SMS aus der Hauptverhandlung – das geht gar nicht….

© akmm - Fotolia.com

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Das BGH, Urt. v. 17.06.2015 – 2 StR 228/14 – ist gestern (endlich) auf der Homepage des BGH veröffentlicht worden. Die Entscheidung hatte ja bereits, als nur die PM existiert, einige Blogs zu Postings veranlasst. Ich warte dann ja immer lieber auf den Volltext. Nun ist er da und ich kann die Entscheidung dann auch vorstellen.

Gegenstand des Urteils sind (private) SMS, die eine beisitzende Richterin während einer laufenden Hauptverhandlung versandt hatte. Die Die Angeklagten hatten die Beisitzerin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da diese während der Vernehmung eines Zeugen am vierten Hauptverhandlungstag über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten mehrfach ihr Mobiltelefon bedient habe. Aufgrund des mit der Bedienung des Mobiltelefons und dem Schreiben von Kurzmitteilungen einhergehenden Aufmerksamkeitsdefizits sei das Fragerecht bzw. die Fragemöglichkeit der abgelehnten Richterin eingeschränkt. Damit sei der Eindruck erweckt worden, die Richterin habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der Beweisaufnahme bereits zur Tat- und Schuldfrage der Angeklagten festgelegt. In der dienstlichen Erklärung hat die beisitzende Richterin u.a. ausgeführt, ihr vor ihr liegendes stumm geschaltetes Mobiltelefon in der Hauptverhandlung als „Arbeitsmittel“ zu nutzen. Die an diesem Tag erwartete Sitzungszeit sei bereits deutlich überschritten gewesen. Einen (stummen) Anruf von zu Hause habe sie mit einer vorgefertigten SMS des Inhalts „Bin in Sitzung“ beantwortet; eine weitere dringende SMS-Anfrage bezüglich der weiteren Betreuung der Kinder habe sie „binnen Sekunden“ beantwortet. Auf Rüge Auf Rüge der Verteidigung habe sie diesen Sachverhalt öffentlich gemacht und sich entschuldigt.

Dem BGH reicht die Entschuldigung nicht. Er sieht das Ablehnungsgesuch – anders als die Strafkammer – als begründet und damit § 338 Nr. 3 StPO als gegeben an:

Angesichts der Tatsache, dass es die beisitzende Richterin wegen der erwarteten Überschreitung der Sitzungszeit mit vorgefertigter SMS offensichtlich von vornherein darauf angelegt hat, aktiv in der Hauptverhandlung in privaten Angelegenheiten nach außen zu kommunizieren, kommt es entgegen der Auffassung im ablehnenden Beschluss des Landgerichts auch nicht darauf an, ob deswegen die Aufmerksamkeit der Richterin erheblich reduziert gewesen sei. Denn die beisitzende Richterin hat sich während der Zeugenvernehmung durch eine mit der Sache nicht im Zusammenhang stehende private Tätigkeit nicht nur gezielt abgelenkt und dadurch ihre Fähigkeit beeinträchtigt, der Verhandlung in allen wesentlichen Teilen zuverlässig in sich aufzunehmen und zu würdigen; sie hat damit auch zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen. Von kurzfristigen Abgelenktheiten, wie sie während einer länger andauernden Hauptver-handlung auftreten können, unterscheidet sich dieser Fall dadurch, dass eine von vornherein über den Verhandlungszusammenhang hinausreichende externe Telekommunikation unternommen wird; eine solche ist mit einer hinreichenden Zuwendung und Aufmerksamkeit für den Verhandlungsinhalt unvereinbar.

Klare und deutliche Worte, denen m.E nichts hinzuzufügen ist. SMS aus der Hauptverhandung geht gar nicht. Man stelle sich das Szenario vor, das würden alle Berufs- und Laienrichter machen. Dann hört gar keiner mehr zu. Und: Auf den „Einwand“ „Arbeitsmittel“ muss man ja auch erst mal kommen. Kreativ, Frau Kollegin

Allerdings: SMS aus der Hauptverhandlung geht m.E auch nicht für Verteidiger, oder?

26 Gedanken zu „SMS aus der Hauptverhandlung – das geht gar nicht….

  1. Leser

    Das mit dem Arbeitsmittel ist doch gar nicht fernliegend, wenn es denn so gewesen wäre.
    Als Verteidiger schnell mal eine Entscheidung auf burhoff.de abrufen, um sie dem Gericht vor die Nase zu halten, wäre doch völlig ok, oder etwa nicht? Auch die Gesetze-App ist oft hilfreich, wenn es um exotische Vorschriften geht. Ich bin jedenfalls gespannt auf den Fall, in dem ein Vorsitzender die Handynutzung eines Verteidigers sitzungsleitend verbietet… Zwischen Gericht und Verteidiger wird man ohnehin differenzieren müssen.

