Archiv für den Monat: Oktober 2015

Für die Tätigkeit eines Assessors gibt es kein Geld; wirklich?

FragezeichenManche Entscheidungen muss ich zweimal lesen, um sicher zu sein, dass ich verstanden habe, um was es geht, bzw., um sicher zu sein, dass das Gericht es auch so meint, wie es da steht. So ist es mir auch beim LG Trier, Urt. v. 09.09.2015 – 5 O 259/14 – ergangen. Bei dem habe ich mich sogar noch bei einem Kollegen abgesichert, ob meine erste Einschätzung des Urteils: Höchst bedenklich/unzutreffend, richtig ist.

In dem Verfahren ging es um die Klage eines Rechtsanwalts, der in seiner Kanzlei einen Assessor beschäftigt hat. Bei diesem handelte es sich um einen ehemaligen Rechtsanwalt, dem die Zulassung entzogen worden war. Die beklagte Mandantin hatte den Kläger mit der Vertretung in einem Scheidungsverfahren beauftragt. Dieses wurde zumindest teilweise durch den Assessor bearbeitet. Er führte die Gespräche mit der Beklagten, erarbeitete die Schriftsätze und unterschrieb einen. Der Kläger unterschrieb dagegen nur die restlichen Schriftsätze und trat in einer mündlichen Verhandlung auf. Der Kläger begehrte nun Zahlung des für die Tätigkeit fälligen Honorars. Das LG hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Begründung – kurz – zusammengefasst: Der Vertrag über die anwaltliche Geschäftsbesorgung, den die Parteien geschlossen haben, sei nach §§ 134 BGB in Verbindung mit § 3 RDG nichtig. Nach § 3 RDG sei die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das RDG oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird. Eine solche gesetzliche Erlaubnis, die die Tätigkeit des Assessors in der Bearbeitung des streitgegenständlichen Mandats abdecken würde, existiere nicht. Sinn und Zweck des Gesetzes sei es, den Rechtsverkehr vor Dienstleistern zu schützen, die die erforderlichen Mindestvoraussetzungen nicht erfüllen. Diese wiederum beschränken sich nicht auf die fachliche Eignung, die in der Person Assessors zweifellos gegeben ist. Der Begriff „selbständig“ ist deshalb nicht formal zu verstehen. Es komme nicht darauf an, ob der Leistungserbringer abhängig beschäftigt, also wie in dem hier zu entscheidenden Fall Arbeitnehmer ist. Es komme darauf an, wie die Tätigkeit des Leistungserbringers tatsächlich ausgeübt wird. Nach § 2 Abs. 1 RDG sei Rechtsdienstleistung jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Selbständig würden die Rechtsdienstleistungen insbesondere dann erbracht, wenn diese rechtliche Prüfung die eigene geistige Leistung des Leistungserbringers ist, die im Einzelfall nicht von einer anderen Person angeleitet, überprüft, überwacht und verantwortet wird.

Na, da habe ich dann aber doch erhebliche Bedenken:

  1. Die Entscheidung steht für mich in Widerspruch zu § 5 RVG. Der sieht ausdrücklich vor, dass der Rechtsanwalt die Vergütung auch dann erhält, wenn ein bei ihm beschäftigter Assessor tätig wird. Auf dessen Selbständigkeit oder Abhängigkeit kommt es danach nicht an. Die Frage der Vergütung der Tätigkeiten eines Assessors, der in der Anwaltskanzlei tätig ist, war bis zum Inkrafttreten des RVG streitig und ist dann vom RVG in dem Sinne des § 5 RVG geregelt worden. Das würde unterlaufen, wenn dem nun das RDG entgegenstehen würde. Dieses hat zudem auch andere Fälle im Auge. Letztlich ist es in dem entschiedenen Fall auch immer noch die Leistung der Rechtsanwaltskanzlei, die von und für diese erbracht wird und für die diese auch haftet.
  2. Wäre die Auffassung des LG Trier zutreffend, müsste in der Praxis umgedacht werden. Die selbständige Tätigkeit eines Assessors wäre nicht mehr zulässig und müsste von einem Rechtsanwalt kontrolliert werden. Entsprechendes gilt für die anderen in § 5 RVG genannten Vertreter. Diese, insbesondere der Assessor, könnten/dürften z.B. nicht mehr an mündlichen Verhandlungen beim AG teilnehmen.
  3. Das LG hat die Klage insgesamt abgewiesen. Dabei nimmt es mit keinem Wort dazu Stellung, warum die Beklagte nicht zumindest insoweit zur Zahlung verpflichtet ist/sein soll, wie der Rechtsanwalt – teilweise – selbst tätig geworden ist.
  4. Auch das Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) scheint man in Trier nicht zu kennen.

Nun, vielleicht hören wir dazu ja demnächst was aus Koblenz. Oder übersehe ich was?

„Scheckheftgepflegt“, oder: Ich passe demnächst besser auf.

buch_paragraphenzeichen_BGB_01Na, das ist mir auch noch nicht passiert. Da frage ich beim AG München nach dem AG München, Urt. v. 23.10.2015 – 191 C 8106/15 -, weil ich nicht nur zur PM bloggen will. Das Urteil kommt dann von meinen neuen Freunden vom AG München auch blitzschnell im Volltext (vgl. „Positiv erschüttert“, oder: So dickfellig sind die gar nicht beim AG München). Und dann: Dann suche ich es jetzt auf meinem PC und finde es nicht wieder. Die Mail ist aus München ist gelöscht, das Urteil weg. Also muss dann heute doch die PM zu dem Urteil reichen; noch mal zu fragen, ist mir zu peinlich 🙂 . In der Entscheidung ging es um den Begriff „scheckheftgepflegt“ bei einem Gebrauchtwagenkauf. Dazu führt das AG aus – so zumindest die PM:

„Die 55-jährige Klägerin aus München kaufte von dem 32-jährigen Beklagten aus München am 08.11.2014 einen gebrauchten VW Polo zum Preis von 1950 Euro. Der Beklagte hatte das Fahrzeug zuvor auf einer Internetplattform angeboten. Das Inserat wies zur Beschreibung des Fahrzeugs unter anderem die Leistung des Fahrzeugs mit 55 kW und die Eigenschaft ?scheckheftgepflegt? aus. Die beiden Parteien benutzten einen vorgedruckten Kaufvertrag für den privaten Verkauf von gebrauchten Fahrzeugen. Darin findet sich der Hinweis, dass das Fahrzeug ?unter Ausschluss der Sachmängelhaftung? verkauft wird.

Am 13.01.2015 ließ die Klägerin das Fahrzeug in einer Werkstatt untersuchen. Dabei wurde festgestellt, dass die Motorleistung nur 44 kW betrug und, das Fahrzeug nicht scheckheftgepflegt ist und zudem weitere Mängel aufweist. Die Klägerin trat darauf von dem Vertrag zurück. Sie verlangt von dem Beklagten gegen Rückgabe des Fahrzeugs die von ihr bezahlten Euro 1950 zurück.

Der Beklagte weigerte sich, den Vertrag rückgängig zu machen. Deshalb erhob die Klägerin Klage zum Amtsgericht München. Die zuständige Richterin gab ihr Recht. Sie könne die Rückabwicklung verlangen, da das Fahrzeug nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufweise und damit mangelhaft ist. Eine Beschaffenheitsvereinbarung liege hinsichtlich der Eigenschaft ?scheckheftgepflegt? und der Motorleistung vor.

Unter Beschaffenheit falle jede Eigenschaft und jeder der Sache anhaftende tatsächliche, wirtschaftliche oder rechtliche Umstand. Vereinbart werde die Beschaffenheit, wenn der Inhalt des Kaufvertrages die Pflicht des Verkäufers bestimmt, die gekaufte Sache in dem Zustand zu übereignen und zu übergeben, wie sie im Vertrag festgelegt ist.

