Archiv für den Monat: Juli 2015

Ich habe da mal eine Frage: Kann ich von der Mittelgebühr nach oben abweichen?

© AllebaziB - Fotolia

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Anfragen zur konkreten Gebührenbemessung (§ 14 Abs. 1 RVG) erhalte ich selten. Es ist ja auch nicht einfach, ohne genaue Kenntnisse der Umstände, die für die Bemessunge der Gebühren von Bedeutung sind bzw. sein können, dazu etwas zu sagen. Aber eine Anfrage ist dann neulich doch mal „reingekommen“ und die gebe ich dann hier heute „frei“:

„Hallo zusammen,

meine Frage betrifft die optimale Ausnutzung des § 14 RVG. Sehr kurz zum Fall.

Mandant (durchschnittliches Einkommen) wird in der ersten Instanz zu 4 Monaten verurteilt. Die Strafe wird nicht zur Bewährung ausgesetzt. Mandant legt fristgerecht Berufung ein und beauftragt RA. Ab jetzt ist RA tätig. Sachverhalt besprochen, Akteneinsicht genommen, erneut Sachverhalt besprochen, es wird Berufungsbegründung geschrieben. Es kommt zur Hauptverhandlung (1 Termin) mit Beweisaufnahme. RA beantragt Freispruch, StA will 4 Monate. Erneut soll Strafe laut StA nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Urteil des LG ergeht, Mandant erhält Freispruch. Soweit so gut.

Meine Frage. Darf man bei denr Gebühren 4100, 4124 und 4126 jeweils vom Mittelwert abweichen, allein mit der Begründung für Mandanten ging es um eine Freiheitsstrafe (ohne Bewährung). Wie weit kann man vom Mittelwert abweichen? Gibt es weitere stichhaltige Argumente um den Rahmen des § 14 RVG nach oben auszunutzen.“

Vielleicht hat ja der ein oder andere eine zündende Idee?

 

Es ist nie zu spät, oder: Der Zeitpunkt für den Erstreckungsantrag

entnommen wikimedia.org  Urheber Ulfbastel

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Urheber Ulfbastel

Vor dem Gebührenrätsel zum Wochenausklang dann noch eine Entscheidung zum Gebührenrecht, und zwar zur Frage der Erstreckung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG. Die Frage spielt bei der Pflichtverteidigung, wenn Verfahren hinzuverbunden werden, eine Rolle. Da geht es dann darum, ob auch in den hinzuverbundenen Verfahren, wenn der Rechtsanwalt dort tätig war, die gesetzlichen Gebühren abgerechnet werden können.

Der LG Braunschweig, Beschl. v. 19.06.2015 – 11 Qs 115/15 – behandelt eine verfahrensrechtliche Problematik aus dem Komplex, nämlich die Frage der Zeitpunkts des Erstreckungsantrags, und zwar: Kann der auch noch nach (rechtkräftigem) Abschluss des Verfahrens gestellt werden? Das LG sagt – zutreffend: Ja:

„Der Verteidiger war nicht gehindert, den Erstreckungsantrag noch nach rechtskräftigem Abschluss des Erkenntnisverfahrens zu stellen (KG, Beschl. vom 27.09.2011, 1 Ws 64/10, Rn. 5, zitiert nach juris).

Eine nachträgliche Erstreckungsentscheidung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn in dem hinzuverbundenen Verfahren eine Bestellung als Pflichtverteidiger ohne die Verbindung unmittelbar bevorgestanden hätte (LG Berlin, JurBüro 2006, 29). Es handelt sich mithin um eine dem Einzelfall angemessene Entscheidung, die nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffen ist (OLG Braunschweig, Beschl. vorn 22.04.2014, 1 Ws 48/14, Rn. 34, zitiert nach juris).

Das LG hat die Sache daher an das AG zurückgegeben, weil das noch entscheiden muss. Und das LG sagt dann auch gleich, wie es sich die Entscheidung vorstellt:

„Hier liegt der Fall jedoch anders. Es wird vorsorglich bereits jetzt darauf hingewiesen, dass einiges dafür spricht, dass im Verfahren 801 Js 45615/14 eine Pflichtverteidigerbeiordnung unmittelbar bevorstand. Denn der inzwischen Verurteilte befand sich im Verfahren 801 Js 24745/14 bereits seit dem 01.08.2014 in Untersuchungshaft, so dass ihm in dem später hinzuverbundenen Verfahren 801 Js 45615/14 gem. § 140 4s. 1 Ziff. 4, 141 Abs. 3 Satz 4 StPO unverzüglich ein Pflichtverteidiger hätte bestellt werden müssen.“

Dazu gibt es bereits eine ganze Menge Rechtsprechung. Steht alles im RVG-Kommentar 🙂 .

