Polizeikontrolle? Nicht wirklich, sondern: Ein Angriff….

Anonymous_stop_signDer 2. Strafsenat des BGH befasst sich im BGH, Beschl. v. 23.07.2014 – 2 StR 104/14 – mit einer verkehrsstrafrechtlichen Fragestellung. Der kundige Leser wird an dieser Stelle stutzen und fragen: Der 2. Strafsenat, machen die jetzt alles, denn Verkehrsstrafrecht macht doch an sich der 4. Strafsenat. Richtig angemerkt. Aber um die Zuständigkeit ging es gerade. Denn wenn bei der vom2. Strafsenat zu beurteilenden Fallkonstellation ein Verstoß gegen § 316a StGB möglich war, dann war der 4. Strafsenat zuständig. Und der 2. Strafsenat hat das angenommen und deshalb das Verfahren zuständigkeitshalber an den 4. Strafsenat abgegeben.

Zu entscheiden ist folgender Sachverhalt: Nach den Feststellungen des Landgerichts überfielen die – in zwei Verfahren – Angeklagten im Dezember 2011 „den Nebenkläger, der einen Lastkraftwagen der Firma C. auf einer Transportfahrt führte. Der Angeklagte sowie die gesondert verfolgten S. und S. M. folgten in einem PKW dem vom Nebenkläger geführten Lastkraftwagen nach dessen Beladung am Flughafen Frankfurt am Main auf die Bundesautob-ahn A 3. Die Täter fuhren kurz vor dem Rastplatz auf der mittleren Fahrspur der Autobahn neben den LKW. S. , der den PKW führte, gab Hupzeichen; der Angeklagte gab vom Beifahrersitz aus dem Nebenkläger, der den LKW führte,  bei geöffnetem Fenster per Handzeichen zu verstehen, er solle rechts herausfahren. Der Nebenkläger nahm – wie von den Angeklagten beabsichtigt – an, dass es sich um eine Polizeistreife in Zivil handele und eine Fahrzeugkontrolle durchgeführt werden solle. Er lenkte daher den LKW auf den Rastplatz, hielt an und stellte den Motor ab. Der Angeklagte und die gesondert verfolgten S. und S. M. hielten ebenfalls an. Der Angeklagte ging auf die Fahrertür des LKW zu und rief: „Polizeikontrolle! Papiere bitte!“. Während der Nebenkläger nach den Fahrzeugpapieren und Frachtunterlagen griff, streifte sich der An-geklagte eine Unterziehhaube über das Gesicht, öffnete die Fahrertür des Last-kraftwagens und bedrohte den Nebenkläger mit einer Pistole. Er zwang ihn, sich auf das Bett in der Kabine hinter dem Fahrersitz zu legen, wo er ihn fesselte. Dann fuhr er mit dem Lastkraftwagen zu einem für das Umladen der Beute vorgesehenen Platz. Dort warteten die gesondert verfolgten M. Mi. und Z. mit einem angemieteten Fahrzeug, auf das die Täter Waren im Wert von rund 450.000 Euro umluden.“

Das LG hat eine Strafbarkeit nach § 316a StGB verneint, da die Angeklagten „nicht, wie es hierfür erforderlich wäre, die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs zum Angriff auf den Führer eines Kraftfahrzeugs ausgenutzt hätten. Das Herauswinken des fahrenden Lastkraftwagens sei noch kein räuberischer Angriff gewesen; die Bedrohung mit der Waffe sei dagegen erst erfolgt, als der Nebenkläger den Lastkraftwagen angehalten und den Motor abgestellt habe; zu diesem Zeitpunkt sei er daher nicht mehr „Führer“ des LKW gewesen.“

Der 2. Strafsenat sieht es – m.E-. zu Recht – anders:

Für die hier entscheidungserhebliche Frage, ob der Nebenkläger „Führer“ eines Kraftfahrzeugs im Sinne von § 316a Abs. 1 StGB war, kommt es da-rauf an, zu welchem Zeitpunkt der „Angriff“ der Angeklagten erfolgte. Nach Ansicht des Senats war der Beginn des Angriffs nicht erst in dem Moment gege-ben, als der Angeklagte den Nebenkläger auf dem Rastplatz bedrohte. Viel-mehr begann der Angriff bereits mit dem Herauswinken auf der BAB 3, also zu einem Zeitpunkt, als der Nebenkläger den LKW führte.

Nach der (neuen) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und herrschender Meinung reicht es für das Merkmal des „Angriffs“ nicht aus, wenn auf den Führer eines Kraftfahrzeugs mit List eingewirkt wird, um ihn in eine Situation zu bringen, in der ein Raub durchgeführt werden soll. Dies ist etwa der Fall, wenn ein vermeintlicher Fahrgast gegenüber einem Taxifahrer ein falsches Fahrziel angibt; ebenso bei Vortäuschen eines Unfalls oder einer sonstigen Not-lage, um einen Kraftfahrzeugführer zum Anhalten zu bewegen.

Hiervon abzugrenzen sind Handlungen, welche auf den Führer eines Kfz eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung haben (vgl. dazu im einzelnen Fischer, StGB, 61. Aufl., § 316a Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB 28. Aufl. § 316a Rn. 2; Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl., § 316a Rn. 5; jew. mit weiteren Nachweisen). Es kommt hierfür nicht darauf an, ob diese Wirkung vorgetäuscht ist oder ob der objektiv Genötigte von einer Rechtswidrigkeit der Einwirkung ausgeht.

Fälle einer vorgetäuschten Polizeikontrolle unterscheiden sich daher substanziell von bloßen Vortäuschungen allgemein motivierender Umstände (vorgetäuschte Panne; Anhalter); sie entsprechen vielmehr Fällen der Straßen-sperre. Denn dem Kraftfahrzeugführer ist bei der Einwirkung durch Haltezeichen durch Polizeibeamte kein Ermessen eingeräumt; er ist vielmehr bei Androhung von Geldbuße (§ 36 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO) verpflichtet, Haltezeichen Folge zu leisten, und befindet sich daher objektiv in einer (irrtümlich als gerechtfertigt angesehenen) Nötigungssituation.

Auf die Entschlussfreiheit eines Kraftfahrzeugführers wird daher bereits dann eingewirkt, wenn vom Täter eines geplanten Raubs eine Polizeikontrolle vorgetäuscht wird und sich der Geschädigte dadurch zum Anhalten gezwungen sieht (vgl. auch Geppert, DAR 2014, 128, 130; Sander in MünchKomm, StGB, 2. Aufl., § 316a Rn. 11; Steinberg, NZV 2007, 545, 550; LK-Sowada, StGB, 12. Aufl., § 316a Rn. 11).“

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