Die Scheckheftpflege eines Fahrzeuges stelle eine Beschaffenheit dar, da sie ein wertbildender Faktor des Fahrzeugs sei. Die Angebotsbeschreibung im Internet habe nicht lediglich werbenden Charakter. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass im Kaufvertragsformular eine nähere Beschreibung des Fahrzeuges hinsichtlich Ausstattung und Zustand des Fahrzeugs nicht mehr im Detail erfolgt sei. Die Scheckheftpflege als Beschaffenheit des Fahrzeuges sei auch nicht bloß eine einseitige Erwartung der Klägerin gewesen, da der beklagte Verkäufer ohne Anlass darauf im Internetangebot hingewiesen habe und somit die Erwartung nicht einseitig von der Klägerin ausgegangen sei. Für die Klägerin sei die Angabe, dass das Fahrzeug scheckheftgepflegt ist, maßgebend für den Kaufentschluss gewesen. Sie habe erwarten können, dass die vorgeschriebenen Inspektionen von einer hierzu autorisierten Fachwerkstatt durchgeführt und im Scheckheft dokumentiert sind. Eine weitere Beschaffenheitsvereinbarung hätten die Parteien über die Motorstärke getroffen in Höhe von 55 kW. Obwohl im Kaufvertrag vom 08.11.2014 auf die Motorleistung nicht erneut eingegangen wurde, habe die Angabe im Angebot auch hier nicht nur werbenden Charakter, sondern bestimme die geschuldete Leistungspflicht des Beklagten.

Der beklagte Verkäufer kann sich nicht auf den Gewährleistungsausschluss berufen.

Das Gericht führt weiter aus:
?Abgesehen davon müsste sich der Beklagte bei einem Gewährleistungsausschluss den Vorwurf der Arglist gefallen lassen und könnte sich gemäß § 444 BGB wegen der vorbezeichneten Mängel nicht auf den Haftungsausschluss berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt ein Verkäufer arglistig, wenn er zu Fragen, deren Beantwortung erkennbar maßgebliche Bedeutung für den Kaufentschluss seines Kontrahenten hat, ohne tatsächliche Grundlagen ins Blaue hinein unrichtige Angaben macht (?)? Davon sei hierauszugehen. Der Beklagte habe das Fahrzeug als scheckheftgepflegt angeboten, ohne den Nachweis dafür zu erbringen, obwohl er wissen musste, ob die nach den Herstellerangaben erforderlichen Wartungen durch eine autorisierte Fachwerkstatt regelmäßig durchgeführt worden sind. Dass die Klägerin nicht sofort nach dem Scheckheft gefragt hat, lasse nicht den Schluss zu, dass die Scheckheftpflege für sie keine maßgebliche Bedeutung gehabt hätte. Vielmehr durfte die Klägerin sich auf die Angaben des Beklagten in dessen Angebot verlassen; ?dass sie es nicht sofort überprüft hat, hat nicht zur Folge, dass sie sich ihrer diesbezüglichen Rechte begeben hat.?“

In Zukunft passe ich dann besser auf. Versprochen.

Ich habe da mal eine Frage: Wer ist Anwalts Liebling?

© AllebaziB - Fotolia

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Heute dann mal eine etwas andere Frage, nämlich nicht zu einem speziellen Gebührenproblem. Sondern zu der Problematik: Wer ist Anwalts Liebling?

Nun, Anwalts Liebling kennen wir alle. Das ist die Advocard RSV – wobei wir mal dahingestellt sein lassen, ob sie „Anwalts Liebling“ ist. Die Kollegen erzählen dazu teilweise etwas anderes bzw. berichten immer wieder über ihre Probleme (auch) mit der RSV. Aber das gilt nicht nur für „Anwalts Liebling“, sondern für (fast) alle RSV. Dazu gibt es ja sogar auch ein eigenes Blog – das RSV-Blog -, in dem die Kollegen über ihre Erfahrungen mit den RSV berichten. Den berühmten Vogel schießt dort die ARAG ab, auf die ich ja in meinen Wochenspiegel auch schon immer mal wieder hingewiesen habe.

Die Redaktion des „Berlines Anwaltsblatt“ möchte es nun aber genau wissen und fragt in einer Umfrage unter den (Berliner) Kollegen im „Berliner Anwaltblatt“ Heft 10/2015: „Wer ist Anwalts Liebling?  Umfrage zur Rechtsschutzversicherung“. Und da die Umfrage offen ist, also nicht nur Berliner Kollegen teilnehmen können, stelle ich die Frage hier dann auch bzw. gebe sie und den Fragebogen weiter. Einfach hier klicken, ausdrucken, ausfüllen und dann spätestens zum 20.11.2015 an die Redaktion des Berliner Anwaltsblattes, Telefax 030 251 3263, faxen.

