewöhnlich langen Hauptverhandlung beruht auf der Erfahrung, dass eine längere Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger werde planwidrig verhindert sein, und nimmt damit die allgemeine Prozessmaxime der Verfahrensbeschleunigung sowie gegebenenfalls auch das Gebot der besonderen Beschleunigung in Haftsachen auf (vgl. OLG Brandenburg; OLG Frankfurt/M., jeweils a.a.O.; OLG Hamm NJW 1978, 1986; KG, Beschluss vom 20. September 2013 – 4 Ws 122/13 –). Sie ist aber nur dann geboten, wenn und soweit andere Reaktionsmöglichkeiten auf die unvorhergesehene Verhinderung eines Verteidigers nicht ausreichen. In Betracht kommen insoweit unter anderem die Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 229 StPO, das Tätigwerden eines Vertreters gemäß § 53 Abs. 1 BRAO oder die Bestellung eines weiteren Verteidigers (erst) bei tatsächlichem Eintritt der Verhinderung oder Ausbleiben des zunächst allein beigeordneten Verteidigers. Die letztgenannte Möglichkeit einer Verteidigerbestellung in der laufenden Hauptverhandlung ist in § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich vorgesehen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Dezember 1993 – 4 Ws 291/93, 304/93 –, OLG Brandenburg a.a.O.).

Da die Hauptverhandlung binnen eines Monats abgeschlossen sein soll, liegt keine außergewöhnliche Dauer des Verfahrens vor. Die Kammer hat außerdem vorab die Urlaube sämtlicher Zeugen abgefragt und bei der Terminierung berücksichtigt, sodass insoweit keine Verzögerungen zu erwarten sind. Schließlich hat die Kammer an den letzten drei Verhandlungstagen keinerlei Beweisprogramm vorgesehen, sodass für unvorhergesehene Entwicklungen im Verlauf der Verhandlung ein ausreichend großes Zeitpolster besteht.

cc) Ferner rechtfertigen weder eine besondere Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage noch ein ungewöhnlicher Umfang des Verfahrens eine Beiordnung. Es ist nur ein Fall des bandenmäßigen, bewaffneten und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angeklagt. Hierzu werden überwiegend Polizeizeugen gehört, die teilweise nur Angaben zu Ermittlungsvorgängen machen können. Das Verfahren besteht aus fünf Aktenbänden und drei sehr übersichtlichen und kurzen Sonderbänden Finanzermittlung. Aufgrund der Auffindesituation anlässlich der erfolgten Durchsuchung müsste die Beweisaufnahme innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens durchführbar sein.

dd) Schließlich gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit nicht die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers.

Es gibt bereits keinen allgemeinen Grundsatz, wonach einem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, nur weil ein Mitangeklagter einen solchen hat (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2012, 351; OLG Rostock, Beschluss vom 24. Juni 2002 – 1 Ws 273/02 – BeckRS 2002, 17722 Rdn. 5f). Dies muss dann erst recht gelten, wenn der Angeklagte bereits einen Verteidiger hat und keinen weiteren möchte.“

M.E. zutreffend. Man darf ja auch die Kostenfolgen für den Angeklagten nicht übersehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert