„Verdachtsstrafzumessung“? Nein, oder: Strafzumessungsgesichtspunkt „Bezüge zu den Übergriffen an Silvester“ in Köln?

© stockWERK - Fotolia.com

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Die Ereignisse der Silvesternacht 2015 in Köln beschäftigen die (Tages)Presse – und auch die Blogs (vgl. die Zusammenstellung von Postings in meinem gestrigen Wochenspiegel: Wochenspiegel für die 1. KW., das war Silvesternacht in Köln, sichere Emails, Kopien/Scans und Neues in 2016).  Sie beschäftigen natürlich auch die (Wochen)Magazine „Spiegel“ und „Focus“, die in dieser Woche mit Titelgeschichten zu den Themen aufwarten. Und es wird auch darum herum viel berichtet und geschrieben.

Gestoßen bin ich in dem Zusammenhang auf einen Bericht von Spiegel-Online unter dem Titel: Antänzer vor Gericht: Mit der Milde des Rechtsstaats, den ich am Samstag auch schon auf Facebook mit einer Kurzbemerkung geteilt hatte. Das geht es um zwei Angeklagte, die verdächtigt werden, in Köln in der Silvesternacht „Frauen sexuell belästigt und beklaut zu haben.“ Gegen die hat am Freitag, 08.01.2016,  eine Hauptverhandlung beim AG Köln wegen „eines Trickdiebstahls an einem anderen Abend“ stattgefunden.

Über die Hauptverhandlung berichtet SPON. Es hat sich – das vorab – um eine Hauptverhandlung im sog. beschleunigten Verfahren (§§ 417 ff StGB) gehandelt, da es um einen „Trickdiebstahl“ am 03.01.2016 ging. Hauptverhandlung dann schon am 08.01.2016 geht nur, wenn das beschleunigte Verfahren durchgeführt wird.

Ich will jetzt gar nicht näher auf das Verfahren, die Sanktion und die berichtete Reaktion der beiden Angeklagten eingehen. Das kann man letztlich nur beurteilen, wenn man dabei war, und nicht nur einen Bericht liest, der sicherlich auch von den  persönlichen Einstellungen des Berichterstatters geprägt ist. Und zur Klarstellung – sicherheitshalber – auch: Ich will auch gar nicht die Ereignisse in der Silvesternacht 2015 in Köln herunterreden und kleinreden, das haben andere vielleicht schon genug getan. Und natürlich müssen die Täter, wenn man sie kennt bzw. erkannt hat, bestraft werden. Mir geht es hier um zwei ganz andere Dinge. Nämlich:

Im Bericht heißt es u.a.:

„Weil die beiden Trickdiebe im sogenannten Eilverfahren binnen einer Woche vor Gericht gestellt wurden, blieb den Behörden kaum Zeit für Ermittlungen: Wer sind die Täter? Welche Kontakte haben sie? Wovon leben sie? Die Justiz ist ahnungslos.

„Sie haben Glück gehabt, dass unser Informationsstand so ist, wie er ist“, sagt der Staatsanwalt.

Dazu ist anzumerken: Ja, es war ein beschleunigtes Verfahren, mit seinen Vor- und Nachteilen. Es ist – was sicherlich vorteilhaft ist – „schnell gegangen“ mit der Hauptverhandlung, aber – und das ist sicherlich ein Nachteil“: Der Schnelligkeit werden dann Genauigkeit und umfassende Ermittlungen geschuldet. Vom 03.01.2016 bis zum 08.01.2016 lässt sich eben nicht alles aufklären und feststellen, was man wissen möchte. Wenn ich aber den Weg über das beschleunigte Verfahren gehe, dann darf ich das später nicht beklagen. Meine ich.

Und ein zweiter Punkt brennt bei mir. Zitiert wird in dem Bericht der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus, wie folgt:

„Für uns Polizisten sind solche Urteile vollkommen unverständlich“, kritisiert der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus, gegenüber SPIEGEL ONLINE. „Es kann doch nicht sein, dass wir gerade in diesem Fall, in dem es Bezüge zu den Übergriffen an Silvester gibt, eine derart niedrige Strafe verhängen.“ Diese Nachsicht könne verheerende Folgen haben. „Leider verstehen gerade solche Täter die Milde eines Richters fälschlicherweise als Schwäche des Rechtstaats“, so Rettinghaus.