Auch Zahngold ist „Asche“, oder: Klausurproblem erledigt

entnommen wikimedia.org Urheber RosarioVanTulpe

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Immer wieder gibt es Meldungen in der Tagespresse bzw. hört man davon, dass aus den Verbrennungsresten von eingeäscherten Verstorbenen Zahngold „entwendet“ worden ist (vgl. u.a. hier: Am Ende bleiben Rauch, Asche und Zahngold). Zu der rechtlichen Problmatik gibt es sogar eine Musterklausur unter dem Titel: „Der Nürnberger Zahngold-Fall“. Und „Bestatterzeitung.de“ berichtet über „Das versteckte Geschäft mit dem Zahngold„.

In der rechtlichen Diskussion geht es um die Frage: Welche Straftatbestände sind ggf. erfüllt: Diebstahl (§ 242 StGB), Verwahrungsbruch (§ 133 StGB)  und ggf. vor allem auch Störung der Totenruhe (§ 168 StGB). Besser formuliert wäre mit: „in der rechtlichen Diskussion ging…“, denn die Frage hat es vor kurzem bis zum BGH geschafft und der hat dazu im BGH, Beschl. v. 30.06.2015 – 5 StR 71/15 Stellung genommen. Der BGH hält die Frage für so wichtig, dass die Entscheidung in BGHSt aufgenommen worden ist.

Der BGH geht davon aus, dass das Entwenden von Zahngold aus den Verbrennungsresten der zuvor eingeäscherten Verstorbenen auch den Tatbestand der Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) erfüllen kann:

„Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Entwen-den von Zahngold den Tatbestand der Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) erfüllt. Insbesondere handelt es sich bei Zahngold um „Asche“ im Sinne des § 168 Abs. 1 StGB. Denn zu dieser gehören nach zutreffender Ansicht sämtliche nach der Einäscherung verbleibenden Rückstände, d.h. auch die vormals mit einem Körper fest verbundenen fremden Bestandteile, die nicht verbrennbar sind (vgl. OLG Bamberg, NJW 2008, 1543; OLG Hamburg, NJW 2012, 1601; Dippel in LK-StGB, 12. Aufl., § 168 Rn. 40; Kuhli in Matt/Renzikowski, StGB, 2013, § 168 Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 168 Rn. 2; Lenckner/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 168 Rn. 3).“

Der BGH stellt in der doch recht umfangreichen Entscheidung ab auf

  • den allgemeinen Sprachgebrauch, mit dem die Auslegung zu vereinbaren sei,
  • darauf, dass die Auslegung nicht die äußerste Wortlautgrenze überschreitet
  • und auf den Willen des historischen Gesetzgebers,
  • sowie auf auch auf systematische und teleologische Erwägungen .

Damit wäre ein „Klausurproblem“ mal wieder erledigt.

Auch du mein Sohn Brutus – Kehrtwende beim OLG Celle zur Drogenfahrt

© macrovector - Fotolia.com

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In der OLG-Rechtsprechung umstritten ist die Frage nach bzw. die Anforderungen an die Fahrlässigkeit bei der Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG. Da gibt es ein – mehr oder weniger – lustiges Hin und Her in der obergerichtlichen Rechtsprechung, das schon zu mancher Kehrtwende in der Rechtsprechung der OLG geführt hat (vgl. dazu u.a. den KG, Beschl. v. 14.10.2014 – 3 Ws (B) 375/14 – 162 Ss 93/14 und dazu Drogenfahrt: Weiß doch jeder, dass man nach Kiffen nicht fahren darf….-jetzt auch in Berlin?).