Und, wenn man Glück hat, kann man sogar noch was gewinnen. Nämlich ein Exemplar der 47. Auflage des
Kostenkommentars von Peter Hartmann. Gar nicht schlecht, denn mit dem kann man dann demnächst der RSV – falls es mal wieder nötig sein sollte – Paroli bieten. Oder mit Burhoff (Hrsg.), RVG, 4. Aufl. 2014. Denn kann man zwar nicht gewinnen, aber hier bestellen. Werbemodus aus 🙂 .

Wer Zeit und Lust hat kann übrigens zu dem Thema „Verkehrsrechtsschutzversicherung: Sinnvoll, aber nicht immer Anwalts Liebling“ aus Berliner Anwaltblatt 2015, 317 etwas vom Kollegen Samimi aus Berlin lesen. Den Beitrag findet man hier (bevor Nachfragen kommen: Genehmigung zum Einstellen liegt vor. Besten Dank nach Berlin).

Wer nicht hören will, muss fühlen…

© Stefan Rajewski Fotolia .com

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Wer kennt ihn nicht den Spruch: „Wer nicht hören will, muss fühlen…“? An ihn wurde ich erinnert beim Lesen des OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.08.2015 – (2 Z) 53 Ss-OWi 299/15 (141/15), ergangen in einem (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren. Das AG hatt in dem Verfahren nach Einspruchseinlegung Termin zur Hauptverhandlung auf den 19.03.2015 anberaumt und den Betroffenen und seinen Verteidiger zu diesem geladen. Mit Schriftsatz vom 27.01.2015 hatte der Verteidiger beantragt, den anberaumten Termin zu verlegen, weil er an jenem Tag bereits vor das LG Berlin geladen sein. Er hat dabei darum gebeten, den Termin auf „die spätere Mittagszeit“ zu verlegen, um ihm die Anreise aus Berlin zu ermöglichen. Mit Verfügung vom 29.01.2015 hat das AG dem Verteidiger mitgeteilt, seine Verhinderung sei nicht belegt. Daraufhin hat der Verteidiger unter dem 19.02. 2015 seine Ladung vor das LG Berlin vom 29.08.2014 zum 19.03.2015, 12.00 Uhr, zu den Akten gereicht. Mit Verfügung vom 24.02.2015 hat das AG dem Verteidiger mitgeteilt, die Ladung des LG Berlin sei an seine Kanzlei gerichtet und belege seine Verhinderung nicht. In der Hauptverhandlung hat das AG dann den Einspruch des Betroffenen gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

Das OLG Brandenburg hebt auf:

„Mit dieser Verfahrensweise hat das Amtsgericht zwar nicht dem Betroffenen das rechtliche Gehör versagt (BayObLG, Beschluss vom 31. Mai 1994, Az.: 2 ObOWi 194/94, zitiert nach juris; OLG Hamm BeckRS 2013, 00035). Denn Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet nur das rechtliche Gehör als solches, nicht aber gerade durch einen Rechtsanwalt (BVerfG NJW 1984, 862).

Das Amtsgericht hat aber durch die Ablehnung des Terminsverlegungsantrages des Verteidigers gegen die prozessuale Fürsorgepflicht verstoßen.

Nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 137 Abs. 1 Satz 1 StPO kann sich der Betroffene in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Dies ist Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren und ist nicht auf Fälle notwendiger Verteidigung beschränkt (BayObLG a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Zwar ist die Terminierung grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Dieser ist aber gehalten, über Anträge auf Terminsverlegung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebotes der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Verfahrensbeteiligten zu entscheiden (vgl. OLG Karlsruhe NZV 2006, 217, Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 213 Rn. 7 m.w.N.). Dabei kommt es maßgeblich auch darauf an, ob die prozessuale Fürsorgepflicht eine Verlegung geboten hätte (OLG Karlsruhe a.a.O.).

Hier hat der Verteidiger rechtzeitig und mit nachvollziehbarer Begründung erstmals einen Antrag auf Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung gestellt (vgl. dazu OLG Karlsruhe a.a.O.). Umstände, die die Ablehnung dieses Antrages bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Verteidiger seine Verhinderung durch die Vorlage seiner Ladung vor das Landgericht Berlin hinreichend glaubhaft gemacht. Der Umstand, dass diese Ladung nicht an ihn selbst, sondern an seine Kanzlei gerichtet ist, steht dem nicht entgegen, wenn nicht Anhaltspunkte vorliegen, die entsprechende Erklärungen des Rechtsanwalts zu seiner persönlichen Verhinderung zweifelhaft erscheinen ließen. Das ist hier aber nicht der Fall.“

Tja, wer nicht hören will, muss fühlen. Oder: Wer nicht will, der hat schon, bzw. Das dicke Ende kommt dann hinterher.

