Archiv für den Monat: September 2016

Ich habe da mal eine Frage: Gibt es denn wenigstens eine Pauschgebühr?

© AllebaziB - Fotolia

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Ich erinnere heute zunächst an das Posting: Ich habe da mal eine Frage: Wie viele Vernehmungsterminsgebühren gibt es? und die Antwort dazu: Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie viele Vernehmungsterminsgebühren gibt es?. Dazu hat es nun noch eine Nachfrage gegeben:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

ich hätte zu der Problematik unseres letzten E-Mail Kontaktes noch eine generelle Frage. Könnte man, wenn es mehrere Vernehmungstermine im vorgerichtlichen Verfahren ( LKA) gibt, zusätzlich eine Pauschgebühr in Ansatz bringen? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese anerkannt wird? Ab wann gilt ein Verfahren als „besonders umfangreich“? Eine Zuschlagsgebühr ist ja bei 4102 VV RVG nicht vorgesehen.“

Antwort dann am Montag.

Kurioses aus dem Norden, oder: Bei Rücknahme des unzulässigen Rechtsmittels keine Kostenerstattung

© Alex White - Fotolia.com

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Ein Kollege hat mich vor ein paar Tagen angeschrieben und folgenden Sachverhalt geschildert:

„mein hier zuständiges Landgericht Stralsund hat mal wieder kuriose Ansichten zum Gebührenrecht. Bevor ich eine abschließende Stellungnahme schreibe wollte ich mal nach Ihrer Meinung hierzu fragen.

Ich habe einen Nebenkläger vertreten. In der Berufungsinstanz hat der Angeklagte nach mehreren Verhandlungstagen ein Angebot nach § 153 a StPO angenommen.

Ihm wurden die dem Nebenkläger entstandenen Kosten durch Beschluss auferlegt.

Hiergegen wandte er sich mit einem als Beschwerde bezeichneten Rechtsmittel zu dem ich angehört wurde. Ich habe Stellung genommen und das LG hat einen Nichtabhilfebeschluß gefertigt und die Sache dem OLG vorgelegt. In diesem Verfahren hat der Generalstaatsanwalt deutlich gemacht dass eine Beschwerde unzulässig sei und ggf. in einen Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs umgedeutet werden müsse, auch dieser hätte aber keinen Erfolg. Hierauf hat der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel zurückgenommen.

Ich habe beantragt die notwendigen Auslagen des Nebenklägers im Beschwerdeverfahren dem Angeklagten aufzuerlegen. Dies will das Gericht nach bisherigen Hinweis ablehnen, da ja eine Beschwerde schon unzulässig gewesen sei und § 473 damit nicht greift.

Nach meiner Ansicht muss auch derjenige Zahlen der unzulässige Rechtsmittel einlegt, nicht erst dann wenn diese unbegründet sind.

Liege ich da falsch ?“

Also: Ich war dann doch ein wenig erstaunt. Und habe das in meiner Antwort auch zum Ausdruck gebracht:

„Hallo,

in meinen Augen Blödsinn.  § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO unterscheidet doch nicht zwischen einem unzulässigen und einem unbegründeten Rechtsmittel.“

Ich habe dann auch nochmal ein wenig geforscht. Ich denke, dass meine Antwort richtig ist und es sich wirklich um „Kurioses aus dem Norden“ handelt

 

Bei Erhöhung der Geldbuße Hinweis erforderlich?

FragezeichenOb und wann bei einer vom AG geplanten Erhöhung der Geldbuße ein rechtlicher Hinweis erforderlich ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht eindeutig geklärt. Das OLG Hamm hat jetzt noch einmal zu der Frage Stellung genommen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 09.08.2016 – 1 RBs 181/16). Im Bußgeldbescheid war gegen die Betroffene eine Geldbuße von 85 € festgesetzt. Das AG setzt eine Geldbuße von 90 € fest. Das beruht allerdings auf einem Irrtum, den festgesetzt werden sollte, eine Geldbuße von 65 €. Im Rahmen der Begründung des Rechtsfolgenausspruches führt das AG dazu aus, dass der bundeseinheitliche Tatbestandskatalog für eine Ordnungswidrigkeit, wie sie die Betroffene begangen habe, unter Nr. 109601 eine Regelgeldbuße i.H. v. 85 € vorsehe, aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sei aber bei Urteilserlass versehentlich die Regelgeldbuße des Tatbestands Nr. 109607 (120 €) zugrunde gelegt worden. Zu Gunsten der Betroffenen sei berücksichtigt worden, dass nicht sicher ausgeschlossen werden könne, dass der Zeuge den Unfall möglicherweise durch eine bessere Reaktion hätte vermeiden können. Aus diesem Grund sei die zu Grunde gelegte Regelgeldbuße um 25 % von 120 auf 90 € reduziert worden. Richtigerweise hätte ein Bußgeld in Höhe von 65 € verhängt werden müssen.