  2. Leser

    Wenn denn irgendwann auch noch die E-Akte kommt… Auch heute gibt es ja schon den iPad-Verteidiger, der nur noch wischt und tippt. 🙂

  3. Detlef Burhoff

    Hallo, das mag sein :-). Ich habe es dort bereits kommentiert mit:
    „Und wie ist es bei der „notwendigen Verteidigung“ Herr Kollege? Ist der Mandant noch hinreichend verteidigt, wenn sich der Verteidiger mit anderen Dingen beschäftigt, oder haben wir dann ggf. § 338 Nr. 5 StPO?“

  4. Leser

    Korrigiere:
    Sie haben ihm ja schon geantwortet. Guter Einwand mit der Pflichtverteidigung: Wenn der notwendige Verteidiger nicht „verteidigt“, sondern private Kommunikation pflegt, könnte das durchaus ein Revisionsgrund sein.
    Mir ging es auch eher um die Handynutzung als Arbeitsmittel, die Sie restriktiver sehen. Aber kann es einen Unterschied machen, wenn statt im Kommentar digital geblättert wird? Vielleicht weil dann nicht überprüfbar ist, ob sich der Verteidiger sachfremd beschäftigt? So was könnte ein neuer Verteidiger in der Revision ja durchaus vortragen…

  5. Detlef Burhoff

    Ja, ich bin schnell 🙂
    Der Einwand der Beisitzerin ging m.E. in eine andere Richtung – so verstehe ich es zumindest: das Handy ist/war ein „Arbeitsmittel“, weil ich damit während der Arbeit mit zu Hause kommunizieren. Aber letztlich für die Entscheidung für den BGH egal.

  6. meine5cent

    Ich denke, Sie verstehen das mit dem Arbeitsmittel falsch. Ein Smartphone ist auch für den Strafrichter ein hervorragendes Arbeitsmittel in der Hauptverhandlung. Man kann z.B. bei Trinkmengenangaben mittels Promillerechner eine BAK errechnen, im Unternehmensregister einen Jahresabschluss abrufen, wenn es um wirtschaftliche Verhältnisse geht, die Telefonnummer eines nicht erschienenen Zeugen suchen, eine Wegstrecke ergoogeln etx.

  7. Dante

    Also das „Abfeuern“ einer vorgefertigten SMS „Bin in Sitzung“ würde ich eher als unkritisch ansehen.

    Was wäre denn die Alternative? Den Vorsitzenden um Unterbrechung der Hauptverhandlung bitten, um dann aus dem Beratungszimmer die gleiche SMS auszulösen?

    Oder darf ich als Elternteil kleiner Kinder auch für Not- und Problemfälle gar nicht erreichbar sein? Wer das ernsthaft vertritt, sollte Richter auch so bezahlen, dass sie sich eine unbegrenzte Nannybetreuung für die Kinder an Sitzungstagen leisten können. Für BGH-Richter sicher kein Problem …

    Ansonsten verstehe ich nicht, warum der Vorsitzende die Sitzung nicht von sich aus unterbricht, wenn das Überschreiten der geplanten Sitzungszeit und das Ende der organisierten Kinderbetreuung absehbar sind.

  8. Detlef Burhoff

    Und wo wollen Sie die Grenze ziehen und wie wollen Sie es kontrollieren?
    Andere „Elternteile“ sind auch nicht erreichbar, oder wollen Sie von einem Arzt operiert werden, der während der Operation mal eben seinen Haushalt organisiert?
    Und die (schlechte) Bezahlung ist in meinen Augen ein Totschlagargument.
    Zum Verhalten des Vorsitzenden stimme ich Ihnen zu. Dann muss eben kurz unterbrochen werden. Wo ist das Problem?

  9. Leser

    Das ist doch der Punkt: Als Richter – und sei es auch nur als Beisitzerin – kann man die Sitzung jederzeit unterbrechen (lassen). Als Verteidiger ist das mitunter schon schwieriger. Deshalb war der Fehler der Richterin absolut unnötig, wenn auch ebenso menschlch.

  10. Dante

    Wo ich die Grenze ziehen würde: Genau dort! Die zum Abfeuern einer vorgefertigen SMS nötigen ein/zwei Tastendrücke sind ok, alles darüber hinaus nicht. Es lässt sich im Zwieifel ohnehin nicht von außen erkennen, ob ich eine Standard-SMS abschicke oder die Uhrzeit ablese.

    Zum Arzt: Deshalb haben Chirurgen in den seltensten Fällen Partner, die ebenso eingebunden sind. Als Arzt habe ich aber die Wahl, ob ich Chirurg werde oder nicht.

