Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Drogenscreening nicht allein wegen 1,8 g Marihuana-Besitz

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Ich habe schon seit längerem keine verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Drogenbesitzes mehr vorgestellt. Die Lücke schließe ich heute mit dem VG Minden, Beschl. v. 09.03.2017 – 2 L 4/17, den mir der Kollege Brüntrup auf Minden übersandt hat. Kurz gefasst sagt das VG: Drogenbesitz kann ein Indiz für Eigenverbrauch sein. Im Falle des Besitzes von Cannabis müssen jedoch, wenn die Fahrerlaubnis entzogen werden soll, zusätzliche konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ständig fahreignungsrelevante körperlich-geistige Fahreignungsdefizite vorhanden sind oder Konsum von Cannabis und Teilnahme am Straßenverkehr nicht getrennt werden können.

Entschieden worden ist über die den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in einem Verfahren wegen der Entziehung der Fahrerlaubnis. Der Antragsteller hatte sich geweigert, der Aufforderung der Verwaltungsbehörde zur Beibringung eines Gut­achtens über eine Blut- und Urinuntersuchung (Drogenscreening vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV) Folge zu leisten. Dem VG reicht das jedoch nicht. Denn die Verwaltungsbehörde sei nicht berechtigt gewesen, vom Antragsteller ein ärztliches Gutachten in Form einer Blut- und Urinuntersuchung (Drogenscreening) zu fordern.

„Zwar kann der Drogenbesitz ein Indiz für Eigenverbrauch sein.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2001 – 19 B 814/01 juris, NZV 2002, 427 ff.

Im Falle des Besitzes von Cannabis müssen jedoch zusätzliche konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ständig fahreignungsrelevante körperlich-geistige Fahreignungsdefizite vorhanden sind oder Konsum von Cannabis und Teilnahme am Straßenverkehr nicht getrennt werden können. So kann etwa die Aufforderung, eine ärztliche Untersuchung durchführen zu lassen, schon bei Besitz einer geringen Menge eines Cannabisproduktes gerechtfertigt sein, die für Eigenverbrauch spricht, vorausgesetzt, dass weitere Umstände eine Klärung geboten erscheinen lassen, ob regelmäßiger Konsum vorliegt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2001 – 19 B 814/01 juris, NZV 2002, 427 ff.

Ohne das Hinzutreten solcher weiteren Umstände verstieße die Maßnahme in derartigen Fällen jedoch gegen den grundrechtlichen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und gegen das Übermaßverbot.

Vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 20.06.2002 — 1 BvR 2062/96  juris, Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 44. Auflage 2017, § 14 FeV, Rdnr. 17 m.w.N.

So liegt es hier.

Selbst unter Berücksichtigung des Ergebnisses des – vom Antragsgegner erst nach der Gutachtenanordnung beigezogenen -staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens ­ist die zu berücksichtigende „Tatsache“ i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV allein der Fund von 1,8 g Marihuana netto am 15.08.2016 im Schlafzimmer der vom Antragsteller und seiner Mutter bewohnten Wohnung. Ausweislich des Schlussvermerks der Kreispolizeibehörde Herford vorn 07.09.2016 bestehe nach Erkenntnissen aus durchgeführten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen der dringende Tatverdacht, dass der Antragsteller zumindest im Tatzeitraum 12.05,2016 bis 16.06,2016 bei mindestens fünf Gelegenheiten Marihuana in bisher nicht bekannter Größenordnung erworben habe. Konkrete Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen könnten, ist die Kreispolizeibehörde Herford jedoch schuldig geblieben. Demgemäß wurde das Verfahren gegen den Antragsteller gemäß § 153 StPO am 22.10.2016 wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Über den bloßen (möglichen) Besitz von 1,8 g Marihuana/Cannabis hinausgehende Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller tatsächlich Marihuana/Cannabis konsumiert hat, liegen nicht vor.

Alle weiteren Annahmen des Antragsgegners bestehen im Wesentlichen aus Vermutungen und Unterstellungen, für die der Antragsgegner einen Nachweis schuldig geblieben ist. Der Antragsteller hat bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 17.08.2016 keine Angaben gemacht; die von ihm unterzeichneten Angaben – auf die der Antragsgegner seine Gutachtenanordnung maßgeblich gestützt hat ­insbesondere zur Größenordnung der Marihuanakäufe (um jeweils 50 — 70 g) sind rein spekulativer Art und als solche vom Antragsteller auch nur mit seiner Unterschrift bestätigt worden, Insoweit vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen und ist der Antragsgegner einen Nachweis schuldig geblieben, worin die „sehr konkreten Anhaltspunkte“ dafür gelegen haben sollen, dass es sich bei der geringen Menge von 1,8 g Cannabis „lediglich um eine Restmenge handelte und tatsächlich in deutlich größerem Umfang Betäubungsmittel bezogen wurden und die Fahreignung durch einen regelmäßigen Konsum ausgeschlossen sein könnte“, geht doch der Schlussvermerk der Kreispolizeibehörde Herford vom 07.09.2016 „von Marihuana in bisher nicht bekannter Größenordnung“ aus, so dass es für Mutmaßungen über einen möglichen Konsum bis hin zu einem regelmäßigen Konsum keine Grundlage gibt. Weitere ergänzende Anhaltspunkte derart, dass der Antragsteller unter Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt oder über einen längeren Zeitraum erheblichen Cannabiskonsum geübt hat, sind von der Antragsgegnerin nicht ermittelt bzw. nicht dargelegt worden.“

Die Fahrerlaubnis gab es dann natürlich zurück.

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