Akteneinsicht für die Nebenklägerin, oder: Rechtsschutz für den Angeklagten gibt es erst beim BVerfG

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Und zum Abschluss des Tages dann noch eine BVerfG-Entscheidung, und zwar den BVerfG, Beschl. v. 31.01.2017 – 1 BvR 1259/16. Er behandelt ein in der Praxis des Strafverfahrens immer mehr an Bedeutung gewinnendes Problem, nämlich die Akteneinsicht des Nebenklägers und die damit zusammenhängenden Fragen. Hier geht es um ein Rechtsmittel des Beschuldigten gegen die gerichtliche Gewährung von Einsicht in die Akten des gegen ihn geführten Strafverfahrens an die Bevollmächtigte der Nebenklägerin. Es handelt sich um ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs. In dem hatte die Bevollmächtigte der – damals sechzehnjährigen – leiblichen Tochter des Beschuldigte – die spätere Nebenklägerin – Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) zu ihrem Nachteil erstattet. Zugleich beantragte sie unter Berufung auf ihre Nebenklageberechtigung die Gewährung von Akteneinsicht, die die Staatsanwaltschaft ohne Anhörung des Beschuldigten gewährte. Inzwischen ist im Januar 2015 Anklage wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen erhoben worden. Das AG hat mit nicht begründetem Beschluss im  Februar 2015 der Bevollmächtigten der Nebenklägerin auf deren Antrag hin ergänzende Akteneinsicht gewährt, wovon diese telefonisch in Kenntnis gesetzt wurde. Der Verteidiger erhielt ers im Mai 2015 bei erneuter Einsichtnahme in die Verfahrensakte von den Schriftsätzen der Nebenklagevertreterin und der Gewährung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft beziehungsweise den Strafrichter Kenntnis. Der Beschuldigte ist dann am 02.07.2015  wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am 18.09.2015 erhob der Verteidiger Beschwerde gegen die Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklagevertreterin durch die Staatsanwaltschaft sowie durch das Amtsgericht. Das LG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen. Begründung: Soweit die Beschwerde gegen die Gewährung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft gerichtet sei, sei sie unzulässig, weil der Beschwerdeführer den zunächst erforderlichen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Gewährung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft (§ 406e Abs. 4 Satz 2 StPO) nicht gestellt habe. Soweit die Beschwerde sich gegen die Gewährung von Akteneinsicht durch das Amtsgericht richte, sei sie prozessual überholt, da die Gewährung von Akteneinsicht nicht ungeschehen gemacht werden könne und ein „tiefgreifender Grundrechtseingriff“, der – wie bei Wohnungsdurchsuchungen, Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit – einen Fortsetzungsfeststellungsanspruch begründen könne, bei der nach § 406e Abs. 1 StPO in der Regel gebotenen Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklage offensichtlich nicht gegeben sei.

Das BVerfG hebt auf und sagt: Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, nicht vereinbar, denn:

c) ……… Ob die in vorliegendem Fall erfolgte Gewährung von Akteneinsicht bezogen auf diesen Einzelfall einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt, hat das Landgericht jedoch nicht hinreichend geprüft. Es hat insbesondere den von der Akteneinsicht konkret betroffenen Akteninhalt, der unter anderem Einlassungen des Angeklagten, die neben dem ihm vorgeworfenen Tatgeschehen auch Einzelheiten seiner Beziehung zur Kindsmutter betreffen, nicht gewürdigt. Es hat darüber hinaus nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Amtsgericht – wie zuvor auch schon die Staatsanwaltschaft vor Gewährung der erstmaligen Akteneinsicht im September 2014 – die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklägerin ohne Anhörung des Beschwerdeführers getroffen hatte und sich die Maßnahme unmittelbar im Zusammenhang mit der tatsächlichen Gewährung von Akteneinsicht erledigte, so dass der Beschwerdeführer die von ihm substantiiert erhobenen Einwendungen gegen die Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklägerin letztlich weder im Vorfeld der Maßnahme noch – nach erstmaliger Kenntniserlangung von der bereits erfolgten Gewährung von Akteneinsicht im Mai 2015 – in dem der Gewährung von Akteneinsicht nachfolgenden Beschwerdeverfahren geltend machen konnte. Dieser Umstand kann bei der Bewertung der Intensität des Grundrechtseingriffs im Einzelfall, die auch von den Möglichkeiten des hiergegen gegebenen Rechtsschutzes abhängen kann (BVerfGE 133, 277 <366> Rn. 207) und durch eine ohne Kenntnis des Betroffenen erfolge Durchführung des Eingriffs regelmäßig vertieft wird (vgl. BVerfGE 120, 378 <402 f.>), jedoch nicht außer Betracht bleiben (vgl. LG Stralsund, Beschluss vom 10. Januar 2005 – 22 Qs 475/04 -, juris, Rn. 3 [zu § 406e StPO]; LG Dresden, Beschluss vom 6. Oktober 2005 – 3 AR 8/05StV 2006, S. 11 f. [zu § 475 StPO]).“

Muss man als Verteidiger im Auge haben.

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