Das OLG setzt dann im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Geldbuße von 65 € fest. Es sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Zwar bedürfe es grundsätzlich bei der Verhängung einer höheren als im Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße wohl keines Hinweises an den Betroffenen (vgl. OLG Stuttgart DAR 2010, 590 = VA 2011, 52). Etwas anderes gelte aber dann, wenn es sich bei der Erhöhung der Geldbuße um eine unzulässige Überraschungsentscheidung handelt, d.h., wenn der Betroffene ohne einen entsprechenden Hinweis des Gerichtes nicht damit rechnen muss, dass die gegen ihn im Bußgeldbescheid verhängte Regelgeldbuße erhöht werden würde (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Jena VRS 113, 330; diesem folgend OLG Hamm DAR 2010, 99; vgl. auch noch KG VA 2014, 102). Das OLG begründet das mit dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), der Überraschungsentscheidungen verbiete.

Der Verteidiger sollte diese Rechtsprechung im Auge behalten und das Fehlen eines rechtlichen Hinweises mit der Verfahrensrüge geltend machen. Dabei kommt es immer darauf an, ob der Betroffene mit einer Erhöhung der Geldbuße aus dem Bußgeldbescheid rechnen musste. In dem Zusammenhang spielen dann seine Einkommensverhältnisse, ggf. vorliegende Voreintragungen sowie die Schuldform eine Rolle.

Und dann mal wieder: Messung mit Provida 2000

entnommen Wikimedia.org Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

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Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

Der Kollege C. Schneider aus Leipzig hat mir den von ihm erstrittenen OLG Naumburg, Beschl. v. 06.09.2016 – 2 Ws 214/16 – übersandt, der sich zu den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Provida 2000 äußert. Das OLG nimmt zwar nur 🙂 auf die Stellungnahme der GStA Bezug, aber auch das gilt 🙂 : Dargelegt wird:

Die Prüfung des Urteils auf die ausgeführte Sachrüge hat durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen lassen. Das Urteil leidet unter Darstellungsmängeln (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG).

Grundsätzlich handelt es sich bei Messungen mit dem ProVida 2000 System nach der obergerichtlichen Rechtsprechung um ein standardisiertes Messverfahren, bei dem zum Ausgleich systembedingter Messungsgenauigkeiten bei Geschwindigkeiten über 100 km/h grundsätzlich ein Toleranzabzug von 5 % der gemessenen Geschwindigkeit ausreicht (vgl. Kammergericht, DAR 2009, 39).

Nach der Rechtsprechung sind in dem Toleranzspielraum von 5 % zunächst alle gerätetypischen Betriebsfehlerquellen erfasst. Dazu zählen auch Abweichungen, die sich beispielsweise durch Reifenverschleiß oder abweichenden Reifendruck ergeben (vgl. OLG Celle NZV 1997, 188). Selbst wenn der betriebsübliche Reifendruck nicht dem im Eichschein vorgesehenen Druck entsprechen sollte, soll der Toleranzwert von 5 % evtl. Abweichungen abdecken.

Ist das Messgerät hingegen nicht mehr geeicht, beträgt der Sicherheitsabschlag 20 % (Kammergericht, NZV 1995, 37).

Wie ausdrücklich in der Rechtsbeschwerdebegründung gerügt, teilt das Amtsgericht nicht den gemessenen Geschwindigkeitswert mit. Wie bei einem standardisierten Messverfahren verweist das Amtsgericht vielmehr auf die dem Betroffenen zur Last gelegte Geschwindigkeit von 144 km/h nach einem Toleranzabzug von 20 %. Dieser Toleranzabzugswert gilt aber gerade für die Fälle, in denen ein standardisiertes Messverfahren nicht gegeben, mithin umfängliche Darlegungspflichten des Tatgerichts begründet sind.

