Beweiswürdigung beim sexuellen Missbrauch, oder: Das „Porno-Video“ auf dem Handy hätte man erörtern müssen

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Mit dem BGH, Urt. v. 26.04.2017 – 5 StR 445/16 – hat der 5. Strafsenat des BGH in einem Verfahren wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. ein Urteil des LG Saarbrücken aufgehoben, das den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei gesprochen hat. Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, seine damals sechsjährige Stieftochter L. in den Wochen vor dem 20.11.2013 in fünf Fällen in ihrem Zimmer bzw. im Keller des von ihnen bewohnten Hauses dazu gebracht zu haben, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Im Zusammenhang mit einer dieser Taten soll der Angeklagte der Nebenklägerin auch Videos mit pornographischem Inhalt, insbesondere Oralverkehr, gezeigt haben. Die Stietochter hatte dieses gegenüber ihrer Mutter, einer Familienhelferin und bei einer audiovisuell aufgezeichneten ermittlungsrichterlichen Vernehmung in Anwesenheit der aussagepsychologischen Sachverständigen bestätigt. Sie hatte außerdem angegeben, dass der Angeklagte ihr auf seinem Handy ein Video gezeigt, in dem eine Frau bei einem Mann das getan habe, was sie beim Angeklagten gemacht habe. Die Sachverständige hatte ausgeführt, dass aus aussagepsychologischer Sicht hinsichtlich dreier Fälle des Oralverkehrs „wahrscheinlich“ von einem tatsächlichen Erlebnishintergrund auszugehen sei. Demgegenüber hatte ist das Landgericht zu der Einschätzung gelangt, dass die Angaben der Nebenklägerin, die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, aber die Verwertung ihrer früheren Angaben gestattet hat, „nicht geeignet“ seien, die Tatvorwürfe zu beweisen.

Der BGH hebt wegen eines Verstoßes gegen § 261 StPO auf:

„Die Revision der Nebenklägerin hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg, mit der sie die Verletzung von § 261 StPO beanstandet. Das Landgericht hat sich durch das Unterlassen der Erörterung in die Hauptverhandlung eingeführter Beweiserkenntnisse zu pornographischen Videodateien auf dem Mobiltelefon des Angeklagten nicht mit allen erhobenen Beweisen auseinandergesetzt und daher seine Überzeugung nicht aus dem vollständigen Inhalt der Beweisaufnahme geschöpft…..

b) Die Rüge ist auch begründet.

aa) Aus dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) folgt mit dem Ausschöpfungsgebot die Verpflichtung des erkennenden Gerichts, den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. In den schriftlichen Urteilsgründen muss es dies – auch bei freisprechen-den Urteilen – erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend über-gangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden (BGH, Urteil vom 10. Juli 1980 – 4 StR 303/80, NJW 1980, 2423 f.; Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07, NStZ 2008, 705, 706; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 14, 56 ff.).

bb) Dies zugrunde gelegt, hätte sich die Strafkammer in dem Urteil mit dem – dort nicht erwähnten – IT-Gutachten über die Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten auseinandersetzen müssen.

(1) Denn das Landgericht hat festgestellt, dass die Nebenklägerin konstant angegeben hatte, der Angeklagte habe ihr im unmittelbaren Zusammen-hang mit den angeklagten Taten einen oder mehrere Videofilme vorgeführt, die zeigten, „wie das gehe“ bzw. wie „eine Frau sich hingekniet und am Penis gelutscht“ habe; diesen Film bzw. diese Filme habe er ihr auf seinem Handy vorgespielt.

(2) Es handelt sich bei dem Vorhandensein solcher pornographischer Videos auf dem Mobiltelefon des Angeklagten nicht um eine unbedeutende Indiztatsache, der letztlich in der Gesamtheit der Beweiswürdigung kein erhebliches Gewicht beizumessen wäre.

Zwar stützt die Strafkammer den Freispruch des Angeklagten (auch) darauf, dass nicht ausgeschlossen werden könne, „dass die Nebenklägerin Gesehenes als Erlebtes berichtet hat“ (UA S. 27), L. also „die Bewegungen erst gemacht hat, weil sie sie zuvor auf einem pornographischen Film gesehen hat“ (UA S. 24), und „sie Dinge, die sie eventuell auf einem Video gesehen hat, auf sich übertragen hat, um dem polizeilichen Erwartungsdruck gerecht zu werden“ (UA S. 25). Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin nimmt die Strafkammer aber nicht hinreichend deren objektive Bestätigung dahin in den Blick, dass auf dem Mobiltelefon des Angeklagten tatsächlich pornographische Videos gespeichert waren, die Oralverkehr zum Inhalt haben, und diese Filme für ein Vorspielen in der von der Nebenklägerin geschilderten Tatsituation tatsächlich zur Verfügung standen. Damit lässt die Jugendkammer ein Beweisergebnis außer Betracht, dessen Aussagekraft über das von ihr gleichsam unterstellte und nicht näher in den Kontext der vorgeworfenen Tathandlungen eingeordnete Ansehen pornographischer Filme durch die Nebenklägerin wesentlich hinausgeht.“

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