Sexualdelikt I, oder: Sexueller Missbrauch mit Fieberthermometer, Daumen und Zäpfchen

entnommen wikimedia.org
Benutzer: Daniel FR – Eigenes Werk

Heute werde ich dann drei Entscheidungen des BGH zu sexuellen Handlung/zum sexuellen Missbrauch vorstellen, die zum Teil schon länger in meinem Blogordner hängen. Die erste ist das BGH, Urt. v. 08.12.2016- 4 StR 389/16. Das LG hat den Angeklagten (nur) wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hielten sich die Brüder J. und P. G. vom 22. bis zum 30. August 2015 mit dem Angeklagten auf dem Campingplatz am T. auf. Der Angeklagte, der eine besondere Erregung daran empfindet, wenn größere – schon trockene – Kinder von ihm eine Windel angezogen bekommen, ging an den Abenden vom 22. bis zum 27. August 2015 jeweils mit dem achtjährigen P. , der keinerlei Krankheitsanzeichen aufwies, in seinen Wohnwagen. P. musste sich mit dem Rücken aufs Bett legen. Der Angeklagte cremte dessen Genitalbereich, den Penis und den Po, insbesondere um den Anus, ein und nahm eine rektale Fiebermessung vor. Anschließend behauptete er wahrheitswidrig, dass P. Fieber habe und deshalb Fieberzäpfchen erforderlich seien. Er führte P. jeweils ein Zäpfchen mit einem abführenden Medikament – entweder Glycilax oder Dulcolax – und ein Zäpfchen gegen Übelkeit – Vomex A – ein. Die Zäpfchen steckte der Angeklagte jeweils mit seinem Daumen in den Anus, wobei er die Zäpfchen falsch herum einführte und seinen Daumen ebenfalls soweit in den Anus hineinsteckte, bis das Zäpfchen nicht weiter hineingeschoben werden konnte. Die Schmerzensbekundungen von P. ignorierte er. Anschließend zog der Angeklagte P. eine Windel an und darüber einen Kinderbody. Kurze Zeit später verspürte P. einen starken Drang, auf die Toilette zu gehen. Der Angeklagte forderte ihn auf, in die Windel zu machen. Danach schlief P. aufgrund der Nebenwirkung des Präparates Vomex A im Bett des Angeklagten ein.“

Das LG hat das Vorliegen sexueller Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, bejaht. Die Qualifikation des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB sei aber nicht erfüllt, weil das Eindringen mit Zäpfchen und Daumen in den Anus von P. nicht als beischlafähnliche Handlung angesehen werden könne. Diese Vorgehensweise sei bei Kindern nicht unüblich, auch P. habe schon früher Zäpfchen erhalten. Der BGG sieht es – auf die Revision der StA – anders:

Das Landgericht hat aber rechtsfehlerhaft den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB) verneint.

a) Nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kin-dern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Die Strafvorschrift des § 176 StGB schützt die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern. Der Begriff „Eindringen in den Körper“ in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB umschreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (BGH, Urteil vom 16. Juni 1999 – 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132; Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119). Erforderlich ist, dass die sexuelle Handlung mit Blick auf das geschützte Rechtsgut, nämlich die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2008 aaO), ähnlich schwer wiegt wie eine Vollziehung des Beischlafs. Auf eine besondere Erniedrigung des Opfers stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB daher nicht ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist (BGH, Urteil vom 18. No-vember 1999 – 4 StR 389/99, NJW 2000, 672 f. mit Anm. Renzikowski, NStZ 2000, 367 f.; und Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08 aaO). Eine solche ist bei einem Eindringen mit dem Finger oder mit Gegenständen in Scheide oder After eines Kindes grundsätzlich anzunehmen (vgl. BGH, Be-schluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 224; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 176a Rn. 27; SK/Wolters, StGB, 135. Lfg. 2012 § 176a Rn. 16; aA Folkers, JR 2007, 11, 14 f.).

b) Das sexuell motivierte Einführen eines Thermometers, von Zäpfchen und des Daumens in den Anus – wie hier – stellt danach jeweils ein „Eindringen in den Körper“ im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB dar. Als sexuelle Handlungen wiegen diese Tätigkeiten im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und in die ungestörte sexuelle Entwicklung eines Kindes entgegen der Auffassung des Landgerichts so schwer, dass sie einem Beischlaf ähnlich sind. Auf eine möglicherweise fehlende konkrete Beeinträchtigung der sexuellen Entwicklung des Tatopfers durch die sexuelle Handlung (UA 16) kommt es hingegen für die Beurteilung des Schweregrades und damit der Beischlafähnlichkeit der Handlung nicht an.“

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