Die Urteilsgründe sind auch hinsichtlich des dargestellten Toleranzabzuges fehlerhaft, als sich durch Rückgriff auf das Messvideo. auf welches in den Urteilsgründen verwiesen wird, die gemessene Geschwindigkeit vor Toleranzabzug auf 160 km/h bestimmen lässt. Bei einem Toleranzabzug von 20 % – von dem das Amtsgericht wohl rechtsfehlerhaft ausgeht – ergäbe sich eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 128 km/h.

Widersprüchlich sind die Urteilsgründe auch insoweit, als das Amtsgericht feststellt, dass das Messgerät zur Tatzeit ordnungsgemäß geeicht war, gleichwohl aber aufgrund der Tatsache, dass der Zeuge pp. die Lage der Eichmarken an dem in dem Kofferraum des Messfahr-zeugs befindlichen Messgerät nicht genau hatte angeben können, einen Sicherheitsabschlag vorgenommen hat. Wie vorangestellt, ist aber ein 20 %iger Sicherheitsabschlag nur erforderlich, wenn das Messgerät nicht mehr geeicht gewesen sein sollte.

Ein Beruhen des Urteils auf den Darlegungsmängeln kann auch nicht ausgeschlossen werden, da sich, sollte das Gericht tatsächlich von einem notwendigen Toleranzabzug von 20 % ausgegangen sein, eine geringere vorwerfbare Geschwindigkeit ergäbe.

Dass es sich um einen bloßen Schreibfehler handelt, kann jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.“

OLG Frankfurt: Der Betroffene hat „selbstverständlich“ ein Einsichtsrecht in die digitalisierte Falldatei, oder: Na, bitte

© ProMotion - Fotolia.com

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Der Streit in der Rechtsprechung um das Einsichtsrecht des Verteidigers in Messunterlagen nach einer (Geschwindigkeits)Messung nimmt kein Ende. Dazu hat sich dann jetzt auch das OLG Frankfurt im Beschl. v. 11.08.2016 – 2 Ss OWi 562/16 – zu Wort gemeldet (vgl. dazu auch vorhin den OLG Bamberg, Beschl. v. 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 und dazu: Zement aus Bamberg, oder: Mia san mia). In dem dem OLG Frankfurt, Beschl. zugrunde liegenden Verfahren hatte das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte der Betroffene auf die Verfahrensrüge gestützt, mit der die Zurückweisung von Beweisanträgen beanstandet worden war. Sie hatte keinen Erfolg.

Aber mit den Leitsätzen und den Ausführungen des OLG dazu kann man m.E. schon etwas anfangen. Hier die Leitsätze:

  1.  Die Verwaltungsbehörde ist „Herrin der Falldatei“.
  2. Beweismittel für einen Geschwindigkeitsverstoß ist das Messbild in der Gerichtsakte.
  3. Die Verwaltungsbehörde hat die Authentizität der Falldatei mit dem Messbild sicherzustellen.
  4. Die Auswertung (Umwandlung der Falldatei in das Messbild und Bewertung) ist von der nach § 47 Abs. 1 OWiG i. v. m. § 26 Abs. 1 StVG zuständigen Behörde vorzunehmen. Ist das nicht sichergestellt, kann das Tatgericht nach § 69 Abs. 5 OWiG verfahren.
  5. Der Betroffene hat ein Recht auf Einsicht in „seine Falldatei“ bei der Verwaltungsbehörde.
  6. Das Gericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet die „Falldatei“ im Gerichtsverfahren beizuziehen.

Und dazu das OLG dann u.a. näher:

„Die Behauptung fehlender Prüfbarkeit durch die Verteidigung und damit der fehlenden Möglichkeit die verlangten „Tatsachen“ vortragen zu können, ist unrichtig.

Der Betroffene hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats selbstverständlich ein Einsichtsrecht in die „nur“ ihn betreffende digitalisierte Falldatei, auch wenn sie nicht Aktenbestandteil ist. Das ist aber keine Frage der Akteneinsicht bei Gericht, oder des Prüfungsumfangs des Gerichts in der Hauptverhandlung, sondern es handelt sich um ein im Vorfeld der Hauptverhandlung an die Verwaltungsbehörde zu richtendes Gesuch.

