Die nächtliche Sichtkontrolle im Vollzug – so einfach geht das nicht

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Den Abschluss der Entscheidungen zu Strafvollstreckung und Strafvollzug macht der OLG Hamm, Beschl. v. 24.11.2016 – III – 1 Vollz (Ws) 302/16, ergangen in einer sog. Maßregelvollzugsache. Der Betroffene befindet sich auf Grundlage der §§ 7 JGG, 63 StGB wegen einer von ihm begangenen gefährlichen Körperverletzung seit dem 15.02.2002 in der Unterbringung, die seit dem 04.02.2011 in der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne vollzogen wird. Der Betroffene hat sich gegen zweimal nächtlich stattfindende Sichtkontrollen seines Zimmers gewendet, die in unregelmäßigen Abständen bei verschlossen bleibender Zimmertür durch eine Sicht- bzw. Kommunikationsklappe derart erfolgen, dass mit einer Taschenlampe kurz auf das Bett bzw. auf den Betroffenen geleuchtet wird, wobei der Lichtkegel der Taschenlampe auch das Gesicht des Betroffenen treffen kann. Am 08.11.2015 beantragte der Betroffene das Unterlassen dieser Kontrollen, die nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen im gerichtlichen Verfahren seit vier Jahren erfolgen. Das ist abgelehnt worden: Nach therapeutischer Beurteilung gebiete die Fürsorgepflicht die Durchführung der Kontrollen und überwiege das Interesse an ungestörter Nachtruhe.

Das OLG sagt dazu: Bei nächtlichen Überprüfungen eines Untergebrachten in Form von nächtlichen Sichtkontrollen handelt es sich um an § 21 Abs. 1 MRVG NRW zu messende besondere Sicherungsmaßnahmen:

Denn entgegen der Auffassung des Antragsgegners und der Strafvollstreckungskammer handelt es sich bei den nächtlichen Überprüfungen des Betroffenen an § 21 Abs. 1 MRVG NRW zu messende besondere Sicherungsmaßnahmen. Nach dieser Vorschrift kann bei einer erheblichen Gefahr für das geordnete Zusammenleben in der Einrichtung, insbesondere bei – vorliegend von dem Antragsgegner im angefochtenen Bescheid gerade nicht positiv festgestellten – Selbstgefährdung und Fluchtgefahr, unter anderem die „Beobachtung bei Nacht“ angeordnet werden, soweit und solange dies erforderlich ist. Schon der Gesetzeswortlaut spricht eindeutig dafür, dass die vorliegende Maßnahme dem Regelungsgehalt dieser Norm unterfällt. Auch der von der Strafvollstreckungskammer angeführte Umstand, dass die Überprüfung hier lediglich stichprobenartig und nicht dauerhaft erfolgt, ändert nichts daran, dass es sich hierbei begrifflich um eine – wenn auch im Verhältnis zur permanenten Überwachung weniger einschneidende – Beobachtung zur Nachtzeit handelt (vgl. die Einordnung punktueller, aber jederzeit möglicher nächtlicher Kontrollen im Strafvollzug bei BGHSt 37, 380, Rn. 7, juris; Senatsbeschluss vom 27.01.2015 – 111-1 Vollz (Ws) 664-665114 Rn. 10, juris; Arloth, a.a.O., § 88 Rn. 5 m.w.N.; Schwind in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 6. Aufl., § 88 Rn. 12; ähnl. Rzepka in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 3. Aufl., Rn. H 99), die von der – keine besondere Sicherungsmaßnahme darstellenden – nächtlichen Überprüfung aufgrund eines konkreten dienstlichen Anlasses wie etwa bei verdächtigen Geräuschen (vgl. Schwind in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O.) oder der im Rahmen des Maßregelvollzugs unerlässlichen einfachen Beaufsichtigung von Patienten (vgl. Rzepka in: Kammeier, a.a.O.) zu unterscheiden ist.

Zumindest nach der Systematik des MRVG NRW (zur Rechtslage in anderen Bundesländer vgl. Rzepka in: Kammeier, a.a.O., Rn. H 98) erscheint es auch nicht zulässig, beim Fehlen der Voraussetzungen für besondere Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 1 MRVG NRW eine Beobachtung zur Nachtzeit auf die allgemeine Regelung des § 5 S. 2 MRVG NRW zu stützen, nach der dem Betroffenen vorbehaltlich einer „besonderen Regelung“ dieses Gesetzes Einschränkungen bereits dann auferlegt werden dürfen, wenn dies zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Therapie, des geordneten Zusammenlebens oder für die Zusammenarbeit unerlässlich ist. Denn bei § 21 Abs. 1 MRVG NRW handelt es sich gerade um eine solche „besondere Regelung“, deren erhöhte und einzelfallbezogene Anordnungsvoraussetzungen (vgl. Verrel in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschnitt M Rn. 79) unterlaufen würden, wenn eine Beobachtung zur Nachtzeit auch aus anderen Gründen angeordnet werden dürfte (ähnl. zur Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage für die Fesselung eines nach § 63 StGB Untergebrachten im Rahmen einer Vorführung Senatsbeschluss vorn 23.09.2014 – 11I-1 Vollz(Ws) 411/14 – Rn. 14, juris). Zutreffend führt Prütting (MRVG und PsychKG NRW, § 21 MRVG Rn. 7) aus, dass die Beobachtung bei Nacht einen sehr massiven Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen darstellen kann, die daher unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen das Recht auf Schutz der Persönlichkeit und der Intimsphäre abgewogen werden muss und die zudem einer gesetzlichen Grundlage bedarf, welche mit den Vorgaben des § 21 Abs. 1 MRVG NRW vorliegt. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass grundsätzlich allein unter den in dieser Vorschrift normierten Voraussetzungen nach Prüfung des Einzelfalles eine nächtliche Beobachtung zulässig ist (ähnl. BGH, a.a.O., zu § 88 StVollzG; allg. Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 8. Aufl., Rn. 111.210, wonach die je nach Landesrecht zu den besonderen Sicherungsmaßnahmen gehörende Beobachtung „nur unter den engen Kautelen des jeweiligen Maßregelgesetzes zur Gefahrenabwehr zulässig“ ist).

Ergebnis: Die Überwachung hat zu unterbleiben. Allerdings:

„Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Antragsgegner durch diese Entscheidung nicht an einer etwaigen erneuten Anordnung der nächtlichen Beobachtung des Betroffenen im Sinne des § 21 Abs. 1 MRVG NRW gehindert wird, sofern sich zukünftig ergeben sollte, dass die diesbezüglichen Voraussetzungen erfüllt sind. Auch bleiben von dieser Entscheidung die Möglichkeiten zur nächtlichen Überprüfung aufgrund eines konkreten dienstlichen Anlasses oder zur im Rahmen des Maßregelvollzugs unerlässlichen einfachen Beaufsichtigung von Patienten unberührt, die nach den obigen Ausführungen von einer besonderen Sicherungsmaßnahme im Sinne des § 21 Abs. 1 MRVG NRW zu unterscheiden sind.“

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