Finger weg, oder: Parteiverrat durch Akteneinsichtsgesuche?

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Das OLG Hamburg, Urt. v. 16.12.2014 – 1 Rev 49/14 – mahnt dann doch ein wenig zur Vorsicht, wenn wegen eines Vorwurfs mehrere Mandanten vertreten werden, soll es dem Rechtsanwalt/Verteidiger nicht so gehen wie einer Hamburger Strafverteidigerin. Die hat zwei Mandantinnen B und L vertreten, gegen die getrennte Strafverfahren wegen gemeinschaftlichen Betruges geführt wurden. Gegen beide wurde Strafbefehl erlassen. Der gegen L erlassene Strafbefehl wurde rechtskräftig, im Verfahren gegen B kam es nach Einspruch zur Hauptverhandlung. Dort wurde die L als Zeugin vernommen. Wegen ihrer Aussage, der das AG keinen Glauben schenkte, wurde noch am selben Tag ein Verfahren wegen falscher uneidlicher Aussage gegen L eingeleitet. Nachdem gegen L – noch vor Abschluss des Verfahrens gegen B – Anklage wegen falscher uneidlicher Aussage erhoben worden war, bat sie die Rechtsanwältin und spätere Angeklagte, (ewrneut) die Verteidigung zu übernehmen. Eine Büroangestellte versandte daraufhin ein Akteneinsichtsgesuch an das zuständige AG. Nach einem Hinweis des zuständigen Richters an die Verteidigerin, dass Parteiverrat in Betracht käme, entschloss sich die Angeklagte, die Akten dennoch anzufordern, um sich ein eigenes Bild von den Verfahrenszusammenhängen machen zu können. In der Folgezeit erinnerte sie noch zwei Mal an das unerledigte Akteneinsichtsgesuch, ehe sie nach einem neuerlichen Hinweis des AG dann das Mandat niederlegte. L ist dann später wegen falscher uneidlicher Aussage verurteilt worden.

Das AG hat die Rechtsanwältin wegen Parteiverrats (§ 356 Abs. 1 StGB) verurteilt, das LG hat sie auf die Berufung hin freigesprochen. Das OLG Hamburg hat den Freispruch „kassiert“ und geht von einerm Parteiverrat aus. Begründung:

  • Der Rechtsanwältin war mit der Verteidigung der L und der B die Vertretung von zwei Parteien in derselben Rechtssache anvertraut. „Parteien in diesem Sinne sind die an einer Rechtssache beteiligten Personen (BGH, Urteil vom 25. Juni 2008 – 5 StR 109/07 Rn. 11; Gillmeister in Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 356 Rn. 39), die ein rechtliches Anliegen verfolgen, vorliegend die Vertretung der Zeuginnen L und B in Strafsachen in dem Bemühen um Straflosigkeit oder eine milde Strafe. Die Parteistellung hängt nicht an der prozessrechtlichen Parteistellung oder einer anderen formellen Verfahrensbeteiligung (Gillmeister, a.a.O., Rn. 43). Der Begriff derselben Rechtssache umfasst alle Angelegenheiten, die zwischen mehreren Beteiligten mit jedenfalls möglicherweise entgegengesetzten rechtlichen Interessen nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden sollen (BGH, a.a.O., Rn. 11).
  • In den Akteneinsichtsgesuchen der Rechtsanwälting liegt auch ein pflichtwidriges Dienen. Denn: Der Begriff des Dienens durch Rat und Beistand erfasst jede berufliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts, durch die das Interesse einer Partei gefördert werden soll (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1954 – 4 StR 500/54, BGHSt 7, 17, 19 [Vertretungsanzeige]; Rogall in SK-StGB, 128. Lfg., § 356 Rn. 26). Hierfür reicht bereits die Vorlage einer Verteidigervollmacht ebenso wie die Informationsbeschaffung und Sachverhaltsaufklärung im Rahmen eines Mandats aus. Dies gilt auch, wenn der Rechtsbeistand die Informationen durch Akteneinsicht erhält (vgl. Gillmeister, a.a.O., Rn. 53).“ 
  • Darüber hinaus ist – anders als bei § 356 Abs. 2 StGB – ein Nachteil für oder eine Gefährdung der Interessen der anderen Partei nicht erforderlich.

Also: Finger weg von solchen Konstellationen und, wenn es um die Abklärung eines Interessenwiderstreits geht – der m.E. hier aber auf der Hand lag: Es steht – so das OLG – der Weg über § 475 StPO offen.

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