Die Verwaltungsbehörde ist gem. § 47 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 26 Abs. 1 StVG Herrin der digitalisierten „Falldatei“. Die Verwaltungsbehörde hat einem Einsichtsgesuch in die digitalisierte „Falldatei“ nachzukommen, da die „Falldatei“ die Messdaten enthält, die das Messgerät zum Tatzeitpunkt erzeugt hat und auf denen der Tatnachweis beruhen soll. Dem Betroffenen muss von der Verwaltungsbehörde grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, die „Falldatei“ zumindest auf Übereinstimmung mit dem in der Bußgeldakte befindlichen „Messbild“ zu überprüfen. Sollte die Verteidigung „unspezifische“ Bedenken gegen die Richtigkeit der Messung haben, kann sie diese anhand der Falldatei überprüfen und dann die notwendigen Tatsachen vorbringen, mit denen die Zulassung der PTB und die Eichung durch die Eichämter, mit denen die Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Geräts bestätigt worden sind, erschüttert werden können. Erst wenn sich aus der vom Betroffenen vorzunehmenden Prüfung konkrete tatsachenbegründete Anhaltspunkte für Messfehler ergeben, muss sich das Gericht damit beschäftigen. Da die Messrichtigkeit und Messbeständigkeit bei Messungen in einem standardisierten Messverfahren von der PTB und den Eichämter bereits grundsätzlich garantiert ist, führt diese Darlegungslast beim Betroffenen auch nicht zur Umkehrung der Unschuldsvermutung. Der Betroffene greift vielmehr die gegen ihn streitende eindeutige Beweislage an. Dafür ist er konkret darlegungspflichtig, wenn er damit vor Gericht Gehör finden will.

Wird der Antrag auf Beiziehung der „Falldatei“ erst in der Hauptverhandlung gestellt, fehlt es an diesem notwendigen tatsachenfundierten Vortrag und das Gericht kann weiterhin von der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Geräts ausgehen, da die sachverständige Begutachtung durch PTB und Eichämter nicht erschüttert ist.

Da die „Falldatei“ verschlüsselt ist und zur Auswertung ein bestimmtes Auswerteprogramm benötigt, obliegt es der Verwaltungsbehörde, die im Besitz der „Falldatei“ ist, zu entscheiden wie sie dem Anspruch auf Einsicht nachkommt. Sie ist zumindest verpflichtet, in den Räumen der Verwaltungsbehörde die Einsicht in die vom Messgerät erzeugten digitalisierten Falldatei des Betroffenen zu gewähren und dort das Auswerteprogramm, mit dem die Auswertung vorgenommen wird zur Verfügung zu stellen. Gibt es Uneinigkeit über den Umfang oder die Art und Weise der Einsicht, ist der Rechtsbehelf nach § 62 OWiG in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung des nach § 68 OWiG zuständigen Gericht ist nach § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar.

Macht die Verteidigung von ihren Möglichkeiten – wie vorliegend – keinen Gebrauch und kann sie deswegen auch keine tatsachenbegründeten Zweifel anbringen, sondern erschöpft sich in unsubstantiierten Behauptungen, die teilweise auch urteilsfremd sind, stellt dies keinen „Verstoß gegen das faire Verfahren“ dar, wie behauptet wird, sondern ein Versäumnis der Verteidigung, dass ggf. einen Anwaltsverschulden begründen kann.“

M.E. von Bedeutung und damit kann man argumentieren. Aber bitte schön nicht erst in der Hauptverhandlung, sondern schon bei der Verwaltungsbehörde, die die entsprechenden Daten – „natürlich“  zur Verfügung stellen muss. Dass der Antrag in der Hauptverhandlung ggf. zu spät ist, hatte schon übrigens schon das OLG Düsseldorf im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.07.2015 – IV-2 RBs 63/15 (dazu:Geschwindigkeitsüberschreitung: Geschwindigkeitsüberschreitung: Die „vollständige Messreihe des Tattages“ bekommst du von mir nicht) ausgeführt. Jetzt lassen wir die Frage der Richtigkeit mal dahingestellt. Wenn e solche Entscheidungen gibt, muss man die beherzigen bzw. entgegensteuern. Und das heißt: Antrag so früh wie möglich.