Das „verschollene“ Problem, oder: Beweisverwertungverbot bei Messung mit Provida?

entnommen Wikimedia.org Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

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Es gibt immer wieder (Rechts)Fragen, die Rechtsprechung und Literatur beschäftigen und die einen Verteidigungsansatz bieten. Häufig ist dann aber nach einer gewissen Zeit die Frage geklärt = es hat sich in der Rechtsprechung eine h.M. gebildet, die man zur Kenntnis nehmen muss/sollte. Und zwar auch, wenn einem das Ergebnis dieser Klärung nicht gefällt. Jedenfalls kann man mit den Fragen dann nur noch schwer verteidigen. So ist es mit den Fragen um den Richtervorbehalt bei der Blutentnahme gewesen (§ 81a StPO) und so war/ist es mit der Frage nach der Ermächtigungsgrundlage für Videomessungen nach dem BVerfG, Beschl. v. 11.08.2009 – 2 BvR 941/08 – und einem sich daran ggf. anknüpfenden Beweisverwertungsverbot gewesen. Aber: Die Fragen kochen dann immer wieder doch noch einmal hoch. So ist es mit den Videomessungen. Dazu hat jetzt gerade das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 06.09.2016 – 1 RBs 246/16 – im Rahmen der Zulassung einer Rechtsbeschwerde noch einmal Stellung genommen und – was mich nicht wundert – ein Beweisverwertungsverbot abgelehnt:

„Die Fragen, die sich mit Rücksicht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 (2 BvR 941/08) hinsichtlich der Verwertung der von einer Überwachungsanlage gefertigten Aufnahmen und der dazugehörigen Daten ergeben, sind – jedenfalls soweit es das hier zum Einsatz gelangte System Q betrifft – als hinreichend geklärt anzusehen, so dass auch insoweit keine Zulassungsbedürftigkeit besteht. Geklärt ist insoweit, dass es sich bei Bildaufzeichnungen im Rahmen einer verdachtsabhängigen Geschwindigkeitsmessung mit dem System Q nicht um einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung handelt (SenE v. 17.12.2009 – 83 Ss-OWi 99/09 -; SenE v. 22.01.2010 – 82 Ss-OWi 122/09 -; SenE v. 02.12.2010 – III-1 RBs 296/10), sondern eine Rechtsgrundlage in § 100 h StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG gefunden werden kann (OLG Schleswig zfs 2010, 171;  OLG Brandenburg NJW 2010, 1471 = VM 2010, 37 [Nr. 36] = VRS 118, 290 = NStZ 2010, 589 L. [für verdachtsabhängige Geschwindigkeitsmessung mit ES 3.0]; OLG Brandenburg zfs 2010, 527, 528 [für ES 3.0]). Dagegen bestehen auch verfassungsrechtlich keine Bedenken (BVerfG DAR 2010, 508 – 2 BvR759/10 -; BVerfG DAR 2010, 574; OLG Jena NJW 2010, 1093; SenE v. 03.08.2010 – III-1 RBs 192/10 -; SenE v. 02.12.2010 – III-1 RBs 296/10 -; SenE v. 24.09.2014 – III-1 RBs 257/14 -).

Auch soweit gemäß der insoweit als wahr unterstellten Beweisbehauptung des Betroffenen der Aufzeichnungsvorgang durch die Polizeibeamten bereits bei deren Auffahren auf die L 123 in Gang gesetzt wurde, ergibt sich daraus kein weitergehender Klärungsbedarf. Der Senat folgt den sorgfältigen und zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, wonach dieser Umstand keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Dies folgt schon daraus, dass nach den Urteilsfeststellungen der Betroffene erst nach Vorliegen von Anhaltspunkten zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgenommen wurde. Diese Maßnahme war indes – wie ausgeführt – ohne weiteres zulässig, während ein evtl. davor liegender Aufzeichnungsvorgang allenfalls dritte Personen als Verkehrsteilnehmer betroffen haben kann.

Ohnehin hegt der Senat Zweifel, ob dem Umstand des „vorbeugend“ in Gang gesetzten Aufnahmevorgangs angesichts dessen Einbettung in eine als solche notwendige und zulässige verkehrsüberwachende Maßnahme eine grundrechtsverletzende Eingriffsintensität beizumessen wäre. Das Amtsgericht führt zu Recht aus, dass die ausschließlich von hinten getätigten Bildaufnahmen eine (direkte) Identifizierung von im Fahrzeug befindlichen Personen nicht zulassen. Soweit Fahrzeuge zu erkennen sein sollten, welche von dritten, einer Ordnungswidrigkeit in der konkreten Situation unverdächtigen Personen geführt werden, vermag die Aufnahme der Kennzeichen zwar die Identifizierung der Fahrer erleichtern, es handelt sich vorliegend indes weder um eine systematische oder flächendeckende Erfassung. Der Betroffene hat darüber hinaus weder vorgetragen noch ist dies sonstwie ersichtlich, dass die Bildaufnahmen gespeichert wurden, um sodann gegebenenfalls zum Zwecke weiterer Maßnahmen zur Verfügung zu stehen. Erst in einem solchen Fall käme ein grundrechtsrelevanter Eingriff in Betracht (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.03.2008 – 1 BvR 2074/05 – = NJW 2008, 1505 ff. zur landesgesetzlich gestatteten automatisierten Kennzeichenerfassung zwecks Abgleich mit dem Fahndungsdatenbestand).“

Also: Im Zweifel lieber an anderer Stelle verteidigen. Aver: Versuchen kann man es ja mal. Es gibt immer wieder noch, vor allem amtsgerichtliche, Entscheidungen, in denen der Ansatz erfolgreich.

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