Klassischer Fehler XV: die „eigene Sachkunde“ auf Vorrat – das geht nicht

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Und dann noch eine BGH-Entscheidung, die sich mit Sachverständigenfragen befasst. Nämlich der BGH, Beschl. v. 26.03.2014 – 2 StR 274/13. Ein Wirtschaftsstrafverfahren, in dem es aber auch um die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens ging. Dazu hatte der Verteidiger einen Beweisantrag gestellt. Zum Prozessgeschehen führt der BGH aus:Der Verteidiger des Angeklagten hatte in der Hauptverhandlung vom 15. November 2012 die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass beim Angeklagten eine „‘andere Persönlichkeitsstörung‘ im Sinne einer artifiziellen Störung in der Unterform der Pseudologie im Sinne von ICD-10: F 68.1“ im Tatzeitraum zugrunde gelegen habe und er deswegen schuldunfähig oder zumindest erheblich vermindert schuldfähig gewesen sei.

„Hierfür bezog er sich auch auf das Verhalten des Angeklagten im Laufe der über 35 Verhandlungstage, der u.a. „auf den Vorhalt der Unwahrheit seiner zuvor gemachten Angaben und Erklärungen nicht nur hartnäckig bei seiner Erklärung blieb, sondern vielmehr erklärte, die ihm als Wahrheit vorgehaltenen Erklärungen und Auskünfte seien ihrerseits unwahr“. Zudem habe auch keiner der als Zeugen vernommenen Geschädigten den Wahrheitsgehalt der – von der Strafkammer als frei erfunden bewerteten – Geschichten und Erklärungen des Angeklagten angezweifelt; in ihrer „Struktur und Konsistenz“ seien die jeweiligen Hinweise und Erklärungen des Angeklagten vielmehr „widerspruchsfrei“. Schließlich habe die Strafkammer selbst schon zu Beginn der Hauptverhandlung im Mai 2012 Zweifel an der psychiatrischen Gesundheit des Angeklagten gehabt und deshalb – allerdings im Freibeweisverfahren – einen Sachverständigen hinzugezogen; dessen Einschätzung, dass es keine Anhaltspunkte für eine Begutachtung des Angeklagten gebe, könne ein Sachverständigengutachten allerdings nicht ersetzen.

Diesen Beweisantrag hat das Tatgericht unter Hinweis auf eigene Sachkunde zurückgewiesen. Für die Strafkammer hätten sich keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen für eine psychiatrische Erkrankung ergeben; das leugnende Verhalten des Angeklagten sei zwar auffällig, habe aber keinen Krank-heitswert. Ein solches Verhalten sei „vielmehr regelmäßig im Rahmen von Betrugsverfahren zu beobachten“. Der bereits im Mai 2012 freibeweislich hinzuge-zogene Sachverständige, dem die Hauptakte zur Verfügung gestellt worden war, und der zwei Stunden an einer Hauptverhandlung teilgenommen sowie mit dem Angeklagten drei Stunden gesprochen habe, habe in der Hauptverhandlung bestätigt, dass es keine Anknüpfungstatsachen für die Annahme gebe, der Angeklagte leide an einer krankhaften seelischen Störung.“

Tja, und das war es dann. Die Begründung reichte dem BGH nicht bzw. sie war fehlerhaft.

b) Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet.

aa) Es ist rechtsfehlerhaft, einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Hinweis auf genügende eigene Sachkunde abzulehnen, wenn sich das Tatgericht diese Sachkunde zuvor gezielt durch Befragung eines Sachverständigen im Freibeweisverfahren verschafft hat, um einen – entsprechend erwarteten – Beweisantrag ablehnen zu können (vgl. auch Senat, Beschluss vom 23. Mai 2013 – 2 StR 555/12, wistra 2013, 389, 399 [zur Verschaffung eigener Sachkunde im Freibeweisverfahren nach Stellung des Beweisantrags] mwN).

Das Landgericht hat sich freibeweislich von einem Sachverständigen „beraten lassen“, weil – so die Ausführungen im Urteil – „auf Grund langjähriger Erfahrungen mit ähnlichen Verfahren bekannt ist, dass von der Verteidigung oft erst sehr spät und teilweise mit dem Ziel, die Verfahrensbeendigung zu verhindern, die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt wird“ (UA S. 209). Die Vorgehensweise der Strafkammer, sich quasi „auf Vorrat“ eine auf den Angeklagten bezogene „eigene Sachkunde“ zu verschaf-fen, zielte letztlich darauf, die im Falle eines Beweisantrags gebotene förmliche Vernehmung eines Sachverständigen zu verhindern. Damit wurde aber die an sich gebotene Beweisaufnahme im Strengbeweisverfahren durch das Freibe-weisverfahren umgangen (vgl. auch Krehl in KK-StPO, 7. Aufl., § 244 Rdn. 46; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rdn. 73 mwN). Daran ändert hier auch der Umstand nichts, dass der Sachverständige in der Hauptverhandlung gehört worden ist. Hält das Gericht die Anhörung eines Sachverständigen für erforderlich, um sich sachkundig zu machen, muss der Sachverständige in der Hauptverhandlung im Strengbeweisverfahren gehört werden (vgl. auch Güntge in Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl., Rdn. 1338).

bb) Hinzu kommt hier, dass mit dem Beweisantrag weitere Umstände in der Person des Angeklagten und in der Tatbegehung behauptet wurden, die von dem Sachverständigen (noch) nicht berücksichtigt werden konnten. Hin-sichtlich dieser behaupteten neuen Anknüpfungstatsachen konnte die Strafkammer die eigene Sachkunde nicht mit Blick auf das etwa sechs Monate zuvor erstattete freibeweisliche Gutachten begründen (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 – 1 StR 621/91, BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Sachkunde 5 mwN).“

M.E. schon ein klassischer Fehler. Die eigene Sachkunde muss man anders begründen.

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