Alle Jahre wieder, oder: Fortbildung im Revisionsverfahren

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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Wenn man die Rechtsprechung der Strafsenate des BGH auf der Homepage des BGH verfolgt, stellt man fest, dass dei Anhörungsrüge (§ 356a StPO) in der Praxis angekommen ist. Denn auf der Homepage werden sehr viele Anhörungsrügenentscheidungen veröffentlicht. Die Zunahme von Anhörungsrügen hat m.E. nicht nur damit zu tun, dass in allen Fällen, in denen eine Anhörungsrüge erhoben wird, später dann auch Verfassungsbeschwerde eingelegt wird und die Anhörungsrüge also zur „Erschöpfung des Rechtsweges“ gehört. M.E. liegt die Zunahme von Entscheidungen auch daran, dass von einem Rechtsbehelf, den die Verfahrensordnung vorsieht, eben auch Gebrauch gemacht wird.

Was man allerdings auch feststellen kann: Die meisten, wenn nicht fast alle, Anhörungsrügen scheitern. Der BGH weist sie mit wohl gesetzten – sicherlich in Textbausteinen vorhandenen Begründungen zurück. Meist recht kurz. Aber alle Jahre wieder gibt es dann mal eine Entscheidung, in der etwas mehr ausgeführt ist/wird. Und das ist dann jetzt der BGH, Beschl. v.  28.06.2016 – 3 StR 17/15. Er ist m.E. insofern interessant, weil er – mal wieder – zu einigen Fragen des Revisionsverfahrens Stellung nimmt, die offenabr bei dem ein oder anderen Verteidiger noch nicht angekommen sind, also eine Art „Fortbildung“:

„Die zulässige Gehörsrüge ist unbegründet.

Soweit der Senat die weitergehende Revision des Verurteilten auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts und ohne vorherigen Hinweis auf seine Rechtsauffassung verworfen hat, entspricht dieses Vorgehen nach § 349 Abs. 2 StPO der üblichen Beratungs- und Entscheidungspraxis der Strafsenate des Bundesgerichtshofs. Dem Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist dadurch Rechnung getragen worden, dass der Senats-beschluss auf den begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft ergangen ist und der Verurteilte mit der Zustellung des Antrags Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hat. Um bei diesem Verfahrensstand nach § 349 Abs. 2 StPO entscheiden zu können, muss sich das Revisionsgericht nur im Ergebnis, nicht aber auch in allen Teilen der Begründung dem Antrag der Staatsanwaltschaft anschließen. In diesen Fällen ist es auch verfassungsrechtlich nicht geboten, die Entscheidung des Revisionsgerichts zu begründen, wenngleich eine Be-gründung sinnvoll ist und – wie vorliegend vom Senat praktiziert – der ständigen Übung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs entspricht (vgl. zu alledem BVerfG, Beschlüsse vom 21. Januar 2002 – 2 BvR 1225/01, NStZ 2002, 487, 488 f.; vom 30. Juni 2014 – 2 BvR 792/11, NJW 2014, 2563, 2564).

Der Senat war auch weder einfachgesetzlich noch verfassungsrechtlich gehalten, den Verurteilten vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Die auf die Besonderheiten der Tatsacheninstanz zugeschnittene Vorschrift des § 265 StPO gilt im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht und steht lediglich einer den Schuldspruch abändernden Entscheidung des Revisi-onsgerichts entgegen, wenn der Angeklagte im Hinblick auf die von der Auffassung des Tatgerichts im Ergebnis abweichende rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht noch keine Möglichkeit der Verteidigung hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 3 StR 95/12, juris Rn. 8; KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 265 Rn. 1; LR/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 20 f.). So lag der Fall indes nicht; der Senat hat eine Änderung des Schuldspruchs nicht vorgenom-men.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht im Übrigen grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung. Der Verfahrensbeteiligte muss grundsätzlich, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, alle vertretbaren Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190; vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 144 f.). Nach diesen Maßstäben lag eine Überraschungsentscheidung nicht vor, da die mit der Anhörungsrüge angegriffene Rechtsauffassung des Senats bereits in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 6. Dezember 2001 – 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187, 201 f.) – was auch die Anhörungsrüge der Sache nach einräumt – angelegt war. Auch wurde dem Verurteilten schon deshalb kein Sachvortrag abgeschnitten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190), weil für die materiellrechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin allein die Urteilsurkunde maßgeblich war.

Schließlich hat der Senat bei seiner Entscheidung weder Verfahrensstoff verwertet, zu dem der Verurteilte nicht gehört worden wäre, noch zu berück-sichtigendes Vorbringen übergangen.“

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