Jetzt dann auch beim OLG Celle, das im OLG Celle, Beschl. v. 30.04.2015 – 321 SsBs 42/15 seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben hat. Die Argumente kennen wir – daher erspare ich sie mir hier und stelle nur die Leitsätze ein:

1. Nimmt ein Betroffener nach dem Konsum von Cannabis als Kraftfahrer am Straßenverkehr teil, handelt er nach § 24 a Abs. 3 StVG fahrlässig, wenn er nicht sicher sein kann, dass der Rauschmittelwirkstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml THC im Blutserum abgebaut ist (Anschluss KG, Blutalkohol 52, 32; OLG Frankfurt, NStZ?RR 2013, 47; OLG Koblenz, NStZ?RR 2014, 322; OLG Bremen, NStZ?RR 2014, 257; OLG Hamm, Blutalkohol 48, 288).

2. Im Regelfall besteht für den Tatrichter kein Anlass, an dem subjektiven Sorgfaltsverstoß zu zweifeln, wenn der analytische Grenzwert bei der Fahrt erreicht wird. Nur wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Betroffene trotz Erreichen des analytischen Grenzwertes seinen Sorgfalts? und Erkundigungspflichten nachgekommen ist, ist der Tatrichter gehalten, sich angesichts der entgegenstehenden Messwerte mit der Möglichkeit eines solchen Tatverlaufs auseinanderzusetzen (Anschluss OLG Koblenz, a. a. O.; OLG Frankfurt, a. a. O.).

Ich meine, dass die Vorlegungsvoraussetzungen (§ 121 GVG) vorliegen. Also: Warum geht nicht mal ein OLG zum BGH. Nur Mut. Soll schon nicht so schlimm werden.

Scan und/oder Ausdruck – was wird bezahlt?; oder: Reihenfolge wichtig?

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Nach den Änderungen der Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG haben wir ein neues „Schlachtfeld“ im RVG: Nämlich die Frage, ob und wann Scans und/oder Ausdrucke bezahlt werden. Vor einigen Tagen hat der Kollege Hoenig über dieses Problem und seine Probleme mit der Kostenbeamtin berichtet (vgl. hier: Kopien ausschliesslich in Papierform notwendig). Der Kollege Hoenig war noch nicht weiter als bis zur Kostenbeamtin gekommen.

Ich habe inzwischen von einem Kollegen, der schon ein Stück weiter ist :-), den LG Berlin, Beschl. v. 23.07.2015 – (537 KLs) 255 Js 381/14 (28/14) – übersandt bekommen. Da ging es auch um die Kopiekosten. Die sind nicht gewährt worden:

„Die Verwendung des Begriffs „Kopie“ anstelle von „Ablichtung“ erfolgte durch den Gesetzgeber bewusst, um Missverständnisse bei der Erstellung von Scans zu vermeiden. Ein Scan fällt nicht unter „Kopie“ im kostenrechtlichen Sinne.

Der Verteidiger hat ein Wahlrecht. Er kann entweder den Akteninhalt für sich in Papierform erstellen oder ein elektronisches Dokument davon (Scan). Beides ist nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten, nicht nach der subjektiven Ansicht des Rechtsanwalts, zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich.

Da der Verteidiger die Akten zuerst gescannt und dann ausgedruckt hat, sind Ausdrucke nicht erstattungsfähig. Vielmehr dienen diese Ausdrucke lediglich der Arbeitserleichterung für den Verteidiger. Es handelt sich daher um allgemeine Geschäftskosten, die mit den Grund- und Verfahrensgebühren abgegolten werden (vgl. OLG München, Beschluss vom 3. 11. 2014 — 4c Ws 18/14).“

Ob der Verweis auf OLG München richtig ist, lassen wir mal dahingestellt, die Entscheidung ist zudem in meinen Augen zweifelhaft. Aber irgendwie schon komisch. Wenn erst gescannt und dann ausgedruckt wird, wird nicht erstattet. Aber wenn die Akte ausgedruckt und dann gescannt wird, wird erstattet. Und dass alles nur, weil der Gesetzgeber in seiner unerforschlichen Weisheit durch das 2. KostRMoG eine Änderung vorgenommen hat, um Scans nicht mehr bezahlen zu müssen (obwohl heute vielfach nur noch gescannt wird) und die h.M. das bis dahin anders gesehen hat. Man kann nur hoffen, dass der Gesetzgeber das bald wieder ändert.

Und: Man kann dann nur auf das KG hoffen. Von dem werden wir dann bald was hören. Denn der Kollege hat gegen den LG Berlin Beschluss Rechtsmittel eingelegt. Das KG darf dann entscheiden.