    Als Richter habe ich kaum Einfluss darauf, ob ich in eine Strafkammer komme, deren Vorsitzender der Ansicht ist, bei kleinen Kindern müsse gefälligst ein Elternteil Vollzeit zu Hause bleiben und alles andere ginge ihn (oder sie) nichts an.

  11. M.Wiechert

    Wenn ich alles richtig verstanden habe, hätte die Beisitzerin während der laufenden Zeugenvernehmung die Verhandlung unterbrechen können.
    Ich frage mich, wieso sie das nicht gemacht hat.
    @D. Burhoff: Ich kann Ihre Argumentation nachvollziehen, dass eine Tolerierung des Verhaltens der Richterin evtl. dazu führt, dass dies Nachahmer findet.
    Womit ich mir allerdings schwer tue:
    Die Ablehnung einer Richterin, die per SMS daheim Bescheid gibt, da die Verhandlung länger dauert, wird als begründet angesehen.
    Bei einem eingeschlafenen Richter während der Verhandlung wird dies m.E. zumindest deutlich unkritischer gesehen.
    Im Vergleich der Sachverhalte kann ich das Verhältnis (Ablehnung ja oder nein) hier nicht nachhvollziehen…

  12. Detlef Burhoff Beitragsautor

    Wenn der Richter „eingeschlafen“ ist, ist das kein Problem. Die Diskussion geht i.d.R. aber darüber, ob das der Fall war oder er nur mit geschlossenen Augen nachgedacht hat. 🙂

  13. M.Wiechert

    Im Zweifel sind es immer nur chronisch schwere AUgenlieder.
    Heißt dies im Gegenschluss, dass die Richterin einfach den Versand der SMS hätte bestreiten müssen und angeben können, sie hätte auf dem Smartphone einen Gesetzestext nachgeschlagen.
    Natürlich weiß ich, dass Richter niemals schlafen. Nicht einmal in der Nacht… 😉

  14. M.Wiechert

    Geschlossene Augen und das leichte, unkontrollierte Herabsinken des Kopfes sind aber (ohne nochmal recherchiert zu haben) noch als richterliches Nachdenken durchgegangen.
    Wer entscheidet denn am Ende ob es tatsächlich nur Ausflüchte waren oder eben nicht. Hier kann doch nur auf die Stellungnahme des Betroffenen abgestellt werden, sofern keine äußeren Anzeichen auf das Gegenteil hindeuten.

  15. HD

    Eine Entscheidung, die Praktiker die Köpfe schütteln lässt. Schon die Vorstellung, dass jeder Moment einer mehrstündigen Hauptverhandlung so kostbar und wertvoll sei, dass eine Ablenkung durch lediglich Sekunden andauernde Handynutzung die Fragemöglichkeiten beziehungsweise das Fragerecht einschränken würde, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das eigene Erleben einer erstinstanzliche strafrechtlichen Hauptverhandlung vor einer Strafkammer ist offensichtlich lange her. Mit keinem Wort setzt sich der BGH-Beschluss damit auseinander, ob die fragliche Tätigkeit der Richterin wirklich in eine entscheidende Phase der Hauptverhandlung fiel, bei der höchste Aufmerksamkeit erforderlich war. Hier wurde zukünftigen, unnötigen Verteidigermätzchen eine Bahn geebnet, die Gerichtsverhandlungen kein bisschen fairer machen wird, als sie es heute schon sind.

  16. Detlef Burhoff

    Auch so ein Totschlagargument: Nicht praxisnah. Immer, wenn der BGH etwas entscheidet, was der Praxis missfällt, dann heißt es, die haben ja keine Ahnung mehr. Wollen Sie wirklich eine Hauptverhandlung in der „lustig darauf los gesimst“ wird? Und wie wollen Sie bitte abgrenzen, ob der Richter aufmerksam sein muss. Dann können Sie ja auch gleich seine zeitweilige Abwesenheit tolerieren und erlauben, dass er zwischendurch auf die Toilette gehen kann, wenn nichts Entscheidendes passiert.
    Und: Dann als „Sahnehäubchen“: Die „unnötigen Verteidigermätzchen“. Einfach Handy vom Tisch lassen und dann ist es gut….

  17. Gast

    Also Frauen können heute beides: kurze sms und zuhören. Von daher ist die Entscheidung jedenfalls nicht lebensnah. Und die Besorgnis der Befangenheit mit einem solchen Verhalten zu begründen irgendwie peinlich.

  18. Gast

    Beim 2. Strafsenat will ich nicht. Da müsste ich ständig den Fischer ertragen. Und als RA zum BGH geht wohl auch nicht wirklich.

    Kurzes einschlafen ist ok, kurze Sms hingegen nicht. Kurios!

  19. Pingback: Warum eine „simsende“ Richterin nicht allein deshalb befangen ist – zpoblog.de

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