Berufungsverwerfung: Neues Recht – altes Recht?

© AKS- Fotolia.com

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Am 25.07.2015 ist „Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ vom 17. Juli 2015 mit der in § 329 Abs. 1 StPO erweiterten Vertretungsmöglichkeit des Angeklagten in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung durch einen „vertretungsbereiten Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht“ in Kraft getreten (BGBl. I, S. 1332; vgl. dazu Heute in Kraft getreten: Änderungen im Berufungsrecht und im RVG). Dazu liegt jetzt die erste – soweit ich das übersehe – obergerichtliche Entscheidung vor, nämlich der KG, Beschl. v. 16.09.2015 – (2) 121 Ss 141/15 (051/15).

Allerdings: Der behandelt keine materielle Verfahrensfrage der eigentlichen Änderungen im § 329 StPO, sondern es geht um eine Übergangsproblematik. Und zwar wie folgt: Das LG Berlin hatte am 07.07.2015 – also noch nach altem Recht – eine Berufung verworfen. Dagegen ist Revision eingelegt worden, mit der  die Verletzung formellen und materiellen Rechts durch die fehlerhafte Anwendung des § 329 StPO a.F. gerügt worden ist. Der Angeklagte hat geltend gemacht, das LG habe die Berufung trotz seines Ausbleibens nicht gemäß § 329 Abs. 1 StPO a.F. verwerfen dürfen. Vielmehr hätte es ihn in konventionskonformer Auslegung der genannten Vorschrift als durch seine Verteidigerin in zulässiger Weise vertreten ansehen müssen. In dem Zusammenhang prüft das KG die Frage, ob für das Revisionsverfahren § 329 StPO in der alten oder in der ab 25.07.2015 geltenden Fassung zugrunde zu legen ist. Es entscheidet sich für § 329 StPO a.F.

„Der Nachprüfung war die bis zum 24. Juli 2015 geltende Fassung des § 329 StPO zugrunde zu legen. Das „Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheits-entscheidungen in der Rechtshilfe“ vom 17. Juli 2015 mit der in § 329 Abs. 1 StPO erweiterten Vertretungsmöglichkeit des Angeklagten in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung durch einen „vertretungsbereiten Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht“ ist erst am 25. Juli 2015 in Kraft getreten (BGBl. I 1332) und findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Regelungen über eine Rückwirkung enthält das Gesetz nicht. Nach dem Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts erfasst eine Änderung des Verfahrensrechts, soweit – wie hier – nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, zwar auch bereits anhängige Verfahren (vgl. BVerfGE 87, 48; BGHSt 22, 321; BGHSt 26, 288; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. März 2007 – 3 Ws 240/07 –, [juris]; OLG Hamburg NStZ-RR 2003, 46; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 354a, Rdn. 4). Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Rechtsvorschriften, sondern auch für Bestimmungen, welche die Stellung von Ver-fahrensbeteiligten, ihre Befugnisse und Pflichten betreffen, sowie für Vorschriften über die Vornahme und Wirkungen von Prozesshandlungen (vgl. BGHSt 22, 321, 325). Die Änderung erfasst das Verfahren aber in der Lage, in der es sich bei Inkrafttreten der neuen Vorschrift befindet (vgl. BGHSt 22, 325). Für ein bereits beendetes prozessuales Geschehen gilt eine Verfahrensänderung nicht (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamm NJW 1975, 701, BayObLGSt 1954, 92; Franke in Lö-we/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 354a Rdn. 6; Gericke in KK, StPO 7. Aufl., § 355 Rdn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., Einl. Rdn. 203). „

Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht: In diesem Sonderfall also altes Recht, ansonsten – wenn es in am 25.07.2015 bereits anhängigen Verfahren jetzt oder demnächst um die Berufungsverwerfung geht bzw. seit dem 25.07.2015 gegangen ist: Neues Recht.