Doch Herr Rettinghaus. Es kann nicht nur sein, sondern es darf auch nicht anders sein. Denn den Strafzumessungsgesichtspunkt „Bezüge zu den Übergriffen an Silvester„  gibt es nicht. Eine Strafzumessung – um die geht es hier – beruht auf vom Gericht festgestellten Taten/Umständen. Darauf weist der BGH immer wieder hin (vgl. u.a. den BGH, Beschl. v. 22.07.2015 – 2 StR 214/15 und dazu: Strafzumessung: Der strafschärfende Verdacht weiterer Straftat, oder: Entweder oder…). Wir haben in unserer Rechtsordnung nun mal – zum Glück – kein Verdachtsstrafrecht (vgl. dazu auch schon: „Endlich geklärt: Polizeigewerkschaft für Verdachtsstrafen„). Und werden es hoffentlich auch nie haben/bekommen. Wenn wir damit jetzt anfangen (wollen), dann erreichen wir doch nicht den Schutz des Rechtsstaates, nach dem alle schreien/rufen, sondern wir erreichen genau das Gegenteil: Wir schaden dem Rechtsstaat. Daher wehret den Anfängen.

Nur damit auch das klar ist: Ich rede hier nicht einer milden Bestrafung der potentiellen Täter aus der Silvesternacht in Köln das Wort – wenn man sie denn überhaupt (alle) fasst, woran ich erheblich Zweifel habe. Sie sind für ihre – in einem förmlichen rechtsstaatlichen Verfahren festgestellte – Taten zu bestrafen. Sicherlich auch aus generalpräventiven Gründen durch – wie A. Merkel meint – eine „harte Antwort des Rechtsstaates“ – was immer sie damit meint. Aber: Eben nach rechtsstaatlichen Grundsätzen. Alles andere ist „Bananenrepublik“. Der Eindruck und das Signal, wenn eine Verurteilung in der Revision aufgehoben würde, wäre übrigens m.E. noch viel fataler.

Und die (Er)Kenntnis, dass das so ist und sein muss, erwarte ich auch von dem „nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft“. Aber wie hatte bei Facebook ein Kommentator geschrieben: „Mir erscheint ohnehin die Spezies „Funktionär der Polizeigewerkschaft“ innerhalb der Polizei eine ganz besondere zu sein.“, worauf ich geantwortet hatte: „Funktionäre sind immer eine besondere Spezies“. Und auch hier zur Sicherheit – und um (unnötigen) – Kommentaren vorzubeugen: Ich kann den Frust der Polizei verstehen und auch nachvollziehen. Dem begegnen wir aber nicht dadurch, dass wir die rechtsstaatlichen Pfade verlassen, sondern nur dadurch, dass die Politik die Polizei nicht allein stehen lässt und nur (auf)schreit, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Sondern eher „tätig“ wird, in dem die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um schnell angemessen reagieren zu können. Und wir müssen auch nicht nach härteren Gesetzen rufen. Wenden wir doch einfach die an, die wir haben.

Zum Abschluss: In dieselbe Kategorie der voreiligen Sch(l)üsse fällt der Aufruf unseres Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel aus dem fernen Kuba, den der Lawblog unter „Libyscher Knast: Vielleicht gar nicht so übel“ – m.E. zutreffend – schon kommentiert hat. Auch da gilt: „Sine ira et studio“, oder vielleicht hilft auch der Satz: Ein Blick ins Gesetz, erleichtert die Rechtsfindung. Denn nach der derzeitigen Regelung in § 456a StPO ist das so einfach nun auch nicht. Aber wer nimmt schon eine StPO mit nach Kuba. Ein Bundeswirtschaftsminister ganz bestimmt nicht. Aber der hat doch Leute, die das wissen müssten/sollten?

7 Gedanken zu „„Verdachtsstrafzumessung“? Nein, oder: Strafzumessungsgesichtspunkt „Bezüge zu den Übergriffen an Silvester“ in Köln?

  1. RA Schepers

    „Denn den Strafzumessungsgesichtspunkt „Bezüge zu den Übergriffen an Silvester„ gibt es.“

    Ich glaube, hier fehlt ein „nicht“ am Ende des Satzes.

    Ansonsten ist Ihr Beitrag völlig unpopulär und völlig zutreffend.

    Den Sachverhalt ermitteln, sich auf die (festgestellten) Fakten beschränken, und dementsprechend handen ist das, was jetzt erforderlich ist. Auch, wenn man damit keine Schlagzeilen macht…

  2. Schmidt123

    eine StPo mit nach Kuba zu nehmen – darum geht es solchen Politik-Darstellern doch gar nicht. Es geht nur darum, möglichst zeitnah zünftig stramme Parolen rauszuballern um dem Volke zu signalisieren, daß man ja was tut. Daß solche Politik-Darsteller dabei bar jeder Sachkenntnis agieren, merkt doch kaum einer.

  3. Gast

    „Es ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, generalpräventive Gesichtspunkte bei der Strafzumessung zu berücksichtigen…., wenn sich eine gemeinschaftsgefährdende Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, feststellen lässt.“ Sagt der BGH (z.B. m.w.N. im Urteil vom 11.4.2013 – 5 StR 113/13). Und der Polizeigewerkschafter meint nichts anderes, als dass ein solcher Fall hier ja wohl gegeben sei. Das muss man auch nicht richtig finden. Aber die Worte im Mund herumdrehen darf man ihm auch nicht.

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